Weltanschauliche Homogenität bei Eheschließungen
Hinsichtlich der Merkmale Eheschließende und Religionszugehörigkeit gab es lange Zeit zwei ‚unumstößliche‘ Tendenzen: die Zahl der religiösen Trauungen verringert sich ebenso wie die Anteile der religiös homogenen Ehepaare. Daraus wurde geschlossen, dass sich auch die Wichtigkeit von Religion verringert. Das allerdings gilt, wenig überraschend, für Muslime nicht und ebenso, das ist neu, auch nicht für Konfessionsfreie, die deutlich bevorzugen ‚unter sich zu bleiben‘.
Von Carsten Frerk.
Die erstgenannte Tendenz der Verringerung der religiösen Trauungen und des Rückgangs der religiös homogenen Eheschließungen (d. h. beide Ehepartner haben die gleiche Religionszugehörigkeit) ist für die Jahre 1953-2003 für evangelische Eheschließungen wie für katholische Eheschließungen in entsprechenden fowid-Artikeln bereits dargestellt worden. Lag der Anteil von religiös homogenen Ehen bei den evangelischen Kirchenmitgliedern 1953 bei 62 Prozent, verringerte sich dieser Anteil bis 2003 auf 33 Prozent. Bei den Katholiken verringert sich dieser Anteil von 1953 (61 Prozent) bis 2003 auf 40 Prozent.
Das entspricht einem langfristigen Trend der Verringerung „konfessionell einheitlicher Ehen“ seit der Datenerfassung. In der Ausarbeitung „Bevölkerung gestern, heute und morgen“ (von 1985) des Statistischen Bundesamtes wird (auf Seite 69) eine Zeitreihe von 1901 – 1960 und (auf Seite 151) eine Zeitreihe 1960 bis 1983 publiziert, die sich speziell auf „konfessionell einheitliche Ehen“ bzw. „konfessionell gemischte Ehen“ von katholischen sowie evangelischen Kirchenmitgliedern bezieht.
1901 sind 91 Prozent der Eheschließungen „einheitlich“, 1925 sind es 85 Prozent. 1960 sind (im damaligen Bundesgebiet) 73 Prozent der christlichen Eheschließungen „konfessionell einheitlich“, 1983 sind es 56 Prozent.
Die Verringerung der „konfessionellen Einheitlichkeit“ beruht vor allem auf dem Verhalten der Evangelischen, deren Anteil an den „einheitlichen Ehen“ sich von 40,3 auf 25,9 Prozent reduziert, während der Anteil der Katholiken recht stabil bleibt (32,7 auf 30,3 Prozent).
2003 zu 2012/2013
Eine weitere Analyse dieser Trends lässt sich in Deutschland nur bis 2013 realisieren. Im Gesetz über die Statistik der Bevölkerungsbewegung und die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes (Bevölkerungstatistikgesetz - BevStatG) vom 20. April 2013 wird ab 2014 für die „Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung“ das Religionsmerkmal bei der Erfassung der der Geburten, Eheschließungen und Verstorbenen nicht mehr genannt.
Das ist insofern bedauerlich, da sich in diesen Jahren eine neue Tendenz zeigt, für die ab 2014 keine weiteren Daten vorliegen.
Ein Vergleich dieser beiden Bezugsjahre (2003 bzw. 2012/13) wurde sowohl für Deutschland insgesamt (vgl. Tabellen 1.1.-1.3. im Anhang), für das Bundesland Nordrhein-Westfalen (vgl. Tabellen 2.1.-2.3. im Anhang) sowie für die Stadt Frankfurt am Main (vgl. Tabellen 3.1.-3.3. im Anhang) durchgeführt. Ergänzt wird es durch eine Übersicht zu Paderborn 2014.
Allgemeine Ergebnisse
Für alle drei Betrachtungsebenen – Deutschland, Bundesland NRW, Stadt Frankfurt am Main – lässt sich für den Vergleich 2003 zu 2012/2013 feststellen:
1. Die Anzahl der Eheschließungen insgesamt bleibt in der annähernd gleichen Größenordnungen bestehen.
2. Die Anzahl der Eheschließungen, an denen zumindest einer der Ehepartner einer Religionsgemeinschaft angehört, verringert sich sowohl für die evangelischen, die katholischen, die anderen christlichen Kirchenmitglieder, ebenso bei den anderen Religionen, von denen die Mehrheit Muslime sind.
3. Auf allen drei Ebenen steigt die Anzahl und damit der Anteil der Konfessionsfreien an den Eheschließenden (Deutschland: um 26 Prozent, NRW: um 59 Prozent, Frankfurt am Main: um 66 Prozent).
4. In den Zahlen der jüdischen Eheschließenden zeigt sich eine besondere Problematik der Jüdischen Gemeinden. Da die jüdische Religionszugehörigkeit über die Mutter weitergegeben wird, ist der Anteil der jüdischen Frauen, die einen Mann ihrer Konfession heiraten, mit 20 – 26 - 46 Prozent relativ gering. Insofern reduziert sich, in dieser Hinsicht, die Anzahl der Mitglieder der Jüdischen Gemeinden. Wenn jeweils nur rund 220 jüdische Frauen sowie ebenso viele Männer Eheschließende sind, ist das ‚Angebot‘ an Ehepartnern zudem übersichtlich.
Weltanschauliche Homogenität
Bei den Evangelischen und den römischen Katholiken verringern sich die Anteile der religiös-homogenen Ehen leicht um die minus 2 Prozentpunkte. Der langfristigen Tendenz entsprechend ist die religiöse Homogenität bei den Evangelischen geringer als bei den Katholiken. Dabei legen die evangelischen Männer einen größeren Wert auf religiöse Homogenität als die Frauen ihrer Konfession.
Bei den Muslimen ist der Anteil der religiös-homogenen Ehen deutlich höher als unter den Christen. Bei den Frauen – denen dogmatisch nur die Heirat mit einem Muslim erlaubt ist – liegt der Anteil höher als bei den Männern (rund 10 Prozentpunkte). Allerdings ist die Homogenitätsquote der muslimischen Männer von 2003 auf 2013 höher gestiegen, als die der Frauen. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass sich entweder der religiöse Konformitätsdruck verstärkt hat oder die Erfahrungen mit nicht-muslimischen Ehefrauen weniger positiv waren.
Diese Tendenz, ‚unter sich‘ zu bleiben, ist bei den Konfessionsfreien noch ausgeprägter als bei den Muslimen. Auch bei den konfessionsfreien Frauen war der konfessionsfreie Ehemann 2003 bevorzugter als umgekehrt, allerdings sind die Steigerungen der Homogenitätsraten bei den konfessionsfreien Männern 2013 deutlich höher. Hypothesen für diese Veränderungen könnte zum einen sein, dass die Bereitschaft, mit einem religiösen Partner über die Kindererziehung zu diskutieren (Taufe, Kirchenbesuch, Religionsunterricht) schlicht geringer wird. Zum anderen könnte es auch daran liegen, dass die Anzahl der zur Auswahl stehenden konfessionsfreien Ehepartner deutlich größer geworden ist.
Das zeigt sich auch in der ‚Momentaufnahme 2015‘ von Paderborn (vgl. Tabelle 4).
Säkularisierung
Geht man davon aus, dass das durchschnittliche Heiratsalter im Jahr 2016 bei bisher ledigen Frauen 32 Jahre ist, bei bisher ledigen Männern 34 Jahre, so befinden sich beide Ehepartner jenseits der Lebensfindungsperspektive, die einen Kirchenaustritt nach sich ziehen kann. Mit anderen Worten: es sind weithin geklärte und stabile Weltanschauungen. Geht man dann zudem davon aus, dass ein gemeinsamer Kinderwunsch eines der Motive zur Eheschließung war, dann sind das Lebenssituationen, aus denen mit großer Wahrscheinlichkeit keine neuen Kirchenmitglieder erwachsen werden.
Angesichts des Rückgangs der Anzahl der Eheschließungen von EKD-Evangelischen und römischen Katholiken in zehn Jahren in Deutschland um insgesamt 19 Prozent und dem Anstieg der Anzahl der Konfessionsfreien unter den Eheschließenden von 26 Prozent, sind diese Veränderungen weit über dem Durchschnitt der Gesamtveränderungen. Die Tendenz zur Säkularisierung stabilisiert sich demnach zu großen Teilen aus sich selbst heraus.
Anhang