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Religion in Lateinamerika

Anlässlich des aktuellen Papst-Besuches in Chile und Peru stellt sich die Frage nach den religiösen Veränderungen der letzten zwanzig Jahren zwischen 1995 und 2017.  Im Jahr 2017 gab es sieben Länder in der Region, in denen die katholische Religion nicht mehr dominant ist, 2013 waren es vier, 1995 bestand in allen Ländern noch eine katholische Mehrheit. In der Fixierung auf die erfolgreich missionierenden Evangelikalen wird übersehen, dass die Konfessionsfreien mittlerweile ebenso zahlreich sind.

Das Latinobarómetro ist eine jährliche öffentliche Meinungsumfrage, an der rund 20.000 Interviews in 18 lateinamerikanischen Ländern mit mehr als 600 Millionen Einwohnern teilnehmen.

Anlässlich des aktuellen Papst-Besuchs in Chile und Peru wurden Daten zur Religionssituation aufbereitet, sowohl für 2017 wie in Zeitreihen von 1995 bis 2017. Die Ergebnisse zeigen, dass rund die Hälfte aller Länder Lateinamerikas keine katholischen Mehrheiten mehr haben bzw. bald haben werden. Ebenso bemerkenswert ist der Anstieg der Zahl der Konfessionslosen, der sich 2017 auf insgesamt 18 Prozent beläuft.

Bewertung des Papstes / Vertrauen in die Kirche

In Chile vor allem sorgt der „Fall Karadima“ für grundsätzliche Kritik an der katholischen Kirche und dem Vatikan. Dabei handelt es sich um einen 2011 wegen Kindesmissbrauchs verurteilten Priester, der, so der Vorwurf, von fünf Bischöfen und dem Papst beschützt werde.

Insofern wurde die Frage nach der Bewertung des Papstes gestellt. (Frage: „Ich möchte, dass Sie die folgenden Führungskräfte auf einer Skala von 0 bis 10 bewerten, wobei „0“ bedeutet, dass Ihre Bewertung „sehr schlecht“ und „10“ „sehr gut“ ist. Oder wissen Sie nicht genug, um es zu sagen? Wie ist Ihre Bewertung für Papst Franziskus?“ (Mittelwerte)

Während im Durchschnitt der Länder Lateinamerikas der Papst (auf einer 0-10-Skala) den Mittelwert von 6,8 bekommt - was heißt, dass die positiven Bewertungen überwiegen - ist es in Chile nur eine 5,3 - er ist dort also umstritten.

Das die Bewertungen des Papstes und das Vertrauen in „Die Kirche“ zwei verschiedene Aspekte sind, darauf verweisen die Daten zum Vertrauen in die Kirche (bei der die beiden positiven Antworten von „Viel Vertrauen“ und „etwas Vertrauen“ zusammengefasst wurden).

Während die Menschen in Chile und Uruguay bei ihren deutlich negativen Bewertungen verbleiben, gehören die Menschen in Guatemala, Honduras und der Dominikanischen Republik, die den Papst mit am schlechtesten bewerten (unter 6,3), zu denen, die der Kirche das meiste Vertrauen entgegen bringen (mehr als 75 Prozent).

Die Zeitreihe hinsichtlich des Vertrauens in die Kirche von 1995 bis 2017 zeigt, dass „die Kirche“ generell an Vertrauen verloren hat.

Im gesamten Lateinamerika sind es Verluste von 11 Prozentpunkten, in Chile verringert sich der Wert schlagartigseit dem Jahr 2011 („Fall Karadima“) von 61 auf (in 2017) 36 Prozent.

Religionszugehörigkeiten

In der Beantwortung der (offenen) Frage: „Was ist Ihre Religion“ antworten in sieben der achtzehn erfassten Länder nur eine Minderheit, d. h. weniger als 50 Prozent, dass sie Katholiken seien.

Drei weitere Länder sind die nächsten Kandidaten: Brasilien (54 Prozent), Panama (55 Prozent) und Costa Rica (57 Prozent). Sofern es dazu kommt, wäre in zehn der achtzehn Ländern die katholische Dominanz nur noch Geschichte.

An Chile wird deutlich, wie sehr die Menschen nicht nur die Kirche, sondern auch die Religion verlassen haben. Obwohl nur noch 36 Prozent der Chilenen der Kirche vertrauen, sind noch 45 Prozent Katholiken. Daneben ist in Chile (nach Uruguay) der Anteil der Konfessionsfreien (38 Prozent) am zweihöchsten in Lateinamerika.

Die Stärke der Verluste der katholischen Kirchenmitglieder ist, bis auf Mexiko, für alle Länder Lateinamerikas in den vergangenen zwanzig Jahren feststellbar. 1995 gab es in allen Ländern noch katholische Mehrheiten, 2013 sind es vier Länder, 2017 sind es sieben Länder, in denen es keine Mehrheit der Katholiken mehr gibt. Den stärksten Rückgang (mehr als 30 Prozentpunkte) gab es in Honduras (-38) Nicaragua (-37) und Panama (-34).  In den Gruppe mit großen Verlusten (von mehr als 24 Prozentpunkten) befinden sich Chile (-29), El Salvador (-27), Brasilien (-25) und Costa Rica (-24), weshalb sie zu den Kandidaten gezählt wurden, die in absehbarer Zeit keine mehrheitlich katholische Bevölkerung mehr haben werden.

Der Rückgang der Anteile der Katholiken in Lateinamerika beträgt im Zeitraum 1995 bis 2017, also in rund zwanzig Jahren, 21 Prozentpunkte. In Chile verläuft diese Entwicklung bis 2011 auf einem parallelen, zehn Prozentpunkte niedrigerem Niveau, um dann noch geringer zu werden.


Konfessionsfreie / „Keine Religionszugehörigkeit“

Die Anteile der Menschen, die „keine Religionszugehörigkeit“ benennen, beläuft sich seit 2007 auf 10 Prozent und mehr und nähert sich (mit 18 Prozent) der 20-Prozent-Marke an.

Dabei zeigt sich, beinahe spiegelbildlich, dass die Länder mit einem Anteil der Konfessionsfreien von mehr als 20 Prozent, also mehr als einem Fünftel der Bevölkerung, auch diejenigen sind, die die geringsten Katholikenanteile aufweisen.

Für die Frage, ob sich die Entwicklungen stabilisieren oder sogar noch weiter auf eine Säkularisierung verstärken werden, lässt sich die plausible Vorhersage formulieren, dass sie sich verstärken werden. Während es hinsichtlich der Bildungsabschlüsse keine gravierenden Unterschiede gibt, sind die Konfessionsfreien deutlich jünger als die Katholiken und auch die Evangelischen. Sind bei den Katholiken 19 Prozent zwischen 16 und 25 Jahren und bei den Evangelischen 25 Prozent, so sind es bei denen, die keiner Religion angehören, 32 Prozent.

Folgerungen

Zwei Einschätzungen sollten vermutlich korrigiert werden, auch wenn es in den einzelnen Ländern unterschiedliche Entwicklungen gibt.

Zum einen, dass in Lateinamerika die Evangelikalen die Katholiken in Bedrängnis bringen, so wie 1994 als „Ankunft des evangelikalen Zeitalters“  beschrieben, oder noch 2014 „Massenexodus lateinamerikanischer Katholiken zu Evangelikalen“ bzw. 2015 „Wer glaubt wird reich“.

Zum anderen sind die Konfessionsfreien mittlerweile ebenso groß geworden (18 Prozent) wie die Evangelikalen, so dass die Katholiken in wenigen Jahren nicht mehr die Mehrheit stellen werden.

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Nachtrag, 18.01.2018

Dass PEW Research Center hat im November 2014 eine Studie über Lateinamerika veröffentlicht: „Religion in Latin America - Widespread Change in a Historically Catholic Region”.

Die Ergebnisse entsprechen weitgehend der 2017er Latinobarometre-Studie, allerdings drei Jahre früher. Ein Schwergewicht wird dabei auf den Vergleich Katholiken / Evangelikale gelegt.

(CF)