Religions- und / oder Ethikunterricht? II: Die Bundesländer
Für die Diskussionen über die Einführung und Verbindlichkeit eines Ethikunterrichts für alle Schülerinnen und Schüler erbringt eine Umfrage (aus dem März 2022) die Ansichten der Bevölkerung, die sich mit großer Mehrheit (72 Prozent) für die Einführung eines „Ethikunterrichts für alle“ aussprechen. Da die Kulturhoheit in Deutschland bei den Bundesländern liegt, sind die Verteilungen in den Bundesländern von direkter politischer Bedeutung – wenn die Politik es denn umsetzen will. In allen Bundesländern ist die Mehrheit (mit einer Spannweite von 63 – 86 Prozent) für einen allgemeinen Ethikunterricht.
Die Umfrage des bfg-Bayern – realisiert von dem GfK-Marktforschungsinstitut, Nürnberg – hat die Besonderheit, dass die beiden Fragen (zum Religions- und/oder Ethikunterricht sowie zur subjektiven Religionszugehörigkeit) in vier wöchentlichen, jeweils repräsentativen nationalen Umfragen des GfK-„eBus“, gestellt wurden. Insofern belief sich die Zahl der Befragten nicht nur auf die üblichen rund 1.000 Befragten, sondern summierte sich auf 4.030 Personen. Das ermöglicht – zumindest für die größeren Bundesländer (wie NRW, Bayern, Baden-Württemberg) – eine Auswertung auch für Untergruppen, die in den üblichen Umfragen zu gering besetzt sind (unter 100 Befragte), um eine valide Auswertung zu ermöglichen.
Empirische Umfragen erbringen keine exakten Zahlen, sondern benennen Tendenzen im Rahmen einer +/- Fehlertoleranz, die (für 1.000 Befragte) bei rund 2-3 Prozentpunkte liegt. Verringert sich die Zahl der Befragten, vergrößert sich die Fehlertoleranz.
In der Umfrage wurden drei Alternativen genannt, doch wie bereits in dem ersten fowid-Artikel zu dieser Umfrage („Religions- und/oder Ethikunterricht“) – mit den allgemeinen Erläuterungen der Umfrage und den Frageformulierungen der drei Alternativen, die hier nicht wiederholt werden sollen – erscheint es für eine realitätsorientierte Auswertung angebracht, die Präferenzen auf die Alternativen „Entweder Religionsunterricht oder Ethikunterricht“ bzw. „Ethikunterricht für alle“ – mit oder ohne zusätzlich angebotenen freiwilligen Religionsunterricht – zu begrenzen. In diesen beiden Alternativen sind dann 72 Prozent für einen Ethikunterricht für alle und 28 Prozent für die Trennung nach Konfessionszugehörigkeiten.
Der Fokus liegt dabei auf der Frageformulierung: „Welchen der folgenden Vorschläge zum Schulunterricht halten Sie für am besten geeignet, ein friedvolles Miteinander der Menschen zu fördern?“. Diese Frageformulierung bleibt nicht im Allgemeinen, sondern benennt sehr genau das, was auch christliche Religionen als Hauptmerkmal vertreten: „Religion als gelebte Nächstenliebe“ mit einer „Friedensethik“.
Die hohen Präferenzen für einen Ethikunterricht für alle verweisen auf die Ergebnisse früherer Umfragen, wie die Ipsos-Umfrage (2017) in 23 Ländern („Religion und Frieden auf der Welt“), wobei in Deutschland 63 Prozent der Befragten der Aussage zustimmten: „Religion schadet der Welt mehr, als sie gut ist“. („Religion does more harm in the world than good“). In einer Umfrage des International Social Survey Programme ISSP (1998, also vor 9/11) „Religionen - Konflikt – Frieden“ stimmten insgesamt 60 Prozent der Befragten der Aussage zu: „Wenn man sich in der Welt umschaut, bringen Religionen mehr Konflikte als Frieden:“ („Looking around the world, religions bring more conflict than peace.“) In Deutschland (West) stimmten 64 Prozent dieser Aussage zu, in Deutschland (Ost) 75 Prozent. Für alle beteiligten 30 Staaten zeigt sich dabei eine generelle Tendenz, die sich weltanschaulich darstellt.
„Eine Abfolge der Staaten hinsichtlich der stärkeren Zustimmung, dass Religionen mehr Konflikte als Frieden in die Welt bringen, zeigt die geringsten Zustimmungen in eher katholischen Staaten […] Die Befragten in Staaten mit protestantischen und/oder konfessionslosen Mehrheiten sehen dagegen die Religionen überdurchschnittlich stärker als Konflikte fördernd an.“
Falls sich diese Orientierungen – 24 Jahre später – erhalten haben, müssten sie sich auch in den Tendenzen der deutschen Bundesländer (2022) zeigen: Im Norden (evangelisch) und im Osten (konfessionsfrei) sind weniger „Traditionalisten“ (Präferenz für den – wie bisher – getrennten Religions- bzw. Ethikunterricht, im Sinne eines „entweder/oder“) als im Mittelwesten und im Süden Deutschlands, d. h. Rheinland-Pfalz, Saarland, Bayern und Baden-Württemberg (mit starken römisch-katholischen Anteilen), wo diese Auffassungen stärker vertreten sein müssten.
In der Tabelle (mit alphabetischer Reihenfolge) stellen sich die Anteile noch nicht so anschaulich dar, wie in der Grafik (Reihenfolge nach Präferenz „Entweder-oder“).
Hinsichtlich der drei Alternativen haben – wie erwartet – Rheinland-Pfalz/Saarland, Bayern und Baden-Württemberg sowie Thüringen die größten, überdurchschnittlichen Anteile unter den „Traditionalisten“, die den Unterricht nach Religions- und Ethikunterricht getrennt bevorzugen. Die geringste Präferenz für einen getrennten Pflichtunterricht sehen die Befragten in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Sie haben auch die größten Präferenzen für einen allgemeinen Ethikunterricht und einem freiwilligen Religionsunterricht, wie es in Berlin („Berliner Modell“) seit 2004 praktiziert wird.
Diese weltanschaulichen Unterschiede zeigen sich auch bei Unterteilung in zwei Alternativen („Entweder Religion oder Ethik“ bzw. „Ethik für alle“).
Die Regionen sind dabei die „Nielsen Gebiete“, bei denen es sich um eine marketingtechnische Zusammenfassung und Gebietseinteilung neben der politischen Einteilung der Bundesländer handelt. Sie ermöglichen die Bildung einer höheren Gesamtzahl von Befragten, bei denen ansonsten kleinere Bundesländer, die aufgrund ihrer vergleichsweisen geringeren Bevölkerungszahl (wie Bremen, das Saarland, die östlichen Bundesländer) aus einer belastbaren Analyse herausfallen würden, in einer größeren Struktur erhalten bleiben. Dabei gehen dann allerdings die klaren Zuordnungen zu den Bundesländern – den politischen Handlungsfeldern – verloren.
Wie bereits eingangs geschildert, ermöglicht die große Zahl der Befragten zumindest für die drei größten Bundesländer (Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg) eine weitere Differenzierung nach den religiösen Zugehörigkeiten der Befragten. (Die Zugehörigeren kleinerer Religionen sind – aufgrund ihrer geringen Fallzahlen – grau dargestellt.)
Für alle drei Bundesländer zeigt sich – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung – nicht nur bei den Konfessionsfreien, bei denen das zu erwarten wäre, sondern auch bei den Religiösen eine Mehrheit für den allgemeinen Ethikunterricht: Nordrhein-Westfalen (68 Prozent), Baden-Württemberg (59 Prozent) und Bayern (53 Prozent). Entsprechend sind – umgekehrt – die traditionellen Präferenzen für den getrennten Religions- und Ethikunterricht. Diese Reihenfolge entspricht den unterschiedlichen Anteilen der römischen Katholiken.
Carsten Frerk.