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Kirchenmitglieder und Konfessionsfreie in Berlin, 1867 - 2017

Wie war die Entwicklung Berlins zur „Hauptstadt der Gottlosen“? Bereits 1880 wurden 246 Personen „ohne Religionsbekenntnis“ gezählt – das war ein Spitzenwert im Deutschen Kaiserreich. Während die römischen Katholiken seit 1900 recht stabil einen Anteil von 10 Prozent verzeichnen, ist es vor allem der Rückgang der Mitgliederzahl der dominierenden Evangelischen, der sich im Zuwachs der „Gottlosen“ darstellt.

Die Tendenz zu den „säkularisierten Großstädten“ ist schon Ausgang des 19. Jahrhunderts bemerkenswert. In der Volkszählung von 1880[1] wird detailliert über die Religionsbekenntnisse berichtet. Dazu schreibt das Kaiserliche Statistische Amt:

„Ferner sind in der Übersicht diesmal die Personen mit unbestimmter Angabe des Religionsbekenntnis von denjenigen, welche dasselbe garnicht angegeben haben, getrennt aufgeführt. Der ersteren giebt es freilich im Deutschen Reich nur wenige, 3 138, und es kann daher ein besonderes Interesse an sie nicht knüpfen, so wenig wie an der Zahl der Personen ohne Angabe der Religion, deren 27 111 gezählt wurden. Es kommen solche Personen, wie leicht erklärlich, namentlich in großen Städten vor. Hamburg z. B. hat 3 644 Einwohner ohne Angabe einer Religion und 1 242 mit unbestimmter Angabe. Die Stadt Berlin, die vor 10 Jahren nur 236 Personen mit unbestimmter Angabe oder ohne Angabe der Religion zählte, hat nach der letzten Zählung 1 241 derartiger Personen aufzuweisen. Im ganzen Reich hat die Zahl derselben absolut und relativ zugenommen. Unter 10 000 ortsanwesenden Personen waren im Jahr 1871  3, im Jahr 1880  6,7 ohne oder mit unbestimmter Angabe der Religion. Gering ist, wie auch schon vor 10 Jahren, die Zahl der Bekenner anderer als der christlichen und mosaischen Religion – 366 gegen 176 im Jahr 1871 -. Es sind vorzugsweise Muhamedaner und Buddhisten.“

Diese Situation „derartiger Personen“ setzte sich fort und werden in der Berliner Statistik ab 1880 gesondert dargestellt. Von den bereits genannten 1.241 Personen sind es nun zehn mehr, d. h. 246 Personen „ohne Religionsbekenntnis“. Bis 1905 steigt diese Anzahl auf 1.733 Personen. Nach dem I. Weltkrieg werden 1925 in Berlin 330.222 Personen „ohne Religionsbekenntnis“ gezählt und 1933 sind es 603.150 Berliner, die „ohne Religionsbekenntnis“ sind. Vgl. Tabelle 1.1.)

Diese Zuordnungen in Evangelische, Katholiken, etc. sind jeweils Zusammenfassungen verschiedener Unterkategorien, die sich zudem auch noch im Zeitverlauf ändern.

Wie detailliert seinerzeit die Konfessionen erfasst und (vor allem auch) publiziert wurden, mag das Faksimile aus der Volkszählung 1885 in Berlin zeigen.

In der Kopfzeile sind einzeln angegeben und ggf. zusammengefasst:

  • Evangelische (bezeichnet als Evangelische: 1.106.649 / Evang.-luther.: 9.106 / Unirte (Landeskirche): 121 / Protestanten: 1.274 / Lutheraner: 16.035 / Alt- oder Separirt-Luther.: 2.265/ Böhm.-Lutht.: 44 / Reformirte: 5.380 / Franz. Reform.: 1.630 / Böhm. Reform.: 16 / Überhaupt: 1.142.520)
  • Protestantische Sectirer (Herrenhuter: 230 /Irvingianer: 1.647 / Baptisten: 654 / Andere: 330, davon: Presbyt. 13 m, 19 w. / Method. 56, 91 / Schott. K. 1, 1 / Quäker 8, 4 / Congregat. 2, 1 / Mennonit. 92, 42)
  • Engl. Hochkirche: 185
  • Katholiken: 99.207
  • Griechisch-kathol.: 255
  • Dissidenten: 3.419
  • Sonstige Christen (Sonstige christliche Secten: 36 / Christen ohne nähere Bezeichn.: 20 Confessionslos: 303 / als ungetauft bezeichnet:1.07 darunter: mit evangel. Eltern 320, 327 / mit irving 1 w / baptist. 2, 2 / kathol. 13, 8 / dissid. 21, 28)
  • Juden: 64.355
  • Muhamedaner: 16
  • Budd. u. and. Relig.: 61 (darunter: Buddh. 29 m /Confic. 11. 5 / Sinto 16 m)
  • Heiden: 3
  • Religion unbest.: 299 (darunter: Monoth. 1 m / Panth. 2 m / Atheist. 13, 3 /Natural. 1 m / Spirit. 1 m / Nihil. 1 m / Freidenker 1 m / ohne Religion 156, 78 / unbest. 25, 17)
  • ohne Angabe: 670.

Die ersten drei Gruppen wurden aus Gründen der Übersichtlichkeit zusammengefasst als „Evangelische“, die folgenden zwei als „Katholiken“, die weiteren zwei als „Sonstige Christen“, die Juden als „Jüdische Gemeinde“, die weiteren drei als „Andere Religionen“, die ‚Religion unbestimmt‘  als „Ohne Religionsbekenntnis“.

Daraus ergibt sich für die lange Zeit beiden größten Gruppen, die EKD-Evangelischen und die römischen Katholiken, folgende Übersicht:

Die Zahl der katholischen Kirchenmitglieder steigt langsam an und bewegt sich seit 1900 um einen Anteil von 10 Prozent der Bevölkerung. (Vgl. Tabellen 1)

Der Anteil der Evangelischen verringert sich relativ kontinuierlich von den (1867) noch 90 Prozent auf 75 Prozent in 1925. Bis 1970 halten sich (im Deutschen Reich, Deutschland und dann nur für West-Berlin) ein Anteil von rund 70 Prozent, der sich in der Volkszählung von 1987 auf weniger als die Hälfte (48,3 Prozent) der Bevölkerung in West-Berlin verringert. Der dann durch die Wiedervereinigung erfolgte ‚Absturz‘ auf 28 Prozent setzt sich in den weiteren Jahren als weiterhin absinkende Tendenz fort, auf einem niedrigeren Niveau.

Eine gesonderte Auswertung – aufgrund der Angaben der Religionsgemeinschaften (Vgl. Tabellen 2 und 3) – zeigt den kontinuierlichen Rückgang des Anteils der EKD-Evangelischen von 1961 bis 1989 in West-Berlin.

Für Gesamt-Berlin setzt sich dieser Trend dann weiter fort. Da nun auch die Zahlenangaben für Muslime vorliegen, können die Konfessionsfreien genauer bestimmt werden. Sie haben seit 1991 tatsächlich die Mehrheit in Berlin, deren Anteil sich seit 1991 (56 Prozent) kontinuierlich (bis 2017) auf 66 Prozent erhöht.

2017 beläuft sich – nach Angaben der Kirchen – der Anteil der EKD-Evangelischen in Berlin auf 16 Prozent und der Anteil der römischen Katholiken auf 9 Prozent, d. h. ein Viertel der Bevölkerung Berlins ist EKD-Evangelisches oder römisch-katholisches Kirchenmitglied.

Gibt es eine Trendumkehr?

Um es kurz vorweg zu sagen: Nein. In den Zahlen zur Veränderung der Mitgliederzahlen (Vgl. Tabelle 4.1 und 4.2.) zeigen sich die Kirchenaustritte als konstante Einflussgröße. Während es bei den katholischen Kirchenmitgliedern überwiegend positive Mitgliederveränderungen gibt (vor allem aufgrund der Zuwanderung von Katholiken aus Polen) sind die Kirchenmitgliederzahlen der EKD-Landeskirche seit 1994 – bis auf ein Jahr – beständig im Minus.

In West-Berlin gab es nur eine größere Austrittsphase (von 1969 bis 1976), wobei, auf einem etwas geringeren Niveau, der Anteil der Kirchenaustritte an den Kirchenmitgliedern bei Evangelischen wie Katholiken parallel verläuft. Nur in einem Jahr (1974) beträgt der Anteil der Kirchenaustritte an den Kirchenmitgliedern der Landeskirche mehr als 2 Prozent.

Der Mittelwert der Kirchenaustritte für West-Berlin (1961-1989) beläuft sich für die EKD-Landeskirche auf 0,97 Prozent der Kirchenmitglieder, für Berlin (1994-2017) steigt der Mittelwert auf 1,36 Prozent der Kirchenmitglieder an.
Parallel dazu steigt der Mittelwert des Anteils der Kirchenaustritte für die katholischen Kirchenmitglieder von 0,82 Prozent (für die Jahre 1961-1989) auf 1,27 Prozentpunkte (für 1994-2017).

Und auch ein weiterer Aspekt verdeutlicht, dass eine Trendumkehr nicht absehbar ist: der Altersaufbau (im Jahr des Zensus 2011) der evangelischen (20 Prozent) wie katholischen Kirchenmitglieder (8 Prozent) im Unterschied zu Konfessionsfreien (60 Prozent) und Muslimen (8 Prozent).

Die Anzahl der evangelischen wie katholischen Kirchenmitglieder verringert sich zunehmend und hat (2011) in den jüngsten Altersgruppen einen Tiefstand erreicht.

Sowohl hinsichtlich des zunehmenden Anstiegs der Kirchenaustritte wie auch in der altersmäßigen Zusammensetzung der Kirchenmitglieder ist eine Trendumkehr nicht absehbar. Das gilt für die EKD-Landeskirche uneingeschränkt, bei den römischen Katholiken gleicht die Zuwanderung die Verringerung – auf niedrigem Niveau – noch aus.

Gibt es eine Ost-West-Teilung?

In einer grafischen Darstellung des Statistischen Landesamtes Berlin-Brandenburg für die Bundestagswahlergebnisse (2017) und Religionsanteile (2016) in Berliner Bezirken und aufgrund der Berliner Einwohnerregisterstatistik lässt sich – zumindest für die EKD-Evangelischen und die römischen Katholiken – prüfen, ob es eine Ost-West-Verteilung gibt.

In der tabellarischen Übersicht (Vgl. Tabelle 5) wird deutlich, dass in keinem der Berliner Bezirke die beiden großen christlichen Kirchen (2017) eine Mehrheit bilden, auch nicht in den westlichen Bezirken. Eine Sortierung der Bezirke nach Anteilen der „andere/keine Religion“ zeigt zwar eine klare West-Ost-Abfolge, aber keine Ausschließlichkeiten.

Im wohlhabend-‚bürgerlichen‘ Bezirk Steglitz-Zehlendorf (im Westen) haben die beiden großen christlichen Kirchen mit 37,3 Prozent den höchsten Anteil aller Bezirke und im Bezirk Marzahn-Hellersdorf (im Osten) sind es, als geringster Wert, 11 Prozent.

Die 15,4 Prozent der evangelischen Kirchenmitglieder haben eine Spannweite von 20,5 Prozent (West) bis 10,5 Prozent (Ost), die 8,7 Prozent Katholiken haben eine Spannweite von 11 Prozent (West) und 6,5 Prozent (Ost), die 75,9 Prozent anderer Religionen und Konfessionsfreier haben eine Spannweite von 68,5 (West) bzw. 83 Prozent (Ost).

Das alles ist vor dem Hintergrund zu betrachten, dass seit 1990 eine gravierende Ost-West-Veränderung in den Bevölkerungsanteilen der Berliner Bezirke stattgefunden hat. Wohnten 1990 von den 3.433.000 Berliner rund 63 Prozent in westlichen Bezirken und entsprechend 37 Prozent in östlichen Bezirken, so sind es 2017 in den Westbezirken nur noch 49 Prozent und in den östlichen Bezirken 51 Prozent der 3.711.000 Berliner. In den West-Bezirken verringert sich in diesen 28 Jahren die Bevölkerung um 278.000 Personen, während die Bevölkerung in den Ost-Bezirken um 606.000 Personen anwächst.

In einer Visualisierung der Anteile der EKD-evangelischen Christen in den Berliner Bezirken zeigen sich die bereits benannten graduellen Unterschiede. Vergleicht man das mit einem anderen Ost-West-Unterschied – welche Parteien wo gewählt werden – dann gibt es ein auf den ersten Blick verblüffendes Ergebnis, dass die SPD bei der Bundestagwahl dazu parallele Ergebnisse erhielt.

Aber das stimmt bereits bei einem Vergleich Katholikenanteile und CDU-Ergebnisse nicht mehr, da die CDU in den östlichen Bezirken höhere Anteile hat, als es dem Christenanteil entsprechen würde.

Für die anderen Parteien (GRÜNE, LINKE, FDP und AFD) zeigen sich keine Parallelen zu den Anteilen von EKD-Evangelischen und Katholiken oder Konfessionsfreien. Die LINKE hat zwar ihren Schwerpunkt im Osten, ist aber in drei Westbezirken auch gut vertreten. Die GRÜNEN haben gute Ergebnisse in allen ‚mittleren‘ Stadtbezirken, vor allem in Berlin-Mitte (Ost). Die AfD-Wähler finden sich im Gegensatz dazu sowohl in den Randbezirken, sowohl im Osten wie im Westen.

(CF)

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[1] „Die Volkszählung im Deutschen Reich am 1. Dezember 1880. Nachweisungen über Bevölkerungs-Zahl und Dichtigkeit, Wohnorte, Gebäude und Haushaltungen, sowie Alter, Geschlecht, Familienstand, Geburtsort und Religionsbekenntniß der Bevölkerung.“ Herausgegeben vom Kaiserlichen Statistischen Amt, Band LVII der Statistik des Deutschen Reiches. Nachdruck der Ausgabe von 1883, Otto Zeller, Osnabrück, 1969, S. LXXXIV.