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Unheilige Allianz 2.0

Ein altbekanntes Thema wird neu aufgelegt? Ja, der Text „Unheilige Allianz. Warum sich Staat und Kirche trennen müssen“ ist das neueste Buch des Theologen Thomas Schüller. Eine wichtige Thematik, die jedoch im Plaudern und Berichten über mediale Diskussionen vorrangig innerkirchlicher Themen verschenkt wird. Insofern ist es ein ‚alter Hut‘, der zu einer politischen Diskussion des Staat-Kirche-Verhältnis in Deutschland nichts Neues beiträgt.

Von Carsten Frerk. *

*) Dieser Text enthält auch Facetten der Selbstverteidigung.

Falls jemandem der Buchtitel „Unheilige Allianz“ bekannt vorkommen sollte, ist das richtig. Eine nur oberflächliche Internetsuche listet bereits 68.200 Nennungen zu diesem Begriffspaar. Laut „Redensarten-Index“ geht es dann von der „Gewalt und Religion – eine unheilige Allianz“, „Fußball, Sexismus und Homophobie – eine unheilige Allianz“ oder „Alle Jahre wieder drängt uns die unheilige Allianz aus Süßwarenfabrikanten und Blumenhändlern den Valentinstag auf – der Karneval für Verliebte, der romantische Stimmung zu einem festgelegten Datum und auf Knopfdruck einfordert. [u. a. m.]“ Also beliebige Redewendungen mit dem Tenor „nicht gut“.

Wenn aber ein vielgefragter Experte wie Dr. Thomas Schüller so etwas schreibt (Prof. und Direktor des Instituts für Kanonisches Kirchenrecht an der Universität Münster) - mit allein im Jahr 2023 (bis 14.10.2023) mehr als 100 Print- und Audiobeiträgen (zu Themen wie Vatikan, Synodaler Weg, Arbeitsrecht, Missbrauch, etc.) in den Medien, letztlich auch zu dem jetzt erschienenen Buch im WDR - dann ist das etwas sehr Spezifisches: Es geht um die Trennung von Staat und Kirche. Gefordert von einem katholischen Kirchenrechtler. Das aber ist ein alter Hut.

Bereits 1993 war in der Verleihungsurkunde zum Büchner-Preis an Karl-Heinz Deschner von dieser spezifischen Allianz die Rede:

„Der Kirchenkritiker Karlheinz Deschner ist am Sonntag in Darmstadt mit dem Alternativen Büchnerpreis geehrt worden. Deschner entlarve ‚mit eindringlicher Sprachkraft die unheilige Allianz der Mächtigen von Staat und Kirche‘, heißt es in der Urkunde. In seiner Laudatio nannte Horst Herrmann Deschner einen ‚Poeten heilloser Christlichkeit‘, dem noch kein ebenbürtiger Gegner erwachsen sei.“

Der Laudator, Horst Herrmann, ist (1971 – 1981) einer der Vorgänger von Thomas Schüller als Prof. für Kirchenrecht in Münster. Er galt zu seinen Lebzeiten als einer der profiliertesten Kirchenkritiker in Deutschland. Die Überraschung war groß und nur wenige haben es mitbekommen, als er in seinem letzten Buch forderte: „Befreit Gott von den Gläubigen! Eine Liebeserklärung an Gott“, Marburg 2015. Es sind also die gut meinenden Katholiken, die – in wessen Namen auch immer - ihre Kirche kritisieren. Darin hat er eine Ähnlichkeit mit Michael Hebeis, der das „Schwarzbuch Kirche“ (2010) verfasste, gleichsam eine Kurzfassung von Karlheinz Deschner: „Kriminalgeschichte des Christentums“. Michael Hebeis, ein gläubiger Katholik und Notar in Dresden, ist dabei der Auffassung, dass Atheisten überhaupt kein Recht hätten, sich mit Kirchenkritik zu beschäftigen. Das sei allerdings seine Pflicht und Aufgabe, als gläubiger Katholik, seiner Kirche - das Menschenwerk -, den Spiegel ihrer Unzulänglichkeiten und Fehler vorzuhalten, um sie zu Einsicht und Neuerung zu bewegen. So auch Thomas Schüller.

Das Buch „Unheilige Allianz“ behandelt in einzelnen Kapiteln: Kooperationen (Von der Kita bis zum Altenheim), Kirchliches Arbeitsrecht, Sexualisierte Gewalt, Staatsleistungen, Steuern und Vermögen, universitäre Theologie.

Zu mehreren Themen wäre etwas zu klären, so wenn Schüller im Kapitel „Geld und Moral, Steuern und Vermögen“ zur Kirchensteuer schreibt (S. 23 und 130), sie sei eingeführt worden, um staatliche Zahlungsverpflichtungen aus dem Reichsdeputationshauptschluss 1803 auf die Kirchenmitglieder abzuwälzen.

„Neben dem Verdacht unermesslichen Vermögens steht als Dauerbrenner natürlich auch die Kirchensteuer auf der Agenda der Kritiker der unheiligen Allianz von Staat und Kirche. Sie ist eine Erfindung der deutschen Staaten im 19. und frühen 20. Jahrhundert (1905 führte sie als letztes Land der Freistaat Preußen ein), um die finanziellen Verpflichtungen aus dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 auf die steuerpflichtigen katholischen und evangelischen Bürgerinnen abzuwälzen.“

Abgesehen davon, dass niemand die Kirchen eines „unermesslichen Vermögens“ verdächtigt hat – zu dessen Höhe der Kanonische Kirchenrechtler selber kein Wort sagt, dass aber vom Handelsblatt und Privatbanken (im Jahr 2018) „auf mehrere hundert Milliarden Euro“ geschätzt wird - werden im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 im Art. 35, den Fürsten die übertragenen Güter „der freien und vollen Disposition der jeweiligen Landesherrn“ überlassen, nicht zur „Kirchenfinanzierung“. Und: Warum gab es ein Bayerisches Konkordat von 1817, in dem die Finanzierung des hohen Klerus in Bayern vereinbart wurde, wenn das alles schon geregelt war?

So locker plaudernd geht es bei Schüller weiter, wenn der erste Satz des Kapitels „Staatsleistungen“ (117) lautet: „So regelmäßig wie Nessie aus Loch Ness taucht mindestens einmal im Jahr das eigentlich etwas dröge Thema der Staatsleistungen in den Medien auf.“ Dröge?

Der große Bogen liegt in der „Unheiligen Allianz“ jedoch bei den Sozialleistungen der Kirchen. Das beginnt in der Einführung (S.13), wenn Schüller von der Furcht des Staates schreibt, die kirchlichen Bildungs- und Sozialeinrichtungen übernehmen zu müssen, bis zum Letzten Satz des Schlusswortes (S. 193), in dem er schreibt, dass für den Staat und Gesellschaft ein „böses Erwachen vorprogrammiert“ sei, falls die Kirchen sich aus ihren Dienstleistungen zurückziehen müssten. Dieser Bereich soll deshalb im Folgenden etwas genauer betrachtet werden.

Realitätsbezug / Wissenschaftlichkeit?

Die wissenschaftlich angemessene Beschäftigung mit dem Verhältnis von Staat und Kirche im gegenwärtigen Deutschland bedarf auch einer möglichst genauen und evidenzbasierten Kenntnis der finanziellen Verflechtungen von Staat und Kirche. Wie geht Thomas Schüller damit um?

Die erste Anmerkung in seiner „Unheiligen Allianz“ charakterisiert den Tenor seines eigenen Buches und bezieht sich dabei auch auf das „Violettbuch Kirchenfinanzen“. Im Text schreibt er (auf Seite 12):

„Dies ist also nicht das Buch eines Aussteigers, der über dunkle Machenschaften seines ehemaligen Dienstgebers plaudert, auch nicht ein Buch in der Machart weltanschaulicher Pressure-Groups wie der Humanistischen Union oder der Giordano-Bruno-Gesellschaft, deren erklärtes Ziel die Abschaffung aller Privilegien der beiden Kirchen ist. Auch wenn es um das Thema Kirchenfinanzen und Kirchenvermögen gehen soll, ist es kein ‚Violettbuch Kirchenfinanzen‘1, sondern eine nüchterne Bestandsaufnahme noch immer fehlender Check-and-Balance-Standards bei der transparenten Verwaltung kirchlicher Finanzen, vor allem der man­gelnden staatlichen Strafverfolgung von Bischöfen und ihren engsten Mitarbeiterinnen, die mit Vermögen untreu umgehen, das nicht ihnen, sondern den Gläubigen gehört.“

Die Unwissenden, denen nicht bekannt ist, was Schüller mit der Aussage, „kein ‚Violettbuch Kirchenfinanzen‘“ meint, blättern dann auf Seite 195 (dort beginnen die Anmerkungen) und finden dort:

„1 Vgl. den Kirchenkritiker Carsten Frerk mit diesem und anderen Büchern in gleicher Machart, die objektive Wissenschaftlichkeit insinuieren, dann aber mit vielen Zahlen operieren, die einer Überprüfung eher selten standhalten.“

So what? Was bedeutet selten? Nur eine Zahl von Vielen der im Violettbuch veröffentlichter Zahlen hat seiner Überprüfung standgehalten? Oder 10 Prozent, oder wo hat Schüller zumindest mehr als 50 Prozent der veröffentlichten Zahlen widerlegt? Die Tatsachenbehauptung, dass die Zahlen nicht wissenschaftlich belegt und nur selten korrekt sind, wird noch nicht einmal ansatzweise, sei es auch nur mit einem Beispiel, begründet. Das ist starker Tobak und zudem unwissenschaftlich. „Machart“ weckt zudem mögliche Assoziationen zu “Machwerk“.

Diese Sichtweise hat Thomas Schüller bereits 2016 in seinem Beitrag: „Kirchenrechtliche Perspektiven für eine transparente Vermögensverwaltung der katholischen Kirche“ in dem Sammelband: „Geld, Gott und Glaubwürdigkeit“ geäußert, in dem er – ohne jegliche Begründungen – den beiden Recherchen/Büchern „Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland“ (2002) und „Violettbuch Kirchenfinanzen“ (2010) attestiert, dass diese den „angeblichen unglaublichen Reichtum der Kirchen zu Phantasiesummen hochrechnen“.

„Unabdingbar scheint schon jetzt zu sein, dass der Forderung nach mehr Transparenz in der Darstellung ihrer verschiedenen Vermögensträger und Vermögensmassen durch die Kirchen entsprochen wird, denn die Gläubigen haben ein Recht zu erfahren, wie die Kirche das ihr anvertraute Vermögen verwaltet. Transparenz entzöge auch denjenigen kirchenkritischen Autoren den Boden, die mit dem Mittel der Spekulation und Schätzung ‒ wie der Politologe Carsten Frerk – den angeblichen unglaublichen Reichtum der Kirchen zu Phantasiesummen hochrechnen und damit in den Medien auf offene Ohren stoßen.“

Diese Behauptungen lassen eher den Schluss zu, dass Thomas Schüller die genannten Bücher, in denen alle Zahlenangaben korrekt recherchiert und belegt sind, überhaupt nicht gelesen hat. Auch die Durchsicht der Literaturangaben in der „Unheiligen Allianz“ zeigt, dass seine Literaturkenntnisse begrenzt sind. In den Anmerkungen sind es großenteils ‚Zeitungsausschnitte‘ von Medienmeldungen zu aktuellen Diskussionen, im eigentlichen Literaturverzeichnis nennt er dann beispielsweise zum Kapitel „Staatsleistungen“ gerade einmal vier Titel und zum Kapitel „Geld und Moral, Steuern und Vermögen“ fünf Titel, alle von ihm selbst. Zum christlichen Lobbyismus und ihrer „wirkmächtigen Lobbyarbeit für die kirchlichen Interessen“ (S. 8) nennt er nur die Dissertation eines Münsteraner Universitätskollegen (dem Politologen Prof. Dr. Ulrich Willems) aus dem Jahr 1996, also vor 27 Jahren, obwohl es Literatur dazu ab den 1950er Jahren bis in die Gegenwart gibt.

Falls jemand daran interessiert ist: Sowohl das Buch „Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland“ kann ebenso wie das „Violettbuch Kirchenfinanzen“ kostenlos heruntergeladen werden. Ebenso wie „Caritas und Diakonie in Deutschland“ und die „Kirchenrepublik Deutschland“.

Zur Ausgangsthese von Thomas Schüller gehört (auf Seite 13) auch die Darstellung, dass die kirchliche Wohlfahrtspflege durch Caritas und Diakonie bei zurückgehenden Kirchensteuereinnahmen gefährdet sei.

„In den Bereichen Bildung (Schulen, Kitas), Krankenhäuser und Pflege (Altenheime und Einrichtungen für Menschen mit Behinderung), um nur die relevanten Sektoren zu nennen, können die Kirchen in der Bildungs- und Sozialpolitik immer noch erheblichen Einfluss auf die politischen Entscheidungen ausüben. Aber auch die Politik fürchtet parteienübergreifend den Tag, an dem sich die Kirchen auch wegen sinkender Kirchensteuereinnahmen aus diesen Bereichen zurückziehen, da dann die öffentliche Hand diese Staatsaufgaben übernehmen müsste, wenn nicht andere freie Träger zum Beispiel im Bereich der Wohlfahrtspflege einspringen können.“

Mit dieser Darstellung zeigt Schüller, der eine „nüchterne Bestandsaufnahme“ vorlegen will, dass er von der Gesamtthematik der finanziellen Verflechtungen von Staat und Kirche wenig Kenntnisse hat. Der Staat verzichtet, durch die komplette Absetzbarkeit der gezahlten Kirchensteuer von der zu zahlenden Einkommenssteuer – mit Hinweis auf die soziale Arbeit der Kirchen – auf derzeit rund 4,5 Mrd. Steuereinnahmen. (Vgl. 29. Subventionsbericht der Bundesregierung 2021-2024, S. 119). Im Jahr 2022 sind es 4,32 Mrd. Mindereinnahmen, 2023 sind es 4,48 Mrd. Euro. Diese bisher unbefristete „Begünstigung anerkannter Religionsgesellschaften und ihnen gleichgestellter Religionsgemeinschaften aus kirchen‑ und sozialpolitischen Erwägungen“ würde bei der von Schüller intendierten Trennung von Staat und Kirche ebenfalls gestrichen werden müssen. Das hieße, dass Bund und Länder 2023 rund 4,5 Mrd. Mehreinnahmen an Steuern hätten. Wenn der Staat nun alle Einrichtungen von Caritas und Diakonie in eigene Regie übernehmen würde/sollte, müsste er die bisher von den Kirchen bezuschussten rund 820 Mio. Euro (Vgl. Diakonie und Caritas in Deutschland, S. 313) selber übernehmen und hätte dennoch eine Mehreinnahme von rund 3,7 Mrd. Euro, die er in dringend benötigte Zuschüsse für Gesundheits- und Sozialeinrichtungen investieren könnte. Insofern ist die Darstellung von Thomas Schüller schlicht falsch.

Zudem wird die Bedeutung der Kirchensteuereinnahmen für die Kirchenfinanzen überbewertet. Laut der letzten kompletten Finanzstatistik der EKD aus dem Jahr 2014: „Werte mit Wirkung“ - die alle zehn Jahre erhoben wird -, belaufen sich die Einnahmen/Ausgaben auf 12,288 Mrd. Euro, von denen die Kirchensteuern 5,29 Mrd. Euro (= 43,1 Prozent) an Einnahmen beitragen. Für die katholische Kirche, die nichts Gleichwertiges vorlegt, dürften eine solche Statistik ähnlich sein. Falls sich also die Kirchensteuereinnahmen bis 2060 halbieren sollten, wäre das eine Verringerung um 20 Prozent der Einnahmen, nicht mehr und nicht weniger. Entsprechende Einsparungen – vor allem beim kirchlichen Personal der verfassten Kirchen - nicht bei Caritas und Diakonie – ließen sich ‚sozialverträglich‘ organisieren.

Schüller ist allerdings bekannt, dass in der Entwicklung von der „Heilskirche“ (in den 1950er Jahren) zur „Sozialkirche“ die Bedeutung von Caritas und Diakonie für das Ansehen der Kirchen wesentlich ist. So schreibt er (auf Seite 19)

„In den Gründerjahren von Caritas und Diakonie wurden Christinnen aus beiden Kirchen von sich aus aktiv, um Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts die größte Not anzupacken. Die Verelendung großer Bevölkerungsteile im Gefolge der kapitalistischen Industrialisierung, die hohe Kindersterblichkeit in Arbeiterfamilien, die mangelnde Schulbildung und Gesundheitsversorgung riefen nach tatkräftiger Hilfe. Erst viel später wurden diese Aktivitäten von den Amtskirchen offiziell anerkannt. Dieses Engagement, wirklich nah an der Grundurkunde des christlichen Glaubens, dem Evangelium, wird bis heute von vielen Menschen geschätzt, die sich ansonsten von den Kirchen enttäuscht abgewendet haben. Und entgegen mancher Vorurteile sind beileibe nicht alle Aktivitäten dieser christlichen Großorganisationen durch die sozialen Sicherungssysteme refinanziert.2“

Und wiederum ist die weitere Ausführung dazu in die Anmerkungen verschoben, in denen auf einen Artikel in der FAZ verwiesen wird.

„2 Rainer Hank, Die Caritas-Legende, in: FAZ vom 17.07.2023. Er schätzt den Eigenanteil der Kirchen, den sie nicht staatlich refinanziert bekommen, auf 10 Prozent ein. Schon diese 10 Prozent sind allerdings im absoluten Volumen nicht unerheblich. Rechnet man zudem die Instandhaltungskosten im baulichen Bereich zum Beispiel bei Schulen und Kitas mit ein, erhöht sich der kirchliche Anteil deutlich, der aus Kirchensteuereinnahmen getragen werden muss.“

Falsch zitiert ist es dennoch. Am 20.Juli 2023 schrieb Rainer Hank in der FAZ den Artikel: „Die Caritas-Legende“, wobei er erläutert: „Der Sozialstaat geht nicht unter, sollten die Kirchen untergehen. Er hat auch kein Finanzierungsproblem.“

„Systematisch würden beide Kirchen an vielen Orten Kindertagesstätten an die Kommunen zurückgeben müssen, ebenso Schulen und Pflegeeinrichtungen, klagt der Münsteraner katholische Kirchenrechtler Thomas Schüller. Dann müsse der Staat diese selbst betreiben, was zu Steuer- und Gebührenerhöhungen führen werde. »Der Glaube, man könne sich darüber freuen, dass die Kirchen zu Minderheitskirchen werden, hat den bitteren Nachgeschmack, dass das für die gesamte Bevölkerung teuer wird«, sagt Schüller.
Hier irrt der Theologe. Was viele nicht wissen: Die kirchliche Nächstenliebe speist sich nicht mit kirchlichem Geld, sondern zum weitaus größten Teil aus Zuwendungen des Staats (Subsidiaritätsprinzip), Gebühren der Kunden (Eltern, Pflegebedürftige, Kranke) und Spenden (Erbschaften). Ein katholischer Kindergarten erhält Mittel vom Staat und nimmt Preise von den Eltern. Das Gehalt der Kindergärtnerinnen wird zwar formal von der Kirche bezahlt, die sich dies aber beim Staat zurückholt. Dominik Enste, Leiter des Clusters Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, schätzt, dass maximal zehn Prozent der Finanzen der kirchlich getragenen Sozialindustrie von den Kirchen aufgebracht wird. Diakonie und Caritas managen ein Umsatzvolumen von rund 50 Milliarden Euro, wovon zwischen zwei und sechs Prozent von den Kirchen kommen.“

Der Journalist Rainer Hank hat selber nichts von 10 Prozent geschrieben, sondern Dominik Ernste vom Institut der Deutschen Wirtschaft zitiert, der das für die gesamte “kirchlich getragene Sozialindustrie“ schätzt. Für die Caritas seien es zwischen zwei und sechs Prozent.

Oder, wie es Horst Hermann in seiner „Caritas-Legende“ (bereits 1993) schreibt: „Und dennoch leben die Kirchen von der Legende, das soziale Gefüge bräche zusammen, wenn sie sich aus der Caritas zurückziehen müssten.“

Hier schließt sich der Kreis „Von Verhetzungspotenzial bis Caritaslegende: Die Kirchen und das Geld“ (20.04.2023, Steffen Zimmermann auf katholisch.de), mit einem Bericht über eine Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung. Dort hat sich Ursula Nothelle-Wildfeuer, Beraterin der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz und seit 2003 Professorin für Christliche Gesellschaftslehre an der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Freiburg, ebenfalls spezifisch geäußert. In ihrem Beitrag „Bezahlte Nächstenliebe“ nennt sie nicht nur einen falschen Autoren für die Formulierung der „Caritas Legende“, sondern verneint auch, dass es diese „Caritas Legende“ überhaupt gibt. Sie schätzt aber, im Jahr 2023, dass es sich bei der Finanzierung von Caritas und Diakonie durch Kirchenmittel „nur um einen prozentualen Anteil im kleinen einstelligen Bereich“ handele. Sie verschiebt dann das Thema der Refinanzierung in behauptete, moralische Qualitäten der kirchlichen Dienstleistungen. Frage: Was ist ein Betrag im „kleinen einstelligen Bereich“. Zwei, drei, vier…?

Und auch in seinem Schlusswort (letzter Satz, S. 193) betont Thomas Schüller noch einmal die Bedeutung von Caritas und Diakonie, die (falschen) fiskalischen Perspektiven und gibt die düstere Warnung eines „bösen Erwachens“.

„Und doch droht der unheiligen Allianz von Staat und Kirche in gar nicht so ferner Zukunft Ungemach. Schon 2030 wird durch den demografischen Wandel in der Altersstruktur der Kirchenmitglieder und die damit einbrechenden Kirchensteuereinnahmen der Kampf um inhaltliche Schwerpunkte entbrennen, an dessen Ende womöglich auch bisherige kirchliche Handlungsfelder zur Disposition stehen. Angesichts der weit verbreiteten Kleinstaaterei kirchengemeindlichen Denkens ist überhaupt nicht ausgemacht, dass die Kirchen so intensiv wie heute im Bereich der Pflege, der Krankenfürsorge und der Bildung werden aktiv bleiben können. Schon aus dieser nüchternen fiskalischen Perspektive ist es nötig, dass beide Seiten schon bald darüber ins Gespräch kommen, welche Konsequenzen die absehbaren Veränderungen für eine religionsfreundliche Verfassung nach sich ziehen werden. Geschieht das nicht, ist ein böses Erwachen vorprogrammiert.“

Dazu kann man dann schließlich nur noch sagen: „Schuster bleib bei deinem Leisten“, denke größer, studiere die realitätsgerechten Zahlen und lerne, korrekt zu zitieren.

Und: es könnte wohl dann ein „vorprogrammiertes böses Erwachen“ geben, wenn das Kirchenvolk – mit der geforderten Transparenz – erfährt, wie gering Caritas und Diakonie tatsächlich seitens der Kirchen finanziert werden. In einer Umfrage (Kirchenaustritt falls keine Sozialkirche?) antworten die Befragten auf die Frage: „Einmal angenommen, die Kirche würde von den Einnahmen aus der Kirchensteuer nur einen sehr geringen Teil oder gar nichts für soziale Zwecke ausgeben. Wäre das für Sie persönlich ein Grund aus der Kirche auszutreten oder wäre das für Sie kein Grund?“ Ergebnis: 47 Prozent der Kirchenmitglieder bekunden, dass sie dann aus der Kirche austreten würden, bei den Jüngeren sind es 61 Prozent.

Zum anderen zeigt sich, dass in der Bevölkerung keine Zustimmung mehr dafür vorhanden ist, dass die Kirchen Träger von Krankenhäusern oder Altenheimen sind. In der ALLBUS-Umfrage 2018 (Allgemeine Bevölkerungsumfrage 2018, Variablen Report, S. 579/580) wurde gefragt: „Es gibt unterschiedliche Meinungen dazu, wer bestimmte Dienstleistungen in Deutschland übernehmen sollte. Wer sollte Ihrer Meinung nach hauptsächlich für die Erbringung folgender Dienstleistungen zuständig sein: Gesundheitsversorgung von Kranken?“ Als Antwortmöglichkeiten waren vorgegeben: Staat / Private Unternehmen / gewinnorientierte Organisationen / Gemeinnützige Organisationen, Wohlfahrtsorganisationen, Genossenschaften / Kirchen, Glaubensgemeinschaften und religiöse Einrichtungen / Familie, Verwandte oder Freunde. (Es war nur eine Antwortmöglichkeit zulässig.) Für den Staat sprachen sich 80,2 Prozent aus, für die Kirchen 0,2 Prozent. Das gleich gilt für die Frage, wer für die Betreuung und Pflege von älteren Menschen. Nur 1,6 Prozent der Befragten sprachen sich für eine Zuständigkeit der Kirchen aus.

Das sind Aspekte einer Realität, die in dem Buch noch nicht einmal ansatzweise vorkommen.

Wie wenig Schüller sein Thema, dass „sich Staat und Kirche trennen müssen“, reflektiert und ernst nimmt, sei noch abschließend zum Kapitel „Frank und frei. Universitäre Theologie zwischen staatlicher Freiheit und kirchlicher Gängelung“ (S. 147-58) kurz erläutert. Er nennt die theologischen Fakultäten „religionspolitische Eigentümlichkeiten“ verkennt aber grundsätzlich, dass der demokratische Staat keine „cura religionis“ hat, ihm obliegt nicht die „Sorge der weltlichen Obrigkeit für den christlichen Glauben und das Kirchenwesen“, da er auf dem Grundsatz der Volkssouveränität (Art. 20 GG) beruht: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ und nicht von „Gottes Gnaden“. Abgesehen davon, dass man meinen kann „Theologie ist keine Wissenschaft“ - ist also generell fehl am Platz in den staatlichen Universitäten -, so ist die staatliche Finanzierung der Ausbildung von Theologen spezifischer Ausdruck der engen Verbindung zwischen Staat und Kirche in Deutschland, die Thomas Schüller ja eigentlich abzuschaffen gedenkt.

Er spricht zwar von einem „komplizierten Terrain“ (S. 149) und ebenso über die Bedingungen der missio canonica, den „akademischen Selbstmord“ (S. 150), wenn sich noch nicht beamtete Theologen nicht der Kirchendogmatik unterwerfen, das ist dann eine „faktische und rechtliche Ambivalenz“ (S. 151) in der Disziplinierung der Theologen durch den Klerus, schließt dann aber das Kapitel (S.156-158) mit einer längeren Betrachtung zu den Plänen des Kölner Kardinals Woelki, eine ‚eigene‘ Hochschule zu etablieren und warum das bisher scheiterte. Trennung von Staat und Kirche? Fehlanzeige.

Es kommt Schüller noch nicht einmal ansatzweise in den Sinn, dass seine eigene Professur in der Katholischen Fakultät grundgesetzwidrig ist, da er diese Stellung nicht nur bekommen hat, weil er Theologe ist, sondern – und vor allem – weil er katholisch ist. Im Grundgesetz Art. 3, Absatz heißt es dazu: „(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Seine Professur zum „Kanonischen Recht“ wird für die Ausbildung von Religionslehrerinnen und Religionslehrern nicht gebraucht.

Ebenso verstößt das „nihil obstat“ (Zustimmung kirchlicher Autoritäten zur Stellenbesetzung – auch von Religionslehrern) ebenso wie der mögliche Verlust der „missio canonica“ (Lehrerlaubnis) gegen GG Art 5, Absatz 3 in dem es heißt: „(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ Schüller würde, aufgrund des Beamtenrechts, zwar seine Professur – auf Lebenszeit – behalten, müsste aber auf die Suche gehen, welche Fakultäten ihn selbst und einen großen Teil der (im Jahr 2020) insgesamt 771 Professorinnen und Professoren an Theologischen Fakultäten – und dann zu welchen Konditionen - aufnehmen würden.

Darüber ließe sich ja sicherlich weiter plaudern.

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Thomas Schüller: „Unheilige Allianz. Warum sich Staat und Kirche trennen müssen.“ München: Carl Hanser Verlag, 2023. ISBN-13 978-3446277663, 208 Seiten, Euro 22,00.