Religionen in der Schweiz: Muslime
fowid-Notiz: In den Ergebnissen der nationalen Umfrage der Schweiz zu „Sprache, Religion und Kultur 2019“ erscheinen die Befunde zu den Muslimen in der Schweiz auch für Deutschland beachtenswert. Sie weisen darauf hin – wie es auch bereits andere Studien festgestellt haben -, dass der Anteil der „konfessionsgebundenen Muslime“ deutlich geringer ist, als bisher von fowid angenommen wurde.
Seit Mitte Dezember 2020 liegt die Publikation des Bundesamtes für Statistik vor: „Religiöse und spirituelle Praktiken und Glaubensformen in der Schweiz. Erste Ergebnisse der Erhebung zur Sprache, Religion und Kultur 2019.“
„In der vorliegenden Publikation werden die ersten Ergebnisse der ESRK [Erhebung zur Sprache, Religion und Kultur] 2019 im Bereich Religion präsentiert und mit der vorangehenden Erhebung von 2014 verglichen. Anhand von Daten aus den Volkszählungen und der Strukturerhebung bietet sie im ersten Teil einen Überblick über die Religionslandschaft in der Schweiz und ihre Entwicklung in den letzten 40 Jahren. Ausserdem werden die heutigen religiösen bzw. spirituellen Praktiken und der Glaube analysiert.“
Im Kern dieser fowid-Notiz stehen die Befunde zu Religion, Religiosität und Religionspraxis der Muslime in der Schweiz. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung wird vom Schweizer Bundesamt für Statistik mit 5,3 Prozent angegeben, wobei unter diese Kategorie die sunnitischen, die schiitischen, aber auch die alevitischen und die sufistischen Gemeinschaften fallen. Zur Methodik der Untersuchung schreibt das Bundesamt für Statistik: „Die befragten Personen gehören zur ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren in Privathaushalten. Die Befragung fand zwischen Februar und Dezember 2019 statt und erfolgte auf Deutsch, Französisch oder Italienisch. […] 13.417 Personen haben an der Erhebung teilgenommen.“ Bezogen auf die Muslime handelt es sich also um 711 Befragte. Dies sind deutlich mehr als in vielen deutschen Umfragen mit 1.000 Befragten, unter denen sich nur rund 50 - 60 Muslime befinden, was unterhalb jeder Auswertungsmöglichkeit liegt.
Da die ethnische Zusammensetzung der Muslime in der Schweiz - vor allem Bosnier, Albaner und Türken – eine größere Ähnlichkeit zu den Muslimen in Deutschland aufweist als z. B. die Muslime in Frankreich (Algerier, Marokkaner und Afrikaner) oder zu den Muslimen im Vereinigten Königreich (Arabisch) sind die Befunde in der Schweiz auch eher geeignet, auf Verteilungen und Einstellungen von Muslimen in Deutschland zu schließen.
Teilnahme an Gottesdiensten
Die Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs gilt religionssoziologisch als ein wesentlicher Indikator für die tatsächliche Verbundenheit von Gläubigen, die sich zu einer Religion bekennen. Bei einem Vereinsmitglied, das niemals die Vereinstreffen besucht, spricht man von einer „Karteileiche“, im religiösen Bereich gelten diese Bekenntnisangehörigen zumindest als „passive Mitglieder“, das gilt für Deutschland ebenso wie für Europa. Die Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs wird dabei mit „mindestens einmal im Monat“ sehr gering angesetzt.
Für männliche Muslime gehört der Moscheebesuch am Freitag zu den wichtigsten religiösen Regeln:
„Der Freitag ist zweifellos der wichtigste Wochentag im Leben des Muslims. Es stellt den Tag der Zusammenkunft und des besonderen gemeinsamen Gebets dar. Kein anderes Gebot des Islams wird so penibel, selbst von denen, die sagen würden, dass sie eher wenig mit Religion zu tun haben, befolgt, wie das Freitagsgebet. […] So ist zum Freitagsgebet jeder freie Mann verpflichtet, der sich zu der Zeit nicht auf einer Reise befindet (mukim) und sonst keine der erlaubten Entschuldigungsgründe vorweisen kann. Frauen steht die Teilnahme daran frei, es obliegt ihrem eigenen Willen, ob sie daran teilnehmen wollen oder nicht. Zur Zeit des Propheten, aber auch heute, nehmen Frauen an diesem Gebet teil.“
Insofern ist jemand, der bekennt, er/sie sei Muslim/in und weniger als einmal im Monat in die Moschee geht, im religiösen Sinn kein „konfessionsgebundener Muslim“. Das gilt für die Muslime in der Schweiz für 45,8 Prozent („Nie in den letzten zwölf Monaten“) und 26,4 Prozent („zwischen einmal und fünfmal im Jahr“), zusammen 72,2 Prozent.
Häufigkeit des Gebets
Nun mag man einwenden, dass der Anteil der Frauen, die am Freitag die Moschee besuchen, geringer ist, da sie getrennt von den Männern sitzen müssen, das als diskriminierend erleben und deshalb auf einen Moscheebesuch verzichten.
Dieser Aspekt spielt bei dem Gebet, das auch privat verrichtet werden kann, keine Rolle. Zudem ist das rituelle Gebet, auch in seiner Häufigkeit, nicht dem Belieben des Gläubigen überlassen, sondern das rituelle Gebet ist die zweite der „Fünf Säulen des Islam“:
„Als Salah (namaz) bezeichnet man das islamische rituelle Gebet, das fünfmal täglich zu bestimmten Gebetszeiten festgeschrieben ist. Das rituelle Gebet folgt einem bestimmten Ablauf und körperlichen Haltungen (Stehen, Verbeugen, Niederwerfen) und unterscheidet sich gänzlich von einer Dua (Bittgebet). Beim rituellen Gebet wenden sich die Muslime in Richtung der Qibla (Gebetsrichtung nach Kaaba).“
Die täglichen, genauen Gebetszeiten werden dazu auf jeder muslimisch-religiösen Internetseite publiziert.
Ergebnis für die Muslime in der Schweiz ist es, dass 31,1 Prozent in den vergangenen zwölf Monaten niemals gebetet haben und 14,9 Prozent „zwischen einmal und elfmal pro Jahr“, zusammen 46,0 Prozent der Muslime in der Schweiz.
Die religiös-dogmatische Festlegung von „mehrmals am Tag“ wird nur von 13,5 Prozent der Muslime in der Schweiz befolgt.
Religiosität
Abseits dieser religiösen Praxis kann man sich dennoch subjektiv als „religiös“ verstehen, sozusagen als „gläubig ohne Praxis“. 62 Prozent der Muslime in der Schweiz, die auf die Frage: „Würden Sie sich selbst als religiöse Person bezeichnen?“ antworten mit „sicher“ (21,5 Prozent) bzw. „eher ja“ (40,6 Prozent). Dagegen bezeichnen sich 38 Prozent – hinsichtlich ihrer Religiosität - als „eher nein“ (27,1 Prozent) und 10,9 Prozent sagen „sicher nicht“.
Diese Befunde sind noch genauer mit Ergebnissen von Umfragen in Deutschland abzugleichen, aber es deutet sich an, dass der Anteil der „Kultur-Muslime“ – d. h. der Anteil der Personen, die sich zwar als Muslime bezeichnen und verstehen, dies aber nicht (mehr) religiös begründen -, der bisher von fowid mit 20 Prozent der Muslime angenommen wurde, auf 40 bis möglicherweise 50 Prozent zu erhöhen sein wird.
(CF)