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Hamburg: Religionsgemeinschaften 1867-2017

Hamburg gilt, neben Berlin, als einer der ‚Trendsetter‘ der Säkularisierung in Deutschland. Das bestätigt sich in den Daten für beide Städte/Bundesländer. Von einer absoluten Dominanz der evangelischen Kirchenmitgliedern im Kaiserreich verringern sich die Religionszugehörigkeiten seit 1961 – also früher als in (West-)Deutschland insgesamt – kontinuierlich, dass die Evangelischen bereits ab 1987/1988 nicht mehr die Mehrheit stellen.

Von Carsten Frerk.

Seit 1867 lässt sich die Religionsgeschichte für den Staat und die Stadt Hamburg in vier Phasen unterteilen. Von 1867 bis 1910, also das gesamte Kaiserreich haben die Evangelischen (mit rund 92 Prozent) und die römischen Katholiken (mit einem Anstieg von 2 auf 5 Prozent) eine absolut dominierende Position mit rund 95 Prozent Kirchenmitgliedern in der Bevölkerung.

Die beherrschende Stellung der Lutheraner zeigt sich nicht nur darin, dass der baufällige katholische (Marien-)Dom im Zentrum von Hamburg 1805 „auf Abriss“ verkauft wurde. In der zweiten Phase (1925 – 1946) sinkt der Anteil der Lutheraner auf rund 80 Prozent, dann, drittens (von 1950 – 1970) auf rund 75 Prozent und viertens, ab 1987 auf unter 50 Prozent.

Parallel zur Entwicklung der Einwohnerzahlen steigen bis zur Volkszählung 1961 in Hamburg auch die Mitgliederzahlen der evangelischen Kirche. Von 1961 bis zur Volkszählung 1970 verliert die evangelische Kirche 83.227 Mitglieder, pro Jahr im Durchschnitt rund 9.000 Mitglieder. Im nächsten Zeitraum, bis zur Volkszählung 1987, beträgt der Rückgang 506.341 Mitglieder, im Durchschnitt 30.000 pro Jahr. (Darin enthalten sind auch die Jahre mit den erstmalig hohen Kirchenaustritte in West-Deutschland: 1970 und 1974.

Auch eine Ausdifferenzierung auf kleinere Religionsgemeinschaften – sofern die Angaben dazu publiziert wurden – zeigt die geringen Anteile anderer Religionsgemeinschaften. Erst ab 1925 sind es die Konfessionsfreien, die den Anteil der Katholiken übertreffen. Alle anderen Religionsgemeinschaften bleiben unter dem Anteil der Katholiken.

Seit 1977 liegen die Zahlen für den Hamburger Teil der Nordelbischen Kirche/Nordkirche vor, die bis 2003 im Statistischen Jahrbuch 2004/2005 veröffentlicht wurden.

Im Unterschied zu den römischen Katholiken, die ihren Anteil an der Bevölkerung (vor allem durch Zuwanderung) bei gut 10 Prozent halten können, verliert die evangelische Landeskirche in Hamburg kontinuierlich Kirchenmitglieder und Prozentanteile. 1988 – also bereits vor der deutschen Einheit – sinkt der evangelische Anteil auf unter 50 Prozent (48,9 Prozent) und ist 2017 bei einem Viertel (25,4 Prozent) angekommen.

Im Jahr 1995 ist der Anteil der beiden (evangelischen und katholischen) Großkirchen zusammen auf unter 50 Prozent abgesunken (49,6 Prozent) und beläuft sich Ende des Jahres 2017 auf einem guten Drittel der Bevölkerung (35,4 Prozent).


Hamburg - Berlin

Um die Entwicklung in Hamburg zu betrachten, ist ein Vergleich der beiden (historisch) evangelisch dominierten Großstädte Hamburg und Berlin hilfreich. Es zeigt sich, dass trotz kleinerer Unterschiede, die Entwicklung seit 1867 – also seit rund 150 Jahren – insgesamt gesehen, parallel verläuft.

Auch wenn Hamburg - zur Zeit des Kaiserreiches - ‚evangelischer‘ ist als Berlin, so sind die Verringerungen der Anteile der evangelischen Kirchenmitglieder seit 1925 parallel. Wenn sich in Berlin ab 1990 – nach der deutschen Einheit – die evangelischen Kirchenmitgliederanteile auf deutlich niedrigerem Niveau bewegen als in Hamburg, ist das weitere Absinken doch gemeinsam.

Parallel zur Verringerung der Anteile der Lutheraner in Hamburg steigt der Anteil der Konfessionsfreien.

Konfessionsfreie in Hamburg

Auch wenn die Zahl der Konfessionsfreien 1871 Hamburg noch sehr klein ist, erfährt sie eine besondere Aufmerksamkeit. So schreiben die Autoren in der „Statistik des Hamburgischen Staates“[1]: „Namentlich die Zahl derjenigen, welche mit Konsequenz, auch wohl mit einer gewissen Ostentation die Erklärung abgeben, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören, hat sie sich relativ [von 1867 auf 1871, also in vier Jahren] fast verdreifacht. [Von 0,06 auf 0,18 Prozent, absolut von 193 auf 618.] Es ist wohl kein zu gewagter Schluss, dass diese Vermehrung, sowie auch die Vermehrung derjenigen, welche keine Erklärung über ihr Bekenntnis abgegeben haben [von 4.224 auf 7.071] nicht ausser Zusammenhang mit der weiter durchgeführten Trennung des States von den kirchlichen Verbänden steht. Diese verfassungsmässige Trennung wird auch rechtfertigen, dass ebenso wie in früheren Jahren, die mangelnde Angabe des Bekenntnisses nicht mit derselben Strenge durch wiederholte Nachfragen zu ergänzen versucht ist, da sich nicht ein verhältnissmässig so guter Erfolg von diesen Nachfrage erwarten liess, als bei der Recherchierung von anderen Mängeln der Zählkarten, welche allerdings in diesen Fällen dahin geführt haben, dass Lücken ganz oder wenigsten bis auf eine verhältnissmässig geringe Zahl ausgefüllt sind.“

Auch das Kaiserliche Statistische Amt bemerkt im Kommentar[2] zur Volkszählung 1880, dass sich da etwas tut: „Ferner sind in der Übersicht diesmal die Personen mit unbestimmter Angabe des Religionsbekenntnis von denjenigen, welche dasselbe garnicht angegeben haben, getrennt aufgeführt. Der ersteren giebt es freilich im Deutschen Reich nur wenige, 3 138, und es kann daher ein besonderes Interesse an sie nicht knüpfen, so wenig wie an der Zahl der Personen ohne Angabe der Religion, deren 27 111 gezählt wurden. Es kommen solche Personen, wie leicht erklärlich, namentlich in großen Städten vor. Hamburg z. B. hat 3 644 Einwohner ohne Angabe einer Religion und 1 242 mit unbestimmter Angabe. Die Stadt Berlin, die vor 10 Jahren nur 236 Personen mit unbestimmter Angabe oder ohne Angabe der Religion zählte, hat nach der letzten Zählung 1 241 derartiger Personen aufzuweisen.“

Es wird zwar nicht erläutert warum es „leicht erklärlich“ sei, dass „derartige Personen“, die Konfessionsfreien, sich namentlich in den Großstädten bemerkbar machen, aber die Beobachtung ist richtig und gilt bis heute.

Wie akribisch in früheren Jahrzenten die Religions-Statistiken – Listen sind per Hand auf Erfassungsbogen auszufüllen – das zeigt beispielweise die Publikation der Ergebnisse der Volkszählung von 1925[3], in der nicht nur seitenweise die Daten für kleinere Religionsgemeinschaften genannt werden, sondern auch (Tabelle 19, Abschnitt IV): „Personen, die keiner Religionsgesellschaft der Gruppen I bis III, aber einer Vereinigung zu gemeinschaftlichen Pflege einer Weltanschauung angehören und zwar: […]“ mit 23 Gruppierungen und 2.097 Personen, sowie (Tabelle 19, Abschnitt V): „Personen, die keiner Religionsgesellschaft und keiner Vereinigung zur gemeinschaftlichen Pflege einer Weltanschauung angehören und zwar: […]“ mit 47 Gruppierungen und 71.117 Personen – alles in Gruppen untergliedert nach Stadt/Land/Staat sowie insgesamt/männlich sowie in drei Altersgruppen bis zu 14 Jahren/von 14 bis zu 20 Jahren/ von über 20 Jahren.

Dass die Situation der nicht-christlichen/konfessionsfreien Mehrheit in Hamburg sich nicht umkehren wird, zeigt die Auswertung des Zensus 2011 nach Altersgruppen in absoluten Zahlen.

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[1] Statistik des Hamburgischen Staats. Bearbeitet vom statistischen Bureau der Deputation für direkte Steuern. Heft VI. (U. a. Ergebnisse der Volkszählung vom 1. Dezember 1871) Hamburg, Verlag von Otto Meissner, 1873, S. 31.

[2] „Die Volkszählung im Deutschen Reich am 1. Dezember 1880. Nachweisungen über Bevölkerungs-Zahl und Dichtigkeit, Wohnorte, Gebäude und Haushaltungen, sowie Alter, Geschlecht, Familienstand, Geburtsort und Religionsbekenntniß der Bevölkerung.“ Herausgegeben vom Kaiserlichen Statistischen Amt, Band LVII der Statistik des Deutschen Reiches. Nachdruck der Ausgabe von 1883, Otto Zeller, Osnabrück, 1969, S. LXXXIV.

[3] „Statistik des Hamburgischen Staates. Heft XXXII. Die Volks-, Berufs- und Betriebszählung vom 16. Juni 1925. 1. Teil: Die Volkszählung.“ Herausgegeben vom Statistischen Landesamt. Hamburg: Otto Meissners Verlag, 1927.