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Konfessionsfreie in Uruguay

Fowid-Länderbericht: Uruguay gilt als „Ausreißer“ im „katholischen Südamerika“, da es – weithin unbeachtet – einen weitestgehenden Laizismus mit privater Religiosität realisiert hat. Liberale Freidenker haben seit dem 19. Jahrhundert Prinzipien der Aufklärung politisch umgesetzt, über die man an manchen anderen Orten der Welt noch nicht einmal zu sprechen wagt. Und Uruguay gilt – trotzdem oder deshalb – als Land mit „sturmfester Demokratie-Tradition“.

Von Carsten Frerk.

1. Allgemeine Informationen
2. Religionspolitik
3. Statistik
4. Säkulare Parteien und Organisationen in Uruguay
5. Aktuelles / Kontroversen

1. Allgemeine Informationen

Die „Republik Östlich des Uruguay“ – so die offizielle Bezeichnung der Republik Uruguay – ist das kleinste spanischsprechende Land in Südamerika, und grenzt im Norden an Brasilien, im Westen an Argentinien (mit dem Grenzfluss Uruguay) und mit dem Atlantik (im Osten) sowie dem Fluss Rio de la Plata (im Süden) als natürliche Grenzen. Mit geschätzten 3,2 Millionen Einwohnern hat es weniger Einwohner als Berlin, auf einer Fläche, die halb so groß ist wie Deutschland. Dreiviertel der Bewohner leben an der Küste. Wirtschaftliche Grundlage sind die Pferde und vor allem die Rinder, die sich auch beide im Staatswappen wiederfinden.

Überschrift

Das Staatswappen Uruguays (vom 19. März 1829) besteht aus vier Feldern: mit einer Waage (Gleichheit und Gerechtigkeit), dem Hügel von Montevideo mit Gipfelfestung (Wehrhaftigkeit und Stärke), einem galoppierenden Pferd (Freiheit) und einem Ochsen (Reichtum).

Uruguay ist als Einwanderungsland entstanden: Der größte Teil der Einwohner sind Nachkommen europäischer Einwanderer (88 Prozent) sowie Mestizen (8 Prozent) und Nachkommen afrikanischer Sklaven (4 Prozent). Die indianischen Ureinwohner wurden Mitte des 18. Jahrhunderts getötet. 92 Prozent der Bevölkerung leben in Städten, davon rund 40 Prozent (knapp 1,5 Mio.) in Montevideo.

Politisch wurde Uruguay seit der Staatsgründung 1829 bis 2005 durch die Konkurrenz der bürgerlichen Eliten von „Colorados“ (Liberale, urban, Handelsinteressen, antiklerikal) und der „Blancos“ (Konservative, ländlich, Agrarinteressen) bestimmt. Aus gewerkschaftlichen Zusammenhangen organisierten sich in den Wirtschaftskrisen der 1960er Jahre die „Tupamaros“ (Movimiento de Liberación Nacional – Tupamaros), die von 1968 bis in die 1970er-Jahre als bewaffnete Untergrundbewegung aktiv war. Nach dem Staatsstreich (1973) durch das Militär und der Zerschlagung der Bewegung betätigt sie sich seit 1985 (Ende der Militärdiktatur) als politische Partei. Sie ist die stärkste Organisation im politischen „Linksbündnis“ (der „Frente Amplio“), dass 2005 die parlamentarische Mehrheit erlangte. Der Präsident Uruguays (2010 bis 2015) war José Mujica, genannt „El Pepe“, der 14 Jahre im Gefängnis einsaß – wegen seiner Aktivitäten bei den Tupamaros. Er ist bekennender Atheist.

Der Leiter eines Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung beschreibt Uruguay (2019) als Land mit einer „Sturmfesten Demokratie-Tradition“.

Betrachtet man die Gleichberechtigung von Frauen und Männer sowie die Akzeptanz von Homosexuellen als Indikatoren für eine Kultur der Menschenrechte, so hat Uruguay gute Werte. Auf die Frage (in 2019), ob sie es für möglich halten, dass eine Frau innerhalb der nächsten zehn Jahre Präsidentin werden könne, antworten 92 Prozent der Befragten in einer Gallup-Umfrage in Uruguay, dass das möglich sei. Das ist der beste Wert aller Länder Südamerikas. Und in der Gallup-Umfrage (2007), ob ihr Land ein guter Ort sei, um als Homosexueller dort zu leben, bejahen das 71 Prozent – das ist Rang 4 von 113 (Deutschland befindet sich auf Platz 17) und das nächste südamerikanische Land (Argentinien, Nachbar von Uruguay) folgt auf Rang 24.

2. Religionspolitik

In Artikel 5 der Verfassung Uruguays ist seit 1917 die Religionsfreiheit sowie die Trennung von Staat und Kirche festgeschrieben:

„Alle religiösen Sekten sind in Uruguay frei. Der Staat unterstützt keine einzige Religion. Er erkennt das Recht der katholischen Kirche auf das Eigentum an allen Tempeln an, die ganz oder teilweise aus Mitteln der Staatskasse gebaut wurden, mit der einzigen Ausnahme von Kapellen, die für den Gebrauch in Asylen, Krankenhäusern, Gefängnissen oder anderen öffentlichen Einrichtungen bestimmt sind. Es erklärt ebenfalls die Tempel, die von den verschiedenen religiösen Sekten zur Anbetung gewidmet wurden, für steuerfrei.“

In einer Betrachtung zur Charakterisierung Uruguays schreibt Juan Scuro in: „Religión, política, espacio público y laicidad en el Uruguay progresista“, dass Uruguay durch eine „Art radikalen Säkularismus gekennzeichnet“ sei.

„Es ist üblich, Uruguay mit Adjektiven zu bezeichnen, die das Land in Bezug auf die Verbindung zwischen Religion und Politik von seinen Nachbarn unterscheiden. Häufig wird Uruguay ohne Zögern als ein säkulares Land par excellence angesehen, und zwar in einer etwas radikaleren Weise als seine direkten Nachbarn. […] Es wird argumentiert, dass das Gewicht der katholischen Kirche und ihre politische Bedeutung in Uruguay geringer ist als in anderen Ländern der Region. Andererseits sollen Freimaurerei, Jakobinismus und Antiklerikalismus wichtige Elemente beim Aufbau des modernen Nationalstaates gewesen sein. In der Wissenschaft besteht ein gewisser Konsens (abgesehen von den offensichtlichen Nuancen) darüber, dass Uruguay durch eine Art radikalen Säkularismus gekennzeichnet ist, das Produkt eines starken Säkularisierungsprozesses, der sogar als jakobinisch verstanden wird, zumindest historisch.“

In einem Vortrag „Laizismus, Ethik und religiös-politische Macht“ schreibt Heinrich Wilhelm Schäfer (2020): „¡Como Mexico no hay dos! [Mexiko gibt es nicht zweimal!]  – außer vielleicht Uruguay“, und sieht Parallelen zwischen Uruguay und Mexiko, indem er Mexiko beschreibt:

„Seit Benito Juárez werden schon in den Verfassungen des 19. Jahrhunderts Eigentum und Rechte der katholischen Kirchen sehr stark beschnitten und deren Stellungnahme zu politischen Prozessen strikt untersagt. […] Die Praxis der langjährigen Regierungspartei PRI [Partei der Institutionalisierten Revolution] gegenüber Kirchen kann eher als Durchsetzung von Laizität des Staates und der politischen Öffentlichkeit verstanden werden denn als Favorisieren von Religionsfreiheit. Der Staat gibt streng den Orientierungsrahmen religiösen Handelns vor.“

Veit Straßner beschreibt in: „Kirche und Religion im laizistischen Staat“ einige der Details der konsequenten Trennung von Staat und Kirche, z. B. die Umbenennung der christlichen Feiertage in neutrale Bezeichnungen.

„Christliche Feiertage wie Weihnachten, Heilige-Drei-Könige oder Ostern sucht man in den offiziellen Kalendern Uruguays vergebens. Stattdessen finden sich dort Bezeichnungen wie ‚Familientag‘ für den 24. Dezember, sowie ‚Tag der Kinder‘ für das Drei-Königsfest, und die Karwoche vor Ostern heißt Semana de Turismo – ‚Reisewoche‘. Umbenannt wurden diese Feiertage im Zusammenhang mit den intensiv geführten Debatten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts über die Rolle und den Ort der Religion im öffentlichen Leben Uruguays. Hier zeigt sich eine der Besonderheiten im Vergleich zu anderen Staaten Lateinamerikas: Die ausgeprägte Laizität der Gesellschaft, d.h. die strikte Trennung von Kirche und Staat sowie die Verlagerung der Religion in den Privatbereich.“

Entsprechend gibt es auch keinen Religionsunterricht an staatlichen Schulen. Basis dafür seien die Unabhängigkeitsbewegung mit den Ideen der Aufklärung und die starken liberalen wie antiklerikalen Kräfte der ‚Colorados‘, für die stellvertretend der Sozialreformer Batlle y Ordóñez genannt wird, der von 1903–1907 und 1911–1915 als Präsident Uruguays amtierte.

„Der größtenteils staatlich gesteuerte Säkularisierungsprozess zog sich dabei über mehrere Jahrzehnte hin. Zu den Höhepunkten gehörten die Ausweisung des Jesuitenordens (1859), die Verstaatlichung der Friedhöfe (1861), die zuvor unter kirchlicher Obhut standen, und die Einführung der verpflichtenden standesamtlichen Trauung (1885) und der Ehescheidung (1907). Immer wieder kam es zur öffentlichen Konfrontation zwischen Befürwortern und Gegnern der Säkularisierung: So organisierten etwa antikatholisch-liberale Gruppen regelmäßig am Karfreitag, dem katholischen Fast- und Abstinenz-Tag schlechthin, vor den Kirchen provokante Gratis-Grillfeste, zu denen sie die Bevölkerung einluden.“

Dazu kamen noch u. a.: „1906 das Verbot von Kruzifixen in Krankenhäusern und es wurde die Entfernung von Verweisen auf Gott und das Evangelium bei öffentlichen Vereidigungen durchgesetzt. Ferner fand die Einführung eines ersten Scheidungsrechts statt, das zudem die Scheidung auch auf Wunsch der Frau ermöglichte. In seine Amtszeit fiel auch die Abschaffung der Todesstrafe.“

3. Statistik

In den staatlichen Volkszählungen in Uruguay wird – bis auf eine seltene Sondererhebungen (2006) des „Flash Temático 6: Religion“ – nicht nach der Religionszugehörigkeit gefragt. Man ist auf andere empirische Umfragen angewiesen. So schreibt das Statistische Amt (INE) anlässlich der Volkszählung 2011 in seinen „Consideraciones metodológicasy conceptuales sobre los cuestionariosde Población, Hogares y Viviendasde los Censos 2011“, dass man das Thema der Religionszugehörigkeit bewusst nicht erfragt hat.

„Eines der ausgeschlossenen Themen, das am ausführlichsten diskutiert und bewertet wurde, war die Religionszugehörigkeit des Einzelnen. In den internationalen Empfehlungen wird darauf hingewiesen, dass die Entscheidung über die Aufnahme des Themas in eine Volkszählung in erster Linie von den nationalen Erfordernissen und der Angemessenheit und Aktualität einer Frage zur Religion abhängt: ‚Aufgrund der Sensibilität einer Frage zur Religion sollte den Befragten mit großer Sorgfalt gezeigt werden, dass angemessene Maßnahmen zum Datenschutz und zur Kontrolle der Verbreitung vorhanden sind.‘“

Zur Situation der Religionen schreibt PEW (2014), dass es sich bei Uruguay um einen „Ausreißer“ handelt.

„Uruguay ist ein Ausreißer und bei weitem das säkularste Land Lateinamerikas. Ganze 37 % der Uruguayer geben an, dass sie keiner bestimmten Religion angehören oder Atheisten bzw. Agnostiker sind. In keinem anderen untersuchten lateinamerikanischen Land machen die religiös Ungebundenen auch nur 20 % der Bevölkerung aus.“

Es gilt generell, dass es in Lateinamerika eine Verringerung der Zahl der Katholiken stattgefunden hat. In einer sehr ausdifferenzierten Studie „Religion in Latin America. Widespread Change in a Historically Catholic Region.“ hat PEW (2014) verschiedene Entwicklungen analysiert. Der Anteil der Katholiken hat sich von 1910 bis 1970 kaum verändert und lag bei über 90 Prozent, 2014 beträgt der Anteil noch 69 Prozent.

Diese generelle Entwicklung verläuft in Uruguay gleichsam parallel, wenn auch auf einem niedrigeren Niveau. 1910 – 1970 betrug der Anteil der Katholiken etwas über 60 Prozent, 2014 sind es (laut PEW) noch 42 Prozent.

Eine Datenquelle, die seit 1995 regelmäßig Umfragedaten zu den Religionszugehörigkeiten erhebt und publiziert ist das „Latinobarometro“, eine private Non-Profit Organisation mit Sitz in Chile, die jährlich Meinungsumfragen in den lateinamerikanischen Ländern durchführt und publiziert.

Seit 1995 hat sich der Anteil der Katholiken von 61 Prozent auf (2018) 33 Prozent verringert und der Anteil der Einwohner Uruguays „Ohne Religion“ ist von 9 Prozent auf 34 Prozent gestiegen.

Auch die komplette Zeitreihe (mit abgerundeten Zahlen) verdeutlicht diesen kontinuierlichen Trend.

Fasst man diese Befragten mit bzw. ohne Religion jeweils zusammen – wobei hier ausgeklammert wird, ob Atheisten nicht auch „Religionsorientierte mit Gottesbezug“ sind – so sind die Religiösen 1995 noch die dominierende Weltanschauung (mit 81 Prozent), die Nicht-Religiösen (mit 19 Prozent) nur eine beachtliche Minderheit. 2018 sind sie gleichauf (mit 49,5 bzw. 49,3 Prozent).

Andere Umfragen kommen zu davon abweichenden Daten. So nennt PEW für 2010 57,9 Prozent Christen sowie 40,7 Prozent Konfessionsfreie. Für 2011 sind es dann sogar 58,2 Prozent Christen in Uruguay.

Eine andere Datenquelle sind die Umfragen des AmericasBarometer der Vanderbilt University/USA. 2009 wurde die Methodik überarbeitet („Measuring Religion in Surveys of the Americas“). Insofern sind die Kategorien zum Teil anders zugeordnet. In dem Bericht der Ergebnisse für die Umfragen 2018/19 wird (Seite 146) der Anteil der Katholiken mit 30 Prozent, der Konfessionsfreien mit 35 Prozent angegeben und rechnet man die Angaben nach religiös/nicht-religiös zusammen, so sind es 44 Prozent Religiöse sowie 54 Prozent Nicht-Religiöse und 2 Prozent, die keine Antwort dazu haben.

Auch diese Umfrage bestätigt den Trend für Uruguay, dass die Nicht-Religiösen die Mehrheit im Land sind.

3.1. Altersverteilung

Die Altersverteilung verweist darauf, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. In einer Untersuchung, die das PEW Research Center 2018 über den „Age Gap in religion around the world“ vorgelegt hat, beträgt die Differenz zwischen den 18-39-Jährigen zu den älteren Erwachsenen (40 Jahr und älter) in der Identifikation mit einer Religion 18 Prozentpunkte weniger. Das entspricht auch den Umfragen des Latinobarometers, in der dieser Unterschied in Uruguay ebenso deutlich wird.

Die Unter-40-Jährigen, und vor allem die 15-25-Jährigen, sind unterdurchschnittlich „religiös“ und entsprechend überdurchschnittlich „nicht-religiös“, was zukunftsweisend ist.

Diese Altersverteilung zeigte sich auch 2006 in der Spezialuntersuchung der Nationalen Statistikbehörde E.N.A. zur Religion, in der deutlich ist, dass die konfessionsfreien Atheisten und Agnostiker in der Altersgruppe der 16–25-Jährigen am stärksten vertreten sind.

Auffallend ist die Kategorie „Glaube an Gott ohne Konfession“, die so im Fragebogen neben der Kategorie „Atheist oder Agnostiker“ vorgegeben war. Man könnte diese Kategorie auch, zumindest einen Teil von ihnen, als „Konfessionsfreie“ verstehen.

3.2. Wichtigkeit von Religion / Kirchgang

Dieser Befund in den Altersgruppen entspricht auch die Einschätzung der geringen Wichtigkeit von Religion wird auch durch eine PEW-Umfrage (2018) bestätigt, in der in Uruguay 29 Prozent angeben, dass ihnen die Religion sehr wichtig sei. Dieser Prozentsatz entspricht auch dem AmericasBarometer 2018/19 (S. 147), in dem 27 Prozent angeben, dass ihnen Religion sehr wichtig sei. Noch geringer ist der Kirchgang, von denen 10 Prozent sagen „einmal in der Woche“, weitere 5 Prozent „Ein bis zweimal im Monat“ – was durchaus den Zahlen für die Katholiken in Deutschland entspricht.

Ein Unterschied zur Situation Deutschland ist es jedoch („The religious commitment gap“), dass von den Protestanten knapp die Hälfte (47 Prozent) mindestens einmal in der Woche in die Kirche gehen und 38 Prozent angeben, dass ihnen Religion sehr wichtig sei, sie täglich beten und einmal in der Woche in die Kirche gehen, was von den Katholiken in Uruguay nur acht Prozent sagen.

Wie unwichtig die Religion ist, zeigt u. a. ein ausführlicher Artikel über verschiedene „Jugendkulturen in Uruguay“ (2011), in dem der Begriff „Religion“ kein einziges Mal vorkommt.

3.3. Frauen / Männer

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Weltweit gilt, dass unter den Konfessionsfreien der Anteil der Frauen geringer ist, als bei den Männern. Das mag am Altersaufbau liegen, da – wie es das Beispiel der Konfessionsfreien in Neuseeland zeigt – der Anteil der Frauen bei den jüngeren Altersgruppen identisch ist mit dem der Männer. In Uruguay ist der Unterschied in der Konfessionsfreiheit der Geschlechter allerdings gravierend. Der Anteil der Frauen unter den Katholiken ist höher als in Europa, aber bei den Konfessionsfreien ist es eine ungewöhnliche Relation von 2:1 (40:20 Prozent).

3.4. Katholische Tradition

Zur ‚Richtung‘ der Verringerungen der Anteile der Katholiken nennt die PEW-Lateinamerika-Studie, dass ein Viertel (was heißt 5 Prozentpunkte) von ihnen zu den Protestanten abgewandert sind und Dreiviertel (15 Prozentpunkte) zu den Konfessionsfreien.

Die Ausarbeitung zu „Religion und Religiosität in Uruguay“ (2008) verweist auf die Bestandteile „katholischer Tradition“ auch bei denen, die sich als Nicht Religiöse verstehen.

Für die Autoren der Studie wird es als Hinweis bewertet, dass es eine bemerkenswerte Anzahl von Menschen in Uruguay gibt, die ihre religiöse Spiritualität außerhalb der formalen Religion leben. Das allerdings spricht auch für die - immer noch - religiös-kirchliche Fundierung auch säkularer Gesellschaften, wie es für Deutschland in „Kirche im Kopf“ dargestellt worden ist.

3.5. Stadt/Land-Verteilungen

Die sich immer wieder zeigende Stadt/Land-Verteilung in den Tendenzen nicht-religiös/religiös zeigt sich auch in Uruguay. Die Unterschiede zeigen sich vor allem bei den Katholiken, die in den ländlichen Regionen über rund 55 Prozent an Anhängern haben, sowie den Agnostikern und Atheisten, zu denen ein knappes Viertel (22,7 Prozent) der Einwohner der Haupt- und Millionenstadt Montevideo zählen.


4. Säkulare Organisationen

Eine Person ist wesentlicher Bezugspunkt der Freidenker in Uruguay, der in Europa aber aus anderen Gründen bekannt ist: Guiseppe Garibaldi (1807 – 1888). Als Italienischer Freiheitskämpfer für einen Nationalstaat musste er nach dem gescheiterten Aufstand in Piemont (1836) die Flucht ergreifen und floh nach Südamerika. In Uruguay schloss er sich den „Colorados“ an, erhielt 1842 ein Flottenkommando und führte eine kleine italienische Legion von Freiwilligen 1847 zur Verteidigung Montevideos gegen Argentinien. 1848 kehrte er nach Italien zurück und nach einer weiteren bewegten Lebensgeschichte (Revolutionsführer, erneute Emigration, Rückkehr nach Italien und ‚Diktator Siziliens‘), war er am 20. September 1870 am Sturm auf Rom und dem Ende des Kirchenstaats beteiligt. Garibaldi war nicht nur Freimaurer, sondern auch Freidenker.

Uruguayische Vereinigung der Freidenker (Asociación Uruguaya de Libre Pensadores, AULP), zu deren Grundprinzipien die Auffassung gehört, „dass die Republik, die Demokratie und der säkulare Staat sowie die Trennung der Kirchen und Religionen vom Staat die Grundlagen für den Aufbau einer Gesellschaft sind, die in der Lage ist, freie Menschen und Bürger zu bilden, die mit Hilfe der Vernunft über ihr Schicksal bestimmen können.“

Die AULP ist Mitglied in der Internationale der Freidenker AILP (Association Internationale de Libre Pensée), zu deren Kampagnenthemen (2021) gehören:
- Trennung von Religionen und Staat,
- keine staatliche Finanzierung von Religionen,
- Anprangerung der Verbrechen von Priestern.

Grundlage ist das „Manifest für die Gewissenfreiheit“, dessen ersten Leitsätze lauten:

„Der Mensch ist frei geboren. Die Natur hat weder Titel, Religionen, religiöse Institutionen, noch Besitz geschaffen. Der Mensch ist zudem geworden was er ist, indem er seit der Urgeschichte in einem langen Kampf schreckliche Prüfungen, die er weder kannte noch verstand, auf diesen Planeten bestehen musste. Langsam, aber sicher entweicht der Mensch den Zwängen und Hemmnissen, auch den selbst erschaffenden Zwängen und Hemmnissen und musste für sich selbst seine Rechte behaupten. Menschenrechte wurden weder erkämpft noch entrissen gegen andere sogenannter „Rechte“ unbekannter Herkunft. Diese Rechte gibt es, weil es die Menschen gibt. […]“

Verbindungen bestehen

1. zu „Europa Laica“, einer Organisation, die 2001 gegründet wurde, ihren Sitz in Madrid hat und dem Säkularismus verpflichtet ist.

„Es handelt sich um eine spanische säkularistische Vereinigung, die unter Säkularismus die Schaffung idealer rechtlicher, politischer und sozialer Bedingungen für die volle Entfaltung der Gewissensfreiheit als Grundlage der Menschenrechte versteht. Sie setzt sich für einen gleichberechtigten weltanschaulichen Pluralismus als Grundregel der Rechtsstaatlichkeit und die Schaffung eines angemessenen und wirksamen Rechtsrahmens ein, der diesen Pluralismus vor jeglicher Einmischung durch religiöse Institutionen, die Vorteile oder Privilegien mit sich bringt, garantiert und schützt.“

2. zur argentinischen Estado Laico (Coalición Argentina por un Estado Laico), einem Bündnis laizistischer Organisationen. Dazu zählen u.a. : Atheisten und Atheistinnen von Mar del Plata, die LGBT-Vereinigung Argentiniens, das Kollektiv für den Glaubensabfall „Nicht in meinem Namen“, die Kampagne des Feminismus für einen laizistischen Staat, Katholiken für das Recht der freien Wahl, das Kollektiv Cordoba, u. a. m.

Bürgervereinigung 20. September (Asociación Civil 20 de Setiembre) mit den Leitbegriffen: „Freidenkertum - Toleranz - Humanismus.“ Die Bezeichnung der Bürgervereinigung erinnert an die Eroberung Roms am 20. September 1870 und dem Ende des Kirchenstaats sowie der Rolle Garibaldis.

„Sein Name erinnert an ein historisches Ereignis: den triumphalen Einzug der patriotischen Kräfte von Viktor Emanuel II, Cavour und Garibaldi in Rom im Jahr 1870, die die Einheit Italiens anstrebten.
Rom war die letzte Bastion der vatikanischen Reaktion, die mit dem französischen Kaiserreich von Napoleon III. verbündet war. Sein Fall war weitgehend das Werk der ‚Rothemden‘ von General Joseph Garibaldi, der zuerst mit den republikanischen Kräften gegen das Kaiserreich in Brasilien gekämpft hatte und dann in Uruguay an der Seite der liberalen Kräfte, die die Stadt Montevideo während der Belagerung zwischen 1843 und 1851, während des sogenannten Großen Krieges, verteidigten.“

Die Bürgervereinigung ist ebenfalls Mitglied der Internationale der Freidenker (AILP) und sie tritt häufig auch gemeinsam mit der AULP auf, um die Prinzipien der Laizität in Uruguay zu verteidigen.

Darüber hinaus vertritt die Bürgervereinigung auch die individuellen Rechte und unterstützt (2020) den Gesetzentwurf über Euthanasie und ärztlich assistierten Suizid.

Partido Humanista. Auf den ersten Blick scheint es eine weitere säkulare Gruppe zu geben: die Partido Humanista. Leitspruch: “Wir kommen nicht, um das Gleiche zu tun, wir kommen, um zu tun, was nicht getan wurde.“ Aber in der Selbstdarstellung wird deutlich, dass es zur „Bewegung“ der SILO-Anhänger gehört. Politisch spielt die Partei keine Rolle und trat, nach einer Darstellung auf Wikipedia, 2006 der neu gegründeten politischen Partei Asembla Popular bei.

5. Aktuelles / Kontroversen

In einer Betrachtung zur gegenwärtigen Situation schreibt Juan Scuro (2017) in: „Religión, política, espacio público y laicidad en el Uruguay progresista“, dass vor allem in den letzten Jahren die Frage des Säkularismus wieder stärker thematisiert wird.

„In den letzten Jahrzehnten und vor allem in den letzten Jahren ist die Frage des Säkularismus in Uruguay wieder mit Schwung aufgekommen. Die Kontroversen und die Hauptakteure sind nicht neu (katholische Kirche, Freimaurerei), aber die Episoden, die dazu zwingen, das Konzept des Säkularismus zu problematisieren, folgen eine nach der anderen und dienen als Figuren eines spannungsgeladenen Schachbretts von umstrittenen Moralvorstellungen, Werten und Praktiken. Die Ankunft von Tabaré Vázquez in der nationalen Regierung im Jahr 2005, seine Nachfolge durch José Mujica im Jahr 2010 und seine Rückkehr ins Präsidentenamt im Jahr 2015 sind der rote Faden der verschiedenen Episoden, einschließlich der Streitigkeiten über die Installation religiöser Symbole im öffentlichen Raum und der Geschichte der jüngsten Allianzen zwischen Religion und Politik in Uruguay.“

Bei den „Streitigkeiten“ handelt es sich u. a. um die Aufstellung eines rund 30 m hohen Kreuzes – das anlässlich des Papstbesuchs 1987 auf privatem Grund errichtet worden war und danach als Andenken an den Besuch auf einen belebten öffentlichen Platz gesetzt wurde. „Mit knappen Mehrheiten blieb das Kreuz erhalten.“

„Im Mai 2017 lehnte das Parlament des Departamentos Montevideo einen Antrag ab, eine Statue der Jungfrau Maria in einer belebten Gegend der Hauptstadt aufzustellen. Die Katholische Kirche kritisierte diese Entscheidung und sprach von Diskriminierung gegenüber der katholischen Gemeinschaft.“ Vorher war die Aufstellung einer Statue von Konfuzius und Yemoja an der gleichen Straße genehmigt worden.

Innerkirchlich unterstützt das Bistum Regensburg (dass in der Arbeitsteilung der deutschen Diözesen in den Partnerschaften zur Betreuung der Länder Lateinamerikas u. a. für Uruguay zuständig ist) „Priesterseminare in Uruguay und Argentinien im Rahmen der Adveniat-Priesterpatenschaft.“

Ein anderer der Akteure zur Stärkung der katholischen Kirche ist die der CDU nahestehende Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) die über Uruguay berichtet: „Im Besonderen geht es dabei um die politischen Herausforderungen, die sich für gläubige Christen in einem säkularen Staat ergeben.“

2015 werden von der Stabsstelle Strategie und Planung der KAS in Montevideo „Vorträge und Workshops zur Rolle des Laizismus in Uruguay“ organisiert.

Im November 2020 gab es ein Treffen zwischen dem Erzbischof von Montevideo Daniel Kardinal Sturla (der in der Bischofskonferenz von Uruguay die Unterkommission für die Mission leitet) und den Repräsentanten der KAS in Uruguay, während dem u. a. über „mögliche Vereinbarungen, die zwischen der Stiftung und der Akademie katholischer Führungskräfte ACDE getroffen werden könnten“ gesprochen wurde. Kardinal Sturla ist seit 2015 ebenfalls Mitglied im „Päpstlichen Rat zur Förderung der Neuevangelisierung“ und der „Päpstlichen Kommission für Lateinamerika“.