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Konfessionsfreie in Mexiko

Länderbericht: In Mexiko gab es bis 1970 so gut wie nur Katholiken und gleichzeitig ist Mexiko das Land, das – bei individueller Religionsfreiheit ‒ eine weitgehende Trennung von Staat und Kirche realisiert hat. Dieses Phänomen einer antiklerikalen Politik von Katholiken ist nur selten zu finden. Seit 1980 werden, neben der Pfingstbewegung, die Mexikaner „Ohne Religion“ zahlreicher, deren Anteil aktuell – je nach Zählweise ‒ zwischen 8 bis 14 Prozent beträgt.

Von Carsten Frerk.

1. Politische Situation in Mexiko
2. Religion in Mexiko
3. Religionsstatistik
4. Konfessionsfreie
5. Zählung der Konfessionsfreien
6. Organisationen der Konfessionsfreien

1. Politische Situation in Mexiko

Von 1929 bis rund 2000 war die Partido Revolucionario Institucional (PRI) („Partei der institutionalisierten Revolution“) die dominierende politische Organisation, die alle staatlichen Gremien kontrollierte. Es ist eine sozialdemokratische Partei, die sich explizit als antiklerikal verstand, d. h. „eine Position antielitärer Motivation, die sich gegen den Klerus richtet.“

In einer Zusammenfassung beschreiben Hubert Gehring und Markus-Liborius Hermann für die Konrad-Adenauer-Stiftung in: „Das Verhältnis von katholischer Kirche und Staat in Mexiko: Nähe und Distanz“ die Einheit von Staat und Kirche, die sich im 19. Jahrhundert auflöste.

„Unproblematisch ist das Verhältnis von Staat und katholischer Kirche in Mexiko nie gewesen. Als die Kirche seit dem 16. Jahrhundert neben der spanischen Krone zu einem der Pfeiler der europäischen Herrschaft in der Neuen Welt wurde, war auch im Gebiet des heutigen Mexiko die faktische Einheit zwischen Kirche und Staat eine Tatsache, die sich erst im 19. Jahrhundert auflöste. Das antiklerikale Reformprogramm von Justizminister Juárez löste 1854 eine Entwicklung aus, die zur strikten Trennung von Staat und Kirche führte, alle Sonderrechte für Kleriker abschaffte und die politische Elite des Landes gegen die Kirche mobilisierte. Mit der Revolution von 1910 verschärfte sich die Lage weiter. Zum Bau von Gotteshäusern oder zur Feier von Gottesdiensten bedurfte es jetzt behördlicher Genehmigungen.“

Nach der Unabhängigkeitserklärung (1810) stellte die erste Verfassung (von 1824) den römischen Katholizismus als Staatsreligion fest.

„Artikel 3: Die Religion der mexikanischen Nation ist und bleibt dauerhaft die römische, katholische, apostolische. Die Nation schützt sie mit weisen und gerechten Gesetzen und verbietet die Ausübung jeder anderen.“

Die liberale Verfassung von 1857 hob dieses exklusive Recht der römisch-katholischen Kirche auf, woraufhin der Präsident und seine Anhänger exkommuniziert wurden und es einen „Reformkrieg“ gab (1857-1861), der mit einem Sieg der Liberalen endete.

Zur historischen Situation heißt es in der Zeitschrift für Pastoraltheologie: „Mexiko: kein einfaches Land, um Theologie zu treiben

„Als Mexiko von Spanien unabhängig wurde, musste die neue Regierung eine Nation gründen. An erster Stelle wollte sie eine zivile Autorität aufbauen, weil alles, also politische, wirtschaftliche und ideologische Macht, in den Händen der katholischen Kirche lag. Man darf nicht vergessen, dass die Kirche schon Ende des 18.Jahrhunderts die größte Landbesitzerin in Neu-Spanien war. Der Erzbischof bezog ein ähnliches Gehalt wie der Vizekönig. Erzbischof und Bischöfe lebten wie Könige in Palästen mit kostbaren Einrichtungen und regierten wie Feudalherren ausgedehnte Ländereien.“

In der Verfassung von 1917 wurde diese Trennung von Staat und Kirche ausdrücklich fixiert und die Kirchen aus der politischen Partizipation ausgeschlossen.

„Dies geschah vor allem dadurch, dass der Kirche der Status einer juristischen Person aberkannt wurde. Da sie damit offiziell nicht mehr existierte, verlor sie jeden Einfluss auf das Erziehungswesen, auf die Wohlfahrt und auf die Wissenschaft. Sie hatte keine Besitzrechte an ihren Bauten, die religiösen Orden wurden verboten, Konfessionsschulen geschlossen. Des Weiteren wurden die Bürgerrechte der Kleriker massiv eingeschränkt, vor allem dadurch, dass sie weder ein aktives noch ein passives Wahlrecht ausüben durften. Auf diese Weise versuchte der Staat, der Kirche jede Möglichkeit zu nehmen, seine Autorität in Frage zu stellen.“

(In dieser Hinsicht ist der „Kulturkampf“ von Bismarck in Deutschland (1871 bis 1880) gegen den katholischen „Ultramontanismus“ und die im gleichen Zeitraum (1905) in Frankreich beschlossene „Laizität“ – die sich ebenfalls gegen den politischen Katholizismus richtete – eine Parallele, auch wenn sie sich in Dauer und Intensität unterscheiden.)

Eine Folge der Verfassung von 1917 war u. a. der Bürgerkrieg des „Guerra Cristera“ (1926 bis 1929), ein „Aufbegehren“ der katholischen, bäuerlichen Bevölkerung gegen die Eingriffe des Zentralstaates, das ‒ aus Eigeninteresse ‒ vom katholischen Klerus gefördert wurde.

„[In den entsprechenden Bundesstaaten] war die katholische Kirche für die Bevölkerung ein unverzichtbarer Bestandteil des Alltagslebens, sie bot den Menschen spirituelle Zuflucht, moralische Anleitung und politische Ausrichtung. Die Menschen dieser Gebiete waren daher bereit, „ihre“ Kirche gegen die „Angriffe“ des „gottlosen“ Staates und seiner Funktionäre zu schützen. Der lokale Klerus wiederum bestärkte sie nicht nur in diesen Bestrebungen, sondern gewährte zumeist auch tatkräftige Unterstützung aller Art und stellte mancherorts sogar die Anführer der so immer mehr um sich greifenden Revolte gegen den Zentralstaat.“

Oder, wie das domradio es anlässlich der Papstreise im März 2012 beschreibt:

„Nach verlustreichen Kämpfen endete der sogenannte ‚Bürgerkrieg der Cristeros‘ 1929 mit einem Kompromiss: Die Kirche erhielt die eingezogenen Kirchengebäude und Pfarrhäuser zurück, den Aufständischen wurde Amnestie zugesichert.“

Der befriedende Kompromiss ließ jedoch den Gegensatz zwischen dem katholischen Klerus und den katholischen Bauern weiter bestehen. Die konservative, katholische Partido Acción Nacional (PAN) wurde 1930 gegründet, hatte jedoch erst 1989/1992 erste bundesstaatliche Erfolge. Ein Wendepunkt war der Besuch des Papstes 1979, der die Bischöfe ermunterte, sich politisch zu artikulieren. Nach einer Verfassungsreform 1992 wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen Mexiko und dem Vatikan aufgenommen.

„Fünf antiklerikale Artikel der Verfassung wurden modifiziert. Vor allem wurde der Kirche (und den Kirchen) der Status der juristischen Person wieder zuerkannt. Des Weiteren wurden Kirchenbesitz und öffentliche Kultausübung gestattet.“

Wenn es eine Diskriminierung von Religionen oder Weltanschauungen gibt, dann ist es, wie es in dem Länderbericht zu Mexiko des Beauftragten der Bundesregierung für die weltweite Religionsfreiheit heißt, keine seitens des Staates.

„Die mexikanische Verfassung gewährleistet eine umfassende Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Dessen unbenommen herrscht im Land eine gesellschaftlich weit verbreitete, wenn auch nicht täglich sichtbare Intoleranz gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften als der christlichen.“

2. Religion in Mexiko

Mexiko gilt unter den Staaten Lateinamerikas als das zweitstabilste Land, dessen Bewohner sich immer noch mit großer Mehrheit als katholisch bezeichnen.

Das PEW Reseach Center hat das 2013/2014 in einer Betrachtung mit einer Übersichtkarte erläutert, in der 81 Prozent der Mexikaner (laut einer Umfrage) sich als katholisch betrachten, im Unterschied zu Brasilien, wo nur noch 61 Prozent der Bevölkerung sagen, dass sie katholisch seien. Nur Paraguay hat einen höheren Anteil (89 Prozent).

Auch in anderer Hinsicht scheinen Paraguay und Mexiko noch immer ein ‚stabile Bank‘ für die katholische Kirche zu sein. Während 20 bis 25 Prozent der Menschen in Nicaragua (75 auf 50 Prozent), Uruguay (64 auf 42) und Brasilien (81 auf 61), die als Katholiken aufgewachsen sind, es heute nicht mehr sind, so ist der Glaubenswechsel in Mexiko (90 auf 81) und Paraguay (94 auf 89) deutlich geringer.

In einer fowid-Ausarbeitung zu „Religion in Lateinamerika“ (2017), die auf der Grundlage der Umfrage (2017) des „Latinobarometro“ erfolgte, zeigt sich jedoch, dass Mexiko in seiner Glaubensüberzeugtheit unterhalb des Durchschnitts liegt. Sei es in der positiven Bewertung von Papst Franziskus, bei der die Mexikaner mit 6,5 von 10 möglichen Punkten auf Platz 11 der 19 Ländern Lateinamerikas rangiert, oder bei der Frage, ob man „viel“ oder zumindest „etwas Vertrauen“ in die Kirche habe, was nur von 58 Prozent so geäußert wird.

Auch bei den Anteilen der Bürger „ohne Religionszugehörigkeit“ hat Mexiko mit 11 Prozent nur den sechsten Rangplatz. Und in der weltweiten Ipsos Umfrage (2016) „Persönliche Wichtigkeit von Religion/Glauben“ stimmen nur 63 Prozent der Mexikaner der Aussage zu, dass der Glaube ihnen sehr wichtig sei. Brasilien und Peru sind „gläubiger“.

Das sind quantitative Hinweise darauf, dass der römische Katholizismus in Mexiko etwas recht Spezielles ist. So beschreibt Gerhard Kruip in „[Mexiko:] Religion, Kirche und Staat“ die Besonderheit der Vermischung des „Katholischen“ mit den Elementen einer alten, religiösen Symbolwelt, die er als „heimliche Widerstandskultur“ betrachtet.

„Spätestens beim Anblick der ‚aztekischen Tänze‘ vor der Wallfahrtskirche der Jungfrau von Guadalupe an deren Fest, dem 12. Dezember, oder bei der Teilnahme am mexikanischen Totenkult zum Allerseelentag , dem 2. November, an dem auf den Friedhöfen in fröhlicher Atmosphäre Festessen veranstaltet werden, Maskenumzüge stattfinden und man sich mit Totenköpfen aus Zuckerguß beschenkt, wird klar, daß in Mexiko eine Form von Katholizismus entstanden ist, die nicht einfach nur eine Kopie bekannter europäischer Frömmigkeitsformen darstellt. Vielmehr haben sich nach der ‚geistigen Eroberung‘ Mexikos religiöse Mischformen entwickelt, die es den unterdrückten Ureinwohnern erlaubten, trotz ihrer Unterwerfung unter eine fremde, religiöse Symbolwelt eigene Überzeugungen und Praktiken in Form einer heimlichen Widerstandskultur beizubehalten. Heiligenstatuen, in deren Inneren indianische Götterdarstellungen gefunden wurden, sind dafür besonders eindrucksvolle Beispiele.“

In dieser Hinsicht spielt die Basilika der Jungfrau von Guadalupe als ‒ mit rund 20 Millionen Pilgern im Jahr ‒ meistbesuchter katholischer Wallfahrtsort, eine besondere Rolle.

Die Sichtweise, die katholisch.de (2016) beschreibt: „Normalisierung nach langen Konflikten“: versteht offensichtlich nicht, dass man auch als katholischer Mexikaner politisch gegen den Klerus, also antiklerikal sein konnte und kann, wenn die Kirche sich mit den Konservativen verbündet.

„Papst Franziskus besucht Mitte Februar [2016] Mexiko, das zweitgrößte katholische Land der Erde. Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche war lange ambivalent. An der Spitze Mexikos standen über 120 Jahre meist militante Atheisten oder Agnostiker.“

3. Religionsstatistik

Das Nationale Institut für Statistik und Geographie von Mexiko (Instituto Nacional de Estadística y Geografía) INEGI, veröffentlicht auf seinen Internetseiten auch die Ergebnisse der Religionsstatistik aller Volkszählungen seit 1895.

In einer „Klassifizierung von Religionen“ (2010) werden sie in vier „Disaggregationsebenen“ dargestellt. Die Ebenen sind: Religiöses Bekenntnis, Religiöse Gruppe, Religiöse Konfession, Religiöse Gesellschaft. Allein für die Bekenntniskategorie „1100: Katholisch“ werden 87 Gesellschaften genannt. Bei der Gruppe „Keine Religion“ gibt es keine weiteren Untergruppen. Dazu heißt es nur:

„Schließlich die Bevölkerung, die keine Präferenz für eine Religion hat, mit einer der folgenden Ausrichtungen:
- Dogmatisch: Das bejaht die Nichtexistenz eines Gottes.
- Skeptisch: Was die Unfähigkeit des Menschen erklärt, ein übergeordnetes Konzept zu verstehen.
- Kritisch: Der die Beweise des Theismus für unzureichend hält.
- Praktisch: Das Zeigen von Gleichgültigkeit gegenüber der Existenz oder Nichtexistenz eines höheren Wesens oder einer höheren Macht.
- Ketzerei: In Opposition zum Dogma einer bestimmten Kirche. Sie kann auch als gläubige Bevölkerung einer Religion mit einem wesentlichen philosophischen Inhalt betrachtet werden, die ihre Praxis mehr als eine Religion, sondern als eine Lebensweise ansieht und sich daher nicht als Anhänger einer Religion deklariert.“

Dabei ist die Beschreibung der „Skeptiker“ durchaus amüsant.

Im Fragebogen (der Volkszählung 2000) wird gefragt (Frage 19.) „Welcher Religion gehören Sie an? (Machen Sie nur eine Angabe): Keine (1), Katholisch (2) Andere Religion (Nennen Sie die Religion).“ In der Volkszählung 2020 (Frage 4) wird nur noch gefragt: „Welche Religion haben Sie? (Liste Religion)“. Es wird also nach der persönlichen Bindung an eine organisierte Religionsgemeinschaft ‒ oder auch nicht ‒ gefragt. Das kann ‒ wie auch z. B. in Frankreich und anderen Ländern ‒ heißen, dass jemand zwar katholisch getauft wurde, sich aber der Kirche und dem Glauben ‚entfremdet‘ hat, sich entsprechend nicht mehr als Katholik betrachtet und an keinen Kasualien (Firmung, Trauung, Gottesdienstbesuch) mehr teilnimmt und als Religion „keine“ nennt.

Bis 1919 gibt es mehr als 99 Prozent Katholiken in Mexiko, bis 1970 mehr als 92 Prozent, ab 1980 verringert sich der Anteil kontinuierlich und beläuft sich 2020 auf 78 Prozent. Ab 1960 machen sich die Evangelischen, und darunter vor allem die Mitglieder der Pfingstbewegung, mit steigenden Zahlen bemerkbar, die nach 1970 die Millionenmarke übersteigt und 2020 von den 16 Mio. Nicht-Katholiken 13 Mio. Anhänger stellt.

Die Anzahl der Mexikaner „ohne Religion“ verändert sich, auf niedrigem Niveau, auch insgesamt ansteigend, und übersteigt 1980 die Zwei-Millionen-Marke oder drei Prozent der Bevölkerung.

Die grafische Darstellung verdeutlicht, wie sich bis 1970 die Anzahl der Katholiken parallel zum Bevölkerungswachstum mit ansteigt und sich dann ab 1980 davon ‚abgekoppelt‘ wird.

Diese Entwicklung kann man auch in den Zahlen der Veränderungen (in absoluten Zahlen) darstellen, bei der die Parallelität zwischen Veränderungen der Bevölkerungsanzahl und der Anzahl der Katholiken bis 1960 identisch ist, sich dann langsam öffnet und nach 2000 dann ‚abkippt‘.

Die grafische Darstellung der prozentualen Veränderungen zwischen den Volkszählungen – in der die absoluten Zahlen ‚nivelliert‘ werden – zeigt erstens wieder die Parallelität zwischen Gesamtbevölkerung und Katholikenzahl, zweitens den kräftigen Zuwachs der „Anderen Religionen“ auf 1960 und auf 1980.

Die Konfessionsfreien haben zwei deutliche ‚Sprünge‘ in der Anzahl: Zum einen 1921, zum anderen 1970. In der Volkszählung 1921 bekannten 108.049 Mexikaner, dass sie „ohne Religion“ seien, gegenüber der Anzahl von 1910 (mit 24.972) war das eine Vervierfachung. Vermutlich spielte dabei der I. Weltkrieg eine Rolle, als die Armeen sich unter dem Motto „Gott mit uns“ bekämpften. 1970 – ebenfalls mit einer Vervierfachung seit 1960 von 192.963 auf 768.448 Mexikanern ohne religiösen Glauben ‒ steht vermutlich im Zusammenhang der 1960er Jahre mit gesellschaftlichen Umbrüchen. Die Kirche schwieg zu den blutig unterdrückten Studentenunruhen von 1968 (Massaker von Tlatelolco) und 1971 (ebenfalls in Mexiko-City). Eine Zeitphase, in der auch in anderen Teilen der Welt , vor allem die Nachkriegsgeneration, sich die gesellschaftliche und religiöse „Sinnfrage“ stellte.

Wenn Thomas Seiterich (2000) im katholischen Magazin „Publik-Forum“ schreibt: „Der liebe Gott kommt auf leisen Sohlen zurück“ mit der Unterzeile: „Säkularisierung umgedreht: Acht Jahrzehnte nach dem Sieg einer kirchenfeindlichen Revolution boomt die Religion“, dann fragt man sich, auf welche Umfragen er sich bezieht, die im Text nicht genannt werden.

„Denn der lange Prozess der Säkularisierung hat sich in Mexiko während des krisenreichen ‚Jahrzehnts der Verarmung‘ spürbar umgekehrt. Noch zu Beginn der 90er Jahre gaben nur knapp 90 Prozent der Befragten in nationalen Umfragen an, dass sie an Gott und an eine unsterbliche Seele glaubten. In diesem Jahr, vor den Wahlen, waren es nahezu 100 Prozent. Erklärten 1990 nur etwas mehr als die Hälfte, sie glaubten, dass es Himmel und Hölle gebe, so sind es nach der letzten Erhebung schon rund 75 Prozent.“

4. Konfessionsfreie

In einer ersten Betrachtung (der Volkszählungen 2010 und 2020) zeigt sich in der Altersgliederung von Katholiken und Konfessionsfreien, dass sie sich nur wenig unterscheiden und sowohl die Konfessionsfreien wie die Katholiken eine Altersgliederung haben, die der Gesamtbevölkerung entspricht. Jedoch ist, auch in dieser allgemeinen Darstellung, bereits zu erkennen, dass die Konfessionsfreien sowohl bei den Jüngsten wie in den beiden Altersgruppen der 15-25 sowie der 30-40-Jährigen höhere Anteile haben, also jünger sind als die Katholiken, die bei den 45-Jährigen und Älteren einen höheren Anteil haben, also etwas älter sind.

In den Anteilen von Frauen und Männern unter den Konfessionsfreien zeigt sich das weltweite Phänomen, dass mehr Männer als Frauen sich als konfessionsfrei erklären. Dabei zeigt sich jedoch, dass der Frauenanteil unter den Konfessionsfreien langsam ansteigt. Waren von den Konfessionsfreien 2000 noch 41,2 Prozent Frauen, so sind es 2010 bereits 41,8 und 2020 dann 43,3 Prozent.

Die grafische Darstellung des Geschlechterverhältnis in den jeweiligen Altersgruppen zeigt eine klare Altersverteilung: Je älter die Gruppe, desto höher der Anteil der Männer. Der Anstieg bei den beiden ältesten Gruppen dürfte darauf zurückzuführen sein, dass der Frauenanteil dort generell höher ist.

Dieses Ansteigen des Frauenanteils unter den Konfessionsfreien zeigt sich auch in den Veränderungen zwischen den Volkszählungen 2010 und 2020. Während der Anstieg der Anzahl der Konfessionsfreien sich beinahe verdoppelt (um 96,5 Prozent), erhöht sich die Zahl der männlichen Konfessionsfreien um gut 90 Prozent (91,4), während die Zahl der weiblichen Konfessionsfreien sich um gut 100 Prozent (103,5) erhöht.

Bei einer genaueren Analyse der Altersgruppen wurden sie als Alterskohorten ausgewertet. Das heißt, die Altersgruppen von 2010 wurden für 2020 um zwei Fünf-Jahres-Altersgruppen älter eingeordnet, so dass es sich weitestgehend um die identischen Personen handelt. Dabei zeigen sich drei Tatsachen. Als erstes, dass der absolute Zugewinn der Konfessionsfreien 2020 gegenüber 2010 (um 4.660.692 Personen) zu mehr als einem Drittel (1.652.645 = 35,5 Prozent) auf der jüngsten Altersgruppen der 5-14-Jährigen beruht, von denen die Jüngeren wohl von ihren Eltern so eingeordnet wurden. Zweitens ist der Zuwachs vor allem überdurchschnittlich in der Altersgruppe der (im Jahr 2020) 20-24-Jährigen, wobei die Männer (mit 151 Prozent) einen höheren Zuwachs haben als die Frauen (128 Prozent). Allerdings gleichen das die Frauen in den Altersgruppen der 30-54 Jährigen mehr als aus, in denen sie einen jeweils höheren Zuwachs als die Männer in diesen Altersgruppen haben. Drittens ist aber die Gesamttendenz bei Frauen wie bei Männern parallel.

Auch ein weiteres Phänomen unter den Konfessionsfreien weltweit zeigt sich in Mexiko: Die Unterschiede zwischen den Konfessionsfreien insgesamt und denen in den Metropolregionen, von denen es in Mexiko 16 mit mehr als einer Million Einwohner gibt. Als Test wurde ein Vergleich zwischen der Altersverteilung der Konfessionsfreien in Mexiko insgesamt und denen in Mexico-City berechnet.

In den drei ausgewerteten Volkszählungen (2000, 2010 und 2020) sind die Konfessionsfreien insgesamt gegenüber denen in der Hauptstadt jünger (Altersgruppe 5 – 19 Jahre), in der Millionenmetropole jedoch sind die 20 bis 59-Jährigen deutlich stärker vorhanden. Besonders die 20 – 39–Jährigen (im vorrangig reproduktionsfähigen Alter) sind zahlreicher, so dass die Stadtbewohner die Entwicklung am stärksten voranbringen.

Bemerkenswert ist auch der durchgängige „Firmungsknick“ in der Altersgruppe der 10-14-Jährigen, der in gleicher Weise auch in Deutschland im Zensus 2011 feststellbar war.

5. Zählung der Konfessionsfreien

Hinsichtlich der Zählung der „Konfessionsfreien“ gibt es durchaus Unterschiede. Durchgängig ist seit der Volkszählung 1895 eine Kategorie „Ohne Religion/Keine Religion“ erfasst. Während jedoch in einer Darstellung der staatlichen Statistikbehörde INEGI für 2020 in der Rubrik „Ohne Religion“ eine Anzahl von 9.156.555 Personen genannt wird, gibt es in einer anderen INEGI-Darstellung für 2020 in der Kategorie „Religion“ weitere Kategorien: „Ninguna religión / Ateos,Agnósticos / Sin adscripción religiosa (creyente) / No especificado” , d. h. Keine Religion (9.448.671), Atheisten, Agnostiker (722.381), Keine Religionszugehörigkeit, gläubig (3.103.464) und Keine Angabe (491.814) = 13.766.330. Das wären dann alle, die „konfessionsfrei“ im weitesten Sinne sind, da sie erklären, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören und das wären dann (statt der ‚offiziellen‘ „Ohne Religion“ mit 7,9 Prozent) insgesamt 11,9 Prozent der Bevölkerung. Das wären dann mehr als die ‚Vereinigten Evangelischen‘, inklusive den Pfingstlern, die 12.993.468 Anhänger haben oder 11,2 Prozent. Oder anders gesagt, die ‚Vereinigten Konfessionsfreien‘ wären nach den Katholiken die zweitgrößte Religionsgruppierung in Mexiko.

Aber es gibt noch weitere Daten. Im Latinobarometro für 2018 wird der Anteil der Konfessionsfreien mit 10,6 Prozent angegeben. Rechnet man die anderen „Konfessionsfreien“, also alle, die keiner Religionsgemeinschaft angehören hinzu, so sind es 15,4 Prozent.

Umfragen, wie auch das Latinobarometro, erfassen keine exakten Zahlen, sondern Tendenzen (innerhalb von Toleranzbreiten). Eine Auswertung der Umfragen des Latinobarometros von 1995 bis 2018 ‒ nach Religion und Anteile in den Altersgruppen ‒ zeigt eine eindeutige Tendenz: Die Anteile in der jüngsten Altersgruppe (15-25-Jährige) sind (bis auf eine Ausnahme im Jahr 1996) durchgehend höher als der Anteil der Konfessionsfreien („Ohne Religion“) an der Gesamtbevölkerung.

Diese Feststellung, die die zukünftige Beständigkeit der Mexikaner „ohne Religion“ bekräftigt („Wer die Jugend hat, hat die Zukunft.“) zeigt sich entsprechend auch im Rückgang der Jüngeren unter den Katholiken.


6. Organisierte Konfessionsfreie

Wenn man davon ausgeht, dass Konfessionsfreie sich u. a. wegen einer vorhandenen religiösen Bedrückung und öffentlichen Privilegierung von Religionen organisieren, um sich dagegen zur Wehr zu setzen, so gibt es in Mexiko dafür keinen Anlass.

In der aktuellen Verfassung Mexikos ist das Verhältnis Staat und Kirche umfangreich und eindeutig bestimmt. Unter anderem besagt Artikel 3, dass staatliche Bildung säkular zu sein hat, ohne jegliche religiöse Indoktrinierung. (Was auch bedeutet, dass es an staatlichen Schulen keinen Religionsunterricht gibt.) Artikel 24 bekräftigt die Religionsfreiheit: „Jede Person hat das Recht auf eigene ethische Überzeugungen, auf Gewissens- und Religionsfreiheit sowie die Freiheit, die Religion ihrer Präferenz zu haben oder anzunehmen.“ Artikel 130 beginnt mit: „Der historische Grundsatz der Trennung von Staat und Religion soll die in diesem Artikel festgelegten Bestimmungen leiten. Kirchen und andere religiöse Gruppen müssen das Gesetz befolgen.“ Unter anderem ist es politischen Parteien untersagt, religiöse Bezeichnungen oder Symbole zu verwenden.

Das „Gesetz über Religiöse Vereinigungen und Öffentliche Andachten (LARCP)“ untersagt in Art. 25, Regierungsmitgliedern als solchen, an Akten des öffentlichen Kultes teilzunehmen.

„Die Bundes-, Landes- und kommunalen Behörden dürfen sich nicht in die inneren Angelegenheiten religiöser Vereinigungen einmischen. Die genannten Behörden dürfen in amtlicher Eigenschaft weder an öffentlichen religiösen Handlungen noch an Tätigkeiten mit ähnlichen Motiven oder Zwecken teilnehmen.“

Bei diesen weitgehenden säkularen Grundsätzen einer Trennung von Staat und Religion verwundet es nicht, dass – zumindest digital – keine säkularen Organisationen zu finden sind.

So wird zwar eine SOMIE (Mexican Association for Skeptical Research) genannt, aber der Link auf der Internetseite Skeptic führt ins Leere. Nachweisbar ist, dass ihr Vorsitzender Mario Mendez Acosta auf dem „Second World Skeptics Congress, 23 – 26 Juli 1998, in Heidelberg) an einer Podiumsdiskussion teilnahm.

Ebenso wird zwar auf der Internetseite Secular Web unter der Überschrift „National Organizations Around the World“ die Association Mexicana Etica Racionalista (AMER) genannt, der Link führt jedoch auch ins Leere. Das Gleiche auf der spanischen Wikipedia Seite zum „Humanismo secular“. Das IHEU-Archiv schreibt zur AMER „1991-1995“.

Zu einer „Partido Humanista“ schreibt die spanische Wikipedia:

„Die Humanistische Partei (spanisch: Partido Humanista, PH) ist eine 2014 gegründete mexikanische politische Partei, die 2015 als nationale Partei aufgelöst wurde. Sie schaffte es jedoch, die Mindestanzahl an Stimmen in Mexiko-Stadt zu erreichen, so dass ihre regionale Partei bestehen bleiben durfte. Sie durfte sich 2017 offiziell wieder als nationale Partei registrieren lassen, erreichte aber bei den Wahlen 2018 erneut nicht die Mindestanzahl an Stimmen auf nationaler Ebene und wurde aufgelöst.“