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Katholische Kirche in Polen, 1990 - 2022

Polen gilt - mit rund 90 Prozent Katholiken - als das Land in Europa, in der sich die katholische Kirche am stabilsten gehalten hat, trotz aller Themen wie Umgang mit dem Missbrauch und der sehr großen Nähe zur Politik der PiS-Partei. Eine Durchsicht vor allem von CBOS-Umfragen der vergangenen Jahre benennt jedoch mehrere empirische Befunde, die das inhaltlich – vor allem für die Jugend - grundsätzlich in Frage stellen und einen wachsenden Antiklerikalismus aufzeigen.

Dieser Artikel wurde am 8.8.2023 ergänzt.

Vorbemerkungen
1. Kirche, Moral und Individualität (2005-2021)
2. Kirche und Politik /Wahlen (2013-2021)
3. Probleme der katholischen Kirche (2013-2022)
4. Gottesdienstbesuch (1992-2022)
5. Scheidung (2008-2018)
6. Werte in der Kindererziehung (1990-2022)
7. Religionsunterricht (2013-2018)
8. Ansehen des Papstes (2010-2022)
Fazit

Vorbemerkungen

„Bei der letzten Volkszählung vor zehn Jahren [2011] bekannten sich 96 Prozent der Polen zum Katholizismus, aktuell sind es einer Erhebung eines kircheneigenen Statistikinstituts noch 87,6 Prozent – einer der höchsten Werte in Europa.“ (Quelle: MDR) 2020 heißt es in der offiziellen Publikation der staatlichen Główny Urząd Statystyczny (‚Statistics Poland‘): „Religious denominations in Poland 2015-2018“, dass (2015) 94,2 Prozent der erwachsenen Polen römisch-katholisch seien, sowie drei Jahre später (2018) genau 91,9 Prozent. 1,4 Prozent bzw. 1,6 Prozent bekennen sich danach zu anderen Konfessionen und 3,1 Prozent seien konfessionsfrei.

Das mag formal und im Allgemeinen so stimmen, aber inhaltlich besagen empirische Umfragen und Studien vergangener Jahre differenziert anderes. So bezieht sich Dariusz Wadowski („Religion and Religiosity in Contemporary Poland“, in; Central European Journal of Contemporary Religion (1, 2019): p. 35-63), auf verschiedene Umfragen und gibt eine Zusammenfassung, in der die Individualisierung und Privatisierung der Religion angesprochen werden.

„Der Autor präsentiert ausgewählte Daten aus der soziologischen Forschung der letzten Jahre, die ganz klar Tendenzen der Abschwächung des religiösen Engagements, der Zunahme des religiösen Pluralismus, der Individualisierung und Privatisierung der Religion sowie der Schwächung der Bedeutung der institutionellen Kirche zeigen. Obwohl bestimmte Tendenzen skizziert werden, ist nicht absehbar, wie sie sich weiter entwickeln werden. Im Lichte der vorgestellten Forschungsergebnisse ist es klar, dass die katholische Kirche in Polen nach neuen Formen der Seelsorge und neuen Formen der Präsenz im Leben der polnischen Gesellschaft suchen muss.“

Was hier als Mahnung angesprochen wird – Wadowski ist Dozent an der Katholischen Johannes Paul-II-Universität in Lublin -, nimmt die Ergebnisse einer Reihe von Umfragen auf, die vor allem vom CBOS (Public Opinion Research Center, Warschau, 1982 als Stiftung und staatlich gefördertes unabhängiges Forschungsinstitut gegründet) regelmäßig thematisiert werden.

Im Herbst 2021 fragt Dominika Kozłowska (Chefredakteurin der katholischen Monatszeitschrift Znak) in den Polen Analysen: „Ist Polen (noch) ein christliches Land?“ und schreibt in der Zusammenfassung: „Das Bild der römisch-katholischen Kirche in Polen, wie wir es seit Jahrzehnten kennen, löst sich vor unseren Augen auf.“

„Die größte Krise begann mit der Machtübernahme der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), die sich die Verteidigung des Katholizismus auf ihre Fahnen geschrieben hat. In den letzten Jahren verlor die Institution Kirche stark an Ansehen und die Menschen wandten sich massenhaft von ihr ab. Von einer schleichenden Säkularisierung der polnischen Gesellschaft kann immer weniger die Rede sein, denn die Veränderungen vollziehen sich immer schneller.“

1. Kirche, Moral und Individualität (2005-2021)

Ein besonderer Aspekt ist die enge Verbindung zwischen dem katholischen Klerus und der PiS-Partei: „Poland’s PiS in bed with Catholic Church, backs abortion ban“ (2016), die sich insbesondere im rigiden Abtreibungsverbot in Polen realisiert.

Unter Verwendung der CBOS-Umfrageergebnisse vom Januar 2022 auf „Polen-Analysen, Ausgabe 291“, zeigt sich, dass die Kirche im Selbstverständnis eines traditionellen Brauchtums hohe Akzeptanz genießt, was Kreuze in öffentlichen Gebäuden oder den religiösen Charakter des militärischen Gelübdes betrifft.

Das ändert sich jedoch, wenn die „moralischen Prinzipien des Katholizismus“ betrachtet werden. Waren es im Juni 2009 noch 52 Prozent, die diese Prinzipien als „zutreffend für sich“ bewerteten, so hat sich das Einstellungsbild bis Oktober 2021 umgekehrt und es sind 56 Prozent, die diesen Prinzipien gegenüber skeptisch bis ablehnend sind.

Diesen Verlust der Anerkennung als Moral setzende Organisation zeigt sich parallel dazu im Zeitverlauf und in den Veränderungen, wenn nach Katholizismus und Moral gefragt wird. Im Juni 2006 waren es deutlich mehr als die Hälfte (57 Prozent), die die Prinzipien des Katholizismus insgesamt als „richtig“ betrachten, im Oktober 2021 sind es nur noch ein gutes Drittel (38 Prozent).

In den vergangenen Jahren hat sich hinsichtlich der Frage was gut und was schlecht ist, die Betonung der Individualität und der eigenen Ethik mehr ausgeprägt. War es 2005 knapp die Hälfte (46 Prozent), die diese eigene Entscheidung betonte, so sind es 2021 rund zwei Drittel (65 Prozent). Der Anteil derjenigen, die das „vor allem Gottes Gesetz“ entscheiden lassen wollen, verringerte sich von 27 auf 13 Prozent.


2. Kirche und Politik/Wahlen (2013 - 2021)

Vor diesem Hintergrund einer deutlichen Verringerung der moralischen Autorität der Kirche und der Betonung der eigenen Entscheidung, ist es dann folgerichtig, dass der Widerstand gegen politische Stellungnahmen der Kirche zu Gesetzen ausgeprägter wird. Priester, die den Menschen sagen, wie sie bei Wahlen abstimmen sollen, werden noch ausgeprägter, von 80 Prozent der Bevölkerung als störend erlebt.

Diese von 2013 bis 2019 durchgehend generell ablehnende Haltung gegenüber „Priestern, die den Menschen sagen, wie sie bei Wahlen abstimmen sollen“, zeigt sich auch (2019) hinsichtlich der Frage, welche Menschen und deren Meinung wichtig für die eigene Wahlentscheidung gewesen seien.

42 Prozent geben an (bei der Möglichkeit von Mehrfachnennungen), dass sie niemanden um Rat fragen und 41 Prozent nennen einen nahen Verwandten (wie Ehepartner, Eltern oder die eigenen Kinder). Andere Personen (wie Freunde (10 Prozent), Journalisten (9), Arbeits- oder Studienkollegen (8), etc.) werden weniger genannt, Gemeindepfarrer oder andere Priester so gut wie gar nicht (weniger als 1 Prozent).

Dieser Distanz zum Klerus formulierte sich auch Anfang 2021 als Katholisch.de meldete: „Umfrage: Mehrheit der Polen für Rücktritt aller Bischöfe.

„Die Frage ‚Soll die ganze Bischofskonferenz angesichts der Enthüllung weiterer Pädophilie-Skandale in der polnischen Kirche zurücktreten?‘ bejahten nach Angaben des Magazins „Wprost“ (Montag) 58,7 Prozent; 33,9 Prozent antworteten mit ‚Nein‘.
Nur unter den 50- bis 59-Jährigen gab es demnach keine Mehrheit für den Rücktritt der gesamten Bischofskonferenz. In dieser Altersgruppe waren nur 25 Prozent dafür. Bei den 30- bis 39-Jährigen waren hingegen 87 Prozent dafür, dass die Oberhirten ihre Ämter niederlegen.“

3. Probleme der katholischen Kirche (2013 - 2022)

In einem Vergleich der Ergebnisse von Umfragen aus 2013 bzw. 2019 „Welche Probleme hat die katholische Kirche in Polen / in ihrer Gemeinde?“ sind von den TOP 5 der Angaben, drei sowohl national / vor Ort gleich: 1. Die politische Beteiligung der Kirche (37 : 7 Prozent), 2. die Verabschiedung der Gläubigen von der Kirche sowie die Verringerung der Religiosität (29 : 16) und 3. Priester, die während der Predigt ihre eigenen politischen Ansichten äußern (20 : 7 Prozent).

Auf nationaler Ebene ist das (bei drei Antwortmöglichkeiten) am häufigsten genannte Problem die Pädophilie von Klerikern und Priester (2013: 43 Prozent, 2019: 60 Prozent). Das wird auf der Gemeindeebene gar nicht genannt und ein gutes Drittel (37 bzw. 35 Prozent) bekundet, dass keines dieser (genannten) Probleme ihre Gemeinde betreffen würde.

Auf der nationalen wie auf der Gemeindeebene (19 : 13 Prozent) werden auch die übermäßigen Gebühren für die Erteilung der Sakramente kritisiert.  Ende Januar 2023 wird in einem Beitrag („Wenn der Pfarrer zweimal klingelt“) die Praxis beschrieben, dass die Pfarrer zwischen Weihnachten und Aschermittwoch von Haus zu Haus für einen „Seelsorgebesuch“ gehen und dabei „freiwillige Spenden“ sammeln.

Und auf die Frage (Umfrage Mai 2022): „Was sollte die Kirche tun, um ihre Autorität in der Gesellschaft zu stärken?“ wird von 50 Prozent und mehr der Befragten genannt: 1. Politik meiden und sich nicht an einer politischen Partei beteiligen (58 Prozent), 2. Pädophilie in der Kirche untersuchen und die des Missbrauchs Schuldigen zu bestrafen, sowie 3. Weniger an Geld interessiert zu sein.

Damit sind die drei wesentlichsten aktuellen Probleme der katholischen Kirche in Polen benannt. Auf Platz 4 (mit 44 Prozent Nennungen), wird unterstützt, dass die Priester die Regeln der Kirche besser befolgen sollten, um damit für ihre Gemeinde ein Vorbild zu sein.

Die wesentlichste Kritik, Einmischung in die Politik, hatte sich insbesondere (seit 2016) an der Allianz mit der PiS hinsichtlich der Abtreibungsgesetzgebung entzündet. Vor allem diese Frage hat auch die Jugend auf Distanz gebracht: „Only 9% of young people in Poland view Catholic church positively, finds poll“. Während auf die Frage, wie man zur katholischen Kirche stehe, insgesamt 35 Prozent sagten „positiv“, 31 Prozent „neutral“ und 32 Prozent „negativ“, waren es bei den jungen Erwachsenen (18-29 Jahre) 47 Prozent, die ihre Einstellung zur Kirche als „negativ“ benannten und nur 9 Prozent, die „positiv“ sagten.

Hieß es 2019: „Der polnischen Kirche rennt die Jugend davon“, so lautete es 2020: „Hälfte der Polen bewertet Arbeit der Kirche negativ“. Das bedeutet, dass erstmals seit 1993 mehr Polinnen und Polen mit der Kirche unzufrieden als zufrieden sind.

Und hinsichtlich der Verbindung Kirche-Staat hieß es im Juni 2022 „Sieben von 10 Polen wollen Steuerprivilegien für Kirche abschaffen“. Zwei Drittel (66 Prozent) forderten zudem, dass der Staat die Finanzierung der Kirche generell einstellen solle.

4. Gottesdienstbesuch (1992-2022)

In einer Zeitreihe von 1992 bis 2021, die im November 2021 publiziert wurde, (ausführlich die gesamte Untersuchung (in Polnisch) „Polski pejzaż religijny – z dalekiego planu“) wird die Entwicklung des Gottesdienstbesuchs nach Altersgruppen dargestellt. Dazu schreibt CBOS, dass bei den Jüngsten die „Glaubens- und Religionsabkehr am schnellsten“ geschieht.

„Unter Berücksichtigung des Alters ist der Prozess der Glaubens- und Religionsabkehr bei den Jüngsten am schnellsten. Der Anteil der regelmäßig Praktizierenden in der jüngsten Altersgruppe (18-24) sank von 69 % im Jahr 1992 auf 23 % im Jahr 2021. Der Anteil der Nichtpraktizierenden stieg in diesem Zeitraum von 8 % auf 36 %.
Der Grad der Religionsausübung unter den Befragten im Alter von 25 bis 34 Jahren war anfangs etwas niedriger als unter den Jüngsten: 1992 praktizierten 62 % von ihnen regelmäßig, während 8 % dies nie taten. Derzeit praktizieren 26 % der Befragten in diesem Alter regelmäßig und 30 % nehmen nicht an Gottesdiensten teil. Das etwas höhere Niveau der Religionsausübung als bei den Jüngsten deutet darauf hin, dass der Prozess der Aufgabe der Religionsausübung in dieser Altersgruppe etwas langsamer ist.
Obwohl die Veränderungen in der Religiosität hauptsächlich jüngere Befragte betreffen, sind sie auch bei Menschen mittleren Alters und älteren Menschen sichtbar. Bei den Ältesten ab 65 Jahren ist der Anteil der niedergelassenen Ärzte von 73 % im Jahr 1992 auf heute 56 % gesunken und der Anteil der Nichtteilnehmenden von 9 % auf 17,5 % gestiegen.“

Laut des Statistikinstituts der Kirche nahmen 1990 noch 50,3 Prozent der Katholiken an der Sonntagsmesse teil, 2019 waren es noch 36,9 Prozent. Und im Januar 2023 heißt es: „Jeder vierte Katholik geht am Sonntag in die Messe“, das sind rund 25 Prozent.

5. Scheidung (2008-2018)

Waren es 2008 nur 20 Prozent der Befragten, die die Möglichkeit sich scheiden zu lassen, unterstützten, so ist dieser Anteil bis 2018 auf ein Drittel (32 Prozent) gestiegen.

Eine genauere Analyse (CBOS „Polish Public Opinion“ Ausgabe 1/2019) zeigt die abgestuften Zustimmungen bzw. Ablehnungen. Eine große Mehrheit (71 Prozent) stimmen der Auffassung zu (22 Prozent „stark“, 49 Prozent „weitgehend“), dass Ehepartner, die nicht glücklich in ihrer Beziehung sind, sich scheiden lassen und versuche sollten, ein neues Leben zu beginnen. Ähnlich groß (67 Prozent Zustimmung) ist jedoch auch die Auffassung, dass eine Scheidung nicht gut ist und man stets für den Erhalt der Ehe kämpfen sollte.

Der Auffassung: „Scheidung ist eine Sünde und man sollte in einer Ehe bleiben, egal, welche Probleme man hat“ teilen 24 Prozent der Befragten (8 Prozent „stark“ und 16 Prozent “überwiegend“).


6. Werte in der Kindererziehung (1990-2022)

Die bereits (unter Punkt 1) beschriebene Entwicklung einer größeren Betonung der ethischen Individualität zeigt sich auch in der Zeitreihe von 1990 bis 2022 zu der Frage, was in der Kindererziehung wichtig sei und was die Kinder hauptsächlich lernen sollten. (CBOS „Polish Public Opinion“, Ausgabe 10/2022)

Im Verlaufe der dreißig Jahre dieses Zeitraums haben sich sechs Werte in ihren Größenordnungen kaum verändert: 1. Respekt vor anderen Menschen, 2. Harte Arbeit und 3. Verantwortungsbewusstsein (69 – 87 Prozent). Ebenfalls gleichbleibend (jedoch seltener mit 30 – 50 Prozent) werden genannt: Gute Manieren, Sparsamkeit, Standhaftigkeit und Ausdauer. Phantasie und Selbstlosigkeit werden nur wenig genannt. Die beiden einzigen Werte, die außerordentlich an Wertschätzung verlieren, sind „Religiosität“ (Verringerung von 62 Prozent – 1990 - auf 16 Prozent – 2022), ebenso wie „Gehorsam“ (von 42 Prozent auf 6 Prozent.)


7. Religionsunterricht (1991-2018)

In einer Umfrage/Studie von CBOS und KBPN (Krajowe Biuro ds. Przeciwdziałania Narkomanii / Nationales Büro für Drogenprävention unter Jugendlichen, Krakau): „Jugend 2018“ (Młodzież 2018) wurde auch das Thema der Religion und der Teilnahme am Religionsunterricht behandelt.

„Neben einem Rückgang der erklärten Religiosität junger Menschen beobachten wir seit einigen Jahren eine auch ein systematischer Rückgang des Prozentsatzes der Schüler, die am Religionsunterricht teilnehmen. Dies ist eine Umkehrung des Trends, der in einem früheren Zeitraum zu verzeichnen war.
Seit dem Schuljahr 1990/1991 - als der Religionsunterricht in der Schule eingeführt wurde und CBOS hat zum ersten Mal Schüler dazu befragt - wir haben einen Aufwärtstrend beobachtet, der Anteil der Schüler, die am Religionsunterricht teilnehmen, ist in diesem Zeitraum um 12 Prozentpunkte gestiegen (von 81 % im Jahr 1991 auf 93 % im Jahr 2010). Ab der Messung 2013 begann dieser Anteil zu sinken. Im Jahr 2018 wurde die Teilnahme am Religionsunterricht in der Schule von 70 % der Schüler in den Abschlussklassen der Sekundarstufe II angegeben, was der niedrigste Wert in der Geschichte unserer Messungen.“

Nach Schularten zeigen sich deutliche Unterschiede.

„Der stärkste Rückgang im Vergleich zur letzten Erhebung war bei den Schülern der beruflichen Grundschulen - derzeit nur etwas mehr als die Hälfte von ihnen (57 %) geben an, dass sie am Religionsunterricht teilnehmen. Dies ist ein Rückgang von fast zwanzig Prozentpunkte im Vergleich zur Umfrage 2016. Schüler in den letzten Klassen der Fachschulen nehmen am ehesten am Religionsunterricht teil (mehr als drei Viertel von ihnen - 77 %).“

Ende 2022 heißt es: „Half of pupils opt out of Catholic catechism classes in Polish city”. In Lodz, der viertgrößten Stadt Polens, nehmen 32.178 der 63.710 Schulen am Religionsunterricht teil. Das sind genau 50 Prozent, gegenüber 56 Prozent im vergangenen Jahr. In den höheren Schulen nehmen nur noch 21 Prozent der Schüler am Religionsunterricht teil. In Tschenstochau – die Stadt mit der ‚Schwarzen Madonna‘ -, nehmen von den 14.475 Schülern 7.272 Schülerinnen und Schüler am Religionsunterricht teil. Das sind 50 Prozent und damit 8 Prozent weniger als 2021 und 15 Prozent weniger als 2020.

8. Ansehen des Papstes

Die gesellschaftliche Autorität der römisch-katholischen Kirche wurde durch das Pontifikat des Erzbischofs von Krakau, Karol Józef Wojtyła (1920-2005), als Papst Johannes Paul II., auch noch nach seinem Tod, stabilisiert. Er war der erste Pole als Papst und der erste Nicht-Italiener seit 456 Jahren.

Die Umfragewerte zu den letzten drei Päpsten (CBOS „Polish Public Opinion“, Ausgabe 6/2022) veranschaulicht die Sonderrolle, die er (auch in der Erinnerung) innehat.

Mit ‚Spitzenwerten‘ (bis 2018) von über 90 Prozent Zustimmung ist er absolut als Autorität anerkannt, wobei rund zwei Drittel und mehr das „definitiv“ so sehen. Der Rückgang 2022 geht parallel zum Rückgang der Anerkennung von Papst Franziskus, der 2014 und 2015 ebenfalls mehr als 80 Prozent Zustimmung erhält, wenn auch weniger in der „definitiven“ Akzeptanz. Der Rückgang dieser hohen Anerkennungswerte im Jahr 2022 wird von den CBOS-Autoren politisch begründet:

„Die dramatischsten Veränderungen vollzogen sich in der Wahrnehmung von Papst Franziskus, der zwar weniger Autorität als Johannes Paul II. genoss, aber dennoch recht häufig positive Reaktionen hervorrief. In den Studien, die 2014 und 2015 durchgeführt wurden, erkannten mehr als vier Fünftel der Befragten seine moralische Führung an (83 % bzw. 84 %). Derzeit bleibt er für 57 % der erwachsenen Polen eine Autorität. Zweifellos ist die Verschlechterung des Ansehens von Papst Franziskus größtenteils das Ergebnis seiner Reaktionen auf den Krieg in der Ukraine, die sich von den allgemeinen Empfindungen unterscheiden.“

Das Verhalten des Papstes wird im Bayerischen Rundfunk als Suche nach einer Rolle beschrieben, die er noch nicht gefunden habe.

Nimmt man diesen Zusammenhang als gegeben an, was jedoch den Rückgang der Anerkennung von Johannes Paul II nicht mit sich ziehen kann, wäre das eine bemerkenswerte Verbindung von politischer Meinung und nicht-gefälliger Religion.

Dass sich in den sieben Jahren zwischen den Umfragen zu Franziskus (2015 auf 2022) die Meinung der Bevölkerung über den Klerus in Polen sich generell so verschlechtert hat, dass es auch auf die Päpste generell zurückfällt, kommt den CBOS-Autoren anscheinend nicht in den Sinn.

Fazit

Wenn 92 Prozent der befragten Erwachsenen 2018 in Polen – auf die Frage: „Welchem religiösem Bekenntnis (Kirche oder Religionsgesellschaft) gehören Sie an“ unter „römisch-katholische Kirche“ subsummiert werden, dann ist festzustellen, dass dort „Bekenntnis“ und „Kirche“ gleichgesetzt werden.

Das ist insofern bemerkenswert, da die Schlussfolgerungen aus den dargestellten Umfragen darauf hinweisen, dass der Glaube nach wie vor weit vorhanden ist, aber diese Gläubigen sich immer stärker gegen den Klerus, also antiklerikal positionieren.

Das ist eine Entwicklung, wie sie in den vergangenen Jahren auch in der Republik Irland festzustellen war: die Bevölkerung ist nach wie vor katholisch, aber gleichzeitig liberal wie antiklerikal, da der Klerus im Umgang mit den Missbrauchsfällen seine traditionelle Akzeptanz stark beschädigt hat. Das ist ebenso wie in Mexiko, auch wenn es für konservative Kleriker, die sich „einbunkern“, nicht verständlich erscheint, dass man zwischen Glauben und Klerus/Kirche trennen kann.

Von der Bevölkerung in Polen sind, in Zusammenfassung der Umfrageergebnisse, rund 10 Prozent „strenggläubig“, weitere rund 30 Prozent „ziemlich gläubig“, rund 50 Prozent „eher gläubig, aber skeptisch/distanziert“ sowie 10 Prozent „nicht gläubig“. Dabei bestehen ein Stadt-Land-Unterschied sowie eine Altersdifferenzierung, dass die Jugend sich mehr von der Religion abwendet als die Älteren.

Insofern bestehen in dieser Entwicklung Ähnlichkeiten zu Westeuropa, wo ebenfalls der Umgang des Klerus mit den Missbrauchsfällen die Abwendung von der Kirche vorantreibt. Allerdings scheint der ‚Abbruch‘ in den vergangenen fünf Jahren in Polen schneller stattzufinden als in Westeuropa.

Vorerst werden die schlechten Umfrageergebnis die polnische Kirche nicht interessieren, prophezeit die Publizistin Joanna Podgórska in Polityka:

„Wird die Kirchenführung die Umfrage als letztes Warnzeichen betrachten und ihre Haltung überdenken? Oder wird sie sie als einen weiteren ‚Angriff auf die Kirche‘ betrachten und sich wie bisher in einer belagerten Festung verschanzen? Leider tippe ich auf Letzteres. Die starke Unterstützung - auch finanzieller Art - durch die Regierung dürfte ihr ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Aber diese Sicherheit ist trügerisch. Selbst in der Politik wird die Kirche ohne Gläubige nicht lange eine einflussreiche Institution bleiben.“

Carsten Frerk

Ergänzung vom 08.08.2023:

Die Deutsch-Polnische Gesellschaft berichtet: „In der geistlichen Hauptstadt Polens leeren sich die Kirchen“.

„Tschenstochau – die geistliche Hauptstadt Polens mit dem berühmten Kloster Jasna Gora und zahlreichen anderen Kirchen in der Stadt und im Umland verzeichnet rückgängige Kirchenbesucherzahlen. Laut einer Messebesucherzählung von 2021 besuchten weniger als 25 Prozent der Tschenstochauer die Heilige Messe am Sonntag, zehn Prozent der dazu berechtigten Gläubigen empfingen die Sakramentale Kommunion. Das ist ein Rückgang um mehr als zehn Prozent im Vergleich zum Jahr 2017.“