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Nichteheliche Geburten in Europa: 1960-2018

Innerhalb von zwanzig Jahren hat sich der Anteil der nichtehelichen Geburten in Europa bald verdoppelt und beträgt 2018 rund 42 Prozent aller Geburten. Die Spannweite ist dabei erheblich: zwischen 60 Prozent in Frankreich und 11 Prozent in Griechenland. Am Rande der EU sind es 71 Prozent in Island und 3 Prozent in der Türkei. Die Gründe dafür sind unterschiedlich, wobei der Einfluss der Religiosität nicht unerheblich ist.

In Fortschreibung der fowid-Ausarbeitung zu den nichtehelichen Geburten bis 2015 zeigen die Eurostat-Daten bis 2018 ein weiter zu untersuchendes Phänomen: Die Anteile der nichtehelichen Geburten haben seit dem steilen Anstieg in den 1970er bzw. 1990er-Jahren anscheinend eine ‚Sättigungsgrenze‘ erreicht, die zwar national unterschiedlich hoch ist, sich aber in der letzten Jahren nur noch wenig verändert.

In den 1970er Jahren beginnt die Entwicklung in Schweden (18,6 Prozent auf 47,0 in 1990) und in Dänemark (11,0 auf 46,4 Prozent). Dabei spielt die Familienpolitik in Schweden und in Dänemark eine Rolle. Stichworte sind evangelisch, finanzielle Förderung der Individualität und hohe Erwerbsquote der Frauen.

1990 hat dieser Trend die meisten Staaten in Europa erfasst und bis 2015 steigen die Anteile. Seitdem stagnieren die Anteile auf dem jeweiligen nationalen Niveau.

Eine Sortierung (Bezugsjahr 2016) nach Höhe der Anteile gibt einen Hinweis auf ein religiöses Umfeld, wobei jede eindimensionale Sichtweise unangebracht ist.

Auf Deutschland bezogen werden die unterschiedlichen Anteile zwischen den östlichen und den westlichen Bundesländern und ihren Landkreisen deutlich. Alle östlichen Landkreise haben einen über 50 Prozent liegenden Anteil der nichtehelichen Geburten an allen Lebendgeborenen, von den Landkreise im Westen haben alle einen Anteil von unter 50 Prozent.

Der Ost-West Unterschied ist jedoch nicht nur ein religiöser, sondern auch ein sozio-ökonomischer. Zudem stellt sich in den westlichen Landkreisen ein Nord-Süd-Gefälle dar. Die Landkreise in Schleswig-Holstein haben höhere Anteile als die Landkreise inmitten von Baden-Württemberg und Bayern.

Zu den Ursachen für diese Unterschiede haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Demografische Forschung 2009 „Nichteheliche Geburten im regionalen Vergleich“ für Deutschland untersucht und 2017 in einer Untersuchung „Wer geht noch vor den Traualtar?“ in einem internationalen Datenabgleich für 16 Länder den Anteil der nichtehelichen Geburten, die Religiosität, die ökonomische Autonomie der Frauen und die Arbeitslosigkeitsrate ermittelt.

Zu den Ergebnissen schreiben die Forscher, dass es nicht nur eine Erklärung gibt, sondern ökonomische, staatliche Maßnahmen und kulturell-religiöse Faktoren.

„Bisherige Studien zum Anstieg nichtehelicher Geburten kommen im Wesentlichen zu zwei Erklärungen, die sich auf den ersten Blick widersprechen. Einige Wissenschaftler halten den Anstieg für eine fortschrittliche Entwicklung, die etwa durch die zunehmende wirtschaftliche Selbstständigkeit von Frauen und eine stärkere Individualisierung getragen wird. Ist eine Frau von ihrem Partner wirtschaftlich abhängig, bietet die Ehe eine finanzielle Absicherung, wenn es zu einer Trennung kommt oder der Partner stirbt. Solche ökonomischen Aspekte der Eheschließung verlieren aber an Bedeutung, wenn beide Partner voll erwerbstätig sind und es staatliche Unterstützungsleistungen für Einzelpersonen gibt, die in Notsituationen geraten sind. Parallel dazu wenden sich viele Menschen von traditionellen und religiösen Normen ab, denen zufolge Geburten in der Ehe erfolgen sollten.“

Weitere Untersuchungen dazu werden notwendig sein. Einerseits scheint sich die Analyse eines säkularen Philosophen aus seinem Frühwerk in den Ländern Europas zu bestätigen.

„In der gegenwärtigen Situation scheint das althergebrachte Modell der lebenslangen Monogamie, das Modell der „Heiligen Familie“, zu einem Auslaufmodell zu werden. An die Stelle des ideologisch und ökonomisch verriegelten Ehekäfigs sind neue Beziehungsmodelle getreten, die ihrerseits in der Geschichte immer wieder erprobt wurden und den Liebeswütigen der Jetztzeit zur Verfügung stehen: Das Modell der seriellen Monogamie, das Modell der Haremsbildung, das Modell der polygamen Austauschbeziehung, das Modell der offenen Ehe sowie das Modell des Intimnetzwerkes.“

Andererseits wäre unter dem Gesichtspunkt einer möglichen ‚Anteilssättigung‘ – auf unterschiedlichen nationalen Niveau - zu fragen, welche Faktoren diese Entwicklung beeinflussen.

(CF)