Ablösung der Staatsleistungen, Herbst 2024
Fowid-Dokumentation: Auf der Jahreskonferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Bundesländer (vom 23. bis 25. Oktober 2024) in Leipzig wurde der Beschluss gefasst, dass sie die geplanten Grundsatzregelungen zur Ablösung der Staatsleistungen ablehnen. Das ist verfassungsrechtlich korrekt und eröffnet zugleich ein Dilemma, das verdeutlicht, dass die Kirchen immer noch das Staat-Kirche-Verhältnis in Deutschland dominieren.
1. 2024
2. 2022
3. Cui Bono?
4. Der Clou
Die Ablehnung der Länder von angekündigten Grundsätzregelungen des Bundes benennt zwei Gründe als wesentlich: 1. Die damit verbundenen finanziellen Lasten für die Länder und 2. die Ankündigung, ein Grundsätzegesetz ohne Zustimmung der Länder zu planen.
Beide Aspekte entsprechen nicht dem Verfassungsauftrag des Art. 138, Satz 1 WRV,
„Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“
der über Art 140 ins Grundgesetz übernommen wurde. Wie dieser Verfassungsauftrag inhaltlich zu verstehen ist, wurde bereits 1921/1924 in dem „Entwurf eines Grundsätzegesetzes zur Ablösung der Staatsleistungen“ ausformuliert. Ein wesentliches Element ist dabei, dass ein „Kapitalisierungsfaktor“ in einem Grundsätzegesetz nicht möglich ist.
„Einen Kapitalisierungsfaktor allgemein für alle Länder reichsrechtlich festzulegen, ist nicht möglich. Die Staatsleistungen an die Länder sind geschichtlich geworden. Sie sind aufs engste verknüpft mit der Entwicklung, die das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in den einzelnen Ländern und deren Rechtsgebieten genommen hat. Hinsichtlich des Maßes der Ablösung kann sich die Reichsgesetzgebung nur auf die Festlegung des allgemeinen Grundsatzes beschränken, daß die Ablösung einen angemessenen Ausgleich für die bisherigen Staatsleistungen gewähren muß.“ Und ebenso: „Auch hinsichtlich der Wahl der Ablösungsmittel muß den Ländern entsprechend ihren verschiedenen Verhältnissen volle Freiheit gelassen werden. § 4 kann daher nur die möglichen Ablösungsmittel aufführen, ohne einen bestimmten Zwang in dieser oder jener Richtung von Reichs wegen auszusprechen.“
Indem sich die Länder keinen Kapitalisierungsfaktor vorschreiben lassen wollen und der Auffassung sind, dass ein Grundsätzegesetz einvernehmlich abgestimmt werden sollte, fordern sie nur die Beachtung der verfassungsgemäßen Vorgaben. Allerdings geraten die Länder dadurch in das Dilemma, dass es auch weiterhin kein Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen geben wird. Das heißt, die Länder zahlen weiter.
Auffassungen, die das als „Verweigerung der Länder“ zur Ablösung der Staatsleistungen betrachten, unterstützen die verfassungswidrigen Absichten von Fraktionen des Bundestages und der Kirchen.
1. 2024
Die am 6.11.2024 beendete „Ampel-Koalition“ hatte den Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen umsetzen wollen. Die dazu vom BMI eingesetzte Arbeitsgruppe zur Vorbereitung eines Gesetzentwurfes tagte mehrmals hinter verschlossenen Türen und hat ihre Tätigkeit ohne abschließenden Bericht beendet. Allerdings hat das BMI benannt, welche Organisationen bei den Beratungen anwesend waren.
„An den Arbeitsgruppensitzungen haben je nach Sitzung 37 bis 51 Personen teilgenommen. Neben Vertretern des Bundeskanzleramtes, des Bundesministeriums des Innern und für Heimat sowie des Bundesministeriums der Justiz sind Vertreter der zuständigen Ressorts bzw. Staats- und Senatskanzleien aller Länder Mitglieder der Arbeitsgruppe. Weiterhin nehmen die zuständigen Vertreter von Landeskirchen der Evangelischen Kirche und von Diözesen der Katholischen Kirche sowie Vertreter der Altkatholischen Kirche und Sachverständige der Evangelischen und der Katholischen Kirche regelmäßig an den Sitzungen der Arbeitsgruppe teil.“
Die direkte Teilnahme von Kirchenvertretern bei den Bund-Länder-Beratungen an der Vorbereitung eines Gesetzes, dass ihre eigenen finanziellen Interessen berührt, entspricht auch nicht den historisch vorgegebenen Auffassungen.
In den Stellungnahmen von kirchlicher Seite wird als Standardformel darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Ablösung der Staatsleistungen – im Unterschied zum Entwurf von 1924, in dem man von gerichtlich zu klärenden Konflikten ausging – zwischen Staat und Kirche ein „freundschaftliches Einvernehmen“ vereinbart worden sei. So in der Stellungnahme des Katholischen Büros, in der Rechtsgrundlagen (S. 2) klar benannt sind: Das Reichkonkordat von 1933.
„Zu beachten ist ferner, dass gemäß Art 18 des Reichskonkordats vor Ausarbeitung der für die Ablösung aufzustellenden Grundsätze rechtzeitig zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Bund ein freundschaftliches Einvernehmen herbeigeführt werden muss. Aus Paritätsgründen gilt diese Vorgabe auch im Hinblick auf die EKD.“
Das heißt, mit anderen Worten eines Nicht-Juristen: Das „freundschaftliche Einvernehmen“ mit den verbrecherischen Nationalsozialisten wird offen benannt und eingesetzt, um die Kirchen an den politischen Verhandlungstisch von Bund und Ländern zu bringen.
Dass ein solcher Bezug – in Zeiten, da die ‚politische Mitte‘ sich weigert, mit Vertretern der AfD zu sprechen, da sie „gesichert rechtsradikal“ sei – nicht zu einem Aufschrei der ethischen Empörung führt, ist verwunderlich. Der seinerzeitige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, musste 1978 – nach einer Diskussion seiner Tätigkeit 1943-45 als Marinerichter und Todesurteilen wegen Fahnenflucht – für seine Erklärung „Was damals rechtens war, das kann heute nicht Unrecht sein“ zurücktreten.
Das Prinzip der Vertragstreue („Pacta sunt servanda“ – Verträge sind einzuhalten) ist ein wesentlicher Leitsatz. Erfolgt das jedoch ohne eine ethische Rückbindung und ggf. einer Korrektur, so ist das nur ein formal-juristischer Machthebel von Staatskirchenrechtlern, der jeder demokratischer Überzeugung spottet.
Seitdem wurden verschiedene Vorhaben bekannt, die sich jedoch insgesamt an einem Gesetzentwurf aus der vorherigen Legislaturperiode orientierten.
2. 2020
In der 19. Legislaturperiode war 2020 ein Gesetzentwurf der Oppositions-Fraktionen FDP, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BT-Drucksache 19/19273) für ein Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen von der regierenden Großen Koalition abgelehnt worden.
In § 1 dieses Gesetzentwurfs wird nach dem Äquivalenzprinzip das 18,6-Fache des zuletzt gezahlten Betrages als Ablösesumme genannt.
„§ 1: Die Länder lösen die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften im Sinne des Artikels 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 138 Absatz 1 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 ab. Die maximale Höhe der Ablösungsleistungen ist am Äquivalenzprinzip orientiert, wobei im Einzelfall im Wege von Verhandlungen Abschläge vorgesehen werden können. Bei der Berechnung dieses Wertes ist das 18,6-fache der jährlich zu leistenden Zahlungen im Jahr 2020 zugrunde zu legen. Bisher gezahlte Leistungen werden bei der Ablösung nicht berücksichtigt.“
Eine solche Ablösung wäre der „Best Case“ für die Kirchen – sie käme einer ewigen Weiterzahlung der Staatsleistungen gleich.
Nach „Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat“ (BT-Drucksache 19/29000) wurde der Gesetzentwurf am 6. Mai 2021 vom Bundestag abgelehnt.
3. Cui Bono?
Fragt man sich, warum die finanzielle Trennung von Staat und Kirche seit 106 Jahren Verfassungsauftrag nicht stattfindet, erscheint es sinnvoll, zu versuchen ‚hinter die Kulissen‘ zu schauen. Dabei wird deutlich, dass zwei Interessen aufeinandertreffen: Die bisher zahlende Partei (der Staat) soll sich möglichst bald – der Verfassungsauftrag - von diesen Zahlungsverpflichtungen auf faire, angemessene Weise befreien und die bisherigen Zahlungsempfänger – die Kirchen – wollen einen möglichst hohen finanziellen Ausgleich erreichen.
Die Kirchen verlieren nichts, wenn der Staat weiterhin zahlt, im Gegenteil, es könnte zudem in ihrem Interesse liegen, den Ablösungszeitpunkt möglichst lange hinauszuschieben: 106 Jahre ist ihnen das bereits gelungen. Welche Aspekte spielen dafür eine Rolle?
1. Fuldaer Bischofskonferenz 1919. In der ersten Stellungnahme der Bischofskonferenz zur Weimarer Reichsverfassung erklären die Bischöfe grundsätzlich, dass der Staat nicht befugt sei, in ihre Rechte einzugreifen, aber man werde sich wohl einigen.
„Die katholische Kirche ist eine Institution, die durch Jesus Christus auf göttlicher Einsetzung beruht und deren Rechten, wie solche ihr von ihrem göttlichen Stifter verliehen sind und aus ihrer göttlichen Stiftung sich ergeben, keine weltliche Gesetzgebung Grenzen und Schranken zu setzen befugt ist. […] Von dem christlichen Grundsatz ausgehend, daß Staat und Kirche zwei verschiedene von Gott gewollte, jede auf ihrem Gebiete selbständige und darum gleichberechtigte Gewalten sind, dürfen wir der Überzeugung Ausdruck geben, daß sich hinsichtlich verschiedener Artikel der neuen Verfassung des Deutschen Reiches, die wir beanstanden mußten, eine friedliche Verständigung zwischen den verantwortlichen leitenden Stellen in Staat und Kirche ohne Schwierigkeiten wird erzielen lassen.“
2. Umsetzung des Verfassungsauftrages. Im Reichsinnenministerium war zur Umsetzung des Verfassungsauftrages 1920 eine Referentenstelle geschaffen worden. Man nahm diesen Auftrag zur finanziellen Trennung von Staat und Kirche ernst und wollte das baldmöglichst realisieren. Zur Abstimmung mit den Reichsländern schreibt der Reichsinnenmister am 25. Mai 1921 man möge die Beratungen zügig realisieren und Vertraulichkeit gegenüber Dritten bewahren.
„Mehrere Landesregierungen wünschen dringend, daß das zur Ausführung des Artikels 138 Absatz 1 Satz 2 der Reichsverfassung erforderliche Reichsgesetz alsbald verabschiedet werde. Mit Rücksicht hierauf bitte ich mir Abänderungs- oder Ergänzungsvorschläge baldigst zukommen zu lassen. Es erscheint mir erwünscht, zunächst eine möglichst übereinstimmende Auffassung zwischen Reichsregierung und Landesregierungen herbeizuführen. Zur Erreichung dieses Zieles halte ich es nicht für zweckmäßig, den Vorentwurf jetzt außer den Reichsressorts, den Landesregierungen und den Bevollmächtigten zum Reichsrat auch noch anderen Stellen mitzuteilen.“
Natürlich wird das nicht eingehalten und die Dritten (d. h. die Kirchen) beteiligen sich ungefragt. In den Archivbeständen der Akten des Thüringischen Ministeriums für Volksbildung, das für die Mitwirkung am Ablösegesetz zuständig war, ist das erste (fünfseitige) kirchliche Schreiben dazu (vom Landeskirchenrat der Thüringer evangelischen Kirche) vom 14. Sept. 1922 vorhanden.
3. Bayern Konkordat 1924. Mit dem Ende des Königreichs Bayern und der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung (mit dem Ablöseauftrag) geriet die katholische Kirche dort in einen Zielkonflikt. Das heißt, dass sie gleichzeitig zwei bzw. mehrere Ziele erreichen wollte, die sich aber gegenseitig (eigentlich) ausschließen. Zum einen wollte sie die bisherigen Finanzierungen des höheren Klerus durch den Staat (Konkordat 1817) weiter erhalten – obwohl das Königreich beendet war -, und diese weiteren Zahlungen sollten unter die abzulösenden Staatsleistungen fallen, was eine Fortschreibung („Novation“) des Konkordates bedeutet hätte. Zum weiteren wollte man eine „Ewigkeitsrechte“ vereinbaren, was mit dem Verfassungsauftrag einer Beendigung der staatlichen Finanzierung im Widerspruch stand. Das wurde mit dem Bayern-Konkordat 1924 alles gleichzeitig geregelt.
In Artikel 10 des Bayern-Konkordates 1924 heißt es in Satz 2: „Die vermögensrechtlichen Verpflichtungen, die im Konkordate von 1817 festgelegt sind, werden durch folgende Vereinbarung ersetzt: […]“ und es werden Geldleistungen als „Jahresrenten“ festgesetzt. Die Fortführung der staatlichen Alimentierung gelingt zwar, aber die Fortschreibung des Konkordates von 1817 als „Novation“ muss anders realisiert werden, denn in Art 15, Abs. 2 des Konkordates heißt es; „Mit dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Konkordates wird das Konkordat vom Jahre 1817 als nicht mehr geltend erklärt.“ Damit ist (eigentlich) eindeutig, dass diese vereinbarten Geldzahlungen keine ablöseberechtigten, altrechtlichen Staatsleistungen darstellen. Aber das lässt sich durch eine beständige Behauptung, dass es ablöseberechtigte Staatsleistungen seien, in Zeitverlauf von 100 Jahren (1924-2024) medial erfolgreich korrigieren.
In Satz 3 wird dann die „Ewigkeitsrente“ vereinbart:
„Im Falle einer Ablösung oder Neuregelung der auf Gesetz, Vertrag oder besonderem Rechtstitel beruhenden staatlichen Leistungen an die Kirche sichert der Bayerische Staat die Wahrung der kirchlichen Belange durch Ausgleichsleistungen zu, die entsprechend dem Inhalt und Umfange des Rechtsverhältnisses unter Berücksichtigung der Geldwertverhältnisse vollen Ersatz für das weggefallene Recht gewähren.“
Das ist als zweifache Verfassungswidrigkeit bezeichnen. Zum einen greift es einer Reichsregelung der Ablösung voraus („Reichsrecht bricht Landesrecht“), zum anderen ist eine derartige Bezahlung von Klerikern – in deutscher Tradition – die Finanzierung einer Staatskirche, die es nach Art. 137 WRV aber nicht mehr gibt.
4. AGKStV vom 7. April 1925. Die Rechtswidrigkeit dieser Vereinbarungen stört aber anscheinend niemanden und im „Gesetz zur Ausführung konkordats- und staatskirchenvertraglicher Verpflichtungen Bayerns“ (AGKStV) wird im Folgejahr 1925 detailliert festgeschrieben, was die verschiedenen Kleriker aus der Staatskasse erhalten: Von A 13 bis B3 – die Besoldungsstufen der Beamtenbesoldung = Staatskirche.
5. Reichskonkordat 1933. Die Kirchen und die mit ihnen verbundenen konservativen Politiker konnten in der Nationalversammlung 1919 keine Mehrheit dafür erreichen, dass des „rechtsbegründende Herkommen“ bei den „sonstigen Rechtstiteln“ anerkannt wurde. Das „Herkommen“/Gewohnheitsrecht gehörte ausdrücklich nicht zu den „sonstigen Rechtstiteln“ (59. Sitzung der verfassungsgebenden Nationalversammlung). Damit hatten die Nationalsozialisten aber keinerlei Probleme und im Reichskonkordat 1933, Art. 18 wird diesem Wunsch der katholischen Kirche „im freundschaftlichen Einvernehmen“ entsprochen.
6. Art 123 GG. Die Gültigkeit und fortdauernde Geltung des Reichskonkordates 1933 wird im Grundgesetz über einen unscheinbaren, einfachen Satz in Art. 123, 1 geregelt: „Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestages gilt fort, soweit es dem Grundgesetze nicht widerspricht.“ Juristen und Historiker haben damit keinerlei Probleme, denn das Reichskonkordat habe „keine klassische nationalsozialistische Färbung des Vertragstextes, wie zum Beispiel eine Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung.“
7. Pauschalisierung der Zahlungen. Für die Frage, wie es den Kirchen gelingen konnte, dass die Alimentierungen des Klerus – die nicht der Bedingung des Ablösungsbot entsprachen, dass sie vor 1919 bestanden haben mussten –, als (altrechtliche) Staatsleistungen zu etablieren, lässt sich in einer EKD-Stellungnahme verdeutlichen: die einvernehmliche Pauschalisierung der Zahlungen.
„Der Umfang der finanziell bedeutendsten Staatsleistungen läßt sich heute leicht bestimmen, weil der historisch unübersichtliche Bestand der „auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen“, die die Bundesländer den römisch-katholischen Diözesen und den evangelischen Landeskirchen in ihrem Gebiet schulden, in den Staatskirchenverträgen zwischen den Bundesländern und den staatsleistungsberechtigten Kirchen einvernehmlich in pauschalen, indexierten Jahresleistungen zusammengefaßt worden ist.“
Man muss nur den „unübersichtlichen Bestand“ beständig als (altrechtliche) Staatsleistungen darstellen, damit es jeder glaubt.
8. Kirchen-Parteien-Staatsrechtler. Wie passgenau diese Verflechtung von kirchlichen Finanz-Interessen, politischen Interessen der CDU und universitären Staatskirchenrechtlern funktioniert, zeigt ein Aufsatz von Prof. Dr. Michael Germann: „Der Weg zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen“ der 2022 in der Schriftenreihe „Analyse und Beratung“ der Konrad-Adenauer-Stiftung publiziert wurde. In diesem Artikel werden alle Interpretationen zugunsten der Kirchenforderungen ‚auf den Punkt gebracht‘: „Am besten lässt sich die Ablösung der Staatsleistungen in die Gestaltungsmöglichkeiten der Politik einfügen, wenn die Ablösungsschuld als Teil der Staatsschulden anerkannt und sie mit den dafür gängigen Instrumenten behandelt wird.“ Der Staats ist also der „Schuldner“ und die Kirchen die „Gläubiger“. Zum Autoren heißt es bei der KAS:
„Prof. Dr. Michael Germann ist seit Oktober 2002 Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Staatskirchenrecht und Kirchenrecht an der Juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Im Ehrenamt ist er unter anderem Richter des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt, außerdem Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland.“
Das Wichtigste steht am Schluss („Mitglied der Synode der EKD“) und verdeutlicht, dass man den Artikel transparenter und korrekter als Stellungnahme der EKD bezeichnet hätte.
9. Ewigkeitsrente. Damit ist das Ziel der Kirchen, eine „Ewigkeitsrente“ durchzusetzen, erreicht. Die Kirchen bringen sich aufgrund ihres freundschaftlichen Einvernehmens mit den Nationalsozialisten mit an den Verhandlungstisch des Bund und der Länder – wo sie historisch gesehen nichts zu suchen haben –, und stellen ihre Forderung des 18,6-fachen Ablösebetrages – zudem für Zahlungen, die gar nicht ablöseberechtigt sind –, woraufhin die Länder erklären, dass sie das nicht aufbringen könnten und lieber die bisherigen Beträge – mit den jährlichen Anpassungen an die Beamtenbesoldungen –, weiter bezahlen würden. Der ‚schwarze Peter‘ liegt damit bei den Ländern, die nicht ablösewillig seien. Das ist perfekt.
10. Kirchliche Kontrolle. Hier schließt sich der Bogen, der 1919 mit der Stellungnahme der Bischofskonferenz begann. Der eigene Anspruch der Besonderheit „göttlicher Stiftung“ wird erst dadurch wirksam, indem die säkulare Politik diese Sichtweise bestätigt und z. B. die behauptete und beanspruchte „Partnerschaft“ zwischen Staat und Kirche vertraglich vereinbart. Insofern müssen die beiden Großkirchen die Politik beeinflussen, das auch zu tun. Sie sind gezwungen, das Staat-Kirche-Verhältnis unter „kirchenleitender Kontrolle“ zu halten, wie es der langjährige stellvertretende Bevollmächtigte der EKD, Hermann Kalinna 1995 formulierte, „damit das Verhältnis Staat-Kirche nicht der Steuerung durch die Kirchenleitung entgleitet.“[1] Er beschreibt die Funktion des katholischen Büros.
„Wird in den Verkehr zwischen Staat und Kirche der ‚Puffer’ eines Botschafters eingeschaltet, so vergrößern sich die Chancen, die notwendige Distanz zu wahren, die Kooperation zu verstetigen und die kirchenleitende Kontrolle zu gewährleisten. Staat und Kirche sind streng genommen keine Partner, wie es ein gewisser Sprachgebrauch aus den sechziger Jahre nahelegt. Die Menschen, die in beiden Bereichen wirken, können zwar durchaus partnerschaftlich und freundlich miteinander umgehen. Staat und Kirche sind jedoch zu komplexe institutionelle Gebilde, als daß man ihre Kontakte und Beziehungen auf einen Begriff bringen könnte. Dabei sind vorgegeben das komplexe staatskircherechtliche System und die ungeschriebenen Regeln des Umgangs. Die Beherrschung beider ist wichtig, damit das Verhältnis Staat-Kirche nicht der Steuerung durch die Kirchenleitung entgleitet. Vestigia terrent!“[2]
Nach dem bisherigen Stand der Dinge – die Länder zahlen weiter – haben die Kirchen auch aktuell immer noch die Steuerung des Verhältnisses von Staat und Kirche erfolgreich unter ihrer Kontrolle. Das ist allerdings kein Problem der Kirche, sondern ein Problem des Staates und seiner Politiker, die die Kirchen nicht in ihre Schranken verweisen.
4. Der Clou
Der besondere Erfolg des – verständlichen - kirchlichen Lobbyismus liegt in der Tatsache, dass die Zahlungen in den Haushaltsplänen der Bundesländer, die mit rund 12 Milliarden Euro Schlusszahlungen abgelöst werden sollen, verfassungsrechtlich überhaupt keine „altrechtlichen“, ablöseberechtigten Staatsleistungen sind. Für diese „altrechtlichen Staatsleistungen gilt – unbestritten – dass sie auf Gesetz, Vertrag und anderen Rechtstiteln beruhen und vor dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung (11.8.1919) bereits bestanden haben müssen. Eine Durchsicht der Haushaltspläne der Bundesländer zu den Rechtsgrundlagen dieser Zahlungen brachte das Ergebnis, dass diese Vereinbarungen (Konkordate, Staat-Kirche-Verträge, etc.) alle erst nach diesem Datum entstanden sind (Vgl. „Staatsleistungen und Staatsdotationen“).
Damit sind diese Zahlungen nicht „altrechtlich“ und mit einem angemessenen Schlussbetrag zu beenden, sondern einfache finanzielle Vereinbarungen zwischen Staat, Ländern und Kirchen zur Finanzierung des Klerus. Diese Vereinbarungen können jederzeit ohne eine Abschlusszahlung beendet werden.
Welche und wie hoch die tatsächlichen altrechtlichen Staatsleistungen sind, muss erst noch auf der Verhandlungsebene der Länder mit den Kirchen recherchiert und geklärt werden.
So hat das Bundesland Freistaat Bayern hinsichtlich zukünftiger Ablöseverhandlungen bereits klar erklärt und begründet, dass von den Zahlungen im Haushalt an die Kirchen (2022: 103.187.000 Euro) nur 40.047.000 (= 39 Prozent) zu den „Staatsleistungen“ zählen würden, jedoch 63.140.000 Euro als „Staatszuschüsse“ freiwillig erfolgen – also nicht auf Gesetz, Vertrag und sonstige Rechtstiteln beruhen - und somit auch nicht mit einem Mehrfachen des zuletzt gezahlten Betrages abgelöst werden brauchen. (Vgl. „Staatszuschüsse in Bayern 2001-2022“)
Ein anderes Beispiel: In einer Bachelorarbeit (2014) zur „Ablösung der Staatsleistungen in Mecklenburg-Vorpommern gem. Art. 140 GG i. V. m. Art. 138 I WRV“ hat der seinerzeitige Student Jan Szymik detailliert recherchiert, dass die Ansprüche an das Land Mecklenburg-Vorpommern erheblich geringer sind als die im Haushalt angegebenen Zahlungen an die Kirchen.
Es wird also mehr als Zeit, dass mit einem einfachen Grundsätzegesetz – ohne irgendwelche Kapitalisierungsfaktoren oder andere Regelungen, die die Freiheit der Länder einschränken würden – die Verhandlungen und Recherchen endlich dort ankommen, wo sie tatsächlich hingehören: bei den Bundesländern.
Carsten Frerk
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[1] Hermann E. J. Kalinna: Verbindungsstellen zwischen Staat und Kirchen im Bereich der evangelischen Kirche, in: Joseph Listl und Dietrich Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Zweiter Band. Zweite, neubearb. Auflage, Berlin: Duncker & Humblot, 1995, S. 195
[2] Vestigia terrent (lat.), „Die Spuren (der von dir getöteten Tiere) schrecken (mich zurück)“, Zitat aus Horaz (Epist., I, 1, 74), welches sich auf die Äsopische Fabel vom Löwen und Fuchs bezieht.