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Konfessionsfreie in Australien: 1901-2016

Im Zensus 2016 stieg der Anteil der Australier, die auf die Frage, welche Religion sie haben, mit „No“ antworteten, auf 30,1 Prozent. Die 18-34-Jährigen antworteten zu 39 Prozent mit „No religion“. Der Anstieg des Anteils der Konfessionsfreien setzt sich kontinuierlich fort. 2006 waren es 19 Prozent, 1901 waren es 0,4 Prozent. Es beginnt, wie in Deutschland, in den 1970ern, allerdings verhaltener.

Von Carsten Frerk.

Im Zensus Australiens ist die Antwort auf die Fragenvorgabe an die Interviewer „Welche Religion hat die Person?“ freiwillig. Aber es besteht die Vorgabe: „Wenn jemand Nein sagt, dann wird Nein eingetragen.“ Also keine Nachfragen. Die Reihenfolge der Vorgaben orientiert sich an der Größenordnung der Erklärungen für eine oder keine Religion. 2016 wurden entsprechend die Kategorie „No Religion“ auf die erste, die oberste Position gesetzt, die bis dahin ganz unten, unterhalb des Kastens für weitere, detaillierte Angaben stand.

So passt es auch in die gegenwärtige Entwicklung, dass Julia Gillard, vom Juni 2010 bis Juni 2013 erste weibliche Premierministerin Australiens, sich öffentlich als nicht-religiös, medial: „Atheistin“ bekannte.

Die Statistikdaten des Zensus für 1911, 1921, 1933, 1947, 1954, 1961, 1966, sowie für 1986, der Zensus 2006 zu 2001, 2016, eine Auswertung 2016 zu 2011 und die detaillierte Daten aus dem Zensus 2016 für Religion lassen eigentlich keinen Wunsch offen und dürften als vorbildlich gelten, auch für Deutschland – wo zwar über Religion diskutiert und gestritten wird, aber im Zensus 2021 keinerlei Daten mehr dazu erhoben werden. Auch eine Form der Realitätsverweigerung.

Im „Jahrbuch Australien 2006“ liegt die Übersicht 1901 – 2001 vor, die weiteren Daten stammen aus den weiteren Zensus Berichten.

Bis 1971 haben die beiden traditionell größten Religionsgemeinschaften – die Anglikanische Kirche von Australien (als Protestanten bewertet) und die „Western Catholics“, also die römischen Katholiken - einen beständigen Anteil von zusammen deutlich mehr als 80 Prozent, 1971 sind es 86 Prozent.

Ab 1976 bewegen sie sich zwanzig Jahre (bis 1996) noch im Anteilsrahmen von zusammen mehr als 70 Prozent, danach reduzieren sich die Anteile – vor allem aufgrund der Verringerungen bei den Anglikanern – auf schließlich 52 Prozent im Jahr 2016. Parallel dazu vergrößert sich der Anteil derjenigen Australier, die auf die Religionsfrage mit „No“ antworten, von 1971 (6,7 Prozent) bis 2016 (30,1 Prozent). Das ist für diesen Zeitraum (45 Jahre) ein durchschnittlicher Anstieg im 0,5 Prozentpunkte pro Jahr, was Ähnlichkeiten mit Deutschland hat. Diese Entwicklung beschleunigt sich zudem ebenso, da der Durchschnitt von 2011 auf 2016 einem Plus von 1,6 Prozentpunkten für die Gruppe der „No Religion“ entspricht.

Diese drei Gruppen – die Anglikaner, die römischen Katholiken und die Konfessionsfreien – sind die drei Großgruppen (mit zusammen 80 Prozent der Bevölkerung), um die herum es eine Vielzahl von Denominationen aller Art gibt. Der Zensus 2016 listet insgesamt – neben diesen drei ‚Großen‘ – 147 weitere kleinere Religionsgemeinschaften ab – mit Angaben nach Altersgruppen, Geschlecht, Wohnort, Ankunft in Australien, Herkunftsland und ethnischem Status.

Stabiler Trend

Die Frage, ob sich diese Entwicklung der Säkularisierung verstetigen wird, lässt sich zumindest hinsichtlich der Altersgruppen beantworten. Die Konfessionsfreien stellen in allen Altersgruppen unter 65 die jeweils größte Zahl. Insbesondere in den Jahrgängen der 20 – 34-Jährigen, die Kinder bekommen und damit den Trend maßgeblich beeinflussen, ist die Mehrheit am ausgeprägtesten.

Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die gesamten Christen in Australien in den älteren Jahrgängen immer noch stabile Mehrheiten haben. Das sind 5,3 Mio. Katholiken, 3,1 Mio. Anglikaner und 3,8 Mio. weitere christliche Denominationen. Zählt man nur die Katholiken und die Anglikaner - vergleichbar mit den römischen Katholiken und der EKD in Deutschland -, so haben sie gemeinsam einen Anteil von 35,9 Prozent.

Das Liniendiagramm nach Altersgruppen zeigt zum einen diese Verteilungen nach Lebensalter und hat, was verblüffend erscheint, eine große Ähnlichkeit mit den Religionsverteilungen nach Altersgruppen, wie sie sich um Zensus 2011 für Deutschland darstellt.

In beiden Verteilungen zeigt sich bei den Jugendlichen eine deutliche ‚Delle‘ nach unten, in Australien mit einem Tiefpunkt bei den 10-14-Jährigen, in Deutschland bei den 15-19-Jährigen. Für Deutschland hatte es dafür keine demografische Begründung gegeben (Geburtenzyklus) und auch für Australien bietet sich keine an. Es wäre eher die Hypothese, dass in westlich geprägten Kulturen den Jugendlichen immer noch Religionsfragen näher gebracht werden und es soziale Gründe gibt (Konfirmation, Firmung, Geselligkeiten) sich als religiös zu verstehen – was dann im Älterwerden nicht mehr so gesehen wird. Für Australien, in denen Interviewer für den Zensus unterwegs sind, kann davon ausgegangen werden, dass die 10-19-Jährigen selber befragt worden sind, hingegen bei den 0-9-Jährigen ein Erwachsener/die Eltern diese Fragen eher mit „No“ beantwortet haben, was zum Gipfelpunkt der Konfessionsfreien bei den 25-29-Jährigen passen würde.

Und der Vergleich Australien mit Deutschland lässt den Schluss zu, dass die Säkularisierung in Deutschland 20 Jahre früher begonnen hat (Anfang der 1970er-Jahre, Gipfelpunkt bei den 45-49-Jährigen) als in Australien (in den 1990er-Jahren, Gipfelpunkt bei den 25-29-Jährigen).

Konfessionsfreie, Atheisten, Agnostiker, Humanisten

Im Zensus 2016 werden in der Gruppe „Secular Beliefs and Other Spiritual Beliefs and No Religious Affiliation” auch die Personen dargestellt, die nicht nur mit einem schlichten „No“ geantwortet haben, sondern, ohne Nachfrage, eine explizit nicht religiöse Weltanschauung bekannten.

Das sind nur Minderheiten, da die Konfessionsfreien 98,5 Prozent der Nicht-Religiösen stellen. Drei Gruppen sind am größten: Atheisten (32.302), Agnostiker (26.393) und Menschen mit eigenen spirituellen Vorstellungen (21.100), gefolgt von den Humanisten (6.512). Alle anderen sind noch kleiner, so wie die Rationslisten (773 Personen), die New Age-Anhänger (1.520) oder die Unitarier (969).

In den Altersverteilungen zeigt sich nicht nur die Parallelität zu den schlicht Konfessionsfreien sondern sie haben auch eine (verblüffende) Ähnlichkeit mit den Altersverteilungen bei deutschen Kirchenaustritten: Sie beginnen mit Anfang 20, haben den Gipfelpunkt bei den 25-29-Jährigen und flachen dann ab. Das spricht dafür, dass es bei den jungen Erwachsenen primär um Sinnfragen geht und nicht, wie in Deutschland manches Mal dargestellt, primär um die Vermeidung der Zahlung von Kirchensteuern. In Australien gibt es keine Kirchensteuer. Die katholische Kirche gilt als reich und als einer der größten Arbeitgeber in Australien.

Zuwanderung

Sind diese Veränderungen bei den Konfessionsfreien durch Zuwanderung zu erklären? Insgesamt gesehen: Nein.

Von der Bevölkerung Australiens sind 2016 rund 74 Prozent (17.238.223 von 23.401.892) in Australien geboren. Von den 6,9 Mio. schlicht Konfessionsfreien sind 76 Prozent in Australien geboren, von den 26.000 Agnostikern sind es 79 Prozent und von den 32.000 Atheisten 82 Prozent. Nur die 6.500 erklärten Humanisten haben mit 69 Prozent einen unterdurchschnittlichen Anteil von in Australien Geborenen.

Damit sind die Konfessionsfreien kein Import, wie es für die Hindus und die Muslime gilt. Von den 604.00 Muslimen sind nur 38 Prozent in Australien geboren und von den 440.000 Hindus sind es nur 18 Prozent in Australien Geborene.

Nach Jahren betrachtet sind von den 6,9 Mio. schlicht Konfessionsfreien 635.000 Personen (entspricht 9 Prozent) im Zeitraum 2009-2015 eingewandert.

Nach Herkunftskontinenten/-regionen der Zuwanderer betrachtet, zeigt sich für die schlicht Konfessionsfreien, die Agnostiker, Atheisten und Humanisten Nordwesteuropa als wichtigste Herkunftsregion. Für die schlicht Konfessionsfreien ist zudem Nordostasien (Japan, Korea und China) von einer gewissen Bedeutung.

Hinsichtlich der bevorzugten Wohngegend zeigen sich keine Auffälligkeiten bei den West-Katholiken und den Konfessionsfreien. In den fünf ausgewählten Großräumen städtischer Agglomeration (Sidney, Melbourne, Brisbane, Adelaide und Perth) leben 63 Prozent der Bevölkerung Australiens. Diese ‚Stadt-Land-Verteilung‘ ist ebenso bei den West-Katholiken (64 Prozent) sowie bei den Konfessionsfreien (63 Prozent) vorhanden. Die Anglikaner (52 Prozent) wohnen unterdurchschnittlicher in diesen Ballungszentren, also eher ‚die Älteren auf dem Land‘. Anders die überwiegend zugewanderten Religionen, die sich (ähnlich und noch ausgeprägter als in Deutschland, Volkszählung 1987) in den städtischen Ballungszentren niederlassen. 91 Prozent der Muslime und 89 Prozent der Hindus leben in diesen fünf Großräumen, mit dem Schwerpunkten in Sydney und Melbourne, wo rund 80 Prozent der Muslime und Hindus in Australien leben.

Veränderungen von 2011 auf 2016

Die Personen, die 2016 „No Religion“ sagten sind 2.236.100 mehr als 2011. Ein Zuwachs von 47 Prozent. Versucht man zu klären, was sich verändert hat, so kommen zum einen die ‚Neuzugänge‘ in Betracht. Im 2016-Zensus sind in der Altersgruppe der 0-4-Jährigen bei den „No Religion“ 572.734 Personen erfasst, die 2011 noch nicht lebten . In der Zuwanderung von 2006 bis 2016 sind 694.652 Personen zugewandert, die sich als Konfessionsfrei bezeichnen. Halbiert man diese Anzahl (10 Jahre) auf die in Betracht kommenden fünf Jahre, so sind es rund 347.000 Konfessionsfreie. Das sind zusammen 920.000 „Neuankömmlinge“. Die weiteren 1,3 Mio. am absoluten Zuwachs der Konfessionsfreien müssen demnach aus den sich 2011 noch als religiös Bekennenden stammen. Da die christlichen Religionsgemeinschaften weitgehend Bekenntnisangehörige verlieren, liegt die Vermutung nahe, dass es frühere Christen sind. Allerdings sind die Veränderungen in den absoluten Zahlen die „Black Box“ der Salden aus Verstorbenen, Zuwanderungen, Abwanderungen, Bekenntniswechsel, die einer genaueren Analyse bedürfte, für die allerdings keine Zahlen vorliegen.

Bei der letzten Volkszählung in Deutschland (1987) hatte sich gezeigt, dass nicht nur die Muslime sondern auch die Konfessionsfreien bevorzugt in den städtischen Ballungsräumen lebten – wenn auch aus anderer Motivation: die Muslime um Communities zu bilden, die Konfessionsfreien um religionsfreier zu sein. Die normale Stadt-Land-Verteilung der Konfessionsfreien in Australien könnte als Hinweis darauf verstanden werden, dass Religionsfragen und Konfessionsfreiheit in Australien entspannter gesehen werden als in Deutschland.