Religiöse Diskriminierung an Berliner Schulen?
Fowid-Statistikbeobachter: 2021 veröffentlicht die staatlich finanzierte „Anlauf- & Fachstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen“ (ADAS) in Berlin zwei Berichte mit Daten zur Diskriminierung an Berliner Schulen, genauer, muslimischer Schülerinnen und Schüler. Die Datenbasis ist zwar grotesk, hindert die beteiligten Wissenschaftler jedoch nicht an detaillierten Auswertungen und politischen Schlussfolgerungen.
Von Carsten Frerk
1. Vorbemerkung
2. Diskriminierung an Berliner Schulen
3. Diskriminierungserfahrungen muslimischer Jugendlicher in Berliner Schulen
4. Netzwerk
5. Fazit
1. Vorbemerkung
Die „Anlaufstelle Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS)“ ist seit 2016 ein Projekt des life e. V. in Berlin „zur Entwicklung eines effektiven Beschwerdemanagements gegen Diskriminierung an Schulen“. Die Arbeit der vier Mitarbeiterinnen wird durch die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie gefördert. Die Arbeit dieses Projektes wird durch einen Fachbeirat begleitet, dem durchaus auch bekannte Personen aus Wissenschaft und Verwaltung angehören.
„Çiğdem İpek, Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration / Meinhard Jacobs, Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, Leitung Schulaufsicht Neukölln, a.D. / Prof. Barbara John, PARITÄTISCHER Wohlfahrtsverband, Beirat der Antidiskriminierungsstelle des Bundes / Ariane Solki/ Lorenz Korgel, Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung (LADS) des Berliner Senats / Sybille Volkholz, Ehemalige Bildungssenatorin Berlin / Prof. Dr. Dr. Joachim Willems, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg / Dr. Michael Wrase, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Universität Hildesheim / Conny-Hendrik Schälicke, Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie / Nina Mühe, CLAIM. Bundeszentraler Träger im Themenfeld „Prävention von Islam- und Muslimfeindlichkeit und Empowerment von Betroffenen“ / Nathalie Schlenzka, Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) / Prof. Dr. Karim Fereidooni, Ruhr-Universität Bochum / Dr. Mehmet Alpbek, Bundesgeschäftsführer FÖTED-Föderation Türkischer Elternvereine in Deutschland, Vorstand Bundeselternnetzwerk d. Migrantenorganisationen (bbt).“
Ursprünglich hieß es als Pilotprojekt „Antidiskriminierung und Diversity an Schulen“ (ADAS).
„Das Pilotprojekt wird von 2015 bis 2018 in Berlin durchgeführt. Ziel des Projektes ist die Einrichtung zunächst lokaler und dann landesweiter Beschwerdemöglichkeiten für Personen, die im Schulkontext Diskriminierung erfahren haben.“
In der Selbstbeschreibung sieht sich ADAS als eine Art Vorzeigeprojekt.
„ADAS gilt inzwischen als ein interessantes Modell für andere (Bundes-)Länder, das Beachtung findet: So wurde ADAS beispielsweise bei einer Expertenrunde der Berliner Landeszentrale für politische Bildung, dem Bundespräsidenten, Frank-Walter Steinmeier und dem regierenden Berliner Bürgermeister, Michael Müller, als eines von fünf innovativen Projekten vorgestellt. Auch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Annette Widmann-Mauz, besuchte ADAS als eines von drei vorbildhaften Projekten. Zudem wurde das Projektteam eingeladen, die Arbeit von ADAS bei der Kultusministerkonferenz (KMK) vorzustellen. Und über Deutschland hinaus wurde ADAS vom European Forum for Urban Security im Rahmen des Projekts Just & Safer Cities als ein europäisches Best-Practice-Projekt ausgewählt.“
Es lassen sich also korrekte wissenschaftliche Standards in der Erfassung und Aufarbeitung empirischer Daten zur Thematik der Diskriminierung erwarten.
2021 hat ADAS u. a. zwei Publikationen vorgelegt, die beide auf empirischen Daten beruhen und insofern einen evidenzbasierten Zugang zur Thematik der Diskriminierung an Schulen darstellen und vor allem, in der zweiten Publikation, die Diskriminierung von muslimischen Schülern aufgrund ihrer Religion thematisieren. Das eine ist (Juni 2021) der Bericht: „Diskriminierung an Berliner Schulen: Monitoringbericht der Anlaufstelle Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS) für die für die Jahre 2018, 1019, 2020.“ Das andere ist (im November 2021) der Bericht von Aliyeh Yegane, Joachim Willems und Joshua Moir: „Religion und Glauben an der Schule. Diskriminierungserfahrungen muslimischer Jugendlicher in Berliner Schulen.“
2. Diskriminierung an Berliner Schulen
Zur Diskriminierung an Berliner Schulen gibt es von der ADAS-Projektleiterin bereits 2020 eine Art Vorbericht: Aliyeh Yegane Arani „Die multireligiöse Schule als Ort von Diskriminierung.“ Im Juni 2021 wird der Bericht: „Diskriminierung an Berliner Schulen: ADAS berichtet. Monitoringbericht der Anlaufstelle Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS) für die Jahre 2018, 1019, 2020.“ publiziert. Das ist der Kernbereich der ADAS-Arbeit, die sich unter dem Motto: „Meld dich! Mach was!“ als Anlaufstelle definiert.
Die Zahlenabgaben zu den Meldungen sind uneinheitlich, ohne dass erläutert wird, in welchem Zusammenhang sie zueinanderstehen und ob sich um Schuljahre oder Jahre bezieht, was bei der Summenbildung dann eigentlich egal ist, die wiederum unterschiedlich sind.
Nach Tabelle 1 sind es insgesamt 959 Meldungen, nach Abbildung 1 sind es 418 Meldungen und in einer weiteren Darstellung (auf S. 22) sind es 393 Meldungen.
Tabelle 1 enthält die bei der Bildungsverwaltung folgende Diskriminierungsmeldungen (Abwertungen, Ungleichbehandlungen, Beleidigungen, fehlende angemessene Maßnahmen, Gewalt, usw.) an Schulen. Abbildung 1 die Meldungen, die bei ADAS direkt eigegangen sind.
Es wird einleitend erläutert, warum diese Daten nicht repräsentativ sind. Das läge u. a. am fehlenden Rechtsbewusstsein, fehlenden schulischen Strukturen und Angst vor Benachteiligung. Am stärksten jedoch sei die Konkurrenz verschiedenster, staatlich geförderter Anbieter.
„Ein Teil der Betroffenen, der im Rahmen der Beschwerdestrukturen an der eigenen Schule nicht weiterkommt, bevorzugt, sich direkt an die jeweils zuständige bezirkliche Schulaufsicht oder das SIBUZ zu wenden. Anderen Betroffenen liegt es näher, eine Melde- oder Beratungsstelle eines Verbandes oder einer Selbstorganisation der eigenen Gemeinde oder Community aufzusuchen, wie beispielsweise das
Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (ADNB), das
Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit des islamischen Vereins Inssan e. V.,
das Community-basierte Projekt Each One Teach One (EOTO) e. V., das sich für die Interessen
Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen einsetzt,
Amaro Foro e. V., das die Interessen der jugendlichen Rom:nja in Berlin vertritt oder und von
OFEK e.V., der Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung des
Kompetenzzentrums für Prävention und Empowerment der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland.
Schüler:innen und pädagogische Fachkräfte, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung Diskriminierung in den Schulen erleben, können sich u. a. an das
Jugendnetzwerk Lambda Berlin-Brandenburg e. V., die
Inter-Trans-Beratung Queer Leben, ABqueer e. V., GLADT e. V., das
Projekt Miles des LSVD oder an
QUEERFORMAT Fachstelle Queere Bildung wenden.“
Aber auch in Kenntnis der nicht möglichen Verallgemeinerungsfähigkeit dieser Daten wird dann umfangreich ausgewertet nach „Die Diskriminierungserfahrungen welcher Gruppe werden gemeldet?“, „Wer diskriminiert?“, „Wer meldet diese Diskriminierungen?“, „Verteilung der Diskriminierungsmeldungen auf die verschiedenen Schulformen“, u. a. m.
Die Frage, wozu das gut sein soll, wird sich nicht gestellt. Die Frage, ob bei den geringen Fallzahlen ein Projekt wie ADAS überhaupt notwendig ist, ebenfalls nicht. Zudem sind, wie bereits erwähnt, in dieser Beratungsbranche gegen Diskriminierung bereits seit längerer Zeit zwei ebenfalls muslimische Akteure tätig: (Teilweise) Das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (ADNB) sowie (komplett) das Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit des islamischen Vereins Inssan e. V. Wozu also ein drittes Projekt, wenn es so geringen Anklang findet?
3. Diskriminierungserfahrungen muslimischer Jugendlicher in Berliner Schulen
Während die erste Studie in Abhängigkeit zu den Meldungen bzw. Wünschen nach Beratungen bei Diskriminierung steht, was ADAS nicht von sich aus ohne weiteres weiter ausbauen kann, hat die zweite Publikation von Aliyeh Yegane, Joachim Willems und Joshua Moir: „Religion und Glauben an der Schule. Diskriminierungserfahrungen muslimischer Jugendlicher in Berliner Schulen.“ eine eigenständige empirische Studie zur Grundlage, liegt also in voller Verantwortlichkeit von Life e. V. / ADAS und den beiden weiteren Wissenschaftlern, die als Autoren mit benannt sind.
„Zwischen September 2019 und September 2021 führt ADAS in einem interdisziplinären Team zusammen mit Prof. Dr. Dr. Joachim Willems, Professor für Religionspädagogik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Joshua Moir, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand im Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Trier, eine quantitative Studie zu den Erfahrungen von muslimischen Schüler:innen an Berliner Schulen durch. Hierzu wurden zwischen September 2019 und Januar 2021 mittels eines standardisierten Fragebogens 274 muslimische Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 14 und 27 Jahren in Berlin befragt.“
Eines der Ergebnisse dieses „interdisziplinären Teams“ sind fünf Logos, die auf dem Titelblatt der Studie abgebildet sind: die Logos von ADAS und dem LIFE e.V., die Logos der Universität Oldenburg und der Universität Trier sowie der Lotto-Stiftung Berlin. Die Logos von ADAS, der Universität Oldenburg und der Universität Trier stehen dann auch im Kopf jeder Seite des Berichts. Das ist absolut ungewöhnlich. Soll es der Studie die Basis einer soliden wissenschaftlichen Qualität mitgeben?
Gleich einleitend wird geschrieben (S. 3 f.), dass die Studie nicht repräsentativ ist.
„Die Studie erhebt nicht den Anspruch, repräsentative Daten über muslimische Schüler*innen vorzulegen. Um für diese Gruppe überhaupt repräsentative Daten erheben zu können, fehlt es an einer trennscharfen Bestimmung der Grundgesamtheit, da: a) umfassende Daten über die Anzahl muslimischer Kinder und Jugendlicher an Berliner Schulen fehlen und b) die Definition, wer als Muslim*in bezeichnet werden kann, höchst umstritten ist.
Vor diesem Hintergrund werden hier Jugendliche befragt, die sich selbst als muslimisch definieren und ihren Glauben im Rahmen islamischer Gemeinden leben. Mit Blick auf die Frage nach Diskriminierungserfahrungen, die aufgrund von Religion (Glauben und religiöser bzw. religiös motivierter Praxis) gemacht werden, ist diese Gruppe von besonderer Bedeutung, da bei ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass sie in der Regel ihre Religion tatsächlich praktizieren und damit verbunden Erfahrungen mit Diskriminierung machen. Zudem ist auch zu vermuten, dass für diese Jugendlichen ihre Religion bzw. Möglichkeiten der Religionspraxis von besonderer Bedeutung für die eigene Identität ist. Damit verbunden ist eine erhöhte Wahrnehmung und Sensibilität für (negative) Reaktionen auf ihre religiöse Visibilität und Identität und diesbezügliche Diskriminierungserfahrungen.“
Das ist für das Forschungsteam aber kein Hinderungsgrund, die Fragebögen auszuwerten und Ergebnisse zu publizieren, ganz im Gegenteil, zu behaupten, sie können dennoch belastbare Auskunft geben:
„Auch wenn die erhobenen Daten nicht repräsentativ sind und diesen Anspruch auch nicht haben, können sie dennoch belastbare Auskunft über das Erleben des Umgangs mit religiöser Vielfalt sowie über Häufigkeit und Verbreitung von Erfahrungen mit Ausgrenzung und Diskriminierung aufgrund der muslimischen Religionszugehörigkeit und hier auftretende struktureller Muster an Berliner Schulen geben. Ein direkter Rückschluss auf die Häufigkeit von islambezogener Diskriminierung in Schulen ist damit nicht möglich, da das Erleben von Jugendlichen nicht unbedingt einhergehen muss mit einer ‚von außen‘ als diskriminierend zu bezeichnenden Handlung: Es ist möglich, dass Jugendliche eine Situation als diskriminierend erleben, in der in einer juristischen oder sozialwissenschaftlichen Perspektive keine Diskriminierung vorliegt.“
Und das subjektive Empfinden der Befragten ist das Wichtige an der Studie, „weil diese Wahrnehmung für ihre Wahrnehmung, ihr Wohlbefinden und Erleben in Schulen prägend sowie für Ihr Handeln leitend ist.“
Die nicht vorhandenen Repräsentativität wird noch dadurch verstärkt, dass die Befragten Jugendliche sind, die in der Jugendarbeit der muslimischen Gemeinden engagiert sind, also eine besondere Auswahl von aktiven, muslimischen Jugendlichen darstellt. Insofern sei es nicht verwunderlich, dass 62 Prozent von ihnen ein Gymnasium besuchen, und das sei dann doppelt so hoch wie der Durchschnitt aller Berliner Schüler. Ein komplett unsinniger Vergleich, weil repräsentative Daten mit speziellen, nicht-repräsentativen Daten in Bezug gesetzt werden.
Anschließend wird für diese 274 Befragten, mit genauen Prozentangaben, die Zusammensetzung der „Stichprobe“ referiert: Altersgruppen, Schulbezirke, besuchte Schularten, voraussichtlicher Bildungsabschluss, Bildungsstand der Eltern, Geburtsland und (eigene) Migrationserfahrung, Staatsangehörigkeit, Geburtsland der Eltern, Familiensprache/Mehrsprachigkeit, Religiöse Identität und Glaubenspraxis (Wie gläubig schätzt Du Dich ein? / Glaubenspraxis - Ernährung / - Beten / - – Gedanken über die eigene Religion machen), Religiöse Praxis in der Schule.“
Diese ausführlichen Auswertungen und Darstellungen haben noch nicht einmal einen anekdotischen Wert. Aber es ist eine brisante Mischung aus methodisch unzulänglichen Daten, was ja auch beschrieben wird, und dann einer Kehrtwendung mit Schlussfolgerungen, die unzulässig sind. Im Diskussionsfall kann man sich dann jeweils auf das eine oder das andere berufen.
In der Auflistung der zehn beteiligten Organisationen/Moscheegemeinden wird eine weitere und wesentliche Schieflage des Sample deutlich. Da sich die Ditib-Gemeinden einer Beteiligung an der Befragung verweigert haben, fehlt die Mehrheit der in Berlin lebenden Muslime, die ursprünglich aus der Türkei kamen. Von den zehn Organisationen, die sich an der Befragung beteiligt haben, sind es zumindest vier (das Interkulturelle Zentrum für Dialog und Bildung e.V. (IZDB), das Islamische Kultur und Erziehungszentrum Berlin e.V. (IKEZ), die Dar as-Salam Moschee/Neuköllner Begegnungsstätte (NBS) und die Teiba Moschee e.V.), die in verschiedenen Berichten des Berliner Verfassungsschutzes (z. B. für 2016: Seite 67 und 76; für 2015: S. 35), dem Umfeld der Muslimbruderschaft zugeordnet wurden.
Diese politischen Zuordnungen sind jedoch nur sekundär. Primär geht es darum, dass diese Jugendlichen als „besonders vulnerable Gruppe“ gelten (so Frau Arani in dem taz-Interview: „Schulen brauchen Orientierung“), was nichts anderes heißt, dass die Ergebnisse der Studie dementsprechend eine sich selbst erfüllende Prophezeiung sind.
Die Befragung erfolgte vor allem bei Jugendlichen, die z. B. in der Teiba-Moschee – stellvertretender Vorsitzender des Teiba Kulturzentrums ist der Geschäftsführer des Inssan e.V., Mohamad Hajjaj – von Iman Ferid Heider eine rigide Interpretation des Koran lernen, wie es in der Selbstdarstellung heißt, dass der Koran das fehlerfrei, „vollständig überlieferte Wort Gottes“ sei.
„Im Teiba-Kulturzentrum findet jeden Dienstag um 18.30Uhr ein Unterrichtskreis in deutscher Sprache statt, zu welchem jeder eingeladen ist. Der Unterrichtskreis ist ein offener Ort für alle, die Fragen an und über den Islam, sowie über die Muslime/a und ihre Kultur haben. Es ist eine Stätte für Frieden, Besinnung, Bildung und positiver Kommunikation. Der Unterrichtskreis wird von Imam Ferid Heider betreut und geleitet. […]
Der Quran ist das zu uns vollständig überlieferte Wort Gottes. Nicht nur sind die Worte des Quran fehlerfrei zu uns gelangt, nein, selbst die Aussprache jeden Wortes und jeden Buchstabens ist uns erhalten geblieben.“
Mit einer derart eng geführten Interpretation des Korans (und seiner moralischen Leitsätze) und in Verbindung mit dem INSSAN/JUMA-Leitsatz: „Wenn der Islam Teil Deiner Identität ist, bist Du bei uns richtig!“, kann schon das allgemeine, übliche Leben in Deutschland (mit Koedukation, Frauenkleidung, Gleichberechtigung, u. v. a.m.) bereits als eine beständige Verletzung der eigenen religiösen Identität empfunden und als religiöse Diskriminierung erlebt werden.
4. Netzwerk
Das Auffallendste an der Auswahl der Moscheegemeinden und muslimischen Verbänden ist allerdings, dass eine Organisation, die auch in der Jugendarbeit aktiv ist, nicht erwähnt wird: der INSSAN e.V., der ebenfalls der Muslimbruderschaft zuzuordnen wäre (VS, 2009, Seite 175) und der diese Zuordnung 2018 noch einmal selber bestätigt hat. Das ist insofern überraschend, da die Leiterin von ADAS und Hauptautorin in Berlin vor Ort, Aliyeh Yegane Arani, noch vor wenigen Jahren offiziell und öffentlich für den INSSAN e.V. gearbeitet hat.
Auf der Interseite von ADAS heißt es: „Aliyeh Yegane Arani, Projektleitung. Diplom Politikwissenschaft, Projektmanagement, Diversity-Training und -Konzeptentwicklung, Expertise in den Themenfeldern Diskriminierungsschutz, Menschenrechte, Antirassismus, Vielfalt von Religion & Weltanschauung, Islamfeindlichkeit.“ Keine weiteren Angaben. In einem anderen Kontext wird sie als „Leiterin des Bereichs Diskriminierungsschutz und Diversität bei LIFE – Bildung, Umwelt, Chancengleichheit e.V. in Berlin“ vorgestellt und ist Mitglied im Vorstand der „Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik e.V.“ (DeGeDe), die vom 15.11. - 19.11.2021 den „Ersten Demokratietag für die Schulen Berlins“ veranstaltet.
Ebenfalls 2021 nennt die CLAIM-Allianz „unser Expertengremium aus Wissenschaft und Praxis“, dass wie ein Auszug aus dem who-is-who des politischen Islam in Deutschland aussieht.
- Prof. Iman Attia (Professorin für Critical Diversity Studies / Rassismus und Migration an der Alice Salomon Hochschule, Berlin)
- Daniel Bax (Vorstand der Neuen Deutschen Medienmacher)
- Engin Karahan (Politikberater und Beiratsmitglied der Alhambra Gesellschaft)
- Lydia Nofal (RAA Berlin, Vorstand INSSAN e.V.)
- Prof. Dr. Werner Schiffauer (Senior Scholar der Europa Universität Viadrina, ehem. Vorsitzender des Rats für Migration
- Aliyeh Yegane (Bereichsleitung Diskriminierungsschutz und Diversity an Schulen bei LIFE e.V.)
2019 veranstaltet die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie eine Fachkonferenz „Flucht, Migration, Heimat(en): Muslim*innen in Deutschland“. „Schwerpunkt der Veranstaltung soll die Thematisierung von antimuslimischer Diskriminierung und Rassismus im deutschsprachigen Raum sein.“ Referenten sind nicht nur die bereits Genannten, sondern zudem noch weitere Projektleiterinnen und der Geschäftsführer des Inssan e.V. sowie u. a. Dr. Farid Hafez von der Universität Salzburg.
Die frühere direkte Einbindung der ADAS-Leiterin wird nicht mehr genannt, lässt sich aber klären. 2015 verfasst Aliyeh Yegane Arani (unter Mitarbeit von Marion Böker) einen Alternativbericht zum 19.-22. Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 9 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von „Rassen“diskriminierung (ICERD): „Antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland“, eingereicht durch das Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit, Inssan e.V.
Ebenfalls 2015 gibt es eine Pressemitteilung „Zum Halbjahreszeugnis Note Sechs in Rechtskunde - Schule kennt Religionsfreiheit nicht!“
„Aliyeh Yegane, Projektleiterin des Netzwerks gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit stellt fest, dass „der Fall für ein in Schulen immer wieder anzutreffendes mangelndes Wissen und Bewusstsein über das Verfassungs- und Menschenrecht auf Religions- und Gewissensfreiheit und deren Geltung für Schülerinnen und Schüler steht. Das Berliner Neutralitätsgesetz hat leider diese Haltung bei einem Teil der LehrerInnen und Schulen bestärkt und dazu geführt, dass das Tragen von Kopftüchern sowie andere Formen der Religionsausübung durch Schülerinnen und Schüler grundsätzlich als verboten betrachtet und abgelehnt werden.‘
Das Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit von Inssan e.V. bietet Informationen zum Schutz gegen Diskriminierung sowie Empowerment-, Unterstützungs- und Beratungsangebote für Muslime und Moscheegemeinden.“
In dieser Hinsicht ist das ADAS-Projekt nichts anderes als die weitere Ausdifferenzierung des „Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit“ des Inssan e.V. auf den Bereich der Schulen. Diese Thematik war stets ein besonderes Anliegen des Inssan-Mitglieds und der (späteren) CLAIM-Konferenz-Vorsitzenden, Nina Mühe, die 2016 auch gemeinsam mit Aliyeh Yegane Arani einen Workshop der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) leitet: „Vom Gefühl, unerwünscht zu sein“.
Das Ganze ähnelt einer russischen „Matrjoschka“, d. h. „bunt bemalte, ineinander schachtelbare, eiförmige Puppen“, wobei das Wesentliche die Bemalung ist, was in dieser Thematik die verschiedenen Arbeitsstellen meint, die aufeinander aufbauen.
Diese beiden ADAS-Publikationen stehen in der Kontinuität von Publikationen, die eine belastbare empirische Grundlage behaupten, die sie aber nicht haben, und daraus Ergebnisse und Schlussfolgerungen ableiten, die redlicherweise so gar nicht möglich sind.
Das hat 2010 begonnen, mit der Studie von Nina Mühe: „Muslime in Berlin“, Hrsg. vom Open Society Institute, New York – London – Budapest, 2010, 221 Seiten. Das Projekt stand unter der ‚Schirmherrschaft‘ des Anthropologen Prof. Werner Schiffauer (Viadrina Universität) dessen wissenschaftliche Mitarbeiterin / Doktorandin Nina Mühe die Forschungsleitung innehatte. Diese Forschungsstudie ist so etwas wie die ausgearbeitete Anlage zum Projektmittelantrag des INSSAN e. V. für das „Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit“ der zeitlich parallel dazu gestellt und für 2010 erstmalig vom Senat finanziell gefördert wurde. Basis dafür war die Befragung von 100 Muslimen (und 100 Nicht Muslimen) für deren Einschätzung der Repräsentativität keinerlei realistische Bezugsgrößen existieren. Dazu heißt es:
„Die Forschungsergebnisse dieses Berichts basieren auf einer repräsentativen – wenn auch kleinmaßstäblichen – Erhebung, welche 100 Muslime und eine Vergleichsgruppe von 100 Nicht-Muslimen sowie sechs Fokus-Gruppen-Interviews mit Muslimen umfasst. […] Der Stichprobenrahmen setzte sich aus verschiedenen Eigenschaften der ausgewählten Interviewpartner (Alter, Ethnizität und Geschlecht) zusammen, die aus den verfügbaren Gesamtbevölkerungszahlen der Einwohnerstatistik Berlins errechnet wurden. Die Kategorien ‚Muslim’ und ‚Nicht-Muslim’ bezogen sich dabei ausschließlich auf die Selbstdefinitionen der Befragten. Bei der Auswahl der Interviewpartner wurde zudem darauf geachtet, auch Unterschiede bezüglich des sozialen Hintergrunds bzw. Einkommensniveaus, der räumlichen Verteilung innerhalb des Bezirks sowie der Repräsentation unterschiedlicher religiöser Identifikationen abzubilden.“
Das macht, bei jeweils 100 Befragten (jeder Befragte = 1 Prozent), schlicht keinen Sinn. Insofern haben die ausführlich dargestellten 29 Tabellen sowie 26 Abbildungen noch nicht einmal eine anekdotische Evidenz. Diese methodische Begrenztheit kann auch nicht durch die 14-seitige Bibliographie (S. 173 -186) ausgeglichen werden. Und schon gar nicht können damit generalisierende Aussagen belegt werden.
2018 folgte die Publikation von Riem Spielhaus, Nina Mühe: „Islamisches Gemeindeleben in Berlin“, 178 Seiten. (Mit einem Grußwort des Senators für Kultur und Europa, Dr. Klaus Lederer. Auftraggeberin: Senatsverwaltung für Kultur und Europa, Der Beauftragte für Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.) Als Vorspann – noch vor dem Inhaltsverzeichnis – wird eine doppelseitige Karte von Berlin mit den Standorten von 97 „Islamischen Gebetsräumen in Berlin“ abgebildet. Für viele von ihnen wird auch eine Verbandszugehörigkeit genannt. Erstaunlich ist dabei aber, dass in Berlin keine einzige Moscheegemeinde zur Deutschen Muslimischen Gemeinschaft (DMG) gehören soll. Die DMG gilt – als Nachfolgeorganisation der Islamischen Gemeinschaft Deutschlands (IGD) – als deutsche Dependance der Muslimbruderschaft (MB). Ebenso wird über die Probleme von muslimischen Organisationen berichtet, Grundstücke oder Immobilien für einen Moscheebau zu finden und das am Beispiel des gescheiterten Versuchs von INSSAN erläutert. Auch hier wird verschwiegen, weshalb diese Pläne tatsächlich scheiterten (Finanzierung durch die MB).
2019 veröffentlichen INSSAN/CLAIM neueste Zahlen ihrer Meldestelle für einen „Antimuslimischen Rassismus“. Die Vorgehensweise und Datengrundlage wurden bereits in dem Fowid-Artikel „Muslimfeindlichkeit und Empirie“ ausführlich dargestellt, erläutert und als unwissenschaftlich charakterisiert. Ebenso wie das Scheitern des Konzeptes einer „Diskriminierung von Muslimen aufgrund ihrer Religion“ und wie das Konzept auf die „Mehrdimensionalität“ von Diskriminierung erweitert wurde – bei der Religion dann der Ethnie zugeordnet wird –, und schließlich in das Konstrukt eines „Antimuslimischen Rassismus“ mündete, mit dem unsäglichen Kunstgriff, eine Religion als „Rasse“ zu definieren.
5. Fazit
Die beiden benannten ADAS-Publikationen aus dem Jahr 2021 haben gemeinsam, dass sie auf einer völlig unzureichenden Datenbasis beruhen und daraus dennoch Auswertungen gezogen werden, die jedoch nur für sich selber stehen. Dass es Diskriminierungen – auch von Muslimen – gibt, wird nicht bestritten, aber es geht um die angemessenen Größenordnungen. Die genannten Darstellungen folgen dabei dem Prinzip des „pars pro toto“, dass Randerscheinungen ins Zentrum gestellt und damit zu einem behaupteten gesamtgesellschaftlichen Problem vergrößert werden.
Zum Bericht „Meldestelle“: Die Bevölkerung Berlins belief sich 2015 in der Altersgruppe der 6–18-Jährigen auf rund 400.000 Personen. Legt man zugrunde, dass es sich primär um Schülerinnen und Schüler handelt und 10 Prozent davon Muslime sind, so sind es rund 40.000 Schüler und Schülerinnen muslimischer Religion. Im Schuljahr 2016/17 sind es nur 94 bzw. 161 Meldungen (2016/17) bzw. 115 bzw. 272 Meldungen (2019/2020). Das sind 0,2 - 0,4 oder 0,3 – 0,7 Prozent der Schülerinnen und Schüler. Wenn sich nach zehn Jahren Tätigkeit als „Meldestelle“ (und nach zehn Jahren intensiver „Sensibilisierung- und Empowerment-Veranstaltungen“ von INSSAN/CLAIM und ADAS in den Schulen und Moscheegemeinden) nur eine so geringfügige Anzahl von Schülern / Eltern wegen Diskriminierung bei ADAS melden, wäre das Projekt (mit vier Mitarbeiterinnen) eigentlich wegen Nebensächlichkeit zu beenden. Aber die Schlussfolgerungen und Forderungen folgen der Binnenlogik religiöser Eiferer (die es auch bei den christlichen Evangelikalen gibt), die nicht anerkennen können oder wollen, dass ihr Konzept falsch ist. Stattdessen fordern sie, die Intensität ihrer Bemühungen personell und finanziell noch weiter zu verstärken.
Zur Studie „Diskriminierungserfahrungen muslimischer Jugendlicher“: Um das Inssan-Mantra von der besonderen religiösen Diskriminierung von muslimischen Schülerinnen und Schülern zu bedienen, wird, wie ausführlich erläutert, eine Anzahl von überdurchschnittlich religiösen Jugendlichen ‚gezogen‘, die weder demografisch noch religiös in irgendeiner Weise repräsentativ sind. Das wird einerseits zwar so benannt, andererseits aber als geeignet erklärt, „belastbare Auskunft“ über das Erleben von Diskriminierung geben zu können. Dazu werden die dafür vollkommen ungeeigneten Daten instrumentalisiert, um Evidenzbasiertes zu behaupten. Diese Unverfrorenheit ist beachtlich. Eine derartige Datenlyrik ist nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch unredlich.
Das falsche Narrativ von den Muslimen als Opfer einer weitreichenden Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ist also eine Seite weitergeblättert worden.
Es scheint niemanden zu stören?