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Sterbehilfe in den Niederlanden 2011 - 2021

In den Niederlanden ist die ärztliche Sterbehilfe erlaubt und per Gesetz geregelt. Die staatlichen Regionalen Sterbehilfekommissionen („Euthanasiecommissie“) erfassen alle assistierten Sterbefälle, prüfen die Einhaltung der „Sorgfaltskriterien“ und legen die Daten in Jahresberichten der Öffentlichkeit vor. Der Anteil der Sterbehilfe an allen Sterbefällen ist seit 2014 relativ gleichbleibend um die vier Prozent.

In den Niederlanden wurde nach langen Diskussionen das „Gesetz vom 12. April 2001 über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung und zur Änderung des Strafgesetzbuchs und des Gesetzes über das Leichen- und Bestattungswesen (Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung)  verabschiedet und in Kraft gesetzt. Darin werden Sorgfaltskriterien formuliert.

Diesem Gesetz vorangestellt schrieb Königin Beatrix - als damaliges Staatsoberhaupt:

„Wir, Beatrix, von Gottes Gnaden Königin der Niederlande, Prinzessin von Oranien-Nassau usw. – allen, die dies lesen oder hören, unseren Gruß – lassen wissen: dass Wir, in der Erwägung, dass es wünschenswert ist, in das Strafgesetzbuch einen Strafausschließungsgrund für den Arzt aufzunehmen, der unter Berücksichtigung der gesetzlich zu verankernden Sorgfaltskriterien Lebensbeendigung auf Verlangen vornimmt oder Hilfe bei der Selbsttötung leistet, und dazu gesetzliche Vorschriften für ein Melde- und Kontrollverfahren zu erlassen, nach Anhörung des Staatsrats und im Einvernehmen mit den Generalstaaten folgendes Gesetz gutheißen und billigen:: […]

Artikel 2
1. Nach den in Artikel 293 Absatz 2 Strafgesetzbuch genannten Sorgfaltskriterien muss der Arzt
a) zu der Überzeugung gelangt sein, dass der Patient seine Bitte freiwillig und nach reiflicher Überlegung geäußert hat,
b) zu der Überzeugung gelangt sein, dass keine Aussicht auf Besserung bestand und der Patient unerträglich litt,
c) den Patienten über dessen Situation und über die Prognose aufgeklärt haben,
d) mit dem Patienten zu der Überzeugung gelangt sein, dass es für dessen Situation keine andere annehmbare Lösung gab,
e) mindestens einen anderen, unabhängigen Arzt zu Rate gezogen haben, der den Patienten untersucht und schriftlich zur Einhaltung der unter a bis d genannten Sorgfaltskriterien Stellung genommen hat, und
f) die Lebensbeendigung oder Hilfe bei der Selbsttötung fachgerecht durchgeführt haben.“

Diese gesetzlichen Rahmenbedingungen werden kontinuierlich fortgeschrieben, so in 2018 und wiederum in 2020. Zur Diskussion um die Weiterentwicklung und einer Überarbeitung des ‚Euthanasie-Codex‘ schreibt die RTE im Jahresbericht für 2021:

„Im vergangenen Jahr wurde der Aktualisierung des Euthanasiegesetzes 2018 viel Aufmerksamkeit gewidmet. Dieser Prozess wird in der ersten Hälfte des Jahres 2022 abgeschlossen sein. Der Euthanasie-Kodex legt eindeutig die allgemeinen Bewertungsstandards fest, die der RTE anwendet. Diese werden aus den zahlreichen Beurteilungen der einzelnen Berichte destilliert. Der Kodex schafft im Vorfeld Klarheit, und das ist für den ausführenden Arzt von großer Bedeutung. Er oder sie muss wissen, wo er oder sie steht. […] Es muss verhindert werden, dass der ausführende Arzt zum Opfer von Unstimmigkeiten zwischen den verschiedenen Behörden im Bereich der Sterbehilfe wird.“

Der ‚Euthanasie Code 2022‘ liegt nun vor.

Kontrollkommissionen

In den fünf Regionen der Niederlande bestehen staatliche „Regionale Kontrollkommissionen für Sterbehilfe“ (Regionale Toetsingscommissie Euthanasie, RTE) denen alle assistierten Suizide zu melden sind und von denen geprüft wird, ob die gesetzlich vorgeschriebenen Sorgfaltskriterien eingehalten worden sind. Diese Kommissionen bestehen aus drei Mitgliedern (Mediziner, Jurist, Ethiker). In den Jahresberichten der Kommissionen (hier: 2016, auf Deutsch) wird sehr sorgfältig über einzelne Freitodbegleitungen berichtet, bei denen die Kommissionen Diskussionsbedarf sieht. Auch die Sorgfaltskriterien müssen, angesichts einer stärkeren Ausdifferenzierung bei den Hilfesuchenden, weiterentwickelt werden.

Im Jahresbericht 2021 heißt es dazu, dass die Sorgfaltspflichten sehr ernst genommen werden.

„Im Jahr 2021 gingen beim Regionalen Euthanasieprüfungsausschuss (RTE) 7666 Meldungen über Euthanasie ein. In 7 Fällen wurde festgestellt, dass der Arzt die Sorgfaltspflicht nicht erfüllt hat. Die wichtigste Schlussfolgerung in diesem Jahr ist daher, dass die Praxis der Euthanasie in den Niederlanden sehr akribisch ist.“

In den Jahresberichten werden sowohl die Gesamtzahlen berichtet wie auch die Zahlen für die „meldenden Ärzte“ sowie die Krankheitsarten und der Altersaufbau der begleiteten Verstorbenen. Für die Jahre 2019 und für 2020 liegen die Tätigkeitsberichte ebenfalls auch in Deutsch vor.

Gesamtzahlen

Sie haben sich in den dargestellten elf Jahren erhöht. Die Veränderungen in den Gesamtzahlen lassen jedoch keinen immer größer werdenden Zuwachs erkennen, sondern die Zuwachsraten sind - sowohl in den absoluten Zahlen wie in den Prozentzahlen - in den Jahren unterschiedlich hoch. Der Anteil der Sterbehilfe an allen Verstorbenen beläuft sich seit 2014 gleichbleibend um die vier Prozent, mit einer Schwankungsbreite von 3,8 bis 4,5 Prozent.

In den Arten der Sterbehilfe ist es gleichbleibend (mit mehr als 95 Prozent) eine ärztlich begleitete „Lebensbeendigung auf Verlangen“.

In den Altersgruppen liegt der größte Anteil bei den 71-80-Jährigen, gefolgt von den 81-90-Jährigen und den 61-70-Jährigen.

Gleichbleibend sind es etwas mehr Männer als Frauen, die in den Niederanden eine Sterbehilfe realisieren.

Der Anstieg der Freitodbegleitungen über die Jahre verläuft dabei in einer Parallelität zum Anstieg der Anzahl der Niederländer, die älter als 65 Jahre sind und insbesondere der Gruppe, die 80 Jahre und älter ist.

Ebenso wird es eine Rolle spielen, dass die Diskussionen in den Niederlanden zu einer größeren gesellschaftlichen und damit auch individuellen Akzeptanz der Freitodbegleitungen geführt hat. Sie erfüllt zumindest weitgehend (zu rund 80 Prozent) den Wunsch, zu Hause sterben zu können – wie es auch in Deutschland gewünscht wird.

Eine besondere Rolle spielt dabei die persönliche, professionelle Betreuung durch den Hausarzt. Gleichbleibend rund 85 Prozent der Freitodbegleitungen erfolgen in seiner Anwesenheit – also auch ggf. im Pflegeheim oder Altersheim - der es dann an die Kontrollkommission berichtet.

Die letalen Krankheitsarten zeigen eine vergleichbare Verteilung wie bei den Freitodbegleitungen in der Schweiz. Dreiviertel bis zwei Drittel der Menschen, die in den Niederlanden ihr Leben durch Sterbehilfe beenden, sind letal an unheilbarem Krebs erkrankt. Der Anteil verringert sich im Laufe der Jahre, da der Anteil der Mehrfacherkrankungen größer wird.


(CF)