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Kirchliches Leben - Evangelische Kirche 1960 - 2020

Ende 2020 waren ca. 20 Millionen Menschen (etwa 24,3 Prozent der Gesamtbevölkerung Deutschlands) Mitglied der evangelischen Landeskirchen. Überwiegend evangelisch geprägt ist vor allem der Norden Deutschlands. Zu den statistisch erfassten Daten des „kirchlichen Lebens“ gehören u. a. Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Beerdigungen mit ihren jeweils besonderen kirchlichen Ritualen und Kirchenaustritte, sowie die Anzahl der Gottesdienstbesucher.

Die Evangelische Kirche in Deutschland ist die Gemeinschaft von 20 selbstständigen lutherischen, unierten und reformierten Kirchen in Deutschland.

Die EKD wurde 1948 als Dachinstanz für die Landeskirchen gegründet und blieb auch nach der Teilung Deutschlands als Zusammenschluss der evangelischen Landeskirchen beider deutschen Staaten bestehen. Ab 1961 brachte die Unterschiedlichkeit der Entwicklung zunehmend Probleme mit sich. 1969 gründeten daher die acht „DDR-Landeskirchen“ den Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR. Nach der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten wurden die beiden Verbünde wieder zur EKD zusammengelegt.

Ab 2006 wurde auf die sinkenden Mitgliederzahlen reagiert und der Rat der EKD veröffentlichte ein Reformpapier „Kirche der Freiheit“, mit dem ein umfassender Prozess in der Evangelischen Kirche angestoßen werden sollte. Seither wird in allen Landeskirchen über die inhaltlichen Schwerpunkte künftiger kirchlicher Arbeit diskutiert. Es gibt Empfehlungen an kleine Landeskirchen, sich wegen der Einsparung von Kosten zu größeren Landeskirchen zusammenzuschließen. So entstanden zum Beispiel die Kirche in Mitteldeutschland 2008 und die Nordkirche 2012.
Die absolute Zahl der Kirchenmitglieder ist zwischen 1953 (knapp 26 Mio Mitglieder) und 1970 (reichlich 29 Mio) stetig angestiegen. Jedoch steigt in gleichem Maße die Bevölkerungszahl. Somit gibt es über diese Jahre fast gleichmäßig zwischen 47 und 49 Prozent evangelische Christen. Ab 1971 wird der Trend des Mitgliederverlustes deutlich. Bis 1989 sinkt die Mitgliederzahl auf 40 Prozent der Bevölkerung.
Mit der Wiedervereinigung kommen sehr viele Menschen ohne religiöse Bindung hinzu und der Anteil der Evangelischen sinkt auf ca. 36 Prozent. In den kommenden Jahren ist der Abwärtstrend unaufhaltsam und der Anteil liegt 2020 bei 24,3 Prozent.
Die Anzahl der Taufen (und damit der zukünftigen Kirchensteuerzahler) reduziert sich bereits ab 1964 (483.300) bis 1970 erst langsam (relativ bleibt die Taufzahl bei etwa etwa 1,5-1,6 Prozent der Mitglieder), sinkt dann aber ab 1972 unter 1,0 Prozent ab und liegt 2019 bei etwa 0,7 Prozent (145.573 evangelische Kindertaufen). Der kurze Anstieg 1989-91 ist zum Teil die (abgeflachte) Wiederholung des Anstiegs Ende der 1950er Jahre. Die Kinder von damals werden Brautleute und bekommen eigene Kinder. Dafür spricht auch der Anstieg der evangelischen Trauungen in dieser Zeit. Zum anderen hat Ende der 1980er Jahre dort sicher auch die Wanderungsbewegung von Ost nach West ihren Einfluss. Nach der Wiedervereinigung wurden noch ca. zehn von eintausend Mitgliedern getauft, im Jahr 2019 sind es nur noch sieben. 2020 reduziert sich dies noch einmal auf etwa die Hälfte, nur noch 4 von 1.000 Mitgliedern werden getauft.

Die Anzahl der kirchlichen Trauungen reduziert sich tendenziell seit 1953 (167.006) mit einem leichten Anstieg Anfang der 1960er Jahre und mit einem „Zwischenhoch” Ende der 1980er/Anfang der 90er Jahre (um die 100.000 Trauungen) auf reichlich 38 Tsd. (in 2019). Der positive Zwischentrend Anfang der 1990er Jahre ist zum Teil auf die zeitversetzte und abgeflachte Wiederholung der Zahlen von 1962 zurückzuführen (die Kinder heiraten) und zum anderen die nach der Wiedervereinigung hinzugekommenen evangelischen Christen aus der DDR, die sich jetzt wieder kirchlich trauen lassen. Inzwischen lassen sich 2019 nur noch weniger als 0,2 Prozent der Kirchenmitglieder evangelisch trauen. 2020 ist sicherlich auch wegen der Corona-Pandemie die Zahl der kirchlichen Trauungen nochmals rapide gesunken. Auf 2.000 Kirchenmitglieder kommt nur noch eine Trauung.

Eine Umrechnung auf die relativen Zahlen der Kasualien pro 1.000 Kirchenmitglieder - die den Einfluss der Mitgliederzahlen ‚neutralisiert’ - zeigt die Veränderungen in noch klarerer Form als die absoluten Zahlen der vorherigen Grafik. Bei den Trauungen ist da tatsächlich nur ein Anstieg Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre zu sehen.
Taufen und Konfirmationen verringern sich - im entsprechenden Abstand von 14 -15 Jahren - parallel zueinander.
Die Bestattungen sind in dem betrachteten Zeitraum ab 1962 auf einem relativ gleichbleibendem Niveau von 320-350.000 pro Jahr. Der vermeintliche sprunghafte Anstieg zwischen 1990 und 1991 beruht lediglich auf einer anderen Zählweise in den östlichen Gliedkirchen. Zu dieser Zeit wurden lediglich die evangelisch Verstorbenen erfasst, nicht, ob diese dann auch ein kirchliches Begräbnis bekamen. Ab 1997 sinkt die Anzahl der evangelischen Bestattungen kontinuierlich auf ca. 255.300 (2019), wobei hier alle evangelischen Bestattungen erfasst sind, nicht nur die der evangelischen Verstorbenen. 2020 ist die Zahl auf 355.000 angestiegen, allerdings ist auch in den letzten 5 Jahren der Anteil der über 80jährigen von 5,7 auf 7,1 Prozent gestiegen. Die höhere Zahl der Bestattungen hat also auch demographische Gründe und ist nicht prinzipiell auf die angeblich höhere Zahl der Sterbefälle während der Pandemie abzustellen.
Das Jahr 2020 mit den Corona-Beschränkungen hat auch in der Evangelischen Kirche Spuren hinterlassen, die besonders bei den Trauungen und Taufen einen größeren Negativtrend bewirken. So sind ca. 80 Prozent der Trauungen und ca. 50 Prozent der Taufen ausgefallen oder verschoben worden. Einzig die Konfirmationen, die an ein gewisses Alter gebunden sind, haben lediglich zu etwa einem Drittel weniger stattgefunden. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob dies nur der Pandemie zuzurechnen ist oder ob sich dieser Trend in dem Tempo auch weiter fortsetzt.
Der Saldo aus Taufen und Bestattungen hat sich seit 1970 in einen Bestattungsüberschuss verändert, der sich seit 1991 jährlich um die 100.000 Mitgliederverluste aufgrund dieses Saldos beläuft. 2020 ist dieser Saldo auf 274.000 gestiegen.
Im betrachteten Zeitraum verlassen mehr Menschen die Evangelische Kirche, als aufgenommen werden. Nur in den Jahren 1956-1962 treten mehr Menschen in die evangelische Kirche ein, als sie verlassen.Bereits 1969 bis 1974 sind größere Austrittsbewegungen zu verzeichnen, die eine Entfremdung der Kirchenmitglieder dokumentiert. Das FDP-Papier „Freie Kirche in einem freien Staat“ war Auslöser einer kritischen Hinterfragung der Kirchenmitgliedschaft. Einige Kirchenoberen sahen diese Entwicklung und erkannten die Notwendigkeit, die Kirche einer Erneuerung zu unterziehen. Ab 1974 machte sich ein gesamtgesellschaftliches Krisengefühl breit. Mitte der 1970er Jahre war sicher auch die Reform des §218 StGB, die in einer breiten öffentlichen Abtreibungsdebatte diskutiert wurde, von erheblichem Einfluss.
Nach der größeren Austrittswelle nach der Wiedervereinigung bewegt sich der Saldo zwischen Aufnahme und Austritt um 120.000 pro Jahr. Zwischen 2004 und 2007 setzte sich dieser Trend für wenige Jahre etwas langsamer fort. Zwischen 2009 und 2012 liegt diese Differenz bei etwa 90.000 Mitgliederverluste pro Jahr. 2013 ist diese Differenz sprunghaft auf 126.000 angestiegen und 2014 sogar auf 226.000. Es haben 2014 fast so viele Menschen die evangelische Kirche verlassen (270.000), wie 1993. Nach 2000 haben insgesamt knapp 4 Mio. Menschen der evangelischen Kirche den Rücken gekehrt.

Die Zahl der Gottesdienstbesucher ist seit 1985 auf die reichliche Hälfte (55 Prozent) geschrumpft. Dabei ist der größere Teil erst nach dem Jahr 2000 der Kirche sonntags fern geblieben. Derzeit gehen nur noch etwa 3 Prozent der evangelischen Christen regelmäßig zum Gottesdienst.

Die Evangelische Kirche hat nach den hohen Austrittszahlen seit 2018 eine Pilotstudie angeschoben, die unter anderem die Austrittsgründe erfasst hat. Um die Gründe zum Kirchenaustritt zu erfahren, hat das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD zwischen Ende März und Ende Mai 2021 eine bundesweite Online-Umfrage „Wege und Anlässe zum Kirchenaustritt“ durchgeführt. Für etwa zwei Drittel ist der Glaube auch ohne Kirche lebbar, für die reichliche Hälfte ist der finanzielle Aspekt der Kirchensteuerersparnis ausschlaggebend und ca. 40 Prozent können mit dem christlichen Glauben nichts mehr anfangen. Erstaunlich ist auch, dass mehr als ein Drittel der ausgetretenen Menschen keinen Bezug zur örtlichen Gemeinde haben und die kirchlichen Angebote nicht nutzen.

Elke Schäfer