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Profanierung und Kirchenschließung

In den vergangenen Jahren wurde auch in der Öffentlichkeit über Kirchenschließungen, alternative Nutzung oder gar Abriss diskutiert. Doch das Thema ist nicht neu. In den vergangenen Jahrzehnten mussten Kirchengebäude besonders in den Braunkohlegebieten oft wegen des Tagebaus weichen. Doch seit der Jahrtausendwende gibt es andere Gründe und Diskussionen über Kirchenumnutzungen. Dieses Thema ist nunmehr in die Öffentlichkeit gerückt, weil die Diskrepanz zwischen „Kirchenreichtum“ und angeblich ökonomischen Zwängen zur Kirchenschließung immer mehr Fragen aufwirft. Auf die Gesamtzahl der Kirchen (knapp 46.000 Kirchen und Kapellen) bezogen, sind es bislang wenige, die einer Veränderung unterzogen wurden (ca. 800) - dies sind 1,5 Prozent.

Von Elke Schäfer

Mitgliederzahlen sinken

Die fortschreitende Säkularisierung der Bevölkerung in Deutschland hat Folgen. Die Gemeinden - sowohl die katholischen wie evangelischen - werden immer kleiner und zunehmend bleiben nicht nur einzelne Kirchenbänke leer, sondern die Kirchen verwaisen, weil niemand mehr zum Gottesdienst kommt. Über Jahrzehnte haben die Kirchen diese Entwicklung nicht wahr haben wollen. Doch seit einigen Jahren stehen sie dadurch vor mehreren Problemen. Die Gemeinden wurden immer kleiner, es wurden immer weniger Pfarrer/Priester ausgebildet und die Kirchen blieben leer, kosteten jedoch Unterhalt.

evang-Gottesdienstbesucher
Gottesdienstbesucher kath

Bereits 2009 hat Prof. Dr. Gert Pickel (Religions- und Kirchensoziologe an der Universität Leipzig) gefragt, ob dies nur ein finanzielles oder auch ein soziologisches Problem sei (Tagung „Kirche leer – was dann? 03.04.2009, Mühlhausen/Thüringen).

Ökonomische Notwendigkeiten führten zu Überlegungen, Kirchen als Wirtschaftsfaktor effektiver arbeiten zu lassen. Pickel ging von einem geringeren Zufluss öffentlicher Mittel aus, weniger Steuereinnahmen und steigenden Kosten. Davon ist in der Realität nur letzteres übrig geblieben.

Mitglieder Steuern Landeskirchen
Mitglieder Steuern Landeskirchen
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Mitglieder steuern kath

Doch Pickel sah auch den soziologischen Hintergrund: Seit Jahren übersteigen die Todesfälle die Geburtenanzahl, was bedeuten würde, dass die Bevölkerungszahl abnimmt. Doch auch dies stimmt so nicht generell. Anfang des Jahrtausends steigt die Bevölkerungszahl etwas, dann sinkt sie bis 2011 etwas stärker und steigt seitdem wieder, dies wird jedoch vor allem durch Zuwanderungen bewirkt. Inzwischen ist die Bevölkerungszahl aus dem Jahr 2000 überstiegen (2016: 82,5 Mio; 2017: 82,8 Mio). Doch die beiden großen Kirchen haben davon kaum profitiert. In den letzten 10 Jahren sind es 23 Prozent weniger evangelische Kirchenmitglieder und 9 Prozent weniger Katholiken geworden. Die Kirchenaustrittszahlen bleiben auf hohem Niveau (seit 2000 insgesamt fast 5,1 Mio Menschen).

Bevölkerung
Austritte kath ev

Ebenso sinken die Teilnehmer an den Kirchlichen Ritualen (Taufen, Kommunionen/Konfirmationen, Eheschließungen, christliche Bestattungen), die Gottesdienstbesucherzahlen sinken seit dem Jahr 2000 bei den Katholiken um 46 Prozent, bei den Evangelischen um 30 Prozent. Damit geht nur noch jeder 10. Katholik und nur jeder 28. Protestant zum Gottesdienst.

Umstrukturierung der Gemeinden

Die deutschen Bistümer und Landeskirchen begegnen dem Priester- und Pfarrermangel sowie dem Schwund der Gläubigen mit Umstrukturierungen der Gemeinden. Immer mehr Gebiete werden zusammengelegt, Verwaltungsaufgaben zentralisiert und versucht, das Gemeindeleben aufrecht zu erhalten. Nicht immer läuft dies problemlos ab, denn gewachsene Strukturen werden zerstört und die Gemeindeglieder fühlen sich in der „neuen“, großen und unübersichtlichen Gemeinde nicht wohl. Dies scheint ein „Teufelskreis“ zu werden, denn daraufhin verlassen wiederum Gemeindeglieder die Kirche ganz. Im Bistum Essen wurden beispielsweise die ehemals 259 Pfarreien zu 42 Großgemeinden zusammengelegt. Insgesamt wurden zwischen 2006 und 2016 2.241 katholische Gemeinden und 1.789 evangelische Gemeinden „eingespart“.

Kirchenmitglieder pro gemeinde
Änderung
kath kirchenmitglieder pro Pfarrei
kath Pfarreien

Bei den evangelischen Gemeinden hat diese Maßnahme nur flächenmäßige Auswirkungen, doch in einigen katholischen Gebiete gehören jetzt - wie beispielsweise in Essen - über 18.000 Menschen zu einer „Gemeinde“. Auch in den Bistümern Münster, Speyer und Hildesheim hat dies gravierende Ausmaße bezüglich der Anzahl der Gemeindeglieder angenommen.

Zudem bekommen z. B. in Essen mehr als 100 Kirchen keine Finanzmittel mehr, was letztlich heißt, dass sie als Kirchen verschwinden werden. Auch im Erzbistum Köln wurde seit 2004 der Etat stetig gesenkt, damit wurden Stellen abgebaut und ebenfalls große Pfarrgemeinschaften gebildet. Dort sind es 200 Gemeinden weniger, im Bistum Speyer 276 und im Bistum Münster sogar 324 weniger. Damit ist von dem vielgepriesenen „familiären“ Gemeindeleben nicht mehr viel übrig und die Gemeinden drohen auseinander zu fallen.

Da dies offensichtlich nicht der optimale Weg ist, gehen einige Bistümer andere Wege. Das Bistum Fulda zum Beispiel löste die Gemeinden nicht auf, sondern verband sie mittels eines Kooperationsvertrages und der Priester wird zum „Handlungsreisenden“, indem er von Gemeinde zu Gemeinde fahren muss.

Das Bistum Augsburg hat sich die „pastorale Raumplanung 2025“ einfallen lassen, um der demografischen Entwicklung, dem Priester- und Gläubigenmangel und dem Rückgang des hauptamtlichen Personals zu begegnen Hier wurden in den vergangenen Jahren 998 Pfarrkirchenstiftungen zu 203 Seelsorgeeinheiten zusammengeschlossen.

In den ostdeutschen Bistümern Dresden-Meißen und Görlitz sind zwar ebenfalls die Gemeinden zusammengeschlossen worden, doch der sonntägliche Gottesdienst wird immer noch in allen Kirchen gewährleistet. Aus vielen ehemals selbstständigen Pfarreien sind Tochtergemeinden größerer Seelsorgebereiche geworden, die teilweise weiter ihre eigene Identität pflegen.

Die Umstrukturierung hat die Diözese Rottenburg-Stuttgart seit 2008 bereits hinter sich. Man hat sich dort auf eine Kooperation in 282 Seelsorgeeinheiten geeinigt. Doch nicht jede der 1.037 Kirchengemeinden hat noch einen Pfarrer vor Ort. Hier soll die Idee der stärkeren Beteiligung von Laien an der Gemeindeleitung praktiziert werden. Dabei sollen die kirchenrechtlichen „Spielräume so stark wie möglich ausgenutzt werden“. Dieses Modell, der aktiven Förderung von engagierten Ehrenamtlern und Einbeziehung in die Gottesdienste, fand auch im Pastoralplan des Bistums Münster seinen Niederschlag.

Trennung von Kirchen

Schließung und Abriss von Kirchen ist kein neues Thema. Allerdings waren die Gründe für einen Abriss früher andere. Besonders in den Tagebaugebieten Deutschlands (Mitteldeutschland - Sachsen und Brandenburg sowie Rheinisches Braunkohlerevier in NRW) mussten deutschlandweit ca. 300 Dörfer und damit ihre Kirchen den Tagebauen weichen.

Seit Anfang des Jahrtausends werden von den Kirchen selbst Schließungen, Umnutzungen oder gar Abriss in Erwägung gezogen. Ob eine Kirchenschließungen immer nötig ist, hat auch der Bonner Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards Anfang dieses Jahres in Zweifel gezogen. Seiner Ansicht nach werden nicht alle Möglichkeiten vorab ausgenutzt.

Die Betrachtung der Kirchen ausschließlich unter dem Kosten-Nutzen-Faktor sei falsch. Der immaterielle Wert sei nicht zu unterschätzen. Mit dem Verschwinden der Kirche als christliches Wahrzeichen und Symbol in einem Ort, verschwinden auch die Menschen, die sich damit identifiziert haben. Bei Gemeindezusammenlegungen werden gerade von den älteren Gemeindmitgliedern andere Kirchen als Ersatz nicht akzeptiert und sie gehen nicht mehr hin. Doch auch Nichtchristen schätzen die Kirchen in ihren Wohnorten kulturhistorisch, achitektonisch oder/und kulturell als Besonderheit, die zu ihrem Lebensumfeld gehört.

Eine Nutzungserweiterung oder -änderung, zum Beispiel für Kunst und Kultur oder in Kooperationen mit karitativen Einrichtungen würde oft die finanzielle Frage klären.

Wenn man sich damit abgefunden hat, sich von einigen Kirchen zu trennen, wird eine akzeptable Weiternutzung diskutiert. Die Nutzung durch die Gemeinde/Kommune als Gemeinde- oder Versammlungsraum (Erhalt des sozialen Kontaktraumes) oder für Theater, klassische Konzerte und Ausstellungen bzw. auch eine Weiternutzung durch die Kirchen selbst als Bestattungsort u. ä. ist für viele weitestgehend denkbar. Doch schon die Weitergabe an andere Religionsgemeinschaften ist für einige nicht akzeptabel und völlig abgelehnt werden rein ökonomische Nutzungen oder die Umwandlung in Discos, Gaststätten, Wohnungen oder für Rockkonzerte. Aber auch diese Ansichten haben sich seit 2009 bis heute verändert. Bei der Nachnutzung wurden inzwischen viele Kompromisse akzeptiert und viel Neues gewagt. Besonders spricht man Vereine und Initiativen in Stadtteilen zur Unterstützung an. Doch immer noch als allerletzte Möglichkeit steht der Abriss. Dabei muss jeder Einzelfall sorgfältig geprüft werden. Sicherlich wird es wenig Widerstand gegen den Abriss einer baufälligen Kirche geben oder eines als Kirche genutzen Gebäudes, welches ursprünglich nicht als Kirche gebaut wurde.

Abriss eine Frage des Geldes?

Seit 2006 befasste sich Frau Dr. Christel Darmstadt (Restauratorin und Gründerin der Aktion „Rettet Bochumer Kirchen“ mit der Außerdienststellung von katholischen Kirchen im Bistum Essen. Sie hat den Prozess der Kirchenschließungen, der besonders in Essen sehr drastische Entscheidungen vorsah, vor der eigenen Haustür erlebt.

Das „Zukunftskonzept“ sieht vor, insgesamt 70 Millionen Euro einzusparen. Trotz steigender Kirchensteuereinnahmen (2005 bis 2015: + 65 Prozent) geht die mittelfristige Finanzplanung für die Folgejahre jedoch wieder von rückläufigen Kirchen­steuer­einnahmen aus. Die allgemeine Problemlage im Ruhrgebiet (wie auch in vielen anderen Gebieten Deutschlands) hat sich kaum verändert: anhaltend überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit, wachsendes Durchschnittsalter der Kirchenmitglieder, Abwanderung von Arbeitskräften aus dem Ruhrgebiet und die demographische Entwicklung.

Im FAQ zum „Zukunftskonzept des Bistums Essen“ heißt es 2008: „Die zukünftige Organi­sations­struktur der Seelsorge im Bistum Essen sieht 43 Pfarreien vor. In dieser Struktur gibt es Kirchen, die weder als Pfarr-, Gemeinde- oder Filialkirche benötigt werden. Im Etat der Pfarreien sind deshalb für diese Kirchen keine Finanzmittel mehr vorgesehen. Für diese Kirchen, die im zukünf­tigen Pastoral­konzept als Gottesdienstort funktionslos werden, wurde der Begriff „weitere Kirchen“ geprägt.“

Das Bistum Essen hat sich inzwischen von mehr als 105 nicht mehr benötigten Immobilien getrennt. Mehr als 30 wurden davon abgerissen. Auch das Bistum Münster hat sich von 55 Kirchen getrennt und bereits 24 abgerissen. Insgesamt hat sich die katholische Kirche über 500 Kirchen außer Dienst gestellt und über 130 abgerissen.

Im Bistum Magdeburg hatte man sich seit 1990 wirtschaftlich betätigt. Das Geld für die Sanierung von Gemeinderäumen und Kirchen, sowie den Bau und Unterhalt von Schulen und Kindergärten wollte man erwirtschaften und dafür wurde das Siedlungswerk St. Gertrud gegründet (ab 2002 die bistumseigene Gero AG). Ab 2006 wurde bereits klar, dass das wirtschaftliche Engagement der Gero AG nicht mit kirchlichen Interessen übereinstimmte. Doch erst Jahre später wurde das Ausmaß der Misswirtschaft deutlich. Die Verluste der Gero AG lassen sich kaum beziffern, wird aber auf etwa 45 Mill. Euro geschätzt. Für diese Verluste, die sich aus Geschäftsaktivitäten bei erneuerbaren Energien und Biotechnologie sowie aus Finanzgeschäften ergaben, muss das Bistum einstehen und dafür die Einnahmen aus den Kirchensteuern verwenden.

Die Evangelischen Kirchen scheinen einen anderen Weg zu bevorzugen. Auch dort wird mittlerweile über Kirchenschließungen und Umnutzung nachgedacht. 165 Kirchen sind davon betroffen, wovon bisher ca. 40 abgerissen wurden. Nach Auskunft der Evangelischen Landeskirchen wurden vorzugsweise erst einmal Gemeindehäuser eingespart. Die Kirchen bleiben trotz Wenig-Nutzung in den Orten erhalten. In einigen Fällen wurden die Gemeindehäuser in die Kirchen integriert, um sie weiter nutzen zu können.

Dennoch, an den Einnahmen der Kirchensteuern liegt es nicht. Trotz weniger werdenden Mitgliedern steigen die Einnahmen. Doch von den Gewinnen profitieren offensichtlich nicht die Gemeinden mit ihren Kirchengebäuden.

Zudem bekommen die Kirchen auch vom Staat Zuschüsse zur Erhaltung von Kirchengebäuden. Im Rahmen der Verwaltungsvereinbarungen mit den Ländern zur Städtebauförderung ermöglicht der Bund den Einsatz von Finanzhilfen nach Art. 15 für die Erhaltung von Ortsbild prägenden Gebäuden einschließlich Kirchengebäuden. Der Bund beteiligt sich mit bis zu 60 Prozent und das Land mit bis zu 40 Prozent an der Förderung. Außerdem besteht vielerort noch eine Kirchenbaulast, die die jeweiligen Städte/Gemeinden zu tragen haben. Doch auch hier engagieren sich die Länder bei ortsprägenden Bauten/Kirchen. Für ausgewählte kirchliche Denkmalobjekte trägt der Staat vertraglich festgeschriebene Baupflichten, die jedoch haushaltsmäßig immer wieder neu festgelegt werden müssen. Für besonders bedeutende Kirchengebäude werden diese im Rang nationalen Kulturerbes gewährt: So wurde etwa für den Kölner Dom ein eigener Staatsvertrag abgeschlossen.

Beispielsweise zahlt im Jahr 2017 der Freistaat Bayern für Kirchengebäude 31,2 Mio €, darunter 6,7 Mio € für die Erhaltung der Dome und 12 Mio € zur Erhaltung von kirchlichen Gebäuden (siehe Haushaltplan Freistaat Bayern 2017/2018). Der Haushalt von NRW sieht 2017 1,5 Mio € dafür vor. Das Land Baden-Württemberg zahlt 2016 pauschal 114 Mio € an beide Kirchen zzgl. Investitionskosten für besonders ausgewiesene Kirchen, im Rahmen der Denkmalpflege in Höhe von ca. 3 Mio €. Im Staatshaushalt 2017 sind insgesamt für den Anteil des Bundes und der Länder für Denkmalpflege 240 Mill € ausgewiesen.

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, wendet sich Anfang 2017 gegen den Abriss nicht mehr benötigter Kirchen in Deutschland. Der „Reichtum an Kirchbauten“ in Deutschland sollte auch aus kulturhistorischer Sicht bewahrt werden. Statt Kirchen abzureißen, sollte man auch den Mut haben, diese Baudenkmäler ungenutzt stehen zu lassen - trotz des Risikos des Verfalls.

(SFE)