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„Atheisten“ im Sommerloch

Dass Atheisten keine Moral hätten wird gerne kolportiert: Moral brauche Religion. Nun geisterte Anfang August 2017 eine Studie durch die Medien, dass selbst Atheisten dieser Meinung sind – auch wenn es doch nur ein Vorurteil sei: „Sogar Atheisten halten Serienmörder eher für Atheisten“. Im medialen ‚Sommerloch‘ bekommt auch methodisch mehr als Fragwürdiges einen Platz.

Anmerkungen von Carsten Frerk und Elke Schäfer.

Als Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum: Das Spektrum der Wissenschaft berichtet, „Sogar Atheisten halten Serienmörder eher für Atheisten“ (und dekoriert die Meldung mit dem Foto einer Braut mit Eishockeymaske und blutigem Hackmesser in der Hand), auch der Deutschlandfunk meldet: „Selbst Atheisten misstrauen Atheisten“. Ebenso schreibt das pro-medienmagazin „Atheisten halten Gläubige für moralischer“ und der Standard (Österreich) titelt: „Das unmoralische Image der Atheisten“

Quelle für diese Berichte ist ein Artikel in der Zeitschrift „nature“, eines der angesehensten Wissenschaftsmagazine: „Global evidence of extreme intuitive moral prejudice against atheists“ des Psychologen Will Gervais und Kollegen.

Der Einstieg der Autoren ist die Beschreibung des Ergebnisses: „In dieser Studie quantifizieren wir das moralische Misstrauen gegenüber Atheisten durch die Anwendung bewährter Maßnahmen in einer großen globalen Stichprobe (N = 13 verschiedene Länder). Im Einklang mit den kulturellen Evolutionstheorien der Religion und der Moral sahen die Menschen in den meisten - aber nicht all diesen Ländern - extreme moralische Verletzungen durch Vertreter der Atheisten. Bemerkenswert war dabei, dass das anti-atheistische Vorurteil auch bei den atheistischen Teilnehmern auf der ganzen Welt offensichtlich war.“

Der Anspruch ist also eine repräsentative, weltweite Studie in 13 ausgewählten Ländern. Repräsentativ ist diese Studie aber mitnichten. Als Sozialwissenschaftler kann man über solche Forschungen nur mit dem Kopf schütteln. Einige Anmerkungen mögen das verdeutlichen.

Hinsichtlich der Teilnehmerzahlen, zu denen im Artikel selber 3.256 genannt werden, zeigt sich in einer aufzurufenden Ergänzung (Tabelle 2), dass von den 3.256 ausgewerteten Befragungen 993 in Finnland stattfanden. Es verbleiben also 2.263 in 12 Ländern. Für Großbritannien sind es beispielsweise 148 Befragte und für die USA 198.

Zur Auswahl der befragten US-Amerikaner für die Vor-Studien heißt es in den methodischen Erläuterungen dass (für die Vor-Studie S 2) 394 Personen auf einem Online-Marktplatz für Gelegenheitsarbeiten („Amazon Mechanical Turk“) ausgewählt wurden. Für eine weitere Vor-Studie (S 3) wurden für die USA 265 Studierende der Universität von Kentucky ausgewählt. Repräsentativ ist anderes.

In der Übersicht über die Zusammensetzung der Befragten nach beteiligten Ländern sind die Befragten zwischen 16 bis 70 Jahren alt, wobei (nach Tabelle 3) das Durchschnittsalter bei 25,2 Jahren liegt. Was insofern nicht verwunderlich ist, da es sich weitestgehend – in allen Ländern – um Studierende handelt. Der durchschnittliche Frauenanteil beträgt 69 Prozent. Repräsentativität ist auch hier nicht gegeben.

„Atheisten“?

In der Religionsdemographie (Tabelle 4) werden einerseits die Anteile von Christen, Hindus, Buddhisten und Muslime einzeln genannt, andererseits „Nones“, Atheisten und Agnostiker sowie andere, die dann in den weiteren Tabellen aber als „Atheisten“ bzw. „Religiöse“ zusammengefasst werden.

Auch wenn korrekt angemerkt wird, dass in China, Hong Kong, Singapur und in den Vereinigten Arabischen Emiraten die Religionsdemografie so gar nicht funktioniert, so sind bereits die primären Zuordnungen fragwürdig, da beispielsweise die in der Tabelle für die Tschechische Republik dargestellten 31 Prozent „Atheisten“ mit der Realität nichts zu tun haben. Laut Volkszählung 2011 ist das schlicht die Größenordnung der Personen ohne eine religiöse Glaubenszugehörigkeit. Ebenso sind für die USA 10 Prozent „Nones“, 4 Prozent Atheisten und 5 Prozent Agnostiker genannt, was in etwa der Empirie entspricht.

Aber diese drei Gruppen der „Nones“, Atheisten sowie Agnostiker – bei denen die Atheisten den geringsten Anteil haben -, als „Atheisten“ zusammenzufassen, produziert durch sich selbst das Ergebnis, dass diese großen Teile dieser vorgeblichen „Atheisten“ eine negative Meinung über „Atheisten“ haben.

Zweifelhafte Fragestellung

Dass besonders Atheisten eher zu negativ bewerteten Taten neigen ist durch keinerlei Indizien belegt. Es steht sogar fest, dass in den Staaten der USA mit überdurchschnittlich vielen einflussreichen, konservativen Christen die Kriminalitätszahlen höher sind (z. B. in Texas). Es gibt auch eine Studie des  französisch-amerikanischen Psychologen Jean Decety,  die zeigt, dass sich religiös erzogene Kinder weniger großzügig verhalten als Kinder aus ‚ungläubigen‘ Familien.

Bei den berichteten Experimenten des Psychologen Will Gervais (University of Kentucky) wurde auf die direkte Fragestellungen verzichtet. Die vorgegebenen Antworten sind dazu recht unlogische Kombinationen von unwahrscheinlich zusammentreffenden Eigenschaften von Menschen. Und vermutlich gerade deshalb entscheiden sich die Teilnehmer pauschal für die Antwort, in der „nichtgläubig“ vorkommt – was dann der verbreiteten Vorstellung entspricht: Atheisten sind weniger moralisch als Gottesgläubige.

Besonders in den christlich geprägten Ländern wie USA und Großbritannien, wie auch in den muslimischen Arabischen Emiraten oder den stark hinduistisch geprägten Ländern Indien und Mauritius glauben die Menschen, dass sich Moral auf Gottesglaube gründet. Wie stark diese Einstellung bei den Menschen verankert ist, zeigt eine andere Studie, bei der es um einen Priester ging, der Kinder sexuell belästigte: Die Mehrheit der Testpersonen hielten den Priester eher für nicht gläubig.

Hintergrund

Allein das christliche pro-medienmagazin nennt den Auftraggeber der Studie: Die US-amerikanische evangelikale, d. h. fundamentalistisch protestantische Templeton Foundation.

Pro Jahr werden nicht nur rund 70 Million US-Dollar an Fördergeldern verteilt, sondern auch der mit 1,5 Mio. $ dotierten Templeton-Preis vergeben: „[…] an einen ‚lebenden Menschen, der einen außergewöhnlichen Beitrag zur Bejahung der geistigen Dimension des Lebens gemacht hat, sei es durch Einsicht, Entdeckung oder praktische Arbeit‘.“