Kirchenaustritte und Missbrauchsfälle: USA und Deutschland
In den USA hat das Gallup-Institut sowohl 2002 (Boston Globe Bericht über Missbrauch) als aktuell bei Katholiken nachgefragt, wie es – angesichts der Missbrauchsfälle - um ihre Mitgliedschaft stehe. Hauptergebnisse: Mehr Katholiken stellen ihre Mitgliedschaft in Frage als 2002. Es sind eher die nicht praktizierende Katholiken, die ihre Mitgliedschaft überdenken. 59 Prozent vertrauen auf die Priester in ihrer Kirche; 58 Prozent vertrauen auf Papst Franziskus. Für Deutschland gibt es ähnliche Hinweise für den Kirchenaustritt.
Gallup hat unter dem Titel „Many U.S. Catholics Question Their Membership Amid Scandal” die Ergebnisse einer Befragung aus dem Jahr 2002, als der Boston Globe Bericht über Missbrauchsfälle und Vertuschungsversuche an die Öffentlichkeit kam, und einer aktuellen Umfrage (Januar/Februar 2019) veröffentlicht. Es ist zwar nur eine schmale Datenbasis (581 US-Katholiken, was eine Schwankungsbreite von +/- 5 Prozent bedeutet), aber die Ergebnisse weisen trotzdem in eine Richtung. Die explizite Frage lautete: „Haben Sie persönlich – nach dem neuerlichen Bekanntwerden des sexuellen Missbrauchs junger Menschen durch Priester – darüber nachgedacht, ob sie in der katholischen Kirche bleiben werden oder nicht?“
„37 Prozent der US-Katholiken, gegenüber 22 Prozent im Jahr 2002, sagen, dass Nachrichten über den Missbrauch sie dazu gebracht haben, sich zu fragen, ob sie in der Kirche bleiben würden.
Die jüngsten Ergebnisse von Gallup zeigen, dass der aktuelle Skandal die US-Katholiken mehr trifft als derjenige von 2002, was ihre Gefühle für die Kirche betrifft. Es ist jedoch unklar, ob Katholiken, die ihre Kirchenzugehörigkeit in Frage stellen, tatsächlich beschließen werden, die Kirche zu verlassen. Viele Katholiken mögen erwägen, die Kirche zu verlassen, aber letztendlich beschließen, dies nicht zu tun, oder sie haben vielleicht nicht die Absicht zu gehen, sondern antworten einfach auf diese Frage, um ihre Frustration darüber auszudrücken, wie die Kirche mit dem Problem umgegangen ist. (…)
Erhebliche Minderheiten von praktizierenden und nicht praktizierenden Katholiken sagen, dass sie ihr Engagement für die Kirche in Frage stellen - aber, wie zu erwarten ist, werden diejenigen, die sich weniger für ihre Religion einsetzen, sie eher in Frage stellen. Während 46 Prozent der Katholiken, die selten oder nie die Kirche besuchen, sagen, dass sie sich gefragt haben, ob sie in der Kirche bleiben würden, sagen 37 Prozent derjenigen, die mindestens einmal monatlich die Kirche besuchen und 22 Prozent, die wöchentlich in die Kirche gehen, dasselbe.
Das gleiche Muster gab es 2002, obwohl sowohl praktizierende als auch nicht praktizierende Katholiken jetzt eher als 2002 ihren Platz in der Kirche in Frage stellen. Vor siebzehn Jahren überprüfte nur jeder achte wöchentliche Kirchgänger seine Mitgliedschaft, ebenso wie 24 Prozent der halbwegs regelmäßigen und 29 Prozent der seltenen Kirchgänger.“
Es gibt keine signifikanten Unterschiede nach Alter oder Geschlecht in den Anteilen der Katholiken, die ihre Kirchenzugehörigkeit in Frage stellen.
„Inmitten des jüngsten Skandals sagt eine Mehrheit der Katholiken, dass sie entweder sehr viel (40 Prozent) oder ziemlich viel Vertrauen (18 Prozent) in Papst Franziskus haben. Ähnliche Prozentsätze sind von den Priestern in ihrer Kirche überzeugt (41 Prozent sehr viel, 18 Prozent ziemlich viel). Katholiken sind weniger zuversichtlich gegenüber Priestern in den USA im Allgemeinen und gegenüber US-Bischöfen und anderen katholischen Führern. Etwa jeder vierte US-Katholik sagt, dass er sehr wenig oder gar kein Vertrauen in diese beiden Gruppen hat. Jeder Achte hat wenig oder gar kein Vertrauen in Papst Franziskus oder seine eigenen Priester.
Katholiken, die wöchentlich die Kirche besuchen, haben das größte Vertrauen in all diese Kirchenführer, seltene Kirchgänger sind am wenigsten zuversichtlich. Die größten Vertrauenslücken treten in Bezug auf die Priester in ihrer eigenen Kirche auf – 86 Prozent der wöchentlichen Kirchenbesucher vertrauen auf ihre eigenen Priester vor Ort, verglichen mit 39 Prozent derjenigen, die selten oder nie die Kirche besuchen. Die Lücken sind in Bezug auf Papst Franziskus am geringsten: 18 Prozentpunkte trennen die am meisten engagierten (68 Prozent) und am wenigsten engagierten Katholiken (50 Prozent).“
Fazit: „Während es ungewiss ist, wie viele der 37 Prozent der US-Katholiken, die sagen, dass sie den Verbleib in der Kirche in Frage stellen, tatsächlich als Reaktion auf den jüngsten Sexmissbrauchsskandal gehen werden, ist jeder Verlust von Anhängern sicherlich keine willkommene Nachricht - besonders wenn die Kirche mit größeren gesellschaftlichen Trends zu tun hat, die sich von der formalen Religion entfernen. Ein Rückgang der Zahl der Katholiken wäre besonders problematisch, wenn er von praktischen Fragen wie der Art und Weise getrieben würde, wie Kirchenführer auf einen Skandal reagierten, und nicht von grundlegenden geistlichen Fragen wie Meinungsverschiedenheiten mit der kirchlichen Lehre oder Kirchenmitgliedern, die ihren Glauben als unerfüllt empfanden.
Deutschland
Für Deutschland sind bisher keine derart expliziten Umfragen bekannt, die die Auswirkungen des Umgangs der Kirchenhierarchie mit den Missbrauchsfällen untersucht. Es gibt jedoch Hinweise, dass es entsprechende Reaktionen gibt.
Wie „Christ&Welt“ recherchiert hat, sind in Deutschland die Kirchenaustrittszahlen 2018 in den Großstädten gegenüber 2017 um 17 Prozent angestiegen. Im Vorjahr 2017 waren es gegenüber 2016 nur 3 Prozent.
Auf dem Austrittsformular dürfen keine Zusätze geschrieben werden, also auch keine Gründe für den Austritt. Die Rechtspflegerin am Kölner Amtsgericht und ihre Kolleginnen, die für die Kirchenaustritte zuständig sind, brauchen jedoch gar nicht zu fragen, die Austrittswilligen erzählen von sich aus, warum sie gehen. Auch wenn kein direkter Zusammenhang zwischen Missbrauchsfällen und Kirchenaustritt belegt werden kann, weisen die Berichte der Mitarbeiterinnen vor Ort in diese Richtung. Immer, wenn sie von einem neuen Skandal hören, wissen sie am Amtsgericht: „Am nächsten Tag wird es voll.“
Da einige der Amtsgerichte bzw. Rathäuser nicht nach Kirchenmitgliedern trennen, sind die Zahlen für beide Kirchen zusammen dargestellt. Aber für Köln lässt sich berichten, dass bei einem Anstieg von insgesamt 24 Prozent Kirchenaustritten die rein katholischen Austritte darüber lagen, mit 30 Prozent Steigerung gegenüber 2017.
In einer wissenschaftlichen Kirchenaustrittsstudie des Bistums Essen aus dem Jahr 2017, heißt es zu den zentralen Ergebnisse der Studie u.a.:
- „Es gibt einen Zusammenhang zwischen Kirchensteuer und Kirchenaustritt, die Kirchensteuer ist dabei jedoch eher Auslöser als tatsächliche Ursache für einen Kirchenaustritt. Die wesentlichen Gründe für Kirchenaustritte sind ‚Entfremdung‘ und ‚fehlende Bindung‘.
- Entscheidend ist aus Sicht der Studie zudem das ‚Erscheinungsbild der Kirche‘, das mit einer ‚nicht mehr zeitgemäßen Haltung‘ verbunden ist. Die Kirche müsse massiv an ihrem Image von Rückschrittlichkeit arbeiten, wenn sie Austritten entgegenwirken wolle. Dabei dürfe es – etwa in den Bereichen Macht- und Hierarchiewahrnehmung sowie Sexualmoral – nicht nur um die ‚Verpackung‘ gehen, sondern um den eigentlichen Inhalt, zum Beispiel beim Umgang mit Homosexuellen oder wiederverheirateten Geschiedenen.“
In einer YouGov-Umfrage (im Auftrag der dpa) Anfang Februar 2019 zum Missbrauchsskandal nimmt eine Mehrheit der Deutschen der katholischen Kirche ihre Aufklärungsbeteuerungen nicht ab. 59 Prozent sagen, sie glaubten nicht, dass die Kirche aktiv darum bemüht sei, den Skandal um sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen aufzuarbeiten und eine Wiederholung zu verhindern. 23 Prozent glaubten es dagegen schon, und 18 Prozent machten keine Angaben.
(CF)