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Deutschland (5): Die säkularisierten Städte

„Stadtluft macht frei“ – hieß es im Mittelalter – von der Leibeigenschaft. Aber auch die Religionsfreiheit, als Freiheit von einer Religion, hat in neuerer Zeit seine besondere Ausprägung in den größeren Städten. Bereits zur Volkszählung von 1880 wurden sie gezählt und aktuell gibt es nur wenige größere Städte, in denen die Mitglieder der beiden großen Kirchen noch die Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren.

Von Carsten Frerk.

Dies ist der fünfte (und letzte) Teil der Artikelserie mit Auswertungen der Daten des Zensus 2011 über die Konfessionen in Deutschland: 1. Die Konfessionen,  2. Der evangelische Norden, 3. Der katholische Süden und Westen, 4. Der entkirchlichte Osten, 5. Die säkularisierten Städte.

Allgemeines

In der Volkszählung von 1880[1] wird detailliert über die Religionsbekenntnisse berichtet. Dazu schreibt das Kaiserliche Statistische Amt:

„Ferner sind in der Übersicht diesmal die Personen mit unbestimmter Angabe des Religionsbekenntnis von denjenigen, welche dasselbe garnicht angegeben haben, getrennt aufgeführt. Der ersteren giebt es freilich im Deutschen Reich nur wenige, 3 138, und es kann daher ein besonderes Interesse an sie nicht knüpfen, so wenig wie an der Zahl der Personen ohne Angabe der Religion, deren 27 111 gezählt wurden. Es kommen solche Personen, wie leicht erklärlich, namentlich in großen Städten vor. Hamburg z. B. hat 3 644 Einwohner ohne Angabe einer Religion und 1 242 mit unbestimmter Angabe. Die Stadt Berlin, die vor 10 Jahren nur 236 Personen mit unbestimmter Angabe oder ohne Angabe der Religion zählte, hat nach der letzten Zählung 1 241 derartiger Personen aufzuweisen. Im ganzen Reich hat die Zahl derselben absolut und relativ zugenommen. Unter 10 000 ortsanwesenden Personen waren im Jahr 1871  3, im Jahr 1880  6,7 oder mit unbestimmter Angabe der Religion. Gering ist, wie auch schon vor 10 Jahren, die Zahl der Bekenner anderer als der christlichen und mosaischen Religion – 366 gegen 176 im Jahr 1871 -. Es sind vorzugsweise Muhamedaner und Buddhisten.“

Diese Situation „derartiger Personen“ setzte sich fort und wenn man die Volkszählungen von 1961 und 1987 in dieser Hinsicht betrachtet, so leben 1961 rund 70 Prozent der „Gemeinschaftslosen“ in den Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern und 1987 sind es 65 Prozent der Konfessionsfreien, die in „Kernstädten“ und „Hochverdichteten Umlandkreisen“ leben.

Diese Bevorzugung von stätischen Gemeindetypen zeigt sich ebenso für die Muslime (68 Prozent) und die „Anderen (christlichen) Religionsgemeinschaften“ (62,4 Prozent). Die Begründungen dürften gegenteilig sein. Während bei den Konfessionsfreien es eher der Aspekt der größeren Anonymität, d. h. geringeren sozialen Kontrolle sein dürfte, ist es bei den Muslimen und den kleineren Religionsgemeinschaften die Möglichkeit, religiös/ethnische Netzwerke und „Communities“ zu bilden.

In den „BIK-Regionen“ werden die Verdichtungen erfasst: „Die Ballungsräume sind große Agglomerationen, in denen die Kernstädte mit ihrem Umland mindestens 750.000 Einwohner erfassen. Es gibt 13 Ballungsräume, in denen 26,8 % der Bevölkerung leben. Stadtregionen sind größere Verdichtungs- und Verflechtungsbereiche mit mindestens 100.000 Einwohnern. In den 132 Stadtregionen leben 37,2 % der Bevölkerung.“ Zusammen sind es also 64 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, die in diesen ‚verdichteten‘ Regionen leben.

Vergleicht man die Deutschlandkarte der „BIK-Regionen 2010“ mit den Anteilen von Konfessionsfreien sowie Muslimen aufgrund des Zensus 2011, so kann man in der Zensus-Übersicht für die westlichen Bundesländer leicht die Städte und Metropolregionen erkennen.

Bei der letzten Volkszählung (1987) haben Hamburg (mit 27,3 Prozent) und (West-)Berlin (mit 25,9 Prozent) die mit Abstand höchsten Anteile von Konfessionsfreien in allen Bundesländern.

Abgesehen von den Neuen Bundesländern haben im Zensus 2011 (in der nur die Körperschaften des öffentlichen Rechts detailliert erfasst wurden) die EKD-Evangelischen und die römischen Katholiken in Hamburg (44,8 Prozent) und Berlin (31,2 Prozent) keine Mehrheit mehr. In Hamburg sinkt dieser Anteil bis 2015 weiter auf 37,7 Prozent.


Einzelne Städte

Von diesem generellen Trend abgesehen, dass vor allem die Städte die Schwerpunkte der Säkularisierung darstellen, bestehen zwischen dem Norden und dem Süden Deutschlands deutliche Unterschiede.

Hamburg

Wie bereits benannt (Tabellen 2) haben die beiden großen christlichen Kirchen seit etwa der Jahrtausendwende in Hamburg keine Mehrheit mehr in der Bevölkerung. Betrachtet man die ‚Momentaufnahme‘ des Zensus 2011, so ist die Gruppe der „Nicht-Christen“ – nach der Zählweise des Zensus alle, die nicht Mitglied einer Körperschaft des öffentlichen Rechts sind, d. h. die Konfessionsfreien, die Muslime, die Buddhisten, Hindus, u. a. m. – seit dem Geburtsjahrgang 1942 und Jüngeren (also den Unter-70-Jährigen) stets die nach Anzahl größte Gruppe.

Das zeigt sich ebenso in den relativen Anteilen in den jeweiligen Altersgruppen. Es ist insbesondere der Rückgang der EKD-Evangelischen.


Berlin

Die Situation in Berlin ist noch ausgeprägter als in Hamburg und die in den Altersgruppen zahlenmäßigen Mehrheiten der „Nicht-Christen“ setzt bereits ab den Unter-80-Jährigen ein.

Darin drückt sich u. a. der höhere Anteil der Konfessionsfreien im Ostteil der Stadt aus. Die Darstellung jedoch, dass die Konfessionsfreien eher „im Osten“ Berlins leben, ist nicht richtig. Ihr Anteil ist dort zwar etwas größer als in den Westbezirken, da aber die Westbezirke rund 60 Prozent der Berliner Bevölkerung stellen, leben von der Gesamtzahl der Berliner Konfessionsfreien auch mehr in den Westbezirken der Stadt als im Osten.

Zudem steigen die Anteile der „Nicht-Christen“ auch weiterhin, wie in Hamburg durch den stärkeren Rückgang der EKD-Evangelischen. Ebenso wie in Hamburg bleibt der Anteil der Katholiken stabil.


Frankfurt

Die Religionsverteilungen zeigen einerseits eine Ähnlichkeit mit Hamburg, indem die „Nicht-Christen“ bei den Unter 70-Jährigen durchgehend die zahlenmäßig größeren Anteile haben, mit Spitzenwerten in den Altersgruppen der 25-59-Jährigen.

Aber die gleich großen Anteile der römischen Katholiken und der EKD-Evangelischen sowie vor allem der relativ große Anteil der „Anderen Christen“ (Evangelische Freikirchen, Orthodoxe, u. a. m.) bedeutet eine durchgehend christliche Mehrheit, wobei allerdings die beiden großen Amtskirchen bei allen Altersgruppen unter 65 Jahren keine eigene Mehrheit mehr haben.

Nur in der jüngsten Altersgruppe haben die „Nicht-Christen“ (2011) eine Mehrheit.

München

München zeigt einerseits eine Ähnlichkeit mit Frankfurt, hat aber anderseits eine immer noch dominierende katholische Kirche. Diese Dominanz ist allerdings nur in den älteren Altersgruppen (60 Jahre und älter) sowie bei den Jüngeren (den 15-29-Jährigen) vorhanden. In den mittleren Altersgruppen (30-54-Jährige) stellen (2011) die „Nicht-Christen die größte Einzelgruppe.

Die relativen Anteile verweisen darauf, dass diese katholische Dominanz nur bei den Über-70-Jährigen vorhanden ist, sich dann reduziert, im 3, Geburtenzyklus noch einmal stärker wird, um dann wieder geringer zu werden, auch geringer als die „Nicht-Christen“.

Trotz des hohen Anteils der „Nicht-Christen“ ist die insgesamt christliche Mehrheit in München, wenn auch geringer werdend, immer noch vorhanden.

Diese größere ‚Bindungskraft‘ der katholischen Kirche – im Vergleich zu den EKD-Evangelischen -, zeigt sich noch ausgeprägter als in der Hauptstadt München in ‚regionalen‘ Großstädten Bayerns, ein Beispiel.

Augsburg

Mit 281.000 Einwohner ist Augsburg eine dieser ‚regionalen‘ Großstädte in Bayern. Die Dominanz der Zahl der katholischen Kirchenmitglieder ist bei den Altersgruppen über 15 Jahren durchgehend vorhanden. Bei den Jüngeren ist das (2011) nicht mehr vorhanden.

In den relativen Anteilen in den Altersgruppen stellen die römischen Katholiken – mit Ausnahme der beiden jüngsten Altersgruppen -, durchgehend mehr als 40 Prozent. Die Nicht-Christen haben in den mittleren Altersgruppen (30-59-Jährige) höhere Anteile als die EKD-Evangelischen und die anderen Christen. Dennoch ist nicht abzusehen, wann die insgesamt christliche Mehrheit nicht mehr vorhanden sein wird.

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[1] „Die Volkszählung im Deutschen Reich am 1. Dezember 1880. Nachweisungen über Bevölkerungs-Zahl und Dichtigkeit, Wohnorte, Gebäude und Haushaltungen, sowie Alter, Geschlecht, Familienstand, Geburtsort und Religionsbekenntniß der Bevölkerung.“ Herausgegeben vom Kaiserlichen Statischen Amt, Band LVII der Statistik des Deutschen Reiches. Nachdruck der Ausgabe von 1883, Otto Zeller, Osnabrück, 1969, S. LXXXIV.