Religiöse und Nicht-Religiöse in Irland
Neben der dominierenden römisch-katholischen Kirche entwickelt sich seit 1990er Jahren ein kleiner aber steigender Anteil anderer Bekenntnisse und Weltanschauungen. Die Personen „Ohne Religion“ sind seit 2002 die zweitgrößte Gruppe. Auffallend ist die Entwicklung von 2005 bis 2011, die eine Geschwindigkeit der Selbstsäkularisierung zeigt, die bisher einmalig ist.
In dem Bericht zur Volkszählung 2011 in der Republik Irland gibt es auch eine Auswertung hinsichtlich Religion in Irland.
Im Zensus wird die Frage nach der Religionszugehörigkeit (als Frage 13) übersichtlich und einfach gestellt. Das Ergebnis ist eine detailliierte Übersicht über 19 Glaubensbekenntnisse, eine Sammelkategorie anderer Religionen sowie die säkularen Kategorien „Keine Religion“, „Agnostiker“ und „Atheist“.
Auch wenn diese Selbsteinstufung kritisiert wurde, da sie nicht nach der tatsächlichen Glaubenspraxis fragt, ist sie für das religiöse Selbstverständnis der Wohnbevölkerung eine wesentliche Information.
Mit einem Anteil von 3.861.335 Mitgliedern (= 84,2 Prozent der Wohnbevölkerung) definieren die römischen Katholiken (2011) das Religionsgeschehen in der Republik Irland.
Seit 1971 wird die Möglichkeit „Keine Religion“ extra ausgewiesen und die Zahlen belegen den kontinuierlichen Anstieg der Anzahl der Personen, die sich keiner Religionsgemeinschaft zuordnen. Waren es 1971 noch 7.616 Personen (= 0,3 Prozent) , so ist ihre Anzahl bis 2011 auf 269.811 Residenten (= 5,9 Prozent) angestiegen, mit durchgehend steigender Tendenz. Sie bilden nach den römischen Katholiken die zweitgrößte Gruppe.
An dritter Stelle folgt 2011 die anglikanische (ehemalige Staatskirche) Church of Ireland mit 134.365 Mitgliedern (= 2,9 Prozent der Wohnbevölkerung), gefolgt von den 49.204 Muslimen mit einem Anteil von 1,1 Prozent. Seit 1991 werden die Muslime als eigene Gruppe (ohne weitere Untergruppen) erfasst. An fünfter Stelle finden sich die Orthodoxen mit 45.223 Mitgliedern (= 1,0 Prozent). Alle weiteren Glaubensbekenntnisse haben einen Anteil von jeweils unter 0,5 Prozent.
(Die Gesamtdarstellung 1881 – 2011 befindet sich – aufgrund ihrer Größe - als Datei im Anhang)
Import von Religionen und Weltanschauungen
Sind die Veränderungen seit 1991 ‚hausgemacht‘ oder sind diese Änderungen mehr oder weniger stark von Zuwanderungen beeinflusst?
Nimmt man den Prozentsatz von Iren, also von Einheimischen als Maßstab, so sind alle Gruppen mit über 50 Prozent Iren ‘hausgemacht’: das sind die römischen Katholiken, die Iren ohne Religion, die Mitglieder der Church of Ireland, die Presbyterianer und andere kleinere christliche Religionsgemeinschaften. Überwiegend ‚importiert‘ sind die Orthodoxen, die vorrangig aus der EU stammen (vor allem aus Rumänien und Lettland). Ebenfalls nicht ‚hausgemacht‘, aber mit irischen Anteilen sind die anderen nicht-christlichen Religionen (46 Prozent Irisch, andere vorrangig aus Großbritannien und Indien), die Pfingstler (40 Prozent irisch, andere vorrangig aus Nigeria und Rumänien) sowie die Muslime (38 Prozent Irisch, andere vorrangig aus Pakistan und Nigeria).
Alterspyramiden und regionale Verteilung
Die Verteilungen in den Alterspyramiden von Religiösen und Nicht-Religiösen zeigen die Gemeinsamkeiten wie die Unterschiede. In allen Grafiken wird deutlich, dass sich die Bevölkerungszahl in Irland kontinuierlich seit 1991 kontinuierlich erhöht hat und alle vier dargestellten Gruppen davon profitiert haben.
Die Katholiken haben - bis auf die ältesten Jahrgangsgruppen - eine gleiche Verteilung für Männer wie Frauen und sind in der Lage, sich selbst zu reproduzieren. In den jüngsten Altersgruppen steigen die Kinderzahlen wieder. Die Anglikaner der Church of Ireland haben einen ebenso stabilen ‚Unterbau‘ in den jüngsten Mitgliedern.
Bei der Gruppe ohne Religionszugehörigkeit wie auch bei den Muslimen ist das Geschlechterverhältnis nicht so ausgeglichen, mit einer langjährigen deutlichen Überzahl von Männern, was sich erst in den jüngsten Altersgruppen ausgleicht. In beiden Gruppen ist die Bedeutung des Zuwachses seit 2002/2006 zu ersehen, wenn auch in anderen Größenordnungen. Deutlich wird auch, dass die Religionslosen sich bisher nicht aus eigener Mitgliedschaft reproduzieren können, was bei den Muslimen kein Problem darstellt. Während die Religionslosen eine durchgehende Alterspyramide darstellen, hört diese Alterspyramide bei den Muslimen bei Mitte sechzig Jahren auf.
Auch bei den regionalen Verteilungen auf Wohnortgrößen haben Muslime und Religionslose das parallele Merkmal, das sie bevorzugt in urbanen Ballungsräumen leben – wie es in Deutschland auch der Fall ist. Gut die Hälfte der Muslime in Irland leben im Großraum Dublin, und die Anteile der Religionslosen sind in den Städten Galway, Dublin, Cork und Limerick überdurchschnittlich hoch.
Religiosität und Selbstsäkularisierung
Die Selbsteinstufung der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft sagt noch nichts aus über die Intensität dieser Mitgliedschaft aus und kann aus einer Tradition heraus erfolgen oder, mit Bezug auf Irland, dass 92 Prozent der Grund-/Primärschulen des Landes unter der Leitung und Kontrolle der katholischen Kirche stehen und es pragmatisch ist, katholisch getauft zu sein.
In Irland ist in dieser Hinsicht in den vergangenen Jahren Grundsätzliches in Hinsicht einer Selbstsäkularisierung viel geschehen.
Irland und die USA waren um das Jahr 2000 noch die ‚Ausreißer‘ aus dem Zusammenhang einer Modernisierungshypothese zwischen traditioneller Religiosität und BSP pro Kopf, indem in beiden Staaten eine hohe Religiosität gelebt wird – hier am Beispiel des täglichen Gebets – obwohl das Bruttosozialprodukt pro Kopf – als Indikator für wirtschaftlichen Wohlstand – hoch ist.
Die Grafik aus der SWS Rundschau (Zeitschrift der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft) verdeutlicht diese Situation.
Im Eurobarometer Spezial Nr. 225 zu „Social values, Science and Technology“ (2005) wurde noch erfasst, dass 73 Prozent der Iren glauben, dass es einen Gott gibt.
Das ist zwar auch bereits weniger als es nach Selbstbeschreibung „Römische Katholiken“ gibt, aber dieser Grad der religiösen Identifizierung entspricht in der geringeren Identifikation auch den Daten des European Social Survey (ESS) für 2004, bei dem sich in Irland rund 61 Prozent der Bevölkerung als „religiös“ einstuften.
Bis 2012 verringert sich dieser Wert dann in einer WIN-Gallup-Umfrage auf 47 Prozent. Damit rangierte die Republik Irland auf Platz 9 (von 57) der nicht-religiösen Länder.
Auch andere Trends verlaufen parallel dazu. Der regelmäßige Besuch eines Gottesdienstes ist bei den Katholiken von 81 Prozent (in 2006) auf 48 Prozent (in 2010) sowie auf 35 Prozent (2012) gesunken.
In dieser Hinsicht ist die Republik Irland, trotz einer hohen Anzahl von sich selbst als „Katholik“ Bezeichnenden in kurzer Zeit zu einem der kirchenfernsten Länder Europas geworden.
Gründe für die Veränderung und Konsequenzen
Warum sich Irland – das „Land der der Heiligen und Gelehrten“ sich in kürzester Zeit zu einem eher säkularen „keltischen Tiger“ gewandelt hat – ist zum einen in dem raschen Wandel vom Agrarstaat zur Industrienation zu erklären, vom ländlichen Konformismus zum städtischen Individualismus.
Zudem zeigt bereits die Altersverteilung im European Social Survey (2004) hinsichtlich derjenigen, die sich mit höherer Religiosität einstufen (Auf einer 10er Skala die Werte 7 – 10) dass die Jüngeren deutlich weniger religiös sind als die Älteren.
Zum anderen hat die katholische Kirche selber durch ihr Verhalten hinsichtlich der Untersuchungen des sexuellen Missbrauchs zu Entfremdung und Säkularisation beigetragen.
Im Mai 2009 veröffentlicht die im Jahr 2000 eingesetzte Untersuchungskommission der irischen Regierung den ersten Bericht zum sexuellem Missbrauch in katholischen Heimen und Schulen.
Auch das weitere Geschehen und die Reaktionen der katholischen Kirche (Chronologie) haben der Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche in Irland erheblich geschadet.
- Im Juli 2011 erscheint der „Cloyne-Bericht“ und Irlands Premierminister, der praktizierende Katholik Enda Kenny ist erzürnt. „‘Erstmals in Irland wird in einem Report über Kindesmissbrauch dargestellt, dass der Heilige Stuhl versucht hat, in einer souveränen Republik Untersuchungen zu behindern‘, sagte Kenny mit Blick auf den in der vergangenen Woche vorgestellten Bericht einer Regierungskommission. Dieser lege offen, wie ‚abgehoben, elitär und narzisstisch die Kultur des Vatikan‘ sei, sagte Kenny. Vergewaltigung von Kindern werde heruntergespielt, stattdessen würden der Vorrang der Institution Kirche hochgehalten, ihre Macht und ihre Reputation betont.
- Am 11. November 2011 wird das neue Irische Staatsoberhaupt ernannt und zur Amtseinführung spricht auch eine Vertreterin der Irischen Humanisten.
- Im Oktober 2013 legt der irische Unterrichtsminister fest, dass alle nicht-konfessionellen Schulen Irlands allen Kindern zwischen vier und dreizehn Jahren pro Woche eine Stunde „Atheismus-Unterricht“ erteilen.
- Am 30. Oktober 2015, fünf Monate nachdem am 22. Mai 2015 in einem Volksentscheid 62,1 Prozent der Abstimmenden die völlige Gleichstellung aller Ehen „ungeachtet des Geschlechts“ befürwortet hatten, wurde das Gesetz dafür verabschiedet. Irland ist damit das erste Land, dass eine völlige Gleichberechtigung der gleichgeschlechtlichen Ehe per Volksentscheid durchgesetzt hat. Der Vatikan kommentierte dieses Gesetz zur gleichgeschlechtlichen Ehe als „Niederlage für die Menschheit“.
- Im Dezember 2016 wird bekannt, dass der irische Nationale Rat für Lehrplanentwicklung und Leistungsbewertung plant, den katholischen Religionsunterricht aus dem staatlichen Kerncurriculum für Grundschulen (zweieinhalb Stunden pro Woche) zu streichen und die zeitliche Gestaltung den Schulen selbst zu überlassen.
- Im Januar 2017 meldet die New York Times: „Irland überdenkt sein Verfassungsverbot auf Abtreibung“. In Irland war die Abtreibung bereits verboten, was aber 1983 durch ein Referendum als achter Verfassungszusatz zum Bestandteil der Verfassung verstärkt wurde: Das Lebensrecht des Ungeborenen wurde dem Lebensrecht der Mutter gleich gestellt. Die Diskussion zur Abschaffung dieses Verfassungszusatzes hatten 2012 wieder verstärkt begonnen, nachdem eine 31-jährige Frau an einem septischen Schock bei einer Fehlgeburt starb, nachdem ein Krankenhaus ihr eine Abtreibung verweigert hatte, die ihr Leben gerettet haben könnte.
Versucht man, diese Entwicklungen auf einen Nenner zu bringen, so könnte man sagen, dass etwa die Hälfte der irischen Katholiken sich entschieden haben, nicht mehr den Weisungen ihrer Kirchenoberen zu folgen, sondern sich, als Katholiken, ihres eigenen Verstandes zu bedienen.
(CF)