Kirchenaustritte in den Bistümern 2017 - 2022
Fowid-Statistikbeobachter: Wie bereits in der fowid-Ausarbeitung „Kirchenaustritte in den Diözesen“ für 2021 aufbereitet soll nachfolgend eine kurze aktuelle Zeitreihe 2017-2022 klären, wie sich das Austrittsgeschehen in den katholischen Bistümern jenseits von Medienzuweisungen tatsächlich darstellt. Das Erzbistum Köln ist nicht der ‚Spitzenreiter‘. Das sind einerseits die Erzbistümer Berlin, Hamburg und München sowie andererseits die Bistümer Osnabrück, Regensburg und Eichstätt.
In den Veränderungen der Anzahl der Kirchenmitglieder - die sich beständig verringern – spielt neben den traditionellen innerkirchlichen Komponenten – wie Taufquoten, Sterbeüberschüsse und Zuwanderung – vor allem die steigende Zahl der Kirchenaustritte eine wesentliche Rolle in der öffentlichen Aufmerksamkeit. Das verwundert nicht, da der Kirchenaustritt bisheriger römischer Katholiken eine Reihe von persönlichen Konsequenzen für sie hat, von denen der Ausschluss von den Sakramenten durchaus wesentlich ist. Insofern gilt der Kirchenaustritt als Indikator für eine grundlegende Distanz zur Kirche, was diese inzwischen in eine Krise führt.
2021 lauteten die Schlagzeilen: Von der Süddeutschen Zeitung: „Exodus der Gläubigen“, über die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Woelki-Effekt: Kirchenaustritte im Erzbistum Köln erreichen Rekordniveau“ und zu den Westfälischen Nachrichten: „Woelki-Effekt“ führt zu Austritten“ – bis hin zum Münsteraner Theologen und Kirchenrechtler Thomas Schüller: “Kirchenrechtler sieht in Austritten ‚Woelki-Tsunami‘“ - war man sich einig. Man hatte also einen ‚Schuldigen‘ gefunden.
Es beginnt bereits damit, dass es heißt: „Das Erzbistum Köln ist Statistik-Spitzenreiter der deutschen Diözesen mit 41.000 Ausgetretenen, in Kirchenkreisen spricht man vom Woelki-Effekt.“ (SZ) Die Zahl ist zwar korrekt, aber diese Sichtweise übersieht, dass das Erzbistum das größte katholische Bistum in Deutschland ist (1,8 Mio. Kirchenmitglieder) und – wenn in allen Bistümern der gleiche Anteil der Katholiken austreten würde –, das Erzbistum Köln damit automatisch den „Spitzenplatz“ hätte. Es reicht also nicht, die aktuelle Statistik der Deutschen Bischofskonferenz mit der Anzahl der Austritte zu betrachten.
2022/2023 geht das munter weiter: „Vertreter sieht ‚Woelki-Faktor‘: Austritte beim Bistum Köln stehen vor Rekordhoch“ (ntv) oder: „Kirchenaustritte: Negativrekord in Deutschland – Kölner Zahlen sind erschreckend“ (express) bzw. „Kirchenaustritte in 2022: Ein katholisches Problem.“ (FAZ). Darin heißt u.a.: „Die Vorwürfe gegen den Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki dürften das ihre dazugetan haben. Allein knapp zehn Prozent der Austritte entfielen auf sein Erzbistum, wo 51.345 Leute wohl einfach genug hatten.“ Dazu ist anzumerken, dass (2022) das Erzbistum Köln mit 1.738.011 Katholiken für 8,3 Prozent der Katholiken in Deutschland und 9,8 Prozent der Austritte steht. Das Erzbistum München-Freising (mit 1.498.699 Katholiken und 49.029 Austritten) steht für 7,6 Prozent der Katholiken, aber für 9,4 Prozent der Austritte und hat damit – wenn auch knapp - einen relativ höheren Anteil als Köln an den katholischen Kirchenaustritten.
Oder, wenn es heißt: „Kirchen in NRW verlieren massenhaft Mitglieder“ (WDR) und darin: „Angesichts des Ärgers um den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki liegt zwar die Vermutung nahe, dass vor allem die katholische Kirche von den Austritten betroffen ist. Doch in der Praxis trifft das wohl nur bedingt zu. Offenbar trifft der Ärger vieler Kirchenmitglieder über den katholischen Erzbischof auch die evangelische Kirche.“ Das wäre ein Beleg für die „Sündenbocktheorie“. Das liegt durchaus in christlicher Tradition der Bibel.
Es ist zwar verständlich, dass das Erzbistum Köln schon immer die größte Bedeutung hatte – weil es das größte Bistum in Deutschland ist, mit den entsprechend großen Zahlen und wer hat schon einen Kölner Dom – und dass durch die medial aufgenommenen innerkirchlichen Dispute um das Verhalten von Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki ein großes Interesse am Erzbistum Köln besteht. Das wird jedoch der relativen Bedeutung der Thematik in anderen Diözesen und anderer Bischöfe und Erzbischöfe im ‚katholischen Deutschland‘ nicht gerecht. Es folgt wohl eher den Prinzipien des medialen „Boulevards“ der Personalisierung und Emotionalisierung. Eine sachbezogene Berichtserstattung würde die Tatsachen zur Kenntnis nehmen. Eine Betrachtung der Jahre 2017 – 2022 mag das verdeutlichen.
Diese Daten lassen sich – um sie ‚zum Sprechen zu bringen‘: was heißt viel?– korrekt auf die Anteile der Mitglieder in den jeweiligen Bistümern berechnen bzw. es lässt sich berechnen, wie die ‚Dynamik‘ verläuft, indem man die Veränderungen der Anzahl der Kirchenaustritte gegenüber den Vorjahren berechnet.
Bei der Betrachtung der Anteile der Kirchenaustritte bezüglich der Katholikenzahl in den Bistümern wird deutlich, dass das Erzbistum Köln auch in den Jahren 2019- 2022 mitnichten den ‚Spitzenplatz‘ hat, der ihm aufgrund der Zahlenangeben zugesprochen wird.
Die höchsten Anteile an Kirchenaustritten in den Bistümern haben die Erzbistümer Berlin, Hamburg und München-Freising. Allesamt die Millionenstädte. Gefolgt vom Bistum Limburg, zu dessen Gebiet auch Frankfurt am Main gehört. Köln befindet sich auf den Rangplätzen 14, 14, 8, 16 – auf der Ebene des Durchschnitts – sowie (2021 und 2022) auf Platz 4 und 4. Das spricht bereits dafür, dass die soziale Situation in den Großstädten ein wesentlicher Faktor ist, egal wer dort der Bischof ist.
Betrachtet man die Veränderungen der Austrittszahlen gegenüber dem Vorjahr, dann gibt es allerdings ein Jahr, 2021, in dem die Zahl der Austritte in Köln sich mehr als verdoppelt - das könnte man für dieses Jahr mit einem „Woelki-Faktor“ begründen.
Dieser ‚Ausreißer‘ ist aber nicht zu verallgemeinern, da diese ‚Veränderungsquote‘ sich 2022 wiederum als unterdurchschnittlich darstellt und sich das Erzbistum damit auf dem zweitgeringsten Platz befindet. Wäre das auch ein ‚Woelki-Effekt‘?
Auf den höchsten Rangplätzen dieser Austrittsdynamik befinden sich 2022 als „High Five“ die Bistümer Osnabrück, Regensburg, Eichstätt, Münster und Paderborn. Warum gerade diese Bistümer? Auch 2021 waren die „High Five“ nach Köln die medial nicht beachteten Bistümer Aachen, Münster, Trier und Essen.
In der katholischen Kirche haben sich in den vergangenen Jahren mehrere Baustellen aufgetan. Das ist nicht nur der klerikale Umgang mit den Missbrauchsfällen, sondern auch die Opposition der Frauen („Maria 2.0“) und der „queeren Katholiken“, die Kritik am kirchlichen Arbeitsrecht des „Dritten Weges“, der Priestermangel, der Gemeindeumbau zu großen „Pastoralräumen“ sowie der „Synodale Weg“, um nur die Wichtigsten zu nennen.
Wie es sich bereits in der Ausarbeitung: „Eckdaten des katholischen kirchlichen Lebens 1990 – 2021“ darstellte, hat das Erzbistum Köln – bezogen auf rund 30 Jahre - einen mittleren ‚Rangplatz‘ bei den Kirchenaustritten.
Auch diese Auswertung verweist darauf, dass – hinsichtlich des Indikators der Kirchenaustritte – die „High Five“ andere sind – Passau, Regensburg, Trier, Würzburg und Eichstätt – die in dieser Frage beachtenswerter wären.
Den 2021 und 2022 gegenüber den Vorjahren höhere Anteil des Erzbistums Köln hinsichtlich des Anteils der Kirchenaustritte an den Mitgliederzahlen kann man auch als Hinweis darauf verstehen, dass, hinsichtlich der vielen ‚Baustellen‘ der katholischen Kirche, der „rheinische Katholizismus“ dort angekommen ist, wo er eigentlich hingehört: In der Normalität der ‚Riege‘ von Großstädten wie Berlin, Hamburg, München und Frankfurt am Main (Bistum Limburg).
Carsten Frerk.