Akzeptanz von Abtreibungen: 1981–2021
Das Thema einer Schwangerschaftsunterbrechung ist wieder in die Diskussion geraten. Eine Übersicht von Umfragen der vergangenen vierzig Jahre zur Zubilligung, Legalität oder Akzeptanz einer Abtreibung in Deutschland zeigt dabei jedoch eine klare Entwicklung. Rund drei Viertel (und mehr) der Bevölkerung findet eine Abtreibung akzeptabel bzw. ist der Meinung, dass die Schwangere das selbst entscheiden sollte.
Von Carsten Frerk.
1. Vorbemerkung
2. ALLBUS Umfragen 1982–2012
3. European Values Studies 1981–2017
4. ALLBUS Umfrage 2018
5. Weitere Umfragen 2016, 2017, 2021
6. Fazit
1. Vorbemerkung
Seit 1871, als § 218 im damaligen Reichsstrafgesetzbuch, ist der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland strafbar. Das wurde jetzt in einem Fachkongress „150 Jahre § 218 Strafgesetzbuch“ (27.-28. August 2021) thematisiert.
„Der Straftatbestand überdauerte Bemühungen um Entkriminalisierung in der Weimarer Republik und in der Bundesrepublik der 1970er Jahre. Im Zuge der Deutschen Einheit konnte sich die seit 1972 in der DDR geltende Fristenregelung nicht als gesamtdeutsches Modell durchsetzen. Durch internationale Entwicklungen, die Kriminalisierung von Ärzt*innen und die sich zunehmend verschlechternde Versorgungslage beim Zugang zum Schwangerschaftsabbruch steht der § 218 des Strafgesetzbuches wieder im Licht der Öffentlichkeit.“
Das ist Anlass für einen Überblick zu Ergebnissen von Umfragen bezüglich des Schwangerschaftsabbruchs bzw. der Abtreibung der vergangenen vierzig Jahre.
2. ALLBUS-Umfragen 1982–2012
In einer ersten fowid-Auswertung wurden bereits die ALLBUS-Umfragen des Zeitraums 1982–2000 ausgewertet. Diese Umfragen wurden auch bis (vorerst) 2012 fortgesetzt.
Der Befragungstenor ist, dass den Befragten sieben Konstellationen vorgelegt wurden, hinsichtlich derer sie ihre Meinung äußern sollten, ob unter den genannten spezifischen Bedingungen ein Schwangerschaftsabbruch gesetzlich erlaubt sein sollte.
Für drei Konstellationen wird den ungewollt Schwangeren in relativ hoher Übereinstimmung (von 88 bis 97 Prozent) ein Abtreibungsrecht zugebilligt: Bei einer Gesundheitsgefährdung der Frau, bei der Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung oder wenn das Baby wahrscheinlich nicht gesund ist. Für zwei weitere Konstellationen – eine verheirate Frau will keine weiteren Kinder sowie eine finanzielle Notlage der Familie – finden nur noch knappe Mehrheiten. Zwei Konstellationen – Wenn die Frau es so will, unabhängig davon, welchen Grund sie dafür hat sowie eine ledige Mutter, ohne Ehewunsch – finden die geringste Zubilligung. Dabei ist jedoch auffallend, dass dem Willen der Frau über die Jahre eine höhere Zustimmung zugesprochen wird. Ledigen Schwangeren, die nicht heiraten wollen, bleibt diese Zustimmung versagt.
Die grafische Darstellung verdeutlicht, dass es zwischen 1986 und 1996 eine größere Bereitschaft gab, einem Schwangerschaftsabbruch zuzustimmen. Inwiefern dass auch Reaktionen auf die Neufassung des § 2018 sind (im Dezember 1995 beschlossen, das einen Beratungszwang innerhalb einer Fristenlösung mit einer strafrechtlichen ‚Ummantelung‘ festlegte) konnte nicht geklärt werden.
Welche Rolle dabei die Kirchen gespielt haben, lässt sich an der Reaktion ihrer Mitglieder darstellen. Dafür wurden die Daten der bisher letzten ALLBUS-Umfrage (2012) ausgewertet.
Bei einer Gesundheitsgefährdung der Schwangeren gibt es in der Zubilligung eines Abbruchs keine Unterschiede. Für alle anderen Konstellationen ist die Zustimmung der römischen Katholiken jeweils geringer, bei der ledigen Mutter, die nicht heiraten will, kaum noch genannt (19 Prozent).
Die EKD-Kirchenmitglieder befinden sich in größerer Nähe zu den Konfessionsfreien, die generell die höchsten Zustimmungswerte haben.
Das lässt sich noch weiter differenzieren, wenn man die Intensität der Religiosität betrachtet. Auf einer zehnteiligen-Religiositätsskala sind die stärkeren Intensitätswerte für die eigenen Religiosität (die Werte 8, 9 und 10) beinahe alle unterdurchschnittlich.
Die grafische Darstellung verdeutlicht, dass dieser Trend – je religiöser in der Selbsteinstufung, desto geringer die Zubilligung einer straffreien Abtreibung – bei allen Konstellationen vorhanden ist.
Hinsichtlich der politischen Wahlpräferenzen sind es (2012) die Wähler der Grünen, die eine überdurchschnittliche Zustimmung äußern. Auch die Wähler der Partei Die LINKE und der PIRATEN äußern sich so, allerdings ist ihre Fallzahl zu gering, um das belastbar zu belegen.
3. European Values Studies 1981–2017
In den European Values Studies wird kontinuierlich gefragt, ob die Befragten eine Abtreibung „unter keinen Umständen in Ordnung finden, in jedem Fall in Ordnung finden oder irgendetwas dazwischen.“ Die Bewertungen können anhand einer 10er-Skala genannt werden.
In der Auswertung für Deutschland zeigt sich ein deutlicher Trend, insbesondere wenn man die 10er-Skala auf drei Gruppen verdichtet: 1-4 = Ablehnung, 5+6 = Weder noch, 7-10 = Zustimmung.
Die Ablehnung verringert sich von 1981 (59 Prozent) auf 2017 (26 Prozent), während die Zustimmung von 20 Prozent auf 42 Prozent steigt.
In der grafischen Darstellung der 10er-Skala zeigt sich deutlich, dass die beiden ‚Enden‘ der Skala (die Ablehnung bzw. die Zustimmung) besonders benannt werden.
Die hohe zustimmende Veränderungsrate für 2017 weisen auf eine starke Veränderung des Diskussionsklima hin. Nach 2017 liegt auch das Referendum im katholischen Irland am 25. Mai 2018, in dem 66 Prozent der Iren für eine Verfassungsänderung und die Straflosigkeit einer Abtreibung votierten.
ALLBUS 2018
In der Umfrage 2018 ist die ALLBUS-Gruppe einen anderen Weg gegangen und hat die Aussage „Frauen sollten selbst über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden können“ in den Kontext von sechs ausdrücklich „politischen Themen“ gestellt (darunter „Soziale Sicherung“, Umverteilung des Einkommens“ und „Zuzug von Flüchtlingen“). Auf einer 5er-Skala konnte man „voll und ganz zustimmen“, „eher zustimmen“, „Weder-noch“ sagen, „eher nicht zustimmen“ sowie „gar nicht zustimmen“.
Die Ergebnisse sind eindeutig: 88 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, dass Frauen selbst über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden können sollten.
Die Zustimmung ist in allen Altersgruppen ähnlich hoch, ebenso zwischen Frauen und Männern, ebenso bei den EKD- und den römisch-katholischen Kirchenmitgliedern sowie den Konfessionsfreien. Der religiöse Aspekt einer überdurchschnittlichen Ablehnung zeigt sich dann bereits bei den Mitgliedern der kleineren Religionsgemeinschaften, noch deutlicher bei der Häufigkeit des Kirchgangs und hinsichtlich der Religiosität. Je stärker diese Weltanschauung, desto höher die Ablehnung.
Dafür, dass die Ablehnung des Selbstbestimmungsrechts einer Schwangeren nur Teil weiterer Elemente einer Gegnerschaft des Selbstbestimmungsrechts des Menschen ist, zeigt auch die höhere Ablehnung bei denjenigen, die auch für ein Verbot von gleichgeschlechtlichen Ehen sind.
5. Weitere Umfragen 2016, 2017, 2021
Da die Frage der Legalität, d. h. der Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen, europaweit ein Thema ist (ebenso in den USA, Lateinamerika, Australien, etc.) gibt es auch weitere Umfragen.
2016 fragte Ipsos in einer vergleichenden Studie von 8 europäischen Ländern nach den Einstellungen der Bevölkerung zur Abtreibung. Vorgegeben wurden fünf Aussagen im Sinne einer 5er-Skala:
Für Deutschland ergab sich ein Wert von 84 Prozent, als Summe einer uneingeschränkten Zustimmung („… wenn die Frau sich dafür entscheidet“, 50 Prozent) bis bedingte Zustimmung (34 Prozent). Die ablehnende Haltung erreichte 6 Prozent.
Dieser Wert zeigt eine ähnliche Größenordnung, wie die Frage nach der Legalität einer Abtreibung. 2017 berichtet das PEW-Forschungszentrum über eine Umfrage in 15 westeuropäischen Staaten: „Irish vote highlights widespread popular support for legal abortion in Western Europe“ und hinsichtlich der Abtreibung hieß es im Fragebogen: „Sollte ein Schwangerschaftsabbruch Ihrer Meinung nach in allen Fällen legal, in den meisten Fällen legal, in den meisten Fällen illegal oder in allen Fällen illegal sein?“ Dazu gab es vier Antwortmöglichkeiten: (1) Legal in allen Fällen, (2) Legal in den meisten Fällen, (3) Illegal in den meisten Fällen, (4) Illegal in allen Fällen. In der übersichtlicheren Darstellung wurden (1+2) als „Legal“ und (3+4) als „Illegal“ zusammengefasst.
Für Deutschland zeigt sich ein Anteil von 76 Prozent dafür, dass ein Schwangerschaftsabbruch legal sein sollte.
Die bereits erwähnte größere Gruppe von Einstelllungen, die einen Pool bilden und religiös gefüllt sind, illustriert PEW ebenfalls an den Einstelllungen zum Schwangerschaftsabbruch und der gleichgeschlechtlichen Ehe, die in den Staaten Westeuropas zwar unterschiedlich sind, aber stets das gleiche religiöse Muster haben.
2021 publizierte das Ärzteblatt die Ergebnisse einer Civey-Umfrage: „Ist Abtreibung für Sie grundsätzlich akzeptabel?“
50 Prozent entschieden sich für „Ja, vollkommen“, weitere 18 Prozent für „Eher ja“, zusammen 68 Prozent Zustimmung. Teilt man (nach der PEW-Logik einer 4er-Skala) die „teils, teils“ Antworten (16 Prozent) jeweils hälftig (8 Prozent) auf die Zustimmung bzw. Ablehnung ergibt sich eine gleiche Relation von 76 : 24 Prozent zugunsten einer Akzeptanz wie in der PEW-Studie.
6. Fazit
In den Umfragen ist – ebenso wie in der politischen Diskussion – ein Wandel zu beobachten: Von einer eher moralischen Beurteilung, die spezifische Situationen formuliert und die Befragten nach ihrer Erlaubnis/Zubilligung für einen Schwangerschaftsabbruch befragt, hin zu einer eher ethischen Betrachtung, die zum einen nach der Ansicht eines gesellschaftlich-politischen Regulierungsbedarfs fragt, ob eine Abtreibung generell legal oder illegal sei, und zum anderen, ob die Frauen selbst über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden können sollen.
Der Trend dabei ist eindeutig. Mit dem Rückgang der Religiosität und der Kirchenbindung in den vergangenen Jahrzehnten hat sich auch die Opposition gegen eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs verringert. Diese Opposition war und ist stark religiös determiniert, nicht, was die Kirchenmitglieder insgesamt betrifft, sondern diejenigen, die sich selbst als „stark religiös“ einstufen, was sich auch in einem regelmäßigen Kirchgang darstellt. Diese zunehmende Säkularisierung erweitert entsprechend auch den Raum für eine selbstbestimmte Sexualität, vor allem von Frauen, wozu auch der Schwangerschaftsabbruch gehört.
Es ist Zeit für eine Entkriminalisierung der Abtreibung im deutschen Strafgesetzbuch, wie sie auch von einer Empfehlung des Europäischen Parlaments im Juni 2021 („Matic-Bericht“) beschlossen wurde.