Kirche, Marketing und Membership Economy
Manchem erscheint die Verbindung von Kirche – als Organisation – mit Ökonomie und Marketing als unangebracht, da Kirche als religiöse und pastorale Organisation zwar auch auf ihre Finanzen achten müsse - aus der Notwendigkeit, die Mitarbeiter und laufenden Kosten zu bezahlen - aber sonst sei sie für Sinn, Glaube und Transzendenzbezug zuständig. Allerdings gibt es auch im kirchlichen Raum immer stärker Auffassungen, die Marketing-Prinzipien beachtet wissen wollen. Eine – an sich – naheliegende Auffassung. Allerdings sind die kirchlichen Ausarbeitungen dazu meist sehr eng geführt.
Von Carsten Frerk
Im EKD-evangelischen Bereich ist es beispielsweise eine Handreichung des „Haus der kirchlichen Dienste“ der Landeskirche Hannover, die eine Ausarbeitung zur „Marke Kirche“ beinhaltet oder „In guter Gesellschaft – Kirche und Diakonie als Marken“ bzw. ein Marketingkonzept für die Tagungs- und Begegnungsstätten der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland.
Ziel der Konzepte ist eine Marktanpassung, „welche die wirtschaftliche sowie – vor allem – die inhaltlich christliche Ausrichtung strategisch verbessern soll.“
Auch im Bereich der römisch-katholischen Kirche in Deutschland ist bekannt: „Marketing macht auch vor der katholischen Kirche nicht Halt!“ Die Probleme sind bekannt – Mitgliederrückgang, Priestermangel, Missbrauchsfälle, Finanzskandale u. a. m. – nun lautet es, sich ‚neu aufzustellen‘. Stichwort ist dafür die „Customer Integration“, Hochdeutsch: Rückgewinnung des Vertrauens der Kirchenmitglieder.
Im Bistum Essen gab es 2017 eine Podiumsdiskussion zum Thema „Business-Pläne und ‚Mixed Economy in der Kirche“ bei dem der Generalvikar zitiert wird: „Natürlich brauchen wir unbedingt Menschen, die verbindlich die Nachfolge Jesu leben“, sagt Pfeffer, „aber wenn wir nur diese in der Kirche akzeptieren, verweigern wir sehr vielen Menschen die Möglichkeit, mit dem Christsein überhaupt in Kontakt zu kommen.“ Es sei provokant, aber in Ordnung, wenn man in der Kirche Mitglied bleibe wie im ADAC, also nur für den Ernstfall, so der Generalvikar: „Jesus hat auch nicht jeden in den engsten Jüngerkreis aufgenommen. Für ihn war das okay, wenn jemand nur für den Moment etwas mitgenommen hat und dann wieder gegangen ist.“
Das Bistum Münster hat im September 2018 über den „Aufbau der Bistumsmarke“ informiert. Berater und Verfasser des Konzepts sind drei Experten im Marketing: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Heribert Meffert, vom Marktingcenter in Münster, der gelegentlich als „Marketingpapst“ bezeichnet wird, Prof. Dr. Peter Kenning von der Universität Düsseldorf sowie Prof. Dr. Tim Eberhardt, ebenso Marketingexperte wie seine beiden Kollegen und zudem mit dem Schwerpunkt Strategisches Management.
Dazu heißt es in ihrem Beitrag: „Das für das Projekt im Bistum Münster zugrunde gelegte Marketingkonzept ist ein identitätsorientierter Markenführungsansatz. Ziel der identitätsorientieren Markenführung ist es, eine möglichst große Übereinstimmung zwischen Markenversprechen und Markenverhalten zu erreichen. Unter diesen Voraussetzungen können starke Marken über symbolische Wirkungen hinaus im Prozess des Wandels von Unternehmen und Organisationen maßgeblich zu Orientierung, Identifikation und Vertrauensbildung beitragen (Beispiele der Bertelsmann Stiftung und Deutsche Telekom für „brand driven change“). Sie werden zu Orientierungs- und Vertrauensankern. Das Konzept des permanenten Wandels und dessen Begleitung in einem grundlegenden Changeprozess ist die Basis für die Kooperation der Marketingwissenschaft mit dem Bistum Münster.“
Was hier beabsichtigt wird, ist eine Parallelität zu einem Employer Branding, das zum Ziel hat, „in den Wahrnehmungen zu einem Arbeitgeber eine unterscheidbare, authentische, glaubwürdige, konsistente und attraktive Arbeitgebermarke auszubilden, die positiv auf die Unternehmensmarke einzahlt.“
Kirche und Marketing
Die Geschichte der Unternehmensmarke christliche Kirche lässt sich – in aller Kürze – auch in Begriffen des Marktverhaltens und des Marketings beschreiben.
Paulus von Tharsus, der sich nach einem Erweckungserlebnis für den maßgeblichen Apostel hält, startet eine feindliche Übernahme der Jesus-Gruppen, indem er die Zielgruppe erweitert (Jesus hatte nur beschnittene Juden als Adressaten), das Vertriebsgebiet ausbaut (Missionsreisen im Imperium Romanum) und Prinzipien aufstellt, die neu sind: Die Auferstehung Jesu, der Gehorsam vor der Obrigkeit, die Bezahlung der Priester, das Schweigen der Frauen. Während Petrus, so viel wir wissen, sich als Vorsteher der Gemeinde in Jerusalem, als Manager verhielt – Organisation, Qualitätssicherung und Risikomanagement – hatte Paulus offensichtlich Leadership Quality – Vision, Kommunikation und Begeisterung. Seine Genialität zeigte sich u. a. in der perfekten Beherrschung des Advertising, insbesondere des Direktmarketings in Mailings (Kettenbriefe an die Korinther, Galater, Epheser, u. a. m.) und in der Beeinflussung von Opinion Leadern vor Ort (Timotheus, Titus, Philemon). In seiner Kommunikation von unique leadership war das superiority statement für das Christentum konsequent.
Parallel entstand dazu in den ersten drei Jahrhunderten ein umfangreiches mission statement (Neues Testament) und wurde eine der größten positioning operations der europäischen Geschichte realisiert. Durch Produktpiraterie wird der beliebte Mithraskult (sol invictus) und die verbreitete Hores/Isis-Verehrung (als Jesus/Maria) inkorporiert. Unter dem Christusmonogramm PX des Auferstandenen, über den Tod triumphierenden Siegreichen (nicht mit dem lateinischen Kreuz) , führte Kaiser Konstantin seine Legionen in die Schlacht, die man bekanntlich nicht mit Nächstenliebe gewinnt.
Insbesondere durch die Übernahme der heidnischen Feste – wie Weihnachten und Ostern - warf das Christentum die tradierte heidnische Spiritualität nicht über den Haufen, sondern dockte es an bestehende Gemeinschaften an. Eine effiziente Form des community marketing. Werbeagenturen bezeichnen diese Strategie des „Trittbrettfahrens“ auch als movement marketing.
Konstantin verschaffte der christlichen Gemeinde 310 den offiziellen Marktzugang in Rom und Kaiser Theodosius 380 die Monopolstellung als Staatsreligion. Damit war die uniqueness erreicht und es begann die erfolgreiche Geschäftspartnerschaft zwischen Kirche und Staat.
Damit waren alle Elemente für eine erfolgreiche Konzeption der copy-strategy des Christentums beisammen. Wesentlich dabei waren: Der Consumer Benefit (das Versprechen der Gleichheit aller Menschen - vor Gott), die Unique Selling Proposition (USP), das wesentliche Alleinstellungsmerkmal einer allumfassenden (katholischen) Staatsreligion, mit überzeugenden Testimonials (Jesus als Christus, Kaiser Konstantin und Kaiser Theodosius). Und das Reason Why war das Versprechen der Auferstehung von den Toten. Für alle.
Für die Kirche war die Bildung eines hierarchisch organisierten Klerus die Grundlage für den Geschäftsbetrieb ihres Machtwillens: Innerhalb der religiösen Gemeinschaft besteht eine Gruppe von geweihten Amtsträgern mit priesterlichen Funktionen – die Kleriker -, die deutlich von den übrigen Gläubigen – den Laien – abgehoben sind. Basiskonzept ist dabei eine einfache, duale und robuste Unterscheidung, die auch Menschen verstehen, die nicht lesen und schreiben können: Die Menschen leben in einem Jammertal, da sie alle Sünder sind, Lügner, die in die Hölle kommen werden, wo sie unsägliche Qualen erleiden. Und Sterben tun sie alle und dann sind sie tot. Davor kann sie nur eine einzige Organisation retten, die Kirche. Auch wenn der Mensch aus dem Paradies vertrieben wurde, so kann er doch durch Gott und seine Kirche Vergebung erlangen, die Wahrheit erkennen, in den Himmel kommen und erlöst werden. Den Tod braucht man nicht zu fürchten, er ist ein Doppelpunkt, für das wahre Leben und die Auferstehung. Für alles das braucht es keine supporting evidence.
Und es entsteht dadurch ein ungewöhnlicher Nebeneffekt – aus der Idee, dass alle Menschen Sünder seien -, gibt es auch für den Klerus keine Produkthaftung. Mit anderen Worten: Jeder Mensch macht Fehler, wird Sünder, und trägt keine Verantwortung für sein Handeln oder seine Versprechen, wenn er mit Gott wieder im Reinen ist.
Der Klerus ist eine flache Hierarchie („heilige Ordnung“) und über das corporate design des Collars (Priesterkragen) leicht erkennbar in drei Varianten Pater/Priester (Soutane und Zingulum (Gürtel) sind schwarz), Bischöfe (schwarze oder rote Soutane, rotes Zingulum), Papst (Soutane und Zingulum in weiß). Ebenso sind alle Mönchs- und Nonnenorden an ihrem Habit (Kleidung) zu erkennen, die für alle Mitglieder genau gleich ist.
Im Branding ist die Einzigartigkeit des Markenzeichens „Christliches Kreuz“ so stark, dass es diverse Untermarken integrieren kann und immer erkennbar bleibt. Das Christentum ist nach Dominik Imseng somit: „eine antifragile fraktale Marke, die sich je nach Anspruchsgruppe neu aufstellt.“ Die Marke „römisch-katholische Kirche“ besteht aus 24 Untermarken, von denen die lateinische mit Sitz in Rom nur die größte ist.
Das Ganze wird eingebettet in Give Aways (Andachtsbildchen und Fleißkarten), Promotions (Herz-Jesu-Bilder, etc.) sowie Fan-Artikel (Devotionalien). Ein religiöses Merchandising zu übersichtlichen Preisen.
Unübersehbar ist zudem die Anzahl der point of sales (Kirchengebäude als Verkaufsstellen), von denen es rund zehnmal so viel gibt (35.902) wie Filialen von ALDI-Nord und ALDI-Süd zusammen (3.578). Auch wenn die branded utility des Läutens der Kirchturmglocken als Zeitangabe nicht mehr so stark akzeptiert ist, bleibt der flagship store in Rom ein Touristenmagnet.
Kirche und Membership Economy
Das besonders in Deutschland wirtschaftliche Erfolgsmodell „Katholische Kirche“ beruht neben der exklusiven Geschäftspartnerschaft mit dem Staat auf einer so genannten „Membership Economy“, will heißen, dass von der katholischen Kirche alles getan wird, um die Kirchenmitgliedschaft und damit das Zahlen der Kirchensteuer zu gewährleisten, was mithilfe des staatlichen Inkassos geschieht. Dazu zwei Beispiele.
Taufe, Firmung und Eucharistie sind die drei Sakramente, durch die der Mensch in die katholische Kirche eingegliedert wird.
Die Taufe ist einerseits gleichsam ein Versprechen der Eltern, das Kind christlich zu erziehen, und andererseits der Beginn einer Kirchenmitgliedschaft. Damit diese Taufe und die Kirchenmitgliedschaft jedoch vollständig wird, ist katechetisch und kirchenrechtlich die Firmung zwingend vorgeschrieben. Das heißt, erst mit der Firmung („Firmare“), des mit 14 Jahren kirchenrechtlichen Erwachsenen, wird die Kirchenmitgliedschaft bestätigt und endgültig.
Nun ist es aber so, dass als Beispiel im Erzbistum Köln (dargestellt in der unteren blauen Linie), sich nur rund 50 Prozent der Täuflinge auch firmen lassen. Ihre ohne ihre Zustimmung begonnene Kirchenmitgliedschaft müsste also beendet werden. Das geschieht jedoch nicht. (Ausführliche Erläuterungen im fowid-Artikel “Wer ist Kirchenmitglied?“)
Nun noch ein weiterer Aspekt.
Lange war umstritten, ob beim Austritt aus Religionsgemeinschaften, deren Mitgliedschaftsrecht an die staatlichen Austrittsgesetze anknüpft, erklärt werden kann, der Austritt solle nur für den staatlichen Bereich gelten, die Mitgliedschaft aber bestehen lassen. Die Folge dieses „Kirchenaustritt mit nur bürgerlicher Wirkung“ wäre eine Mitgliedschaft ohne entsprechende Verpflichtungen (z. B. keine Zahlung von Kirchensteuer). Die Streitfrage hat sich aber dadurch erledigt, dass die staatlichen Kirchenaustrittsgesetze insoweit geändert wurden, als sie Zusätze und Bedingungen zur Austrittserklärung nicht mehr zulassen.
Trat man in Deutschland aus der katholischen Kirche aus, wurde man exkommuniziert, d. h. von der Sakramenten ausgeschlossen. Das hatte der Papst als unverhältnismäßig hart kritisiert, da die Exkommunikation nur bei Glaubensabfall oder Ungehorsam gegen einen Bischof vorgesehen sei.
Die deutsche Bischofskonferenz erwiderte daraufhin, man werde bei der bewährten Praxis bleiben.
Im Juli 2007 wollte der emeritierte Professor für Kirchenrecht an der Universität Freiburg, Hartmut Zapp, das wissen. Zapp ließ also auf dem Kirchenaustrittsformular in der Zeile, in der eingetragen wird, aus welcher Religionsgemeinschaft man austrete, einen Zusatz eintragen: Römisch-katholisch (Körperschaft des öffentlichen Rechts). Damit wollte er den kirchlich-staatlichen „Zwangsbeitrag Kirchensteuer“ vermeiden, aber Mitglied der religiösen Glaubensgemeinschaft bleiben und freiwillig zahlen.
Das hatte einen mehrjährigen Zug durch die Gerichte zur Folge, bis 2012 das Bundesverwaltungsgericht der kirchlichen Auffassung Recht gab, das Kirche ein rechtseigener Raum sei, in den der Staat nicht eingreifen dürfe. Das entspricht Canon 222 des katholischen Kirchenrechts: „Die Gläubigen sind verpflichtet, für die Erfordernisse der Kirche Beiträge zu leisten, … .“
Diese beiden Beispiele zeigen, dass die katholische Kirche für den Geschäftserfolg auch pragmatisch bereit ist, katechetische Erfordernisse oder staatliche Gesetze zu missachten.
Ein Blick auf die Zahlen zeigt. dass die Bischöfe der katholischen Kirche in Deutschland sich mit diesen kompromisslosen Maßnahmen ökonomisch - im Hinblick auf die „Membership Economy“ - absolut richtig verhalten.
Ein erster Blick scheint anderes zu bedeuten. Es ist richtig, dass sich der Filialbesuch in den point of sales, (der regelmäßige Gottesdienstbesuch), von 1950 bis 2017 von 50 Prozent der Kirchenmitglieder auf 10 Prozent reduziert hat.
Aber die Markentreue der Kundschaft zur Marke Kirche verringert sich vergleichsweise nur gering.
Es sind im Mittel der Jahre von 1980 bis 2017 nur 0,6 Prozent pro Jahr. Auch wenn es im betrachteten Zeitraum die Tendenz einer leichten Zunahme gibt, bleibt das doch im Bereich des Überschaubaren.
Und vor allem zeigt es im Bereich der Ökonomie keine Auswirkungen, denn die Umsätze mit den Einnahmen aus der Kirchensteuer steigen – und das ist ja das Ziel der „Membership Economy“. 2015 wurde die 6 Mrd.-Euro-Grenze überschritten.
Das mittlere Wachstum der Kirchensteuereinnahmen von 1991 bis 2017 liegt bei 2,1 Prozent.
Die Variationen über die Jahre beruhen vorrangig auf Schwankungen im Einkommensteueraufkommen des Staates, da die Kirchensteuer als Annexsteuer an die staatliche Einkommenssteuer gekoppelt ist.
Es gibt allerdings auch Grenzen dieses Konzepts, denn als zur Beendigung der ‚Schummelei‘ der Kirchenmitglieder bei Zinserträgen 2015 die kompliziert organisierte Kapitalertragskirchensteuer in einem automatisierten Verfahren eingeführt wurde, mit einer anonymen aber (so wörtlich) „gläubigerscharfen Abführung“ der berechneten Kirchensteuer auf Kapitalerträge, häuften sich die Kirchenaustritte, vor allem älterer Mitglieder, die das als unmoralischen Zugriff auf ihre sauer verdienten Spargroschen empfanden.
Dieser bemerkenswerte Erfolg der Membership Economy in Deutschland zeigt sich auch im Vergleich zu Österreich. Während in Österreich der Kirchenbeitrag nicht an die staatliche Steuer gebunden ist, müssen die Kirchen selber ermitteln, wer bei Ihnen Mitglied ist und wie hoch das Einkommen – nach Selbsteinschätzung – dieser Mitglieder ist und es selber organisieren. In Deutschland sind die Mitgliederdaten der religiösen Körperschaften weitestgehend staatlich erfasst und werden in einer engen Geschäftspartnerschaft zwischen Staat und Kirche bei der staatlich organisierten Steuerberechnung gleich mit berechnet, was für die Lohn- und Gehaltsabhängigen kostenlos durch die Arbeitgeber monatlich zu berechnen und zu überweisen ist. Dieses finanzverfassungsrechtliches Unikat des staatlichen Inkasso erwirtschaftet für die beiden großen Amtskirchen in Deutschland das vergleichsweise Dreifache an Einnahmen, was die Kirchenbeitragsstellen in Österreich realisieren.
Die Marketingexpertin Robbie Kellman-Baxter wurde gefragt: „Was hat eine Firma von Mitgliedern?“ Ihre Antwort: „Ein lebenslanger Kunde ist die Gans, die goldene Eier legt. Ich streiche jeden Monat Umsatz ein, das hilft unter anderem bei der Finanzplanung.“