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Konfessionen und Religiosität in Hessen

Die Entwicklung der Konfessionen in Hessen seit 1970 zeigt die Trends in den ländlichen Räumen traditionell katholischer bzw. evangelischer Dominanz sowie in den urbanen Ballungsräumen Deutschlands. Beispiele sind der Landkreis Fulda (stabile katholische Mehrheit), der Lahn-Dill-Kreis (stabile evangelische Mehrheit) und die Stadt Frankfurt am Main (Entkirchlichung).

In Ergänzung zu den Volkszählungen von 1970 und 1987 und (eingeschränkt) des Zensus 2011, hat das Hessische Ministerium der Justiz, für Integration und Europa 2013 eine repräsentative Umfrage zu Religionszugehörigkeit und Religiosität in Hessen erstellen lassen: „Wie hast du ́s mit der Religion?“ die 2016 wiederholt und jetzt (als Druckfassung) veröffentlicht wurde. Damit lassen sich die langfristigen Religionstrends in Hessen aktuell fortschreiben.

Konfessionen

Das Bundesland Hessen, gleichsam im Zentrum Deutschlands gelegen, ist/war traditionell ein Land mit Bürgern überwiegend evangelischer Konfession. 1970 waren rund 70 Prozent der Hessen evangelische Kirchenmitglieder, 33 Prozent Katholiken und eine Minderheit von 7 Prozent hatte andere Religionszugehörigkeiten (3 Prozent) bzw. waren religiös Ungebundene, Konfessionsfreie (4 Prozent).

Die Verteilungen ändern sich seitdem kontinuierlich. Der Anteil der Protestanten wie der Katholiken verringern sich jedoch nicht nur prozentual relativ (mit Bezug auf die Anteil an der steigenden Bevölkerungszahl), sondern auch in absoluten Zahlen. Von 1970 (Volkszählung) bis zum Zensus 2011 verzeichnen die Protestanten einen Rückgang um 826.710 Kirchenmitglieder, das sind 25,4 Prozent. Bei den Katholiken verringert sich im gleichen Zeitraum die Mitgliederzahl um 238.220 Personen, das sind 13,5 Prozent von 1970 bis 2011.

Neben den Kirchenaustritten hat die sich ändernde Altersstruktur dazu beigetragen, dass sich die Zahl der evangelischen Kirchenmitglieder stärker verringerte als die der katholischen Kirche. Ebenso verweist es allerdings auch darauf, dass die katholische Kirche relativ erfolgreicher darin ist, ihre Mitglieder an sich zu binden.

Für die Entwicklung der Konfessionen lässt sich das (aufgrund einer fowid-Sonderauswertung der Daten des Zensus 2011 für die Bundesländer und die Landkreise/Städte) für das Land Hessen, den Landkreis Fulda, den Lahn-Dill-Kreis und der Stadt Frankfurt in seinen Ähnlichkeiten und Unterschieden darstellen.

Zwischenbemerkung: Aufgrund des registergestützten Zensus 2011 sind nur vier Auswertungskategorien hinsichtlich der Religionszugehörigkeit möglich: Mitglieder der römisch-katholischen Kirche, Mitglieder der evangelischen Landeskirchen, Mitglieder von „anderen“ im Melderegister erfassten Religionsgemeinschaften (Evangelische Freikirchen, Orthodoxe, Jüdische Gemeinden, etc.) sowie die „Nicht-Christen“, die keiner öffentlich-rechtlichen Religion angehören bzw. Ungebundene sind (Konfessionsfreie, Muslime, Hindus, Buddhisten, u. a. m.).

Die Anzahl der Kirchenmitglieder wird u. a. von den Zahlen der ‚Geburtenzyklen‘ beeinflusst. Die Anzahl der Geburten/Taufen zeigen (für die evangelische wie die katholische Kirche) eine Abfolge im 25-Jahre-Rhythmus, dessen dritte Gipfelpunkte (links) jedoch abflachen. (Die nachfolgende Grafik ist die ‚Momentaufnahme‘ des Zensus 2011. Auch wenn sie ‚dynamisch‘ aussieht, ist es eine statische Feststellung.)

Im Unterschied zu den großen christlichen Religionsgemeinschaften, deren Mitglieder sich in der x-ten Generationsabfolge als Kirchenmitglieder befinden, gilt das für die Nicht-Christen und vor allem die „Konfessionsfreien“ so nicht. Sie sind - in Anbetracht dessen, dass 1956 noch 96 Prozent der Bevölkerung in der Bundesrepublik Kirchenmitglieder waren – vorrangig „Konfessionsfreie der ersten Generation“ vor allem durch eigenen Kirchenaustritt. Insofern haben sie eine andere Demografie als die traditionellen Kirchenmitglieder. Ihre zahlenmäßige Entwicklung und Fortschreibung ist daher unterschiedlich.

Im Zensus 2011 zeigt sich (als Zustandsbeschreibung), dass ab den 65-69-Jährigen (die Geburtsjahrgänge 1942 bis 1946) und Jüngeren die Evangelische Kirche den 50-Prozent-Anteil in den Altersgruppen unterschritten hat. Seitdem hat sie die Positionen der Mehrheits-Religion verloren. Der zweite ‚Wendepunkt‘ liegt dann kurz nach dem Jahr 2011, als die beiden christlichen ‚Amtskirchen‘ in der jüngsten Altersgruppe auch zusammen nicht mehr die Mehrheit haben.

Hinsichtlich des Altersaufbaus haben die Evangelischen den größten Anteil von Älteren über 65 Jahren (24 Prozent), gefolgt von den Katholiken (23 Prozent) und den „Nicht-Christen“ (11 Prozent).

Entsprechend umgekehrt ist der Anteil der Gruppenmitglieder im vorrangigsten Reproduktionsalter der 25-49-Jährigen. In diesen Altersgruppen befinden sich 31 Prozent der evangelischen Kirchenmitglieder, 34 Prozent der Katholiken und 42 Prozent der mehrheitlich Konfessionsfreien „Nicht-Christen“.

Auch wenn es noch eine ganze Weile (rund 20 Jahre) dauern wird, bis die Mehrheit der Kirchenmitglieder sich deutlich verringert haben wird, so sind bereits nur diese beiden Faktoren ein Hinweis darauf, dass die Anteile derjenigen, die keiner öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft angehören (die „Nicht-Christen“), sich zügiger vergrößern als bisher.

Diesen Entwicklungen, auf der Landesebene, liegen die Trends in den einzelnen Landkreisen / Städten zugrunde, die nachfolgend beispielhaft dargestellt werden.

Landkreis Fulda

Der Landkreis Fulda (mit dem katholischen Bischofssitz Fulda) – im Osten von Hessen - hat (2011) rund 220.000 Einwohner, von denen zwei Drittel (65 Prozent) Mitglied der katholischen Kirche sind. Die Evangelischen (20 Prozent) sowie die „Anderen“ (4 Prozent) und die „Nicht-Christen“ (11 Prozent) sind marginal.

Die Geburtenzyklen (in absoluten Zahlen) verdeutlichen einerseits die Dominanz der Zahl der katholischen Kirchenmitglieder, anderseits aber auch, wie sich der Geburtenzyklus für die Katholiken im Landkreis von früher 25 auf jetzt 30 Jahre verlängert hat.

Die Übersicht über die relativen Anteile in den jeweiligen Altersgruppen zeigt zum einen die bisher unveränderte katholische Mehrheit bzw. Dominanz in allen Altersgruppen, die sich andererseits aber allmählich verringert. Waren es in der ältesten Altersgruppe noch 74 Prozent Katholiken, so sind es (2011) in der jüngsten Altersgruppe noch 52 Prozent.

Auch wenn sich in den kommenden Jahren diese katholische Mehrheit in den jüngeren Altersgruppen nicht mehr darstellen sollte, so bleibt die katholische Kirche insgesamt gesehen auch die kommenden Jahrzehnte die Mehrheitsreligion im Landkreis Fulda.

Lahn-Dill-Kreis

Der Lahn-Dill-Kreis (252.000 Einwohner mit der Kreisstadt Wetzlar) – im Westen von Hessen – ist das evangelische Pendant zum katholischen Landkreis Fulda. Eine deutliche Mehrheit (56 Prozent) ist evangelisches Kirchenmitglied, 15 Prozent sind Katholiken, 8 Prozent „andere“ religiöse Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie 20 Prozent „Nicht-Christen“.

Bei aller spiegelbildlichen Ähnlichkeit zeigen sich darin auch die Unterschiede. Waren in Fulda die Evangelischen stets die zweitgrößte Religionsgruppe, so werden die Katholiken im Lahn-Dill-Kreis (im Jahr 2011) ab der Nachkriegsgeneration (Geburtsjahrgänge ab 1945) von den „Nicht-Christen“ gleichbleibend in ihrer Anzahl übertroffen. Diese stärkere Präsenz der „Nicht-Christen“ zeigt sich auch darin, dass die evangelischen Kirchenmitglieder (im Jahr 2011) die Mehrheit in den Altersgruppen der damals 30-39-Jährigen (Geburtsjahrgänge 1972 – 1981) verlieren, ebenso wie in den beiden jüngsten Altersgruppen.

Von diesem Rückgang der Mitgliederzahlen in den jüngeren Altersgruppen ist dabei nicht nur die evangelische sondern auch die katholische Kirche betroffen. Das gibt der Hypothese Raum, dass der Anstieg der „Nicht-Christen“ (für den die Muslime, wenn überhaupt, eine marginale Rolle spielen) nicht nur durch die „Konfessionsfreien der 2. Generation“ (Kinder von konfessionsfreien Eltern) sondern zudem durch die nicht-getauften Kinder christlicher Eltern erfolgt.

Frankfurt am Main

Um die Unterschiede (‚Dreiteilung‘) im Bundesland Hessen zu verdeutlichen, sei jetzt als Beispiel für „urbane Ballungsräume“ Frankfurt am Main dargestellt, das andere Entwicklungen zeigt, als die beiden Landkreise.

Frankfurt am Main (730.000 Einwohner, Hauptstadt einer Metropolregion, Finanzzentrum, Universitätsstadt, Deutsche Nationalbibliothek, Flughafen, etc.) hatte im Jahr 1900 insgesamt 92 Prozent evangelische (61 Prozent) und (31 Prozent) katholische Kirchenmitglieder.

Auch 1950 sind es noch 90 Prozent der Bevölkerung (57 Prozent evangelisch, 33 Prozent katholisch).

2016 sind es noch 39 Prozent Kirchenmitglieder (18 Prozent Evangelische und 22 Prozent Katholiken).

Diese Entwicklungen zeigt sich in den (absoluten) Zahlen der Kirchenmitglieder, die sich (im Zensusjahr 2011) seit der Nachkriegsgeneration der 60-64-Jährigen (Geburtsjahrgänge 1947-1951) in der Minderheit befinden.

Wie sehr die Pluralität der Konfessionen und der Ungebundenen dominiert, zeigt sich auch (2011) in der Darstellung der absoluten Zahlen der Religionszugehörigkeiten in den Altersgruppen. Besonders die Gipfelpunkte in den Altersgruppen der (in 2011) 30-44-Jährigen (Geburtsjahrgänge 1967 – 1989) bedeutet (vor allem für die religiös Ungebundenen) einen durch die Amtskirchen nicht mehr wett zu machenden Marktanteil – was sich auch in den ansteigenden absoluten Zahlen der drei jüngsten Altersgruppen darstellt.

In der Frage, ob sich die Veränderungen in den formalen Zugehörigkeiten auch inhaltlich, also hinsichtlich der Intensität der eigenen Religiosität und der Religionsausübung eine Rolle spielen, bringen die eingangs zitierten beiden Umfragen des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration entsprechende Informationen.

Religiosität

Von 2013 bis 2016 ist die Einschätzung der Intensität der eigenen Religiosität signifikant zurückgegangen. Waren es 2013 noch 55 Prozent der Befragten die sich als „eher religiös“ bzw. „sehr religiös“ bezeichneten, so sind es 2016 nur noch 46 Prozent.

Entsprechend hat sich der Anteil der Nicht-Religiösen („eher nicht-religiös“ und „gar nicht religiös“) im Bundesland Hessen von 45 auf 52 Prozent erhöht.

Diese Veränderungen werden sich voraussichtlich in den kommenden Jahren noch weiter in den Veränderungen zur Vergrößerung der Anteile der Nicht-Religiösen zeigen, da im Altersaufbau (im Jahr 2016) sich die 18-29-Jährigen (zu 66 Prozent), die 30-44-Jährigen (62 Prozent) sowie die 45-59-Jährigen (zu 53 Prozent) mehrheitlich als „eher nicht-religiös“ bzw. „gar nicht religiös“ verstehen.

Begleitet und unterstützt wird diese Tendenz zur nicht-religiösen Selbstbetrachtung auch durch eine formal bessere Bildung, was vorrangig auf die Jüngeren zutrifft.

Während die Befragten mit Hauptschulabschluss sich noch mehrheitlich (56 Prozent) als zumindest „eher religiös“ versteht, sind es von den Personen mit einem mittleren Bildungsabschluss 52 Prozent, die zumindest „eher nicht-religiös“ sind und bei den Befragten mit Hochschulreife bzw. Studium sind es 62 Prozent, die sich selbst als „eher nicht religiös“ bzw. „gar nicht religiös“ einstufen.

Desinteresse?

Ausgehend von der Anfangsfeststellung, dass 2016 insgesamt 60 Prozent der hessischen Bevölkerung evangelisch (36 Prozent) sowie katholisch (24 Prozent) sind, hatte der Rückgang des religiösen Selbstverständnis als zumindest „eher religiös“ von 55 Prozent (2013) auf 46 Prozent (2016) darauf hingewiesen, dass auch unter den Kirchenmitgliedern eine ‚Glaubenserosion‘ größer wird.

In der Umfrage des Sozialministeriums war auch nach der aktiven Teilhabe am religiösen Leben gefragt worden: „Wenn Sie an die letzten 12 Monate denken, wie oft haben Sie da Gottesdienste, Gemeinschaftsgebete oder andere religiöse Feiern besucht?“ Als Antwortkategorien waren vorgegeben: „mehrmals im Monat / etwa 1 x im Monat / seltener / nie“. In der Auswertung wurde zudem zwischen Befragten mit Migrationshintergrund und ohne Migrationshintergrund unterschieden.

Die Unterschiede hinsichtlich des Migrationshintergrundes sind nicht signifikant. Rund zwei Drittel (75 bzw. 72 Prozent) nehmen „seltener als einmal im Monat“ bzw. „nie“ an religiösen Feiern teil. Die Anteile derjenigen, die „mehrmals im Monat“ religiös aktiv sind, wird bei den Befragten ohne Migrationshintergrund vorrangig durch die Mitglieder kleinerer christlicher Religionsgemeinschaften (Freikirchen), bei den Befragten mit Migrationshintergrund durch Muslime bestimmt.

Rechnet man also die Religiösen für 2016 zusammen, so sind es rund 69 Prozent der Bevölkerung (36 Prozent Evangelische, 24 Prozent Katholiken, 6 Prozent „sonstige“ kleinere Religionsgemeinschaften und 3 Prozent Muslime). Legt man dann zugrunde, dass die rund 32 Prozent „Konfessionsfreien“ größtenteils bei denjenigen genannt sind, die „seltener als einmal im Monat“ bzw. „nie“ eine religiöse Feier besuchen, so verbleiben mehr als 40 Prozent, die Mitglieder von Religionsgemeinschaften sind. Das heißt, mit anderen Worten, mehr als die Hälfte vor allem der christlichen Kirchenmitglieder ist religiös gesehen passiv und damit uninteressiert an ihrer eigenen Religion.

Das wiederum könnte darauf verweisen, dass die benannten formalen Zugehörigkeiten als Mitglied der evangelischen bzw. der katholischen Kirche zwar formal korrekt, aber inhaltlich als nicht belastbar und zukunftsfähig anzusehen sind.

(CF)