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Nicht-Religiöse in Ungarn, 1930-2022

Fowid-Statistikbeobachter: Nach offiziellen Darstellungen sind in der Bevölkerung Ungarns rund 73 Prozent Religiöse. Diese Zahlenangabe entspricht dem kirchlich und politisch gewünschten Gesellschaftsbild einer „christlichen Nation“. Das ist jedoch eine Realitätsverweigerung, die mit einen einfachen Trick erreicht wird, denn nur noch 44 Prozent der Bevölkerung sind tatsächlich Religiöse.

In Ergänzung zu der umfangreichen fowid-Analyse „Konfessionsfreie in Ungarn“, die den Zeitraum 1930 bis 2011 erfasst, sind die Ergebnisse des Zensus 2022 zu ergänzen. Der Anteil der römischen Katholiken verringert sich weiter: auf 28 Prozent. Das wird korrekt berichtet. (s. Tabellen 1 im Anschluss)

In der offiziellen Darstellung des „Hungarian Central Statistical Office“ zu den Ergebnissen des Zensus 2022 wird unter „Endgültige Ergebnisse“ (Final data) für die Religionszugehörigkeit – im Unterschied dazu - ein Text und eine Grafik verbreitet, die eigenwillig ist: „Die Frage nach der Religion wurde von 60 % der Bevölkerung freiwillig beantwortet. 46 % der Befragten, also 2,6 Millionen Menschen, gaben an, römisch-katholisch zu sein. Der Anteil der Reformierten betrug 16 %, Evangelikale und griechisch-katholische Christen lagen 2022 beide bei etwa 3–3 %. 27 % der Befragten gaben an, nicht religiös zu sein.“ Und über dem Kreisdiagramm steht: „Verteilung der Bevölkerung nach Religion im Jahr 2022“.

Das war dann auch der Text in einer Pressemitteilung zu den Ergebnissen des Zensus 2022.

Bestärkt werden derartige Darstellungen durch Texte wie in dem Wikipedia-Artikel „Religionen in Ungarn“ (abgerufen am 30.09.2025) in dem es heißt:

„Gegenwart: Die größte Religionsgemeinschaft ist die römisch-katholische Kirche, zu der sich etwa 56–60 % der Bevölkerung zählen. Daneben gibt es die Griechisch-katholische Kirche, vor allem von ruthenischen und ukrainischen Gläubigen. Evangelisch sind die Reformierte Kirche als zweitgrößte Kirche mit etwa 13–16%, die Evangelisch-Lutherische Kirche, sowie weitere Gemeinschaften wie Baptisten, Methodisten, Unitarier und andere.“

Gestützt wird dies Aussage durch die Anmerkung:
„Eine weitere Befragung von Eurobarometer ergab 2015 60,3 % Katholiken insgesamt, 5,1 % Protestanten, 1,1 % Orthodoxe und 8,1 % weitere Christen. Ohne Religion waren 18,5 % und 2,7 % Atheisten. Nach: Discrimination in the EU in 2015.“

In diesem Eurobarometer Spezial Nr. 437 lässt sich aber eine derartige Angabe nicht finden. Zudem wird der Widerspruch in dem Wikipedia-Eintrag zwischen der Angabe „56-60 %“ mit der dort folgenden Tabelle, in der die Ergebnisse der Volkszählungen von 1920 bis 2011 korrekt dargestellt sind und (2011) für „Christliche Kirchen und Gemeinschaften“ insgesamt 54,2 Prozent, die „Römisch-katholische Kirche“ 38,9 Prozent genannt sind, nicht thematisiert.

Diese Merkwürdigkeiten ziehen sich dann auch durch die Medien. So heißt es im ORF zwar: „Zensus 2022: Anteil Religiöser in Ungarn deutlich gesunken“, aber dann wird die Darstellung der staatlichen Statistik-Behörde Ungarns übernommen, indem nur die 60 Prozent betrachtet werden, die eine Angabe gemacht haben und bei denen real und wunschgemäß die römische Katholiken die Mehrheit haben.

Und das ist der Trick: Die Grundgesamtheit (= Bevölkerung) wird auf die Befragten verkleinert, die die freiwillige Frage nach der Religionszugehörigkeit beantwortet haben (60 Prozent) und diese 60 Prozent werden dann – getreu dem Motto „Was nicht passt, wird passend gemacht“ – die neuen 100 Prozent. Alle Angaben werden damit um den Faktor 1,7 vergrößert und aus 30,1 Prozent römischen Katholiken (2022 in der Bevölkerung) werden mit 51,2 Prozent die Mehrheit (in der Statistik). Aus den 43,4 Prozent Christen werden 73,8 Prozent. (s. Tabelle 2)


Nicht-Religiöse?

Ist es sinnvoll, die drei Kategorien der „Nicht-Religiösen“ („Keine Religion“, Atheisten“ und „Religion nicht festgestellt/keine Angabe“) zu einer Kategorie zusammenzufassen?

Dafür sprechen zwei Untersuchungen. Die eine ist von Miklós Tomka: „Religiöser Wandel in Ungarn“, der (im Zusammenhang mit der katholischen Kirche) Umfragen in Ungarn realisiert hat, in denen er u. a. die Kategorie „Konfessionslose“ verwendet. In der Zusammenfassung schreibt er (S. 309):

„Die Träume über die Wiederherstellung einer Vorkriegsordnung mussten verabschiedet werden. Ungarn ist weltanschaulich gespalten. Maßgeblich ist hierbei eine Drittelung. Ein Drittel der Gesellschaft besucht gelegentlich Gottesdienste, schickt ihre Kinder zum Religionsunterricht und zahlt einen Kirchenbeitrag. Am anderen Ende der Skala wird jedes dritte Kind nicht getauft, ein Drittel der Gesellschaft hat jede Beziehung zu einer institutionalisierten Religion, und vielleicht auch das Interesse daran, verloren. Die Menschen im mittleren Drittel zählen sich zu irgendeiner Konfession, bezeichnen sich (und verstehen sich vielleicht) sogar als religiös, ohne aber im Alltag daraus irgendwelche Konsequenzen zu ziehen. Religion ist für sie ein belangloses Konzept geworden, was sie zwar akzeptieren, doch ohne sich weiter darum zu kümmern.“

Eine andere Bewertung stammt von dem Religionssoziologen Antonius Liedhegener und seiner Arbeitsgruppe im „Swiss Metadatabase of Religious Affiliation in Europe“ (SMRE), der für Umgarn eine Dreiteilung mit „Christen / andere Religionen / keine Religionszugehörigkeit“ vornimmt, wobei in der dritten Gruppe (45,3 Prozent) die drei angesprochenen Kategorien zusammengefasst werden.

In einer Übersichtskarte zur jeweils größten religiös/weltanschaulichen Gruppe des Landes werden zudem die „Nicht-Verbundenen“ für Ungarn als größte Gruppe angesehen (vor den Katholiken und den Protestanten).

Fazit: Auch wenn es Relativierungen gibt, ist die Gesamttendenz als richtig anzusehen.

(CF)

Tabellen

(Im Anhang befindet sich eine Excel-Datei mit den auslesbaren Daten)