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Konfessionsfreie in den Niederlanden, 1849 - 2018

Die Frage nach der Anzahl der Konfessionsfreien ist in den Niederlanden aus unterschiedlicher Perspektive betrachtet worden und die Anteile haben eine Spannbreite von 52 Prozent sowie 68 bis hin zu 79 Prozent Konfessionsfreie/Außerkirchliche in der Bevölkerung. Die Unterschiede beruhen vor allem darauf, ob man die formalen Zugehörigkeiten zählt oder die Menschen nach ihrem persönlichen Bekenntnis fragt.

Das staatliche Büro für Statistik veröffentlicht die Mitgliederzahlen aus Volkszählungen sowie jährlichen Umfragen (mit jeweils rund 100.000 Befragten) bzw. die von den Kirchen erfasst werden. Das ergibt (in 2018) 23 Prozent römische Katholiken, 15 Prozent Evangelische (verschiedener Denominationen), 10 Prozent Zugehörige anderer Religionsgemeinschaften und schließlich 52 Prozent Konfessionsfreie. Diese Angaben beziehen sich auf die formale Zugehörigkeit zu einer Kirche.

Um auch die Anteile der kleineren Gemeinschaften zu verdeutlichen, ein Liniendiagramm im gleichen Maßstab (Maximum bei 70 Prozent).

Deutlich wird, dass es viele Jahrzehnte nur zwei große Kirchen gab: zum einen die Niederländisch Reformierten zum anderen die römischen Katholiken. (Ab 1930 sind die römischen Katholiken die größte christliche Kirche.) Bis 1960 sind rund 70 Prozent (und mehr) der Bevölkerung Mitglied in einer dieser beiden Religionsgemeinschaften. Ab 1992 haben diese beiden großen Kirchen nur noch 48 Prozent der Bevölkerung in ihren Reihen, mit stets weiter sinkender Tendenz.

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts werden die Konfessionefreien allmählich ‚sichtbar‘ und ihr Anteil vergrößert sich kontinuierlich.

2014 hatte Joep de Hart gefragt: „Einige Niederländer glauben, dass die Verbindungen zu unserer religiösen Tradition sich lockern und die Niederlande zu einem kollektiven Verlust des religiösen Gedächtnisses führen. Andere glauben, dass diese Ansichten zu sehr von einer veralteten Sicht der Religion getrieben werden, und argumentieren, dass alle möglichen alternativen Formen der Spiritualität gedeihen und dass eine neue Interpretation der Religion entsteht. Dieser Bericht untersucht beide Perspektiven: die Veränderungen in der traditionellen, kirchlichen Religion und die Popularität neuer spiritueller Werte.

Setzt sich der Prozess der Säkularisierung und Erosion der traditionellen christlichen Überzeugungen fort? Halten sich die Niederländer immer noch an Religion, religiöse Bräuche und Religionsgemeinschaften? Hat die Kirche noch eine soziale Relevanz? Bedeutet Säkularisierung, dass die Religion aus der niederländischen Gesellschaft verschwindet? Oder befindet es sich jetzt anderswo, weit weg von Kirchengebäuden? Und spielen Generationsunterschiede eine Rolle? Nehmen die Niederlande bei diesen Fragen eine besondere Stellung innerhalb Europas oder der Welt ein?“

Im Dezember 2016 publizierte des CBS (Centraal Bureau voor de Statistiek) den Bericht „Helft Nederlanders is kerkelijk of religieus“ mit den Kernaussagen: „Genau die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung der Niederlande sagte, dass sie bis 2015 einer religiösen oder ideologischen Gruppe angehören. Nur noch jeder sechste Niederländer besucht regelmäßig einen Gottesdienst.“

Im Oktober 2018 meldet das CBS: „Zum ersten Mal sieht sich eine Mehrheit der niederländischen Bevölkerung nicht als religiöse Gruppe. Im Jahr 2017 gaben weniger als die Hälfte (49 Prozent) der Bevölkerung im Alter von 15 Jahren oder älter an, dass sie einer religiösen Gruppe angehören. Ein Jahr zuvor war es noch die Hälfte, und 2012 gehörte mehr als die Hälfte (54 Prozent) einer religiösen Gruppe an.“

In einer Aufschlüsselung nach Altersgruppen zeigt sich der – für Westeuropa – typische Unterschied, dass die Jugendlichen zwar noch etwas zahlreicher kirchlich organisiert als die jungen Erwachsenen, aber der Trend insgesamt zeigt, dass die Kirchen nur in den Altersgruppen über 55 Jahren mehrheitlich Mitglieder haben. In diesen Altersabstufungen verdeutlichen sich auch die Verringerungen in den kirchlichen Bindungen.

Die Häufigkeit des regelmäßigen Gottesdienstbesuchs ist ein Indikator für die Intensität einer Kirchenbindung.

Wer sich nicht mehr für die Verkündigung der religiösen Botschaft interessiert, geht auch nicht mehr in die Kirche.

Für die drei dargestellten Kirchen verringert sich seit 1971 der Anteil der Mitglieder in der Bevölkerung kontinuierlich. Einerseits ist der Mitgliederanteil der römisch-katholischen Kirche relativ weniger betroffen (von 40 auf 23 Prozent) als die der beiden evangelischen Kirchen (von 24 auf 6 bzw. von 9 auf 3 Prozent). Andererseits ist die Verringerung des Gottesdienstbesuchs in der römisch-katholischen Kirche erheblich stärker als bei den Evangelischen, bei denen Kirchenmitgliedschaft und regelmäßiger Gottesdienstbesuch sich parallel verringern (Niederländisch Reformierte: 24 auf 6 Prozent bzw. 8 auf 2 Prozent). Für die römischen Katholiken, die formal stabiler aussehen (von 40 auf 23 Prozentanteil) verringert sich dagegen der Gottesdienstbesuch, d. h. die Kirchenbindung, erdrutschartig negativ (von 20 auf 3 Prozent der  Bevölkerung).

Auch die weitere Differenzierung nach der tatsächlichen Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs veranschaulicht noch einmal die Betroffenheit der römischen-katholischen Kirche. Im Jahr 2017 gehen 69 Prozent der römischen Katholiken „selten oder nie“ in ihre Kirche. Das „Defizit an innerer Überzeugung bei den Gläubigen“ stellte früh ein junger polnischer Priester – Karol Woytila - fest und der seinerzeitige Kardinal von Utrecht, Adrianus Simonis, verglich in den 1990er Jahre die römisch-katholische Kirche der Niederlande mit einer „Schubkare voller Frösche“.

Der geringe Gottesdienstbesuch der römischen Katholiken ist signifikant höher als bei den Niederländisch-Reformierten (61 Prozent sind passive Mitglieder), abgesehen von den kleineren protestantischen Kirchen, von denen nur 29 bzw. 29 Prozent passive Mitglieder sind. Bemerkenswert hoch ist auch der Anteil der Muslime (46 Prozent), die „selten oder nie“ eine Moschee besuchen.

Diese Trends zeigen sich auch in der Zeitreihe von Bekenntnissen.

Bekenntnisse

Im Unterschied zu den formalen Zugehörigkeiten legen sozialwissenschaftliche Untersuchungen ihren Schwerpunkt auf die Frage nach dem persönlichen Bekenntnis und ggf. deren Zuordnung zu einem organisiertem Glaubensbekenntnis. So, wie die Umfragen der Radbound Universität und der Freien Universität Amsterdam „God in Nederland“ (1966-2015). Ergebnis für das Jahr 2015: 68 Prozent verstehen sich als „außerkirchlich“.

Und auch eine weitere Zeitreihe aus der „God in Nederland“-Studie zur Frage ob man an einen Gott oder eine höhere Macht glaube, zeigt das Schwinden des Glaubens an einen persönlichen Gott. Waren 1966 noch knapp die Hälfte der Bevölkerung „gottgläubig“ , so sind es 2015 noch 14 Prozent.

Das staatliche Forschungsinstitut SCP (Sociaal en Culturell Planbureau / Netherlands Institute für Social Research) in Den Haag, hat im Dezember 2018 die Ergebnisse der Umfragen zu „Christenen in Nederland“ publiziert.

Diese Studie widmet sich insbesondere den inhaltlichen Veränderungen im Christentum, so zum Beispiel der Frage, in welchem Glauben man erzogen worden sei und was man derzeit (2016) glaube.

Gesamtergebnis: 2016 fühlen sich 79 Prozent der Bevölkerung keiner Kirche und keinem Glauben verpflichtet. Von den jungen Erwachsenen (17-30-Jährige) sind es 88 Prozent, die sich keinem Glauben und keiner Kirche verpflichtet fühlt.

Im Zusammenhang mit dem Altersaufbau (in Tabelle 2) und den Entwicklungen in den Zeitreihen (Tabelle 7) - über die ansteigende Ausweitung der Abwendung vom organisierten Glauben - ergeben sich keine Hinweise darauf, dass sich dieser Trend umkehren wird.

(CF)