Scheidungsquoten in Deutschland und der Welt
Nachdem 2011 das Scheidungsverbot in Malta aufgehoben wurde, gibt es nur noch zwei Staaten, in denen solche Verbote bestehen: Auf den Philippinen und im Vatikanstaat. Die römisch-katholische Kirche erklärt die Eheschließung als göttliches Geschenk und daher als unauflöslich. Insofern dürfte man erwarten, dass in Ländern mit mehrheitlich katholischen Kirchenmitgliedern die Scheidungsquote geringer als in Ländern mit evangelischen oder säkularen Bevölkerungsmehrheiten. Trifft das zu?
Für die Zeit von 1950 – 1989 war Deutschland für die vergleichende Sozialwissenschaft wie ein großes Labor mit zwei Bevölkerungs-Teilmengen, die unterschiedlichen Rahmenbedingungen ausgesetzt waren – eher konservativ-religiös im westlichen Teil und eher sozialistisch-säkular im östlichen Teil. Zeigt sich das in den Scheidungsquoten? Ja und Nein.
Mit Daten des Statistischen Bundesamtes lassen sich die beiden Teilmengen jeweils getrennt darstellen und es zeigen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Der Unterschied, zu dem sicher auch die Anwesenheit bzw. Abwesenheit von Religion in der Gesellschaft eine Rolle spielt, zeigt sich in der jährlichen Scheidungsquote, die in der DDR zwischen 3 bis 10 Prozent höher war als in der damaligen Bundesrepublik. Die Gemeinsamkeit, für die Religion dann keine Rolle mehr spielt, ist eine beinahe parallele Entwicklung der Scheidungsquoten in Ost und West. (Der Rückgang im Westen 1977-1979 ist durch eine neue Scheidungsgesetzgebung verursacht.)
Das spricht für einen relativen Einfluss der Religion auf die Höhe der Scheidungsquote, deren Entwicklung (Ansteigen) jedoch von anderen Einflüssen stärker beeinflusst wird.
In einer speziellen Studie „Trennungsrisiko von Paaren mit Kindern: Der Einfluss der Religion in West- und Ostdeutschland“ kommt Christine Schnor zu dem Schluss, dass es für Mütter keine signifikanten Unterschiede gibt: „Die Ergebnisse zeigen, dass konfessionslose Frauen ein höheres Trennungsrisiko als konfessionell gebundene Frauen haben. Die Beziehungsstabilität von west- und ostdeutschen Müttern unterscheidet sich jedoch nicht signifikant.“
Ein Blick auf die Scheidungsquoten in anderen Ländern: In der englischsprachigen Wikipedia gibt es eine Statistik zu Scheidungsraten weltweit, die nach Prozentabfolge der Scheidungen zu Heiraten umgerechnet wurde. Basis für diese Daten sind vorrangig die Statistiken der UN zu Eheschließungen und Scheidungen.
Zudem wurde in der Tabelle (in der rechten Spalte) gekennzeichnet, welche der erfassten Länder überwiegend katholisch oder christlich-orthodox ist (pink) bzw. islamisch dominiert (hellgrün).
Das Ergebnis zeigt, dass von den TOP TEN, mit den höchsten Prozenten von Scheidungen zu Heiraten, acht Länder katholisch dominiert werden. Mit Ausnahme von Kuba sind es jedoch alles europäische Länder, die deutlich über dem Gesamtwert der Europäischen Union liegen.
Das stellt sich auch in einer Weltkarte dar:
Nun ist Religion aber nur ein Element, das sich mit anderen Elementen verbindet, wie dem wirtschaftlichen Status der Ehefrau, ihrer eigenen Berufstätigkeit und damit wirtschaftlichen Unabhängigkeit, ihrer besseren Ausbildung.
So, wie im westlichen Deutschland der 1950er Jahre die Scheidungsraten niedrig waren, als insbesondere die katholische Kirche den Frauen jegliche Eigenständigkeit vorenthielt und keine normale Ehefrau es sich zudem wirtschaftlich erlauben konnte, sich scheiden zu lassen, so ist diese Definitionsmacht heute noch in den islamisch dominierten Ländern vorhanden, wo größtenteils noch nach dem Prinzip der Großfamilie gelebt wird.
Dass diese Wirkungsmacht von Religion in Europa zurückgegangen ist, zeigt sich auch daran, dass die Mehrheit der überwiegend katholischen Länder Süd-Amerikas sich in der unteren Hälfte der internationalen Tabelle befinden.
Für Deutschland hat Evelyn Grünheid vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in einem Arbeitspapier „Ehescheidungen in Deutschland: Entwicklungen und Hintergründe“ die amtlichen Statistiken des Statistischen Bundesamtes rund um Scheidungen ausgewertet und kommt zu einer Reihe von Einflussfaktoren, die das Scheidungsrisiko erhöhen.
„Ehen von Paaren, die deutlich unter dem durchschnittlichen Heiratsalter geheiratet haben, sind besonders scheidungsanfällig. Mit steigendem Alter der Partner und Dauer der Ehe sinkt das Scheidungsrisiko, trotzdem ist es bei langjährigen Ehen im Zeitverlauf deutlich angestiegen. Im Hinblick auf Altersunterschiede zwischen den Ehepartnern scheinen Ehen, in denen die Frauen mehr als zehn Jahre älter sind als ihre Partner das höchste Scheidungsrisiko aufzuweisen. In Städten ist die Scheidungshäufigkeit höher als auf dem Land, dieser Trend gilt ungebrochen weiter, allerdings hat sich die Scheidungshäufigkeit in westdeutschen Flächenländern in den letzten 20 Jahren erheblich schneller verstärkt, sodass es hier zu einer Annäherung kommt.“
Eines kann sie nicht klären, ob und inwiefern Religion dabei eine Rolle spielt, da Religionsmerkmale bei den Beteiligten einer Scheidung statistisch nicht erhoben werden, also nicht bekannt sind.
Allerdings gibt es in ihrem Arbeitspapier eine Grafik, in der man sich auf die Aggregatebene Bundesländer begeben kann und schaut, welche Bundesländer katholische Mehrheiten haben und wie hoch bei ihnen die Scheidungsquote ist. Das Ergebnis widerspricht der Anfangshypothese, da der ‚Spitzenreiter‘ bei Scheidungen das Bundesland Rheinland-Pfalz ist (45 Prozent der Bevölkerung sind katholisch, 31 Prozent evangelisch). Platz 3 und 4 werden ebenfalls von Bundesländer eingenommen, die katholische Mehrheiten haben: das Saarland (64 Prozent Katholiken, 20 Prozent Evangelische) und Nordrhein-Westfalen (40 und 30). Bayern und Baden-Württemberg bewegen sich im Mittelfeld und die geringsten Scheidungen je 10.000 Ehen finden in allen östlichen Bundesländern statt – dort, wo nur eine Minderheit von Katholiken wie auch Evangelischen lebt.
Hinsichtlich der Frage, warum es einen doch sichtbaren Ost-West-Unterschied gibt, ließe sich die Hypothese formulieren, dass religiös Gebundene eine geringere Flexibilität im Umgang mit Ehekonflikten haben als Konfessionsfreie, was dann, wenn der wirtschaftliche und soziale Zwang – vor allem für Frauen - schwächer wird, Ehekonflikte zu ertragen, das zu einer etwas höheren Scheidungsquote bei Religiösen führt.
In demselben Arbeitspapier von Evelyn Grünheid findet ich eine Darstellung der Ehescheidungen pro 10.000 verheirateten Frauen in Deutschland auf der Kreisebene.
Die Kreise mit den niedrigsten Scheidungsquoten – wie beispielsweise im Bayerischen Wald oder im Emsland – sind auch die Kreise mit den höchsten Anteilen von katholischen bzw. evangelischen Kirchenmitgliedern. Es sind gleichzeitig ausgeprägt ländliche Regionen, mit einer geringeren Bevölkerungsdichte. Die Kreise mit den höchsten Scheidungsraten sind hingegen Städte bzw. urbane Verdichtungsräume.
Das zeigt nun, dass Religion Teil eines Faktorenbündels ist bei dem auch Erwerbstätigkeit und eigenes Einkommen der Frauen, die Rollenbilder von Frauen und Männern, erlebte soziale Geborgenheit bzw. Kontrolle, u. a. m. eine Rolle spielen. In diesen Einbindungen kann Religion dann entweder als Verstärker wirken oder aber sie wird unwichtiger. Diese Unterschiede zeigen sich auf der Ebene der Bundesländer dann auch darin, dass die beiden ‚Stadtstaaten‘ Berlin und Bremen, bezogen auf 10.000 Ehen, die höchste Scheidungsquote haben.
Eine Studie für die USA von der Barna Gruppe (aus dem Jahr 2008) zeigt ebenfalls, dass die Religionszugehörigkeit ein schwächerer Indikator für eine Scheidungsquote ist, als die Aspekte Schichtenzugehörigkeit, Ethnie und politische Grundhaltung.
Die einzeln dargestellten Glaubensgruppen bleiben alle bei dem Durchschnitt von 33 Prozent Geschiedenen in den USA. Über diesem Durchschnitt sind es Menschen aus der Unterschicht, Afro-Amerikaner und politisch Liberale, die höhere Scheidungsraten aufweisen.
Aber die Daten des Zensus 2011 in Deutschland widersprechen (anscheinend) den bisherigen Feststellungen, denn diejenigen die „Keiner ö.-r. Religionsgesellschaft zugehörig“ sind, das sind die Konfessionsfreien und die Muslime, haben (hier die Männer) einen deutlich höheren Anteil von Geschiedenen in ihren Reihen (47,5 Prozent), als die Kirchenmitglieder (24,4 und 24,5 Prozent Geschiedene).
Das lässt sich aber klären, wenn man sich die Altersgruppen anschaut. Dort ist zu sehen, dass die „keiner ö.r. Religionsgesellschaft Zugehörigen“ andere Altersschwerpunkte haben als die Kirchenmitglieder. In den mittleren Altersgruppen der 30 – 49 Jährigen (Jg. 1962 – 1981) sind es rund 10 Prozentpunkte mehr, und bei den 50 – 64-Jährigen (Jg. 1947 – 1961) sind es noch rund 7 Prozent mehr in der Altersgruppe. Legt man dann zugrunde, dass das mittlere Scheidungsalter von Männern (1990) bei 38 Jahren und (2015) bei 46 Jahren lag, dann wird die höhere Scheidungsquote bei den die Konfessionsfreien durch den deutlich größeren Anteil dieser Altersgruppe bestimmt.
Das gleich lässt sich auch für die Schweiz feststellen. In einer einfachen Merkmalskombination Religionsangehörige bzw. Konfessionsfreie stellt es sich so dar, dass die Konfessionsfreien eine deutlich höhere Scheidungsquote haben.
Abgesehen davon, dass (bis auf eine Ausnahme) bei allen Religionsgemeinschaften von 1970 bis 2000 die Scheidungsquoten ansteigen, ist das bei den Konfessionsfreien besonders ausgeprägt, weil sie aufgrund ihres jüngeren Altersaufbaus überproportional Viele im Scheidungsalter in ihren Reihen haben. Den Konfessionsftreien also eine höhere Scheidungsquote zuzusprechen, wäre also ein Fehlschluss.
(CF)