Sterbehilfe und Organisationen in der Schweiz
In der Schweiz bestehen sechs Organisationen, die von Hilfesuchenden für eine Freitodbegleitung ansprechbar sind. Neben den bekannten Organisationen EXIT (Deutschsprachige Schweiz) und Dignitas sind es EXIT A.D.M.D. (in Genf für die französische Schweiz) Ex International, Life Circle/Eternal Spirit sowie Liberty Life im Kanton Tessin.
In den Kantonen der Schweiz ist die ärztliche Freitodbegleitung nicht strafbar. In Deutschland wird dafür gemeinhin der Begriff „Sterbehilfe“ verwendet. Seit 1918 ist der begleitete Suizid in der Schweiz legalisiert. In Art. 115 des Schweizerischen Strafgesetzbuches heißt es dazu: „Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord. Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.“
Drei der Organisationen – die beiden EXIT-Verbände und Dignitas – sind weitestgehend transparent, die drei weiteren nicht.
EXIT (Deutsche Schweiz) Vereinigung für humanes Sterben: Im Frühling 1982 gegründet, hat die Vereinigung aktuell (seit April 2016) mehr als 100.00 Mitglieder in der deutschsprachigen Schweiz und im Tessin. In einer Selbstdarstellung „30 Jahre Exit“ wird ausführlich die Gründungsgeschichte dargestellt.
EXIT A.D.M.D. (Romanische Schweiz): Zeitgleich, 1982, mit der Organisation in der Deutschen Schweiz gegründet, sind die Mitglieder ebenfalls nur Personen der Schweizer Wohnbevölkerung. Ende 2015 waren 22.214 Mitglieder.
Dignitas: Im Mai 1998 auf der Forch (bei Zürich) gegründet. Generalsekretär ist der Rechtsanwalt Ludwig A. Minelli. Ziel ist u. a. auch Menschen, die nicht in der Schweiz leben, eine Freitodbegleitung zu ermöglichen. Mitglieder (31.12.2015): 7.291 aus 91 Ländern.
In Deutschland besteht eine deutsche Sektion (seit September 2005) in Hannover. Zur aktuellen Situation schreibt die Sektion: „Am 6. November 2015 hat die Mehrheit des deutschen Bundestages ein Verbotsgesetz zur Sterbehilfe beschlossen. Unser Verein hatte sich auch vor Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits darauf beschränkt, eine mögliche Sterbebegleitung durch den Schweizer Verein Dignitas nur dann zu vermitteln, wenn sich unsere Mitglieder nicht selbst unmittelbar mit dem Schweizer Verein in Verbindung setzten wollten. Diese Vermittlungstätigkeit können und werden wir aufgrund des neuen Gesetzes nicht mehr ausüben.“ Es bleibt abzuwarten, wie das Bundesverfassungsgericht - voraussichtlich Ende 2019 / Anfang 2020 - diese Strafbarkeit der Sterbehilfe beurteilen wird.
Life Circle/Eternal Spirit wurde von der Ärztin Dr. Erika Preisig im Sommer 2011 gegründet, die zuvor als Konsiliarärztin bei Dignitas tätig war. Internationale Mitglieder.
Ex International wurde 1996 auf Anregung des Arztes Julius Hackethal durch den Schweizer Pastor Rolf Sigg gegründet, der zuvor EXIT mitbegründet hatte. Mitglieder vor allem aus Deutschland.
Die Associazione Liberty Life wurde im November 2015 gegründet und ist im Aufbau begriffen.
Gesamtzahlen
Nach Angaben des Schweizer Rundfunk und Fernsehens (1998-2002) sowie des Schweizer Bundesamt für Statistik (2002-2014) steigt die Anzahl der Freitodbegleitungen seit 1999 an, aber es ist keine durchgehende Stetigkeit eines immer größeren Anstiegs der assistierten Suizide feststellbar.
Die bisher genannten Zahlen erfassen nur die Schweizer Wohnbevölkerung. Erfasst man alle veröffentlichten Zahlen von Organisationen in der Schweiz zu den Freitodbegleitungen, so zeigt sich, dass die Anzahl um rund 30 Prozent höher liegt: 2014 sind es 742 Personen, die in der Schweiz lebten, aber 962 Freitodbegleitungen insgesamt.
Das verweist auch darauf, dass die Freitodbegleitungen in der Schweiz kein „Import-Thema“ sind, da von den 962 Menschen, die sich 2014 für einen assistieren Suizid in der Schweiz entschieden haben, Dreiviertel (77 %) Schweizer sind.
Die Zahlenangaben zwischen den Organisationen und dem Bundesamt für Statistik sind dabei nicht stimmig. Eine detaillierte Abklärung der Differenzen war nicht möglich.
EXIT (Basel) schreibt zur Freitodbegleitung: „Bereits der erste Blick auf die Zahlen zeigt, dass nicht nur die Anzahl EXIT-Mitglieder stark zunimmt, sondern auch der Aufwand für das gesamte Freitodbegleitungsteam (FTB-Team). Bei insgesamt 1.083 Menschen, die sich mit einem ernsthaften Sterbewunsch an EXIT wandten, fanden Abklärungen statt („Akteneröffnung“) und während des ganzen Jahres entschieden sich 782 Personen für eine Freitodbegleitung (FTB). Dies entspricht einer FTB-Zunahme um ein Drittel gegenüber dem Vorjahr. Unverändert bleibt dagegen das Verhältnis von Männern zu Frauen in der Grössenordnung von ca. 45 % zu 55 % und das Durchschnittsalter bewegt sich um 77 Jahre.“
„Auch die Aufschlüsselung der Freitodbegleitungen nach der zu Grunde liegenden Erkrankung bleibt gegenüber den Vorjahren in Prozentzahlen ausgedrückt nahezu unverändert. Die dominierenden Kategorien ‚Krebserkrankungen in weit fortgeschrittenem Stadium‘ und ‚Alterspolymorbidität‘ machen rund zwei Drittel aller Fälle aus. Die Prozentzahlen verteilen sich wie folgt: Krebs 40,8 %, Alterspolymorbidität 22,4 %, Herzerkrankungen 4,2 %, Amyotrophe Lateralsklerose 2,3 %, Hirnschlag 1,5 %, Multiple Sklerose 1,4 %, Parkinson 4,3 %, psychische Krankheit 1,7 %, Schmerzpatienten 8,6 %, beginnende Demenz 1,4 %, HIV 0,3 %, Lungenkrankheiten 5 %, Nierenkrankheiten 0,5 %, Poly-neuropathie 0,8 %, Tetraplegie 0,3 %, Augenkrankheit 1,3 %, andere Krankheiten 3,3 %.
Das gleiche gilt auch für den EXIT-Partner in Genf:
Die Anzahl der Freitodbegleitungen steigt von 2010 (91) bis 2015 (213) um mehr als das Doppelte (134 Prozent). Der Anteil der Frauen (57,4 %) ist höher als der der Männer (42,6 %), wobei die Frauen (mit einem Durchschnittsalter von 78 Jahren) als sind als die Männer (mit 75 Jahren).
Sterbeorte
Zu den Orten, an denen die Freitodbegleitungen stattfanden, haben die beiden EXIT-Organisationen entsprechende Angaben veröffentlicht.
Dignitas
Aus 46 Ländern reisten Menschen in die Schweiz, um sich von Dignitas in den selbstbestimmten Freitod begleiten zu lassen.
In einer Gesamtübersicht über 18 Jahre (1998 – 2015) sind es 2.127 Menschen. 1.843 von ihnen (oder 87 %) hatten ihren Wohnsitz in der Schweiz, den angrenzenden Ländern (Österreich, Italien, Frankreich, Deutschland) sowie Großbritannien.
Die weiteren 284 Personen kamen aus 40 verschiedenen Ländern, von denen die USA (66), Canada (43), Israel (28), Spanien (25), Australien (23) und Schweden (18) die größten Anteile (mit mehr als 10 Personen) hatten.
Ein erster einzelner Gipfelpunkt war das Jahr 2006 (mit 195 Freitodbegleitungen) sowie die Jahre 2013 bis 2015, beide denen allerdings die Steigerungen (über 200 Freitodbegleitungen) durch die Zunahme von Personen verursacht wurde, die aus den USA und Canada stammten.
Lifecircle/Eternal Spirit: Aus einem Zeitungsartikel geht hervor, dass ein Viertel der Betreuten aus der Schweiz stammen. „Die meisten Menschen kommen aus Frankreich, gefolgt von Italien, England und Deutschland.“ Zahlen dazu werden nicht genannt. Sterbeort ist eine Wohnung Im Basler Gewerbegebiet.
Ex International: Ebenfalls nur aufgrund eines Zeitungsartikels (aus dem Jahr 2005) wurde bekannt, dass die Sterbehilfeorganisation Ex International, rund 700 Mitglieder habe, fast alle in Deutschland. Jährlich würden rund ein Dutzend Sterbewillige begleitet, die dazu überwiegend in die Schweiz führen. Weitere Informationen werden nicht veröffentlicht.
Mitglieder
Und ebenso international, wie die Menschen, die zu einer Freitodbegleitung nach Forch bei Zürich gereist sind, ist die Mitgliedschaft von Dignitas aus 91 Ländern.
Aus den genannten fünf Ländern (Schweiz, Deutschland, Italien, Frankreich, USA) kommen (2015) rund Dreiviertel (72,8 %) der Mitglieder von Dignitas. In den vergangenen vier Jahren (von 2011 bis 2015) steigt die Zahl der Mitglieder um rund 17 Prozent.
In den vergangenen fünf Jahren steigt die Zahl der Mitglieder von EXIT in der deutschsprachigen Schweiz um 77 Prozent (= 41.465 Mitglieder), in der romanischen Schweiz um 41 Prozent (= 6.457 Mitglieder). Der Anteil von Männern und Frauen liegt dabei 2 : 1, mit einer leichten Tendenz, dass sich der Anteil der Männer stetig vergrößert.
Insgesamt ist die Zahl der Menschen der Schweizer Wohnbevölkerung, die Mitglied in einer der drei genannten Organisationen sind von 70.663 (am 31.12.2011) auf 118.516 (am 31.12.2015) angestiegen, d. h. um 68 Prozent.
Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der Ausländer (bei Dignitas) von 5.510 auf 6.610, d.h. um 20 Prozent.
Sowohl der geringere Anstieg der Mitglieder aus dem Ausland, wie insgesamt der Anteil der ausländischen Mitglieder von 6 Prozent (6.610 von 118.516), zeigt, dass es keinen zunehmenden „Sterbehilfetourismus“ in die Schweiz gibt.
Die Jahresberichte von EXIT (Genf) geben zusätzlich Informationen über die Altersgruppen der Mitglieder.
Die Verteilungen in den Altersgruppen der Mitglieder zeigt, dass nur rund ein Drittel der Mitglieder sich in der Altersgruppe des Durchschnittsalters der Freitodbegleitung (75 Jahre und älter) befindet. Bereits diese Daten weisen darauf hin, dass in den kommenden Jahren und Jahrzehnten die Anzahl der Freitodbegleitungen weiter ansteigen wird.
Kosten
Die Kosten für eine Freitodbegleitung variieren stark, da bei den Mitgliedern der Schweizer Wohnbevölkerung geringere Kosten anfallen bzw. von den Angehörigen selber finanziert werden. Bei den Ausländern sind die Kosten für den Raum, Sarg, Transport, Beerdigung bzw. Kremation ebenso wie der administrative Aufwand höher.
Bei EXIT (Schweizer Wohnbevölkerung) zahlt man einen Mitgliedsbeitrag von 45 Franken pro Jahr bzw. 950 Franken für die Lebenszeit. Für Mitglieder ist die Freitodbegleitung kostenlos, für weniger als 3 Jahre Mitgliedschaft sind es zwischen 900 bis 3.500 Franken.
Bei Dignitas (Personen mit Wohnsitz überwiegend im Ausland) sind 200 Franken Eintrittsgebühr und ein Jahresbeitrag von 80 Franken zu entrichten. Die Vorbereitung einer Freitodbegleitung (Beratung, Begutachtung, Konsiliarärzte, etc.) kosten 3.000 Franken, die Durchführung weitere 4.000 Franken.
Bei Lifecircle/Eternal Spirit (vorwiegend Ausländer) sind es mindestens 50 Franken pro Jahr bzw. 1.000 Euro für die Lebenszeit. Vorberitung und Durchführung kosten für Schweizer 3.000 Franken, für Ausländer 10.000 Franken.
Bei Ex International (vorwiegend Ausländer) sind keine Jahresbeiträge vorgegeben. Die Freitodbegleitung kostet für alle rund 7.000 Franken.
Der Jahresbeitrag der Mitgliedschaft bei Liberty Life beträgt 50 Euro, eine Mitgliedschaft bis zum Lebensende 900 Euro.