Entwicklungen in der Neuapostolischen Kirche
Fragt man nach der viertgrößten christlichen Religionsgemeinschaft in Deutschland, werden nur wenige die NAK (Neuapostolische Kirche) kennen und nennen. Nach den Bistümern der römisch-katholischen Kirche in Deutschland, der evangelischen EKD sowie den Orthodoxen kann man sie so zählen. Seit mehr als 20 Jahren verliert sie Mitglieder, Einnahmen, aktive Ehrenamtliche und Gottesdienstbesucher.
1. Allgemeine Einordnung
2. Mitgliederentwicklung
3. Finanzen
4. Altersgliederung
5. Schlussfolgerungen
1. Allgemeine Einordnung
Die Neuapostolische Kirche (NAK) wird dem „Protestantismus“ zugeordnet. In einer REMID-Auflistung von 94 protestantisch-religiösen Gemeinschaften – in der Reihenfolge der Anzahl der Mitglieder – ist die NAK mit 315.794 Mitgliedern (2021) nach dem Dachverband der EKD mit 20.236.000 Mitgliedern (2020) auf Platz zwei. In der weiteren Auflistung von REMID folgen die Freien Baptisten- und Mennonitengemeinden mit ca. 290.000 Mitgliedern (2007), 169.272 Jehovas Zeugen (2021) und 77.865 Mitglieder im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (2020) sowie 62.872 Mitglieder im Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (2019).
Exkurs 1: Eine Reihenfolge nach Anzahl der Mitglieder setzt eigentlich voraus, dass man die gleichen Ordnungskriterien verwendet, was allerdings nicht geschieht. So passt beispielweise nicht zusammen, dass die 23 eigenständigen evangelischen Landeskirchen in Deutschland (Lutheraner, Reformierte, Unierte) als EKD = eine Kirche bewertet werden, obwohl die EKD nur ein formaler Dachverband ist. Im Gegensatz dazu werden die 26 orthodoxen und orientalischen Kirchen in Deutschland einzeln dargestellt, deren größte – die Serbisch-Orthodoxe Kirche – mit 310.000 Mitgliedern (2022) dann hinter der NAK rangiert. Insgesamt werden diesen 26 orthodoxen Kirchen 1.574.500 Mitglieder zugerechnet. Zählt man die islamischen Gemeinschaften korrekt ‚einzeln‘, so ergeben sich 2,6 Mio. Sunniten und mindestens 500.000 Aleviten, womit die NAK auf Platz fünf kommen würde. Auf jeden Fall kann man feststellen, dass die Neuapostolische Kirche innerhalb des Protestantismus gemeinhin als größte Religionsgemeinschaft nach der EKD gerechnet wird.
Exkurs 2: Was die Neuapostolische Kirche in religiösen Ordnungskriterien darstellt – eine Sekte, eine Freikirche, eine Sondergemeinschaft, evangelikal, …? – ist umstritten. Entstanden aus einer Abspaltung der Katholisch-Apostolischen-Gemeinde im 19. Jh. in Großbritannien – einer endzeitlichen Erweckungsbewegung“ – führte sie jahrzehntelang ein an Öffentlichkeit uninteressiertes Eigenleben. Zum Aspekt, dass die NAK eine „Religiöse Sondergemeinschaft“ sei, heißt es in einem christlichen Lexikon, dass sie abweichende Lehren exklusiv vertreten.
„Als religiöse Sondergemeinschaften werden Religionsgemeinschaften benannt, die meist als Abspaltung von größeren Religionen entstanden sind und die von diesen abweichenden Lehren exklusiv vertreten, d. h. sich selbst für die allein rechtmäßigen Repräsentanten dieser Religion halten.
Ökumenische Beziehungen bestehen nicht. Die umgangssprachliche Bezeichnung Sekte betont neben den theologischen Differenzen stärker die menschlichen Konflikte und Probleme auf der ethischen Ebene, die sich aus den Sonderlehren ergeben können und bei manchen religiösen Sondergemeinschaften zu besonderer Konfliktträchtigkeit führen. Bekannte religiöse Sondergemeinschaften in Deutschland sind z. B. die Zeugen Jehovas, Neuapostolische Kirche, Mormonen.“
Abgesehen von den ausführlichen Wikipedia-Artikel zur NAK lässt sich an Beispielen der medialen Berichterstattung die Entwicklung der Neuapostolischen Kirche in den vergangen rund 30 Jahren skizzieren. 1995 hieß es im SPIEGEL: „Extrem streng. Ex-Mitglieder der Neuapostolischen Kirche, der viertgrößten Religionsgemeinschaft in Deutschland, werfen der Sekte Psychoterror vor.“ 2008 fragte der HERDER-Korrespondenz: „Immer noch Sekte? In den letzten Jahren ist in ihrem Verhältnis zu anderen Kirchen einiges in Bewegung gekommen. Zum Teil wurde sie als Gast in regionale ‚Arbeitsgemeinschaften christlicher Kirchen‘ aufgenommen. Sperrig bleibt nach wie vor der Exklusivitätsanspruch der NAK und ihrer ‚Apostel‘.“ 2014 fragte das Pfarrerinnen- und Pfarrerblatt: „Facelifting oder Reform an Haupt und Gliedern? Die Neuapostolische Kirche erneuert sich und sucht die Ökumene.“ Und im April 2020 titelte der hpd: „Neuapostolische Kirche: Keine Lust (mehr) an Untergangsrhetorik. Zeitenwende in der Neuapostolischen Kirche. Während andere Christen dubiose Selbstbestätigung für ihren Glauben im Ausbruch der COVID-19-Pandemie finden, erteilt der Leiter der Neuapostolischen Kirche (NAK), der größten Endzeitkirche in Europa, solcherlei Meinungen eine deutliche Abfuhr. Was selbst vielen Kirchenmitgliedern nur als eine Stellungnahme unter vielen scheinen mag, ist keine Selbstverständlichkeit für diese von Geburt an apokalyptische Gemeinschaft.“
2. Mitgliederzahlen
In der Stichwortartigen Auflistung zu den Formalien der NAK zeigt sich die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Nordrhein-Westfalen 1951, Bremen 1952. Zu den Mitgliederzahlen heißt es bei REMID:
„Stichtag: 1. Januar 2021. Vorige Angaben: 338.161 (2016; -22.367), 342.202 (2015; -4041), 345.871 (2014; -3.669). Rückgängig 2014 ggb. 2013: – 1.883; 2013 ggb. 2012: -2.620; 2012 ggb. 2011: -3.191; 2011 ggb. 2010: -3.402; 2010 ggb. 2009: -2.866. Stand: 01.01.2017. 1.744 (2015: 1.870) Gemeinden.
Historische Angaben (Dt. Reich/Weimarer Republik): 1890: 21.000, 1910: 76.000, 1925: 140.000 (Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, 2005, S. 354). „In (West- und Ost-) Deutschland stiegen sie zwischen 1955 und 1975 zwar noch von 369 000 auf 410 000, gingen jedoch bis 1995 auf 399 000 zurück“ (Henkel, Atlas, 2001, S. 215).“
In dieser Auflistung (seit 2009) wird deutlich, dass sich die Mitgliederzahl Jahr um Jahr verringert. Auf die Frage, ob die konservativen religiösen Gemeinschaften von den Kirchenaustritten profitieren – in einer Art Rückkehr zu traditionellen Werten –, antwortet der Religionssoziologie Detlef Pollack (Universität Münster) klar mit Nein.
„Wenn man in Deutschland in die evangelikalen Gemeinden geht, sieht man wirklich lebendige Gemeinden. Es kommen die Eltern mit ihren Kindern, die Menschen stehen zu ihrem Glauben und er bedeutet ihnen etwas. Es gibt eine eindrucksvolle Spontanität des Glaubens in diesen Gemeinden, ein Zusammenwirken von Individualisierung, die sehr stark emotional gefärbt ist, und Gemeinschaftlichkeit. Die Zahlen bleiben jedoch klein.
Diejenigen, die noch vor 20 Jahren gesagt haben, die Zukunft der EKD liege in den evangelikalen Gemeinden, sagen das heute nicht mehr, denn auch die Freikirchen verlieren. Wahr ist, dass viele, die mit den Landeskirchen unzufrieden sind, sich den evangelikalen Gemeinden anschließen, aber viele gehen auch weg.“
Die NAK ist ein Beispiel dafür. Eine Grafik der Neuapostolischen Kirche verdeutlicht zudem, dass die Mitgliederzahlen in der NAK (in der Gebietskirche Westdeutschland) von 1946 bis Mitte der 1960er Jahre steigen, dann bis etwa 1995 relativ gleichbleiben, um seit 1996 langsam zu sinken. Seit 2016 haben die Verringerungen sichtbar zugenommen.
Die folgenden Daten zur Mitgliederentwicklung der NAK von 2000 bis 2022 beruhen auf der Darstellung des Netzwerk Apostolische Geschichte.
Der Rückgang der Mitgliederzahl von 2000 bis 2018 (um 16 Prozent) liegt nach Einschätzung des Netzwerkes Apostolische Geschichte „im Mittelfeld“.
„Der Mitgliederrückgang der Römisch-katholischen Kirche liegt für die Jahre 2000 bis 2018 bei rund 12 Prozent, der der Evangelischen Kirchen bei rund 20 Prozent. Damit liegt die Neuapostolische Kirche mit 16 Prozent statistisch gesehen im Vergleich zu den beiden großen Kirchen in Deutschland im Betrachtungszeitraum im Mittelfeld.“
Durch die hohen Kirchenaustritte in den EKD-Landeskirchen und in den römisch-katholischen Bistümern seit 2019 haben sich die Relationen etwas verschoben. Von 2000 bis 2022 hat sich die Zahl der Kirchenmitglieder in den Landeskirchen um 7.513.732 Personen verringert (28 Prozent seit 2000) und in den katholischen Bistümern um 6.419.410 Mitglieder (24 Prozent), zusammen eine Verringerung um 13.933.142 Mitglieder (von 53.430.732 im Jahr 2000, d. h. 26 Prozent). In der NAK-Deutschland hat sich die Mitgliederzahl von 2000 bis 2022 um 81.203 Personen verringert (21 Prozent). Dazu merken die NAK-Autoren an, dass die Mitgliederzahlen womöglich noch niedriger sein können.
„Es muss betont werden, dass die hier vorgelegten Mitgliederzahlen keine Aussage über den Aktivitätsgrad der Mitglieder erlauben. Ferner erhebt die Neuapostolische Kirche im Vergleich zu den beiden Großkirchen keine Kirchensteuer, so dass vermutet werden kann, dass nur die wenigsten inaktiven Mitglieder auch tatsächlich einen offiziellen Austritt vollziehen.“
Die grafische Darstellung der Veränderungen bei der Zahl der Mitglieder sowie der Amtsträger (die bei der NAK ehramtlich arbeiten) verdeutlicht, dass die Zahl der Amtsträger relativ stärker gesunken ist, als die Anzahl der Mitglieder.
Auch in Zahlen ist die Verringerung der Mitglieder (1,1 Prozent pro Jahr) geringer als der Rückgang der Amtsträger (2,6 Prozent im Jahr). Seit 2015 ist der Mitgliederrückgang überdurchschnittlich, seit etwa 2013 die Verringerungen bei den Amtsträgern (bis auf 2019). Eine Parallele zu den beiden großen christlichen Kirchen ist nicht zu übersehen.
In Betrachtung des Rückgangs der Anzahl der Amtsträger schreiben die NAK-Autoren, dass dies ein durchaus deutlicherer Hinweis sein könne, dass die NAK an ‚Attraktivität‘ für ihre Mitglieder verloren habe.
„Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der aktiv am Gemeindeleben beteiligten Kirchenmitglieder in stärkerem Maß zurückgegangen, als dies die reinen Mitgliederzahlen zeigen, denn viele Mitglieder beteiligen sich nicht mehr am Gemeindeleben, treten aber aus unterschiedlichen Gründen nicht aus der Kirche aus. Bekannt (und in der Statistik enthalten) ist dagegen die Zahl der aktiven Amtsträger der Kirche, die sich aus Laien zusammensetzen und deren Aktivitätsgrad durchaus einen Hinweis auf die Gesamtentwicklung geben kann. Zwar scheiden Amtsträger in der Regel durch altersbedingen Ruhestand aus dem Amt und nicht etwa aus Gründen der Distanzierung von der Kirche. Die Frage, ob ein Amt aber nachbesetzt werden kann oder z.B. keine geeigneten Kandidaten zur Verfügung stehen oder ein neuer Amtsträger nicht (mehr) benötigt wird, kann sehr wohl einen Hinweis auf die Attraktivität der Gemeinde und des Amtes und letztlich der aktiven und passiven Mitglieder der Kirche geben.“
Bei den NAK-Kirchenmitgliedern sind die Verringerungen gleichsam um ein Prozent minus pro Jahr ‚oszillierend‘, mit einem wachsenden Anteil im dargestellten Zeitraum.
Nur auf die Kirchenmitglieder der NAK insgesamt bezogen ist das Jahr 2020 ein ‚Ausreißer‘:
Innerhalb der Neuapostolischen Kirche gibt es keinen Hinweis auf Ereignisse, die diesen ‚Schub‘ der Verringerungen verursacht haben könnten. Als Möglichkeit käme ein gleicher ‚Ausstrahlungseffekt‘ in Frage, den die EKD ja auch trifft, wenn im Bereich der römischen Katholiken Austrittsgründe (u. a. Missbrauch) bekannt werden.
Auf der Ebene von NAK-Gebietskirchen – hier den drei gleich großen Gebietskirchen im Nord- und Ostdeutschland, Westdeutschland und Süddeutschland – hat die NAK-Kirche NRW (ab 2018 Westdeutschland) Daten vorgelegt, die noch weitere Entwicklungen hinsichtlich der Mitgliederzahlen, Anteilen aktiver Mitglieder, Finanzen von Opfer und Spenden und dem Gottesdienstbesuch belegen. Für den Zeitraum 2006 – 2017 die Gebietskirche NRW und bis 2021 (zurückgerechnet bis 2010) Westdeutschland (NRW plus Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland).
Von 2006 bis 2017, also noch ohne Corona-Effekte, reduzieren sich die Kirchenmitglieder um 12 Prozent, die „Opfer und Spenden“ um 24 Prozent, die aktiven Mitglieder um 32 Prozent und die Gottesdienstbesucher um 39 Prozent. Also: 10 – 20 – 30 -40.
Bemerkenswert ist der starke Rückgang des Gottesdienstbesuch, ein Indikator für die Kirchenbindung: 2006 waren es noch 38 Prozent der Kirchenmitglieder, die den Gottesdienst besuchten, 2017 sind es nur noch 27 Prozent, ein Rückgang um 39 Prozent.
Für die größere (2018 gebildete) Gebietskirche Westdeutschland sind die Entwicklungen parallel, was darauf hindeutet, das auch in den anderen beiden Gebietskirchen in Deutschland die Entwicklung vergleichbar sein wird.
In diesen Daten zum Gottesdienstbesuch wird deutlich (abgesehen von den Coronajahren 2020, 2021), dass die Teilnahme am Gottesdienst, die ja auch bei den beiden Großkirchen deutlich zurückgegangen ist, ein starker Indikator für den innerkirchlichen Zusammenhalt ist. Mit anderen Worten: auch in der NAK verringert sich der innere Zusammenhalt innerhalb der Gemeinden, worauf auch die Verringerungen der Anzahl/des Anteils der aktiven Mitglieder hinweist.
3. Finanzen
Auch hinsichtlich ihrer Finanzen zeigt die NAK Transparenz. Im Jahresbericht 2020 der NAK Nord- und Ostdeutschland, der NAK-Westdeutschland (Jahresbericht 2021) und in den „Südinfos“ der NAK-Süd werden aktuelle Finanzzahlen genannt.
Beispielhaft sind die Informationen zu den Finanzen im Jahresbericht 2015 der NAK-NRW (Vorläuferin der NAK-Westdeutschland, die mit Wirkung ab 1.1.2018 gebildet wurde). Für diese Gebietskirchen liegen auch mehrere Informationen vor, die sich in Verbindung zueinander setzen lassen: Einnahmen aus Opfern/Spenden, Anzahl Mitglieder, aktive Mitglieder sowie Gottesdienstbesuch. (Vgl. vorangegangene Tabellen 3.1.1. bis 3.2.2.)
Die Umrechnungen der Einnahmen aus „Opfern und Spenden“ zu den Mitgliederzahlen ergibt eine durchschnittliche Zahlung von rund 230 Euro pro Kirchenmitglied. Das sind allerdings, einerseits, ‚Milchmädchenrechnungen‘ – wie sie die EKD auch betreibt – wenn sie für das Vergleichsjahr 2015 einen pro-Kopf-Betrag pro Kirchenmitglied von 235,13 Euro benennt. Im Wissen, dass nur ein Teil der Kirchenmitglieder (rund 50 Prozent) Kirchensteuern zahlen, ist eine pro-Kopf-Berechnung ohne Aussagekraft, denn die tatsächliche Verteilung stellt sich erheblich anders dar, wie es David Guttmann (Mitarbeiter des Freiburger „Forschungszentrum Generationenverträge“ und einer der Autoren der „Projektion 2060“) erläutert: Nur die Hälfte der Kirchenmitglieder zahlen überhaupt Kirchensteuern und rund 15 Prozent der Mitglieder beider Kirchen zahlen 77 Prozent des Kirchensteueraufkommens. Der Finanzdirektor des Erzbistums Köln, Gordon Sobbeck, sprach 2020 davon, dass 5 Prozent der Kirchenmitglieder rund die Hälfte der Kirchensteuern zahlen.
Das entspricht recht genau den Verteilungen, wie sie im Finanzbericht der NAK-NRW 2015 (S.9 und 10) genannt werden. Die 83.187 Mitglieder zahlten insgesamt 17.178.395,13 Euro an „Opfern und Spenden“, d. h. pro Kopf 207 Euro. Davon haben hingegen 3.997 „aktive Spender“ (das sind 4,8 Prozent der Mitglieder) eine Summe von Euro 9.708.253,85 überwiesen (pro Kopf 2.429 Euro) und das sind als Summe 57 Prozent dieser Einnahmen.
Andererseits zeigt sich in der Entwicklung der pro-Kopf-Zahlungen für die NAK – bei sinkenden Mitgliederzahlen verringern sich auch die Einnahmen (vgl. Tabelle 3.1.2.), von 244 Euro (2006) auf 211 Euro (2017). Im gleichen Zeitraum (2006-2017) steigt innerhalb der EKD die Pro-Kopf-Einnahme aus der Kirchensteuer von 157 Euro auf 257 Euro. Während also bei der EKD die Frage, warum die Einnahmen der EKD nicht sinken - bei der Verringerung der Mitgliederzahlen, sondern durch die Anbindung als Annexsteuer an die staatliche Einkommenssteuer sogar steigen (Vgl. „Kirchenaustritte und Kirchensteuereinnahmen“) ist der Zusammenhang bei der NAK direkt sichtbar: Weniger Mitglieder entsprechen weniger Einnahmen.
Das ist allerdings für die NAK durch die Kostenstruktur der Kirchenverwaltung (Vielzahl ehrenamtlicher Amtsträger) kein Problem, so dass auch kostenintensive Unternehmungen, wie die Hostienbäckerei in Bielefeld – in der wöchentlich, nach NAK-West-Angaben, täglich etwa 500.00-700.000 Hostien gebacken und weltweit versendet werden (Zahlenangaben, die nicht unwidersprochen bleiben) – kein finanzielles Problem.
Fazit: Die Neuapostolische Kirche in Deutschland unterscheidet sich (am Beispiel der Gebietskirche NRW, 2015) nicht von der Finanzierungssituation der Landeskirchen und Bistümer in Deutschland, bei denen ebenso nur fünf Prozent der Mitglieder die Hälfte der „Opfer und Spenden“/Kirchensteuer zahlen. Das dürfte der Idee, dass von allen Kirchenmitgliedern der Freikirchen, die keine Kirchensteuern einziehen lassen, 10 Prozent des Bruttoeinkommens gespendet werden, wohl nicht entsprechen. Durch das Fehlen großer, kostenintensiver Verwaltungen ist die NAK finanziell allerdings bessergestellt.
4. Überalterung?
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes zur Altersgliederung der Bevölkerung zum 31.12.2020 bzw. 2021 lassen sich die Angaben zur Bevölkerung – zumindest für die NAK-Gliedkirche Westdeutschland – vergleichen.
Sowohl für die Mitglieder wie für die Aktivisten unter den Mitgliedern der NAK-West gilt das Gleiche: Die Jüngeren, in der Bevölkerung mit rund 30 Prozent vorhanden, sind unter den Mitgliedern deutlich geringer (17 bzw. 20 Prozent). Die älteren Jahrgänge (50 Jahre und älter) dagegen – in der Bevölkerung etwa die Hälfte (zwischen 45 – 50 Prozent) -, stellen in der NAK-West rund zwei Drittel der Mitglieder (66 bzw. 64 Prozent).
Worauf diese deutliche, aktuelle Überalterung beruht– die wiederum auf die ähnliche Altersverteilung vor allem in den evangelischen Landeskirchen verweist –, lässt sich jedoch nicht weiter ergründen. Die Angaben über die Anzahl der Taufen/Gestorbenen in den Gemeinden sprechen jedoch zum einen für ein Taufdefizit, d. h. es werden weniger Kinder getauft als Mitglieder versterben.
5. Schlussfolgerungen
Diese stärkere werdende, auch optisch sichtbare Überalterung - innerhalb einer zudem immer noch patriarchalischen Struktur der männlichen Kirchenleitungen –, könnte Basis einer zusätzlichen Entfremdung sein, die sich in den mehrfach genannten Verringerungen der aktiven Mitglieder und des Gottesdienstbesuchs darstellen. Zudem liegt sie im Trend, dass die Mehrheit der jungen Erwachsenen der EKD-Christen und der römischen Katholiken bekennen: „Meine Weltanschauung folgt keiner religiösen Lehre“ und sich 61 Prozent der Jungen Erwachsenen insgesamt sich als „nicht religiös“ verstehen. Religion findet im Internetzeitalter nicht mehr in geschlossenen Räumen statt.
Für die Neuapostolische Kirche in Deutschland lässt sich also evidenzbasierter zeigen als für die beiden Großkirchen, dass die (immer noch) relativ geringe Verringerung der Zahl der Kirchenmitglieder eher nur eine Oberfläche darstellt, unter der erheblich stärkere Kräfte der Entfremdung vom kirchlichen Leben vorhanden sind, die auch noch langfristiger wirken werden.
Die Anzahl der Gottesdienstbesucher ist in den beiden Großkirchen auf ein relatives Minimum im unteren einstelligen Prozentbereich zurückgegangen: Römische Katholiken, 2021 = 4,3 Prozent, und EKD-Evangelische, 2021 = 1,6 Prozent.
Und die ehrenamtlichen Aktiven? (2022): „Es wird – wie in vielen Gemeinden – immer schwieriger, Freiwillige für Ehrenämter zu begeistern.“ Und: (bereits 2017) „Umfrage: Kirchen leiden unter Nachwuchsmangel im Ehrenamt“.
„Fehlender Nachwuchs im Ehrenamt ist einer Umfrage zufolge das größte Problem evangelischer und katholischer Kirchengemeinden. Fast jeder Fünfte von 1.000 befragten Gläubigen habe dies bei der Frage nach den größten Problemen an erster Stelle genannt, heißt es in einer nicht-repräsentativen Umfrage der ‚Zeit‘-Beilage ‚Christ & Welt‘.
Weitere 60 Prozent gaben demnach an, die Freiwilligen ihrer Gemeinde seien überlastet. Ein Mangel an Hauptamtlichen dagegen wurde erst an siebter Stelle genannt. An der Umfrage nahmen den Angaben zufolge zu etwa 36 Prozent hauptamtliche Kirchen-Mitarbeiter teil, knapp 64 Prozent waren Ehrenamtliche.“
Die eingangs zitierte Frage an den Religionssoziologen Detlef Pollack, ob die konservativen religiösen Gemeinschaften von den Kirchenaustritten profitieren, was er verneinte, lässt sich in Betrachtung der Daten zu Kirchenmitgliedern / Ehrenamtlichen / Gottesdienstbesuchern auch umgekehrt auf die beiden Großkirchen fragen: Sind die steigenden Kirchenaustritte ein Kipppunkt, wofür die Thematik bei den Ehrenamtlichen und den Gottesdienstbesuchern spricht. Detlef Pollack hat das als Feststellung geäußert: „Religionssoziologe sieht Kirchenzugehörigkeit am Kipppunkt“.
„Der Seniorprofessor am Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster verwies im ‚Spiegel‘-Interview darauf, dass der Anteil von Katholiken und Protestanten unter 50 Prozent gesunken sei. ‚Solange die beiden großen Kirchen die Mehrheit repräsentierten, hielten viele zur Kirche, ohne das groß zu hinterfragen‘, sagte er. ‚Wenn aber heute die Mehrheit nicht länger dazugehört, wird die Mitgliedschaft begründungsbedürftig.‘“
In Anbetracht der Datentrias – Verringerung der Anzahl der Kirchenmitglieder, Verringerung des Ehrenamtes, Verringerung des Gottesdienstbesuchs – bei der die Neuapostolische Kirche noch eine größere Kirchenbindung ihrer Mitglieder annehmen lässt, spricht alles dafür, dass die Anzahl der Kirchenaustritte bei den beiden christlichen Großkirchen auch in den kommenden Jahren steigen werden. Dafür braucht es keine weiteren ‚Skandale‘: die Entfremdung ist bereits vorhanden und zeigt sich schon beim geringer werdenden Engagement für ein kirchliches Ehrenamt und im kaum noch vorhandenen Gottesdienstbesuch.
Die traditionell erfolgreiche ‚Markenbindung‘ einer „Membership Economy“ der Kirchen, die sich erst in den 1980-Jahren abgeschwächt hat aber bis etwa 2010 im Rahmen von 0,6 – 0,9 Prozentpunkte Mitgliederverluste begrenzt war, ist in den folgenden Jahren geringer geworden, mit 1,2 bis 1,4 Prozentpunkten Mitgliederverlusten, und seit 2020 im Bereich von 2 bis 3 Prozentpunkten Verringerung.
Die durch den Priestermangel notwendig gewordene Schaffung von größeren Pastoralräumen wird weitere Tendenzen der Entfremdung hervorrufen, da der „Synodale Weg“, der eine bessere Kommunikation zwischen Klerus und Laien klären und organisieren sollte, als gescheitert zu betrachten ist.
Carsten Frerk