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Kremationen im Vereinigten Königreich 1885-2014

Nachdem Karl der Große die Feuerbestattung im Jahr 785 als ‚heidnischen Brauch‘ verboten hatte, brauchte es zehn Jahrhunderte bis in Europa dieser Bann durchbrochen werden konnte und die ersten Krematorien gesetzlich erlaubt wurden, in Italien, der Schweiz, Großbritannien und Deutschland. Die Entwicklung des Anteils der Kremationen in Großbritannien seit 1885 veranschaulicht beispielhaft einen Aspekt der Rückbesinnung auf vor- und außerchristliche Traditionen verbunden mit dem technischen Fortschritt.

Weltweit betrachtet haben Japan (99,97 Prozent), Taiwan (92,47) und Hong Kong (89,67) bei Bestattungen die höchsten Anteile an Kremationen. Unter den Staaten Europas haben die Schweiz (87,5 Prozent), Slowenien (83,0), Dänemark (80,9), Schweden (80,1), Tschechien (80,0) und Großbritannien (74,8 Prozent) bei Bestattungen die höchsten Anteile an Kremationen.

Historisches

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war u. a. die Zeit, als fortschrittliche Bürgerliche sich mit den Möglichkeiten des technischen Fortschritts auseinandersetzten und sich auf kulturelle Traditionen besannen. Es war auch die Rückbesinnung auf die Feuerbestattung. So schreibt Prof. Dr. Karl Heinrich Reclam, Polizeiarzt und Professor der Medizin an der Universität Leipzig, 1874 in der Gartenlaube einen Artikel über „Die Feuerbestattung“.

Er schildert die Traditionen der Griechen und der Römer und nennt den „Grund, weshalb auch in Deutschland die sonst allgemein gebräuchliche Sitte des Verbrennens verlassen wurde. Der Gebrauch galt als ‚heidnisch‘. Das genügte, ihn bei den christlichen Priestern verhaßt zu machen. Mit derselben Urtheilslosigkeit, mit welcher fanatische Priester die Schriftdenkmale und Culturzeichen der Urbevölkerung des neu entdeckten Amerika zur großen Schädigung unserer Geschichtsforschung vernichteten, mit derselben Urtheilslosigkeit, mit welcher Bonifacius seinen Täuflingen den Genuß des Pferdefleisches untersagte, mit derselben Urtheilslosigkeit drang man auch auf Unterlassung der Feuerbestattung. Später erhielt geistige Trägheit und Denkfaulheit das den Urahnen gegebene Verbot in Kraft. Sollen diese Hemmnisse sich mächtiger erweisen als Vernunftgründe? Soll die Geistesarmuth einiger Urtheilslosen nach Jahrhunderten das für richtig Erkannte verhindern? […]

In Deutschland schien das Interesse an der Feuerbestattung nicht mehr rege zu sein. Aber in Italien arbeiteten zahlreiche Gelehrte an den Mitteln für die Ausführung des Verbrennungsverfahrens. Unter ihnen ist an erster Stelle Brunetti zu nennen, weil er die Ausführbarkeit seiner Methode bereits an sechs Leichen erprobt hat.

Brunetti, Professor der pathologischen Anatomie zu Padua, bedient sich zur Verbrennung eines Ofens, der die Form eines länglich viereckigen Kastens hat. Dem Erfinder bleibt das Verdienst, durch energisches Vorgehen nach einer Pause von Jahrhunderten nachgewiesen zu haben, daß man mit verhältnißmäßig wenig Brennmaterial einen menschlichen Leichnam verbrennen könne – aber nicht das Verbrennen allein ist unser Ziel, sondern es soll die Verbrennung auch so ausgeübt werden, daß der Pietät, welche wir der Hülle unserer geschiedenen Lieben schuldig sind, daß dem Gemüth der Hinterbliebenen das volle Recht gewahrt werde.“

Diesen Verbrennungsofen Brunettis hatte der britische Chirurg und Leibarzt von Königin Victoria,  Sir Henry Thompson, 1873 auf der Wiener Weltausstellung gesehen, war beeindruckt und wurde in England der Pionier der Feuerbestattungs-Idee: Er gründete 1874 „The Cremation Society of England“.  Im selben Jahr entstand in Zürich der erste Verein für Feuerbestattung in der Schweiz. Und das erste europäische Krematorium eröffnete seinen Betrieb 1876 in Mailand, jedoch war dessen Technik noch nicht ausgereift. Erst mit dem Heißluftkremationsofen (Regenerativfeuerung) von Friedrich Siemens folgten weitere ‚Feuerhallen‘.

Mit dem Christentum verschwand die Feuerbestattung in Europa zunächst allmählich, dann vollständig, nach dem im Jahre 785 unter Strafandrohung ausgesprochenen Verbot der Feuerbestattung im „Capitular Paderbornense“ durch Karl den Großen.

Dieser Widerstand der katholischen Kirche blieb erhalten, zumal im 19. Jahrhundert viele Vorkämpfer dieser neuen Bestattungsform in ihr einen Weg sahen, ihre antiklerikale Gesinnung als Freidenker zum Ausdruck zu bringen.

Dazu schreibt Dr. Christine Behrens: „Ganz besonders entscheidend für die Akzeptanz der Feuerbestattung war in ihren Anfängen die Rolle der Kirchen. Während die evangelischen Kirchen insgesamt zögerlich aber toleranter eingestellt waren, verbot die katholische Kirche 1886 - unter Androhung der Exkommunizierung - ausdrücklich die Verbrennung der Toten, weil ihr diese mit dem Glauben an die Auferstehung der Toten unvereinbar schien. Erst 1963 wurde das Kremationsverbot aufgehoben [Instruktion „De cadaverum crematione“], seit 1966 dürfen katholische Priester bei Kremationen die Trauerzeremonien durchführen.“

1885 wird das erste Krematorium in Großbritannien in Betrieb genommen. Es bedurfte einer Reihe von Rechtsverordnungen,  die die Einrichtung von Krematorien erlaubten und regelten, so der erste nationale Cremation Act von1902, mit dem Titel: „An Act for the regulation of the burning of Human Remains, and to enable Burial Authorities to establish Crematoria.”  1927 folgte Schottland mit einer eigenen Regelung, 1948 Nordirland.

1885 – 2014

Es brauchte rund 50 Jahre, bis Anfang der 1930er Jahre, um die gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen.

In den ersten 20 Jahren (1885 – 1904) erhöhte sich der Anteil der Kremationen von 0,01 auf 0,09 Prozent. In dann immer kürzeren Zeitabschnitten stiegen die Prozentanteile der Kremationen an den Bestattungen weiter an. 1932 wurde der 1 Prozent-Anteil erreicht, 1947 waren es bereits mehr als 10 Prozent, 1968 erstmals mehr als 50 Prozent aller Bestattungen. 1975 betrug der Kremationsanteil mehr als 60 Prozent und in den vergangenen rund 20 Jahren (seit dem Jahr 2000) hat sich der Anteil der Kremationen auf etwas über 70 Prozent eingependelt.


England & Wales, Schottland, Nordirland

Die Entwicklung verlief aber nicht in allen Teilen des Vereinigten Königreichs parallel. Hinsichtlich der vergangenen 20 Jahre, die statistisch erfasst sind (1995-2014), haben England und Wales einen Anstieg der Kremationen von 71,3 auf 77,4 Prozent, Schottland einen Anstieg von 57,1 auf 65,6 Prozent und Nordirland einen Anstieg von 12,5 auf 20,4 Prozent.

In diesen Unterschieden zeigt sich unter anderem auch die konfessionelle Verteilung, in der Logik: „Je höher der Anteil der Katholiken, desto geringer der Anteil der Kremationen“. Zu dem generellen Anstieg von Kremationen trägt insofern nicht nur die zunehmende Säkularisierung im Vereinigten Königreich bei, sondern auch die geringeren Kosten der Kremation,  aber auch die „Platznot auf dem Totenacker“, da es in Großbritannien auf den kommunalen Friedhöfen üblich sei, dass Grabstellen unbefristet vergeben werden.

(CF)