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Muslime in Deutschland, 1987

Mitglieder der Forschungsgruppe fowid werden in den kommenden Monaten ein besonderes Augenmerk auf die Frage haben, wie viele Muslime in Deutschland leben. Dazu werden die wichtigsten Daten und Forschungen vorgestellt. Der Beginn dazu ist eine spezielle Auswertung der Volkszählung vom 25. Mai 1987. Es sind die einzigen belastbaren und allgemein akzeptierten Daten zu den Muslimen in Deutschland.

Diese Daten beziehen sich zwar nur auf die westlichen Bundesländer, doch in der DDR gab es so gut wie keine Muslime, da die DDR ihre ausländischen Arbeitsmigranten aus den sozialistischen Bruderländern wie Vietnam und Nicaragua rekrutierten. (Auch aktuell belaufen sich die Schätzungen auf nur rund 60.000 Muslime in den östlichen Bundesländern.)

1987 wurden als „Angehörige der islamischen Religionsgemeinschaft“ insgesamt 1.650.952 Personen gezählt. Das waren 2,70 Prozent der 61.077.042 Einwohner. (Zweieinhalb Jahre später, nach der deutschen Einheit, waren es 2,07 Prozent der 79.430.000 Einwohner).

1.602.986 der Muslime waren Ausländer (= 97,1 Prozent) und 928.299 (= 56,2 Prozent) waren männlich.

Die folgenden Auswertungen aus der Volkszählung beziehen sich auf: 1. Anteile in den Bundesländern, 2. Altersaufbau, 3. Wohnortgrößen und Wohnorte nach siedlungsstrukturellen Gemeindetypen, 4. Thematik Ausländer.

1. Anteile in den Bundesländern

Die Daten sind so aus dem Bericht des Statistischen Bundesamtes übernommen. Bei genauerer Betrachtung erhöht sich allerdings die Zahl der Konfessionsfreien. Bei der Volksbefragung haben 1.245.414 Personen keine Angabe zu ihrer Religionszugehörigkeit gemacht. Geht man davon aus, dass diese Personen sich keiner Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen, dann sind sie konfessionslos. Rechnet man diese Personen also zu den explizit Konfessionsfreien hinzu, verändert sich ihre Anzahl (am 25. Mai 1987) auf 6,2 Mio. Personen oder 10,1 Prozent. Bis Jahresende 1987 sind es dann 11,4 Prozent.

Seit der vorangegangenen Volkszählung (1970) hat sich in den 17 Jahren die Bevölkerung um 0,7 Prozent erhöht: von 60.650.600 Bewohnern auf 61.077.000.

Die Anteile der Katholiken an der Gesamtbevölkerung haben sich um 1,7 Prozentpunkte verringert: von 44,6 auf 42,9 Prozent. Bezogen auf die Katholikenzahl haben sich die Katholiken um 3,1 Prozent verringert: von 27.060.800 auf 26.232.000.

Der Anteil der Evangelischen (ohne Freikirchen) an der Bevölkerung hat sich von 1970 bis 1987 um 5,4 Prozentpunkte verringert (von 47,0 auf 41,6 Prozent). Ihr Anteil an der Bevölkerung ist um 10,8 Prozent gesunken: von 28.480.00 auf 25.412.600 Mitglieder.

Dargestellt und benannt sind die Anteile der jeweiligen Religionsgemeinschaft / der Konfessionsfreien, wie sich ihre Gesamtzahl auf die einzelnen Bundesländer verteilt. Also, beispielsweise für Nordrhein-Westfalen: NRW hat (vgl. Tabelle 1.3.) einen Anteil von 27,4 Prozent der Bevölkerung. Überdurchschnittlich leben in NRW Muslime (34,7), Katholiken (31,5) und andere Religionsgemeinschaften. Unterdurchschnittlich sind Evangelische (23,1) sowie Konfessionsfreie (22,5 Prozent) dort vertreten. Oder, mit anderen Worten, ein gutes Drittel aller Muslime (34,7 Prozent) lebt 1987 in NRW und ebenso ein knappes Viertel (22,5 Prozent) der Konfessionsfreien.


2. Altersaufbau

Die Auswertung der Daten aus der Volkszählung 1987 ermöglicht detaillierte Informationen zum Altersaufbau der Mitglieder der Religionsgemeinschaften bzw. der Konfessionsfreien. Die dort nach Geburtsjahren und 5-Jahresgruppen Erfassten werden hier nur in den 5-Jahresgruppen dargestellt.

Die 0-5 Jahre-Altersgruppe erfasst die Geburtenjahrgänge 1987 bis 1983, die 21-24-Jährigen die Jahrgänge 1968 bis 1972, die 41-45-Jährigen die Jahrgänge 1947 bis 1943, etc.

Während die Katholiken und Evangelischen, die durch ihre große Zahl den Haupttrend am stärksten beeinflussen, zwei Spitzen im Altersaufbau haben – bei den 46-50-Jährigen (als Elterngeneration) und den 21-25-Jährigen (als Kindergeneration), fehlt ihnen 1987 noch der weitere Nachwuchs – was allerdings auch daran liegen mag, dass der nächste Geburtenzyklus der Enkel noch nicht begonnen hat.

Der Hauptteil der Konfessionsfreien ist 1987 zwischen 36 bis 50 Jahre alt und mit dem Kinderbekommen lassen sie sich mehr Zeit als die Christen.

Bei den Muslimen wird deutlich, dass die Elterngeneration zwischen 41 bis 50 Jahre alt ist, Großeltern in Deutschland nicht vorhanden sind und die Kindergeneration früher und häufiger gezeugt wird, als von allen anderen Gruppen.

In der Zusammenfassung der Altersgruppen zeigt sich die deutlich unterschiedliche Altersverteilung bei den Muslimen, bei denen 92 Prozent jünger als 50 Jahre sind.

In einer weiteren feineren Unterteilung wird dann sichtbar, dass sich alle anderen Gruppen recht ähnlich sind, wie ihr Altersaufbau ist, nur die Muslime sind durchgehen erheblich jünger.

Der Median (der Punkt, bei dem sich die Hälfte der Population unterhalb bzw. oberhalb befinden) ist für Muslime 22 Jahre, für alle anderen Religionsgruppen bzw. Konfessionsfreien bei Mitte Dreißig bis Anfang 40 Jahre. Anders gesagt: die Hälfte der 1987 in Deutschland lebenden Muslime sind jünger als 22 Jahre.

Aber genau diese Altersaufteilung wirft eine generelle Frage auf – auch im Unterschied zu Bevölkerungsumfragen. Man darf davon ausgehen, dass die Muslime von 0 bis 15 Jahren ihren Fragebogen zur Volkszählung nicht selber ausgefüllt haben, sondern ein Älterer, der dann für diese Kinder und Jugendliche seine Meinung geäußert hat. Das ist wenig belastbar, den das heißt, dass beinahe ein Drittel (31 Prozent) der als Muslime erfassten sich dessen nicht unbedingt bewusst sein muss. Rechnet man also diese 508.445 Kinder und Jugendlichen aus den Muslimen heraus, so verbleiben 1.142.507 ‚handlungsbefugte Muslime‘, das sind 1,87 Prozent. Drei Jahre später, nach der deutschen Einheit, als die Bevölkerung eine Größenordnung von 79,4 Mio. erreicht hatte, waren das dann 1,44 Prozent.

3. Wohnorte

Die Anteile von Muslimen in den kleineren Gemeindegrößenklassen ist unterdurchschnittlich gegenüber der Gesamtbevölkerung. Ein erster Schwerpunkt ist – in Baden-Württemberg – ein überdurchschnittlicher Anteil in Gemeinden mit 20.000 bis unter 50.000 Einwohnern. Den Schwerpunkt bieten über die Anteile der Muslime (52,8 Prozent), die in Gemeinden/Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern leben – ein deutlicher Unterschied zur Gesamtbevölkerung, von der nur ein Drittel (32,9) in Gemeinden mit mehr als 100.000 Einwohner lebt.

Auch wenn bei den Katholiken der Anteil derjenigen, die in ländlich geprägten Regionen leben (21,8 Prozent) größer ist, als bei den Evangelischen (12,8 Prozent), so definieren beide die Gesamtverteilung, dass etwas weniger als die Hälfte der Bevölkerung in West-Deutschland in Kernstädten (mit mehr als 100.000 Einwohnern) oder hochverdichteten Umlandkreisen lebten.

Darin unterscheiden sie sich von den damaligen Minderheiten, da sowohl die Muslime (zu 67,5 Prozent), wie auch die Konfessionsfreien (zu 64,9 Prozent) und die anderen Religionen (zu 62,4 Prozent) in diesen Großstädten oder hochverdichteten Regionen leben.

Der alte Satz: „Stadtluft macht frei“, der seinerzeit auf die Leibeigenschaft gemünzt war, gilt anscheinend aktuell auch für die Religionsfreiheit, d. h. dort mit einer Minderheitsreligion oder auch ohne Religion zu leben.


4. Zur Thematik „Ausländer“

1.245.414 Personen (= 12,3 Prozent) der Bevölkerung machen bei der Volkszählung 1987 keine Angabe zu ihrer Religionszugehörigkeit. Unter ihnen ist der Anteil von Ausländern (12,3 Prozent) überdurchschnittlich hoch.

Nach der Anfangsüberlegung, dass Personen, die keine Religionszugehörigkeit benennen, als konfessionslos zu betrachten sind, würde sich damit die Anzahl der Konfessionsfreien auf 6.157.674 Personen erhöhen, von denen 474.828 Ausländer sind.

Das stellt die Frage – im Vorgriff auf die Praxis, dass Migranten, die aus einem Überwiegend muslimischen Land stammen, als „Muslime“ bezeichnet werden und somit aus „Türken“ dann „Muslime“ wurden – zu betrachten, aus welchen „muslimischen“ Ländern die in Deutschland lebenden Ausländer gekommen sind. (Grundlage dafür sind die Zahlen für 1990, also drei Jahre später, da für frühere Jahre keine elektronisch verfügbaren Zahlen vorliegen.)

Bezogen auf die 1.602.986 Ausländer, die bei der Volksbefragung angegeben haben der „islamischen Religionsgemeinschaft“ anzugehören, leben (1990) tatsächlich 2.034.693 Ausländer in Deutschland, die aus überwiegend muslimischen Ländern stammen. Nimmt man also diese formale Zuordnung „Türke = Muslim“, „Marokkaner = Muslim“ etc. so ist die Anzahl der „Muslime“ um ein gutes Fünftel (21,2 Prozent) überhöht.

Vorläufiges Fazit

Hinsichtlich der Überlegung, wie sich die Situation seit 1987 für die Muslime geändert hat  bzw. haben könnte, sind mindestens fünf Elemente zu benennen:

1. Dass sich die Zahl der Zuwanderer aus überwiegend muslimischen Staaten erhöht hat, daran besteht kein Zweifel – was für eine Erhöhung des Anteils spricht.

Jedoch stehen dem vier Elemente gegenüber, die eher für eine nur moderate Erhöhung des Anteils der Muslime sprechen:

1. Der Anteil der unter 15-Jährigen Muslime (31 Prozent), für die ein Anderer die Selbstzuordnung „Muslim“ eingetragen hat, spricht dafür, dass der Anteil bereits 1987 überhöht war.

2. Die Tatsache, dass zwei Drittel (67,5 Prozent) der Muslime 1987 in deutschen Großstädten und hochverdichteten Umlandkreisen wohnte, verweist auf ein vollkommen anderes urbanes Umfeld für die zweite Generation mit allen Elementen, die eine Großstadt ausmachen und die Moschee als zentraler Treffpunkt und Kommunikationszentrum eher an den Rand rücken lassen (können). Zudem treffen sie dort eher auf eine religionsoffene Kultur mit weniger Zwängen.

3. Der Zugang zur Bildung und zu elektronischen Kommunikations- und Informationsmedien schafft spätestens für die dritte Generation von Zuwanderern muslimischer Eltern einen anderen ‚Zugang zum Wissen der Welt‘, als ihn die Eltern und Großeltern hatten.

4. Eine Zählweise von Muslimen nach dem formalen Merkmal „Migrant aus einem überwiegend muslimischen Land“ muss um gut 20 Prozent reduziert werden, da sich jeder fünfte Zuwanderer aus diesen Staaten nicht als Muslim betrachtet.

Diese vier Aspekte sprechen eher dafür, dass sich der Anteil der konfessionsverbundenen Muslime in Deutschland nur moderat erhöht hat.

(CF)