„Staatsleistungen“ 2025

Die „Staatsleistungen“ – d. h. Zahlungen der Bundesländer (außer Hamburg und Bremen) bei denen es sich weitestgehend um die Alimentierung des römisch-katholischen Klerus und des evangelischen ‚Kirchenregiments‘ handelt – sind für das Jahr 2025 auf 657 Mio. Euro (656.863.000) gestiegen. Die Gesamtsumme dieser Alimentierungen beläuft sich damit seit 1949 auf 22 Mrd. Euro (20.038.201.000).
1. Zahlungen der Bundesländer in den Haushaltsplänen 2025
2. Anpassungsklausel
3. Problematik in der Begrifflichkeit / Altrechtliche Staatsleistungen
4. Ewigkeitsrente
1. Zahlungen der Bundesländer in den Haushaltsplänen 2025
In einer Mitteilung schreibt dazu Johann-Albrecht Haupt, der jedes Jahr für die Humanistische Union diese Zahlen recherchiert, dass der Verfassungsauftrag zur Beendigung dieser Zahlungen weiterhin missachtet wird.
Die Zahlengaben beruhen auf den Haushaltsplänen der 14 zahlenden Bundesländer (Hamburg und Bremen zahlen als ehemalige Freie und Hansestädte, d.h. Kaufmannsrepubliken, keine Alimentierungen an die Kirchen). Sie entsprechen den Veröffentlichungen in den späteren Haushaltsrechnungen. Diese Zahlungen unterliegen nicht den Prüfungen durch die Landesrechnungshöfe.
Die Gesamtsumme der Zahlungen für das Jahr 2025 beläuft sich auf 657 Mio. Euro (656.862.900). Damit beläuft sich die Gesamtsumme der Staatsleistungen in Deutschland seit 1949 (ohne die Zahlungen in der DDR) auf 22 Mrd. Euro (22.038.201.000). (s. Tabelle 3)
Bei einer Umrechnung der Zahlungen auf pro Kopf der Bevölkerung sind Sachsen-Anhalt (20,60 Euro) und Rheinland-Pfalz (17,37 Euro) die ‚Spitzenreiter‘. Nordrhein-Westfalen (1,42 Euro) und das Saarland (79 Cent) zahlen die geringsten Staatsleistungen pro Kopf der Bevölkerung der Bundesländer. Die Länder Hamburg und Bremen zahlen keinerlei Staatsleistungen. (s. Tabelle 1)
Bereits dieser Aspekt der großen Unterschiedlichkeiten verweist auf die politischen Willkürlichkeiten in der Festlegung der Staatsleistungen bei Gründung der Bundesländer. So müssten Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ähnliche Beträge pro Kopf der Bevölkerung nennen, da beide Bundesländer u. a. Rechtsnachfolger des Preußen-Konkordats von 1929 sind. Die ersten Landesregierungen in NRW waren 1947-1948 Allparteienregierungen (inklusive der KPD), die eine staatliche Kirchenfinanzierung nicht freundlich sah, während die Landesregierungen in Rheinland-Pfalz exklusive CDU-Regierungen waren.
Diese politischen Gestaltungsfähigkeiten zeigen sich dann auch in der Sortierung der Staatsleistungen nach der Zahlung pro Kopf der evangelischen Kirchenmitglieder.
Das Bundesland mit der höchsten Zahlung pro evangelisches Kirchenmitglied ist – mit großem Abstand – Sachsen-Anhalt (165,65 Euro). Danach rangieren die weiteren vier östlichen Bundesländer, bis dann Rheinland-Pfalz (32,58 Euro) als erstes westliches Bundesland folgt.
In den genannten Staatsleistungen sind keine Baulasten berücksichtigt und auch nicht die Zahlungen in der DDR, denn in der DDR wurden ebenfalls Alimentierungen des Klerus an die Kirchen gezahlt.
2. Anpassungsklauseln
Die Gesamtsumme der Zahlungen für das Jahr 2025 beläuft sich auf 657 Mio. Euro. Das ist gegenüber 2024 (618 Mio. Euro) ein Anstieg um 6,2 Prozent. Die Verträge zu den Staatsleistungen haben Anpassungsklauseln, die sich an der mittleren Beamtenbesoldung orientieren. Diese Steigerungen für 2025, die eine Spannweite von 0,62 Prozent (Rheinland-Pfalz) und 15,34 Prozent (in Hessen) haben (vgl. Tabelle 2), entsprechen nicht den Tarifabschlüssen im Bundesbereich des öffentlichen Dienstes die sich für 2025 (nach einer Übersicht des Deutschen Beamtenbundes) auf linear 3 Prozent belaufen.
Im Haushaltsplan des Landes Hessen für 2025 (Einzelplan 4, S. 34 ff.) gibt es dazu keine Erläuterungen.
3. Problematik in der Begrifflichkeit / Altrechtliche Staatsleistungen
Diese Übersichten zu den „Staatsleistungen“ werden generell mit der Frage der Ablösung, d. h. der Beendigung dieser Zahlungen verbunden.
Der besondere Erfolg des – verständlichen - kirchlichen Lobbyismus liegt in der Tatsache, dass die Zahlungen in den Haushaltsplänen der Bundesländer, die mit rund 12 Milliarden Euro Schlusszahlungen abgelöst werden sollen, verfassungsrechtlich überhaupt keine „altrechtlichen“, ablöseberechtigten Staatsleistungen sind. Deshalb wird in diesem Artikel der Begriff der „Staatsleistungen“ als Zitat gekennzeichnet.
Für diese ablöseberechtigten, altrechtlichen Staatsleistungen gilt – unbestritten – dass sie auf Gesetz, Vertrag und anderen Rechtstiteln beruhen und vor dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung (11.8.1919) bereits bestanden haben müssen.
Eine Durchsicht der Haushaltspläne der Bundesländer zu den Rechtsgrundlagen dieser Zahlungen brachte das Ergebnis, dass diese Vereinbarungen (Konkordate, Staat-Kirche-Verträge, etc.) alle erst nach diesem Datum entstanden sind (Vgl. „Staatsleistungen und Staatsdotationen“).
Damit sind diese Zahlungen nicht „altrechtlich“ und mit einem angemessenen Schlussbetrag zu beenden, sondern einfache finanzielle Vereinbarungen zwischen Staat, Ländern und Kirchen zur Finanzierung des Klerus. Diese Vereinbarungen können jederzeit ohne eine Abschlusszahlung beendet werden.
Welche und wie hoch die tatsächlichen altrechtlichen Ansprüche der Kirchen sind, muss erst auf der Ebene der Länder recherchiert und geklärt werden. Die Verhandlungen für eine Ablösung findet ebenso exklusiv auf der Länderebene statt. In einem Grundsätzegesetz des Bundes dazu pauschale Ablösesätze vorzuschreiben, wurde bereits im Entwurf eines Grundsätzegesetzes 1921/1924 als unzulässig dargestellt, da die Staat-Kirchen-Verhältnisse in den jeweiligen Ländern zu unterschiedlich seien, um das pauschal zu bewerten. Aktuell ist der Bund nicht befugt, in die Finanzhoheit der Länder einzugreifen, was entsprechend geforderte Pauschalsätze – wie geschehen – genau tun würden.
Wie gewitzt diese Wortverbindungen und Gleichsetzungen („Alimentierung = altrechtliche Staatsleistung) zustande kommen, zeigt ein Auszug aus dem „Gesetz zum Vertrag des Landes Hessen mit den Evangelischen Landeskirchen in Hessen. Vom 10. Juni 1960“. Dort heißt es in Artikel 5: „Die zur Zeit als Dotationen für kirchenregimentliche Zwecke und als Zuschüsse zur Pfarrbesoldung gewährten finanziellen Leistungen des Landes an die Evangelischen Kirchen in Hessen sowie die katastermäßigen Zuschüsse werden mit Wirkung zum 1. April 1956 durch einen Gesamtzuschuß (Staatsleistungen an die Evangelischen Kirchen) ersetzt.“
Ich selbst bin diesem Sprachgebrauch der Humanistischen Union bis vor wenigen Jahren auch gefolgt, d. h. einer Gleichsetzung der Dotationen der Alimentierung des Klerus mit den altrechtlichen, abzulösenden Staatsleistungen, bis ich dann meine entgegensetzte Erkenntnis dazu detailliert begründet habe („Staatsdotationen und Staatsleistungen“).
Zudem sind Schilderungen, wie diese Vereinbarungen zur Alimentierung des Klerus in den Haushaltsplänen der Bundesländer zustanden gekommen sind, ein eigenes Kapitel.
Vergleicht man die Zahlungen der Bundesländer pro Kopf der Bevölkerung/der Kirchenmitglieder, (s. Tabelle 1) dann fragt man sich, welche rechtlichen Grundlagen es dafür gibt. NRW und Rheinland-Pfalz - beides zum großen Teil Nachfolgeländer preußischer Jurisdiktion, also auch des Preußen Konkordats 1929 – könnten unterschiedlicher nicht sein: Rheinland-Pfalz zahlt (2025) pro Kopf der Einwohner 17,37 Euro, NRW dagegen 1,42.
Ernst Dohlus (1974 bis 1990 Redakteur beim Wirtschaftsfunk im Bayerischen Rundfunk, Mitglied in der Gesellschaft Katholischer Journalisten und des Freundeskreises der Katholischen Akademie Berlin) hat sich (2016) die Frage nach der unterschiedlichen Höhe auch gestellt und in einem Artikel: „Von Karl Martell bis zum Acker des Bischofs - Wie die Staatsleistungen an die Kirchen begründet werden und wie sie verhandelt wurden“ erläutert. Das Ergebnis seiner Recherche ist u. a., dass die Informationen dazu nicht (mehr) vorhanden sind. Mehrmals jedoch nennt er, wie erfolgreich die Kirchen jeweils im „Paritäts-Schatten“ der anderen Kirche segelten, wenn diese besser verhandelt hatte.
„Noch günstiger fiel das Ergebnis der ursprünglich Breslauer Idee der Parität in den Staatsleistungen für die Katholische Kirche in Sachsen-Anhalt aus. Ursprünglich sollte dort ab 1990 zeitgleich verhandelt werden. Aber dann kam die Gründung des Bistums Magdeburg dazwischen, die Gespräche auf der katholischen Seite wurden ausgesetzt. Die Evangelische Kirche erreichte 1993 einen finanziell äußerst erfolgreichen Staatskirchenvertrag, den der spätere Finanzdezernent der EKD mit ausgehandelt hatte. Er bediente sich aller historischen Argumente, derer er habhaft wurde, zum Beispiel einer hohen Zahl von Kirchen im Mittelalter und der daraus zu errechnenden Zahl der Pfarrer und der Pfarrbesoldungszuschüsse nach preußischem Recht. Sachsen-Anhalt als Mutterland der Reformation musste als Argument herhalten. Ob die Tatsache, dass der damalige Ministerpräsident Reinhard Höppner Synodale war, bei den verhandelnden Beamten auch eine Rolle spielte, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall wurde die Evangelische Kirche in Sachsen-Anhalt Spitzenreiter unter den Empfängern von Staatsleistungen. Sie bekam 2012 etwa 20 Millionen Euro bei nur 32 Millionen Kirchensteuereinnahmen von 332.000 evangelischen Christen. Und das, obwohl Sachsen-Anhalt eine Bevölkerung von nur 2,3 Millionen Menschen hat. Im Windschatten brauchte die katholische Seite gar nicht viel zu verhandeln, sie konnte sich auf die Parität berufen. Und so bekommt sie jetzt über 5 Millionen Euro Staatsleistungen bei 12 Millionen Kirchensteuereinnahmen und 81.000 Katholiken.“
Das betraf jedoch nicht nur die katholische Kirche, auch für die evangelische Kirche ging ‚die Sache‘ sehr positiv aus („Fördern in alle Ewigkeit? Wie der Staat den Kirchen auf den Leim geht.“):
„Für das Land verhandelte damals Axel Vulpius den Vertrag, ein frisch pensionierter Ministerialdirigent aus dem Westen, der beim Aufbau Ost half. Heute gibt er offen zu, dass die Höhe der vereinbarten Staatsleistungen bloß ein Schätzwert gewesen sei: Neben den alten Forderungen an das Land bezüglich der Pfarrgehälter habe man auch die staatlichen Bauverpflichtungen an Kirchgebäuden mit in die Staatsleistungen einbezogen – ohne eine genaue Aufstellung der sogenannten Baulasten, also auf Basis einer Schätzung. Die so ermittelten Staatsleistungen wurden im Landtag ohne weiteres akzeptiert. Denn damals herrschte, so Vulpius, ‚eine kirchenfreundliche Haltung, weil man wusste, was die Kirchen dort zu leiden hatten, gerade auch im Kirchenbau‘.“
Axel Vulpius war „fünf Jahre lang im Kultusministerium des neu gegründeten Bundeslandes Sachsen-Anhalt beratend in Kirchenangelegenheiten tätig, nachdem die Kirchen im Land Staatsleistungen und Staatskirchenverträge angemahnt hatten. […] …wofür er mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet wurde. […] Zwei Jahre nach seiner Rückkehr nach Bonn bot ihm das Domkapitel der Vereinigten Domstifter das Amt eines Domherrn an, was Vulpius trotz der Entfernung am 8. April 1994 annahm.“
Auch in Sachsen gab es (1992-1996) eine Mischung aus Rechtsansprüchen und politischem ‚Kuhhandel‘. (Christine Funke: „Staatsleistungen des Freistaates Sachsen an die evangelische und katholische Kirche aufgrund von Staatskirchenverträgen.“ (2018):
„Das Kabinett beauftrage das Justizministerium, in den Verhandlungen die errechneten Staatsleistungen um 20 bis 25 % abzusenken. Als Grund führte man trotz bereits beschriebener Abwägungen wieder den Mitgliederschwund der Kirchen an. Beide Seiten einigten sich schließlich auf eine Reduzierung um 17,2 %, sowohl für die Ansprüche der evangelischen als auch der katholischen Kirchen. Für die evangelischen Kirchen wurde ein jährlicher Abgeltungsbetrag von 25 Mio. DM und für die katholischen Diözesen von 1 Mio. DM ausgehandelt.“
Oder in Niedersachsen, als sich die Landesregierung (1990) mit der Landeskirche Schaumburg-Lippe einigte, Rechte der Landeskirche hinsichtlich der Bauverwaltung zu beenden, geschah das – was die Summe betraf – „im Wege des gegenseitigen Nachgebens.“
„Bei den Verhandlungen mit der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe über eine Ablösung des Rechts aus § 2 des Vertrages von 1928 hatte die Kirche die Ablöseforderung {als 25facher Jahresbetrag von 274 380 DM für Personal- und Sachkosten) auf 6.184.500 DM beziffert. Mit Rücksicht auf das Fehlen klarer rechtlicher Vorgaben für die Berechnung der Ablösesumme ist in den Verhandlungen im Wege gegenseitigen Nachgebens dahingehend Übereinstimmung erzielt worden, daß der Ablösebetrag mit 4.500.000 DM zu bemessen sei.“
Im Staatsvertrag des Landes Brandenburg mit den Evangelischen Kirchen (1996) steht in Artikel 13 ein Passus zu den Staatsleistungen:
„(1) Das Land zahlt den Kirchen anstelle früher geleisteter Zahlungen für Zwecke des Kirchenregiments, der Pfarrbesoldung und -versorgung sowie anstelle anderer, früher auf besonderen Rechtstiteln beruhender Zahlungen einen Gesamtzuschuß als Leistungen des Landes an die Kirchen nach Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 138 Abs. 1 Satz 1 der Deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sowie Artikel 37 Abs. 2 der Verfassung des Landes Brandenburg. Die Gesamtleistung beträgt jährlich 17 Millionen Deutsche Mark und wird zum 31. März eines jeden Jahres gezahlt, erstmals für das Jahr 1997.“
Abgesehen davon, dass ausgerechnet der Ablösebefehl der Weimarer Reichsverfassung und des Grundgesetzes als Anlass für eine Neubegründung genannt wird, ist die Frage: Warum 17 Mio. DM?
Nach der Neugründung des Landes Brandenburg gab es Diskussionen im Kabinett, ob Staatsleistungen an die Kirchen gezahlt werden sollten, zwei Ministerien waren dafür, zwei dagegen. In einer Klärungsrunde beim Ministerpräsidenten Manfred Stolpe entschied der, dass gezahlt werde. Wie viel? Das sollte die evangelische Kirche benennen. Der Vorschlag der Kirche löste in der Staatskanzlei allerlei Irritationen über die Höhe der gewünschten Zahlung aus: 34 Mio. DM. Beide Seiten mussten ihr Gesicht wahren, man einigte sich: Halbe-Halbe.
Das alles sind Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit, deren Akteure noch leben. Man darf aber davon ausgehen, dass das früher auch so geschehen ist: Kumpaneien, Gefälligkeiten, „Räuberpistolen“, die dann in Gesetzesform ‚gegossen‘ wurden. Mit den Staatsleistungen im Sinne von Art. 140 GG/Art. 138,1 WRV hat das aber rein gar nichts zu tun.
4. Ewigkeitsrente
Fragt man sich, warum die finanzielle Trennung von Staat und Kirche seit 106 Jahren Verfassungsauftrag nicht stattfindet, erscheint es sinnvoll, zu versuchen ‚hinter die Kulissen‘ zu schauen. Dabei wird deutlich, dass zwei Interessen aufeinandertreffen: Die bisher zahlende Partei (der Staat) soll sich möglichst bald – der Verfassungsauftrag - von diesen Zahlungsverpflichtungen auf faire Weise befreien und die bisherigen Zahlungsempfänger – die Kirchen – wollen einen möglichst hohen finanziellen Ausgleich erreichen.
Die Kirchen verlieren nichts, wenn der Staat weiterhin bezahlt, im Gegenteil, es könnte zudem in ihrem Interesse liegen, den Ablösungszeitpunkt möglichst lange hinauszuschieben: 106 Jahre ist ihnen das bereits gelungen. Welche Aspekte spielen dafür eine Rolle?
4.1. Fuldaer Bischofskonferenz 1919. In der ersten Stellungnahme der Bischofskonferenz zur Weimarer Reichsverfassung erklären die Bischöfe grundsätzlich, dass der Staat nicht befugt sei, in ihre Rechte einzugreifen, aber man werde sich wohl „friedlich“ einigen.
„Die katholische Kirche ist eine Institution, die durch Jesus Christus auf göttlicher Einsetzung beruht und deren Rechten, wie solche ihr von ihrem göttlichen Stifter verliehen sind und aus ihrer göttlichen Stiftung sich ergeben, keine weltliche Gesetzgebung Grenzen und Schranken zu setzen befugt ist. […] Von dem christlichen Grundsatz ausgehend, daß Staat und Kirche zwei verschiedene von Gott gewollte, jede auf ihrem Gebiete selbständige und darum gleichberechtigte Gewalten sind, dürfen wir der Überzeugung Ausdruck geben, daß sich hinsichtlich verschiedener Artikel der neuen Verfassung des Deutschen Reiches, die wir beanstanden mußten, eine friedliche Verständigung zwischen den verantwortlichen leitenden Stellen in Staat und Kirche ohne Schwierigkeiten wird erzielen lassen.“
4.2. Umsetzung des Verfassungsauftrages. Im Reichsinnenministerium war zur Umsetzung des Verfassungsauftrages 1920 dafür eine Referentenstelle geschaffen worden. Man nahm diesen Auftrag zur finanziellen Trennung von Staat und Kirche ernst und wollte das baldmöglichst realisieren. Zur Abstimmung mit den Reichsländern schreibt der Reichsinnenmister am 25. Mai 1921, man möge die Beratungen zügig realisieren und Vertraulichkeit gegenüber Dritten bewahren.
„Mehrere Landesregierungen wünschen dringend, daß das zur Ausführung des Artikels 138 Absatz 1 Satz 2 der Reichsverfassung erforderliche Reichsgesetz alsbald verabschiedet werde. Mit Rücksicht hierauf bitte ich mir Abänderungs- oder Ergänzungsvorschläge baldigst zukommen zu lassen. Es erscheint mir erwünscht, zunächst eine möglichst übereinstimmende Auffassung zwischen Reichsregierung und Landesregierungen herbeizuführen. Zur Erreichung dieses Zieles halte ich es nicht für zweckmäßig, den Vorentwurf jetzt außer den Reichsressorts, den Landesregierungen und den Bevollmächtigten zum Reichsrat auch noch anderen Stellen mitzuteilen.“
Natürlich wird das nicht eingehalten und die Dritten (d. h. die Kirchen) beteiligen sich ungefragt. In den Archivbeständen der Akten des Thüringischen Ministeriums für Volksbildung, das für die Mitwirkung am Ablösegesetz zuständig war, ist das erste (fünfseitige) kirchliche Schreiben dazu (vom Landeskirchenrat der Thüringer evangelischen Kirche) vom 14. Sept. 1922 vorhanden.
4.3. Bayern Konkordat 1924. Die bayerischen Bischöfe und die „Gottesfraktion“ im Landtag und in den Parteien interessierten sich nicht für die Ideen der Nationalversammlung und der Reichsverfassung für das zukünftige Staat/Kirch-Verhältnis: von wegen keine Staatskirche mehr und Beendigung der Finanzierungen durch den Staat. Im Konkordat 1924 wurde, in Art. 10, direkt eine standesgemäße Alimentierung des Klerus vereinbart, d. h. der Staat übernimmt „vermögensrechtliche Verpflichtungen“. In Art. 15, Abs. 2 heißt es dann: „Mit dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Konkordates wird das Konkordat vom Jahre 1817 als nicht mehr geltend erklärt.“ Damit ist eindeutig, dass diese vereinbarten Geldzahlungen keine ablöseberechtigten, altrechtlichen Staatsleistungen darstellen.
In Art. 10, Satz 3 wird es noch einmal bekräftigt, dass diese Zahlungen eine Ewigkeitsrente darstellen und mit irgendwelchen Ablösungen von Staatsleistungen nichts zu tun haben.
„Im Falle einer Ablösung oder Neuregelung der auf Gesetz, Vertrag oder besonderem Rechtstitel beruhenden staatlichen Leistungen an die Kirche sichert der Bayerische Staat die Wahrung der kirchlichen Belange durch Ausgleichsleistungen zu, die entsprechend dem Inhalt und Umfange des Rechtsverhältnisses unter Berücksichtigung der Geldwertverhältnisse vollen Ersatz für das weggefallene Recht gewähren.“
Das ist als zweifache Verfassungswidrigkeit zu bezeichnen. Zum einen greift es einer Reichsregelung der Ablösung voraus („Reichsrecht bricht Landesrecht“), zum anderen ist eine derartige Bezahlung von Klerikern – in deutscher Tradition – die Finanzierung einer Staatskirche, die es nach Art. 137 WRV nicht mehr gibt.
Andererseits braucht sich der Freistaat Bayern wegen einer Kostensumme zur Ablösung von altrechtlichen Staatsleistungen keine Gedanken zu machen. Ob die Zahlung einer Ewigkeitsrente – mit der Alimentierung des Klerus preiswerter ist – steht nicht zur Diskussion. Am 14. Mai 1916 wurde die Gottesmutter Maria offiziell vom Papst zur Hauptpatronin Bayerns („Patrona Bavariae“) ernannt und das gibt es nicht umsonst.
4.4. AGKStV vom 7. April 1925. Die Rechtswidrigkeit dieser Vereinbarungen stört aber anscheinend niemanden und im „Gesetz zur Ausführung konkordats- und staatskirchenvertraglicher Verpflichtungen Bayerns“ (AGKStV) wird im Folgejahr 1925 detailliert festgeschrieben, was die verschiedenen Kleriker aus der Staatskasse erhalten: Von A 13 bis B3 – die Besoldungsstufen der Beamtenbesoldung = Staatskirche.
4.5. Reichskonkordat 1933. Die Kirchen und die mit ihnen verbundenen konservativen Politiker konnten in der Nationalversammlung 1919 keine Mehrheit dafür erreichen, dass des „rechtsbegründende Herkommen“ bei den „sonstigen Rechtstiteln“ anerkannt wurde. Das „Herkommen“/Gewohnheitsrecht gehörte ausdrücklich nicht zu den „sonstigen Rechtstiteln“. (59. Sitzung der verfassungsgebenden Nationalversammlung) Damit hatten die Nationalsozialisten aber keinerlei Probleme und im Reichskonkordat 1933, Art. 18 wird auch diesem Wunsch der katholischen Kirche über „ein freundschaftlichen Einvernehmen“ entsprochen – im Konjunktiv.
„ARTIKEL 18: Falls die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die katholische Kirche abgelöst werden sollten, wird von der Ausarbeitung der für die Ablösung aufzustellenden Grundsätze rechtzeitig zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Reich ein freundschaftliches Einvernehmen herbeigeführt werden.
Zu den besonderen Rechtstiteln zählt auch das rechtsbegründete Herkommen.Die Ablösung muss den Ablösungsberechtigten einen angemessenen Ausgleich für den Wegfall der bisherigen staatlichen Leistungen gewähren.“
Der besondere Erfolg ist die vertragliche Vereinbarung auf Reichsebene, dass hinsichtlich eines zur formulierenden Grundsätzegesetzes zur Ablösung der Staatsleistungen ein „freundschaftliches Einvernehmen“ hergestellt werden muss. Mit anderen Worten: Gegen die Interessenlage und den Willen der katholischen Kirche geht gar nichts.
4.6. Art 123 GG. Die Gültigkeit und fortdauernde Geltung des Reichskonkordates 1933 wird im Grundgesetz über einen unscheinbaren, einfachen Satz in GG Art. 123, 1 geregelt: „Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestages gilt fort, soweit es dem Grundgesetze nicht widerspricht.“ Juristen und Historiker haben damit keinerlei Probleme, denn das Reichskonkordat habe „keine klassische nationalsozialistische Färbung des Vertragstextes, wie zum Beispiel eine Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung.“ Ethik oder Moral sind keine juristischen Kategorien.
In den Stellungnahmen von kirchlicher Seite wird als Standardformel darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Ablösung der Staatsleistungen – im Unterschied zum Entwurf von 1924, in dem man von gerichtlich zu klärenden Konflikten ausging – zwischen Staat und Kirche ein „freundschaftliches Einvernehmen“ vereinbart worden sei. So in der Stellungnahme des Katholischen Büros aus dem Jahr 2021, in der die Rechtsgrundlagen (S. 2) benannt sind: Das Reichkonkordat von 1933.
„Zu beachten ist ferner, dass gemäß Art 18 des Reichskonkordats vor Ausarbeitung der für die Ablösung aufzustellenden Grundsätze rechtzeitig zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Bund ein freundschaftliches Einvernehmen herbeigeführt werden muss. Aus Paritätsgründen gilt diese Vorgabe auch im Hinblick auf die EKD.“
Das heißt, mit anderen Worten eines Nicht-Juristen: Das „freundschaftliche Einvernehmen“ mit den verbrecherischen Nationalsozialisten wird offen benannt und eingesetzt, um die Kirchen direkt an den politischen Verhandlungstisch von Bund und Ländern zu bringen.
4.7. Pauschalisierung der Zahlungen. Für die Frage, wie es den Kirchen gelingen konnte, dass die Alimentierungen des Klerus – die nicht der Bedingung des Ablösungsbotes entsprechen, dass sie vor 1919 bestanden haben mussten –, als (altrechtliche) Staatsleistungen zu etablieren, lässt sich in einer EKD-Stellungnahme verdeutlichen: der „historisch unübersichtliche Bestand der auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen“ wird einvernehmlich in einer Pauschalisierung der Zahlungen zusammengefasst.
„Der Umfang der finanziell bedeutendsten Staatsleistungen läßt sich heute leicht bestimmen, weil der historisch unübersichtliche Bestand der „auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen“, die die Bundesländer den römisch-katholischen Diözesen und den evangelischen Landeskirchen in ihrem Gebiet schulden, in den Staatskirchenverträgen zwischen den Bundesländern und den staatsleistungsberechtigten Kirchen einvernehmlich in pauschalen, indexierten Jahresleistungen zusammengefaßt worden ist.“
Man muss nur den „unübersichtlichen Bestand“ beständig als (altrechtliche) Staatsleistungen darstellen, damit es jeder glaubt.
4.8. Kirchen-Parteien-Staatsrechtler. Wie passgenau diese Verflechtung von kirchlichen Finanz-Interessen, politischen Interessen – vor allem (aber nicht nur) der CDU – und universitären Staatskirchenrechtlern funktioniert, zeigt ein Aufsatz von Prof. Dr. Michael Germann: „Der Weg zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen“, der 2022 in der Schriftenreihe „Analyse und Beratung“ der Konrad-Adenauer-Stiftung publiziert wurde. In diesem Artikel werden alle Interpretationen zugunsten der Kirchenforderungen ‚auf den Punkt gebracht‘: „Am besten lässt sich die Ablösung der Staatsleistungen in die Gestaltungsmöglichkeiten der Politik einfügen, wenn die Ablösungsschuld als Teil der Staatsschulden anerkannt und sie mit den dafür gängigen Instrumenten behandelt wird.“ Der Staats ist also der „Schuldner“ und die Kirchen die „Gläubiger“. Zum Autoren heißt es bei der KAS:
„Prof. Dr. Michael Germann ist seit Oktober 2002 Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Staatskirchenrecht und Kirchenrecht an der Juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Im Ehrenamt ist er unter anderem Richter des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt, außerdem Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland.“
Das Wichtigste steht am Schluss („Mitglied der Synode der EKD“) und verdeutlicht, dass man den Artikel transparenter und korrekter als Stellungnahme der EKD bezeichnet hätte.
4.9. Ewigkeitsrente. Damit ist das Ziel der Kirchen, eine „Ewigkeitsrente“ durchzusetzen, erreicht. Die Kirchen bringen sich aufgrund ihres freundschaftlichen Einvernehmens mit den Nationalsozialisten an den Verhandlungstisch des Bundes und der Länder – wo sie nichts zu suchen haben –, und stellen ihre Forderung des 18,6-fachen Ablösebetrages – zudem für Zahlungen, die gar nicht ablöseberechtigt sind –, woraufhin die Länder erklären, dass sie das nicht aufbringen könnten und lieber die bisherigen Beträge – mit den jährlichen Anpassungen an die Beamtenbesoldungen –, weiterbezahlen würden. Das ist perfekt.
4.10. Kirchliche Kontrolle. Hier schließt der Bogen, der 1919 mit der Stellungnahme der Bischofskonferenz begann. Der eigene Anspruch der Besonderheit „göttlicher Stiftung“ wird erst dadurch wirksam, indem die säkulare Politik diese Sichtweise bestätigt und z. B. die behauptete und beanspruchte „Partnerschaft“ zwischen Staat und Kirche vertraglich vereinbart. Insofern müssen die beiden Großkirchen die Politik beeinflussen, das auch zu tun. Sie sind gezwungen, das Staat-Kirche-Verhältnis unter „kirchenleitender Kontrolle“ zu halten, wie es der langjährige stellvertretende Bevollmächtigte der EKD, Hermann Kalinna es einmal 1995 öffentlich formulierte, „damit das Verhältnis Staat-Kirche nicht der Steuerung durch die Kirchenleitung entgleitet.“[1] Er beschreibt die Funktion des katholischen Büros.
„Wird in den Verkehr zwischen Staat und Kirche der ‚Puffer’ eines Botschafters eingeschaltet, so vergrößern sich die Chancen, die notwendige Distanz zu wahren, die Kooperation zu verstetigen und die kirchenleitende Kontrolle zu gewährleisten. Staat und Kirche sind streng genommen keine Partner, wie es ein gewisser Sprachgebrauch aus den sechziger Jahre nahelegt. Die Menschen, die in beiden Bereichen wirken, können zwar durchaus partnerschaftlich und freundlich miteinander umgehen. Staat und Kirche sind jedoch zu komplexe institutionelle Gebilde, als daß man ihre Kontakte und Beziehungen auf einen Begriff bringen könnte. Dabei sind vorgegeben das komplexe staatskircherechtliche System und die ungeschriebenen Regeln des Umgangs. Die Beherrschung beider ist wichtig, damit das Verhältnis Staat-Kirche nicht der Steuerung durch die Kirchenleitung entgleitet. Vestigia terrent!“
Nach dem bisherigen Stand der Dinge – die Länder zahlen weiter – haben die Kirchen auch aktuell immer noch die Steuerung des Verhältnisses von Staats-Kirche unter ihrer Kontrolle. Das ist allerdings kein Problem der Kirche, sondern ein Problem des Staates und seiner Politiker, die die Kirchen nicht in ihre Schranken verweisen.
Carsten Frerk
Tabellen
(Im Anhang befindet sich eine Exceldatei mit den auslesbaren Daten der Grafiken / Tabellen)
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[1] Hermann E. J. Kalinna: Verbindungsstellen zwischen Staat und Kirchen im Bereich der evangelischen Kirche, in: Joseph Listl und Dietrich Pirson (Hrsg.): Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, Zweiter Band. Zweite, neubearb. Auflage, Berlin: Duncker & Humblot, 1995, S. 195