Lebensauffassungen der Katholiken
Das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) hat 2013 in einer Umfrage in der Bevölkerung festgestellt, dass die Positionen der katholischen Kirche zu vielen Lebensfragen sowohl von der Gesamtbevölkerung, als auch von den Katholiken kritisch betrachtet werden und nicht mehr den Lebensvorstellungen der heute lebenden Menschen entspricht. So gehören verschiedene Partnerschaftsmodelle auch ohne Trauschein inzwischen zum akzeptierten und praktizierten Alltag auch von Katholiken.
Die Erwartungen der Menschen an die Kirchen ist nicht mehr von den Fragen nach Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften oder des Schwangerschaftsabbruchs geprägt - eigenartigerweise auch nicht, dass sie sich für die Verbreitung des Glaubens einsetzt, ihre Traditionen bewahrt oder sich für Umweltschutz engagiert. Diese Themen spielen in den Erwartungen an die Kirche eine untergeordnete Rolle. Nur 36 bzw. 38 Prozent der Katholiken fordern von der Kirche, gleichgeschlechtliche Partnerschaften anzuerkennen oder die Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen zu korrigieren.
Insgesamt spielen jedoch Sexualmoral und Familienleben in den Erwartungen an die Kirche eine große Rolle. Zwei Drittel der Katholiken erwarten von der katholischen Kirche eine aufgeschlossene Haltung zum Thema Verhütung, ein Überdenken des Standpunktes gegenüber Geschiedenen und zum Zölibat. Von einer Mehrheit wird die katholische Kirche nicht als Vertraute und Ratgebende für eine verantwortungsbewusste Partnerschaft und Sexualität wahrgenommen, sondern als eine Institution, die diesem Thema argwöhnisch bis feindlich gegenübersteht.
Die Kirche steht jedoch nicht nur bei Ehe- und Familienthemen vor einer enormen Herausforderung. Sie ist bei vielen Themen, die zum Grundanliegen der Kirchen gehören, mit hohen Erwartungen konfrontiert, besonders in Bezug auf ihr Engagement für Benachteiligte, das überzeugende Vorleben von christlichen Werten wie Nächstenliebe und Bescheidenheit, die Bekämpfung von Armut, die Verständigung und Annäherung zwischen den Konfessionen, sowie die Auseinandersetzung mit eigenen Fehlern und die Stärkung der Rolle der Frauen in der Kirche.
Die katholische Kirche muss nicht nur zusehen, wie sich neue Formen des Zusammenlebens und Verhaltensweisen entwickeln, die nicht auf der Linie der kirchlichen Lehre zu Ehe und Familie liegen, sondern muss erfahren, dass die Menschen bei vielen dieser Konstellationen und Haltungen nicht akzeptieren, warum sie ein Problem darstellen sollen. Die Vorstellungen der Gesellschaft sind in weiten Teilen weit von der Lehre der Kirche entfernt.
Schon die Entwicklung des Familienbegriffs zeigt, dass sich die Bevölkerung insgesamt wie auch die katholischen Bevölkerungskreise zunehmend von der Position der Kirche entfernt haben. Der Familienbegriff wird zunehmend weiter gefasst. War er noch vor knapp anderthalb Jahrzehnten stark auf das verheiratete Paar mit Kindern und die Großfamilie mit mehreren Generationen ausgerichtet, bezieht die überwiegende Mehrheit heute auch ganz selbstverständlich unverheiratet zusammenlebende Paare mit Kindern und Alleinerziehende mit ein. Im Jahr 2000 sahen erst 53 Prozent der Bevölkerung ein unverheiratet zusammenlebendes Paar mit Kindern als Familie an, heute 75 Prozent, bei den 30-49-Jährigen sogar 81 Prozent. Knapp die Hälfte bezieht heute auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit Kindern in ihren Familienbegriff mit ein, in der jungen Generation (16-29 Jahre) 57 Prozent.
Bei Themen wie Leihmutterschaft oder Abtreibung werden die Positionen der Kirche von vielen verstanden und teilweise auch nachvollzogen, da liegen die Moralvorstellungen von Gesellschaft und Kirche noch nahe beieinander.
Ganz anders ist dies jedoch bei den Themen Empfängnisverhütung, unverheiratet zusammenlebenden Paaren, Scheidung oder in Bezug auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Empfängnisverhütung hält die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung wie auch der Katholiken für legitim, egal, ob sie sich künstlicher oder natürlicher Methoden bedient. Die große Mehrheit reagiert auf die Unterscheidung, die die katholische Kirche hier vornimmt, völlig verständnislos. Nur 21 Prozent der Bevölkerung und 30 Prozent der Katholiken können die Gründe für diese differenzierte Haltung nachvollziehen. Selbst von ihnen wird jedoch die Position in der Regel nicht akzeptiert. Der Anteil der Katholiken, die sich strikt gegen eine Empfängnisverhütung mit Hilfe der Pille aussprechen, liegt unter 2 Prozent.
Auch die Haltung der Kirche zur Ehe ohne Trauschein ist unüberbrückbar weit von den vorherrschenden Einstellungen und Lebensentwürfen entfernt. Die überwältigende Mehrheit der Katholiken akzeptiert es vorbehaltlos, wenn Paare unverheiratet zusammenleben. Lediglich 3 Prozent lehnen dies strikt ab. Von den heute verheirateten Katholiken hat die Mehrheit bereits vor der Eheschließung mit ihrem Partner zusammengelebt. Von den nicht verheirateten Katholiken lebt rund jeder Vierte in einer Ehe ohne Trauschein, in der mittleren Generation annähernd 40 Prozent.
Die Haltung der Gesellschaft zur Scheidung und zum Umgang der Kirche mit Geschiedenen ist weit von den kirchlichen Positionen entfernt. Mit einer Scheidung machen es sich die Betroffenen nicht leicht, sondern es ist oft ein langwieriger und schwerer Weg, der zu diesem Schritt führt. Er ist in den Augen der meisten kein leichter, willkommener Ausweg aus einer Beziehung, sondern eine schwierige, belastende Situation. Nur eine Minderheit hält eine Scheidung für etwas, das unproblematisch und auf jeden Fall in Ordnung ist. Gleichzeitig sprechen sich jedoch nur 4 Prozent der Katholiken strikt gegen Scheidungen aus, weitere 11 Prozent überwiegend ablehnend. Zwei Drittel der Katholiken möchten Geschiedenen die Möglichkeit eröffnen, erneut kirchlich zu heiraten, 16 Prozent sprechen sich dagegen aus.
Die Haltung zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften hat sich in Deutschland in den letzten Jahren grundlegend verändert. Die Forderung nach einer gesetzlichen Gleichstellung wurde im Jahr 2000 nur von 24 Prozent unterstützt, im Jahr 2013 von 44 Prozent; weitere 33 Prozent sprechen sich für eine partielle Gleichstellung aus. Der Wandel der Einstellungen vollzieht sich weiterhin, was an den großen Unterschieden zwischen den Generationen zu sehen ist. Von den 60-Jährigen und Älteren sprechen sich 30 Prozent für eine völlige Gleichstellung aus, von den Unter-30-Jährigen 59 Prozent. Diese auffällige Diskrepanz zwischen den Generationen prägt auch die Haltung zum Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, das von der katholischen Kirche besonders kritisch gesehen wird. In der Bevölkerung unterstützen zurzeit 40 Prozent ein Adoptionsrecht, 44 Prozent sprechen sich dagegen aus. In der katholischen Bevölkerung ist die Ablehnung überwiegend: 35 Prozent der Katholiken sind für, 48 Prozent gegen ein Adoptionsrecht. Unter den Katholiken ist hier ebenfalls ein Generationenbetreffender Unterschied: 20 Prozent der 60-jährigen und älteren Katholiken sind für ein Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, aber 60 Prozent der unter-30- jährigen Katholiken. Nur eine kleine Minderheit lehnt gleichgeschlechtliche Partnerschaften generell ab; das gilt für die Bevölkerung insgesamt wie für Katholiken.
(SFE)