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Vertrauen in die Kirchen

Eine Auswertung von Umfragen aus den vergangenen 25 Jahren zeigt, wie das Vertrauen in die Kirchen in Deutschland immer geringer wird. Es sind letztendlich nur noch 22 Prozent, die den Kirchen vertrauen. Im Kern geht es dabei jedoch nicht um Religion oder persönlichen Glauben, sondern um die Rolle des Führungspersonals, den Klerikern. Ihnen ist es vermutlich noch nicht bewusst geworden, dass sie politisch entbehrlich geworden sind. Nicht nur für die Gesellschaft und den Staat, sondern auch für einen erheblichen Anteil ihrer formalen Kirchenmitglieder.

Von Carsten Frerk.

1. Vorbemerkung
2. ALLBUS-Umfragen 1982-2018
3. Katholisch / Evangelisch
4. Vergleich zu anderen Institutionen
5. Berufsprestige
6. Gemeinwohl-Atlas
7. Internationale Einordnung
8. Umfeld und Antiklerikalität?

1. Vorbemerkung

Die Frage, ob und wie viel den Kirchen an Vertrauen entgegengebracht wird, ist nicht nur eine akademische oder innerkirchliche, sondern auch eine politische Frage.

So schreibt der Deutsche Städte- und Gemeindebund (im August 2020) anlässlich der aktuellen hohen Kirchenaustritte „Kirchen und ihre Einrichtungen systemrelevant für Staat und Kommunen“, wobei auch die Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland beschworen wird.

„Das ist auch eine Gefahr für die Wirtschaft! Ein guter Wirtschaftsstandort ist davon abhängig, dass die Sozialstrukturen stimmen, die Menschen zusammenhalten und man im Konsens friedlich miteinander lebt. Die Kirchen haben hier besondere Bedeutung durch ihr Gebot der Nächstenliebe und der Toleranz.“

Abgesehen davon, dass in einer solchen Stellungnahme einer staatlich-kommunalen Organisation die staatliche Neutralität in Glaubensfragen verletzt wird – und es gibt auch stabile Sozialstrukturen jenseits kirchlicher Strukturen -, ist die Frage, wie es mit den benannten christlichen Geboten aussieht.

Der seinerzeitige EKD-Ratsvorsitzende und Bischof a. D. Prof. Wolfgang Huber fragte bereits 2003 „Hat der Glaube noch Zukunft?“ und bezeichnet die Veränderungen als „Traditionsabbruch“ sowie Religion als einer der „drei großen Daseinsmächte“.

„Wir erleben in der Mitte Europas einen Traditionsabbruch, an dem auch der christliche Glaube Anteil hat. Die überlieferten Formen, in denen Werte an die nachwachsenden Generationen weitergegeben wurden, haben ihre Stabilität eingebüßt. Die Entwicklung der Gesellschaft ist von ökonomischen und politischen Imperativen bestimmt. Im Verhältnis der drei großen Daseinsmächte Wirtschaft, Politik und Religion hat sich eine dramatische Verschiebung zu Gunsten der Ökonomie und zu Lasten der Religion vollzogen.“

Mit diesem Anspruch einer „Daseinsmacht“ treten die Kirchen auch öffentlich auf und arbeiten als politikbezogene Akteure, was ihnen gewährt wird. Eine Legitimation für eine derartige Mitwirkung in Staat und Gesellschaft ist die glaubwürdige Akzeptanz durch die eigenen Mitglieder bzw. durch die anderen Akteure – mit anderen Worten, dass ihnen Vertrauen entgegengebracht wird.

2. ALLBUS-Umfragen 1984 – 2018

Seit 1984 wurden im ALLBUS (Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften) eine Serie von Einzelfragen unter der Überschrift „Vertrauen in öffentliche Einrichtungen und Organisationen“ gestellt. Fragen zum Gesundheitswesen, Bundesverfassungsgericht, Bundestag, Gemeindeverwaltung, Bundeswehr, Kirche, Justiz, Fernsehen, Zeitungswesen, Hochschulen, Bundesregierung, Gewerkschaften, Polizei, Parteien, Arbeitsämter, Rentenversicherung, Arbeitgeberverbände, Kommission der Europäischen Union, Europäisches Parlament, Europäischer Gerichtshof.

Von 1984 bis 2012 wurde dabei unter „Katholische Kirche“ sowie „Evangelische Kirche“ getrennt gefragt, 2018 nach „Kirchen und religiösen Organisationen“. Die einleitende Frage lautete: „Ich nenne Ihnen jetzt eine Reihe von öffentlichen Einrichtungen und Organisationen. Sagen Sie mir bitte bei jeder Einrichtung oder Organisation, wie groß das Vertrauen ist, das Sie ihr entgegenbringen.“ Für die Einstufung wurde den Befragten 1984 – 2012 eine siebenstufige Skala vorgelegt, 2018 eine fünfstellige.

Über die Jahre zeigt sich insgesamt, dass das Vertrauen sich für beide Kirchen verringert hat, vor allem für die katholischen Kirche. Auch wenn der Übergang 1984 vs. 1994 Ausdruck der Deutschen Einheit ist – und der Tatsache, dass in den östlichen Bundesländern weniger Katholiken leben und die überwiegend Konfessionsfreien kein allzu großes Vertrauen in die Kirchen haben - der generelle Trend seit 1994 verläuft jedoch für beiden Kirchen parallel: sie verlieren an Vertrauen. 2012 vertrauen noch 20 Prozent der katholischen Kirche und 31 Prozent der evangelischen Kirche. 2018 (mit der Fünfer-Skala) sind es 21 Prozent, die den Kirchen „viel“ oder „volles Vertrauen“ entgegenbringen.

Die Grafik verdeutlicht, dass seit 1994 das Vertrauen für beide Kirchen geringer geworden ist als das Misstrauen, dieser Trend sich bis 2012 parallel verstärkt und sich ‚eine Schere‘ öffnet.

2018 zeigt sich, dass von den Kirchenmitgliedern 30 Prozent der EKD-Kirchenmitglieder und 38 Prozent der katholischen Kirchenmitglieder kein Vertrauen in die Kirchen haben. Die Konfessionsfreien stehen, was nicht überraschend ist, in größter Distanz zu den Kirchen (65 Prozent kein Vertrauen). Bemerkenswert ist die Tatsache, dass unter den Kirchenmitgliedern nur 30 bzw. 22 Prozent „viel Vertrauen“ in die Kirche haben.

Nach Parteipräferenz betrachtet sind die Anhänger der CDU/CSU die einzigen, die den Kirchen mehr vertrauen (34 Prozent) als ihnen nicht zu vertrauen (29 Prozent). Bei den SPD-Anhängern (Kein Vertrauen: 43 Prozent) und den Grünen (41 Prozent) ist diese distanzierte Sichtweise doppelt so stark ausgeprägt, als ihr Vertrauen. „Viel Vertrauen“ haben ein Drittel (34 Prozent) der CDU/CSU-Anhänger und jeweils ein knappes Viertel (25 bzw. 23 Prozent) der SPD–Anhänger und der Grünen.

Das Vertrauen der Parteianhänger zu den Kirchen lässt sich auch in einer Aufbereitung darstellen, in der die Meinungen wie Schulnoten vergeben werden, und nur die Parteianhänger der CDU/CSU das Vertrauen überdurchschnittlich (3,00 = „etwas Vertrauen“) bewerten, während alle anderen Parteianhänger in Abstufungen ein geringeres Vertrauen und eine entsprechende Bewertung zeigen.

Versteht man unter „Homogenität“ den Aspekt, wie viele Parteianhänger die gleiche Meinung haben, also ein Bewertungsfeld angeben, so sind die FDP-Anhänger sich am ausgeprägtesten ‚einig‘ (in den beiden Meinungsgruppen „etwas Vertrauen“ und „sehr wenig Vertrauen“ befinden sich 74 Prozent der Parteianhänger), haben die SPD-Anhänger die größte ‚Spannweite‘ gegenüber den Kirchen.

3. Katholisch / Evangelisch

Auch in anderen Umfragen zeigt sich der Tatbestand, dass gegenüber der katholischen Kirche ein noch geringeres Vertrauen als gegenüber der evangelischen Kirche besteht.

So wurde im Ethik-Monitor der Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik 2010 eine sozialwissenschaftliche Werte-Studie durchgeführt, mit dem Ergebnis – in der Frage des Vertrauens –, dass in einer Bewertungsskala von 1 bis 4 die Arbeitskollegen, Mittelständische Unternehmen sowie kleine Banken (Sparkassen und Raiffeisenbanken) das größte Vertrauen genießen. Auch in Kommunale Verwaltungen, Gewerkschaften und Stiftungen setzen die Bürger noch großes Vertrauen. Die Bundesregierung schneidet ähnlich schlecht ab wie die großen Wirtschaftsunternehmen und Großbanken. Parteien und Aufsichtsräte bilden zusammen mit der Katholischen Kirche das Schlusslicht. Die Evangelische Kirche schneidet dagegen wesentlich besser ab und liegt im Mittelfeld des Rankings.

3.1. Nach Altersgruppen

Beschränkt man sich im ALLBUS auf die gleichlautenden Umfragen seit der Deutschen Einheit (1994 – 2012), so zeigen sich im Vergleich der jüngsten mit der ältesten Altersgruppe (18 – 29 Jahre bzw. 75 Jahre und älter) Gemeinsames und Unterschiede.

Die beiden ausgewählten Altersgruppen haben gleichermaßen gegenüber der katholischen Kirche ein geringeres Vertrauen. Die jüngste Altersgruppe der jungen Erwachsenen hat jedoch mehrheitlich kein Vertrauen in beide Kirchen und das Vertrauen beläuft sich (2012) auf 17 Prozent für die katholische Kirche und 27 Prozent für die evangelische Kirche. Mehr als zwei Drittel (65 Prozent) der jungen Erwachsenen hat kein Vertrauen in die katholische Kirche und etwas mehr als die Hälfte (55 Prozent) kein Vertrauen in die evangelische Kirche. Insofern zeigen sich darin bereits die Ergebnisse der Umfrage zur „Generation What? – Glücklich ohne Gott“ (2017), in der 81 Prozent der befragten deutschen 18-34-Jährigen bekunden, dass sie kein Vertrauen in religiöse Institutionen haben.

Für die älteste Gruppe (der 75-Jahre-und-Älteren) stellt sich die Vertrauensfrage anders dar. Während sie gegenüber der katholischen Kirche ein ansteigendes Misstrauen äußern (insbesondere 2012, nach Bekanntwerden der ersten Missbrauchsfälle, vor allem in der katholischen Kirche), hat das mehrheitliche Vertrauen dieser Altersgruppe gegenüber der evangelischen Kirche erst 2012 Schaden genommen, bleibt aber dennoch immer noch größer als das Misstrauen.

3.2. Interreligiöse Wahrnehmung

Neben dem bereits mehrfach genannten allgemein geringeren Vertrauen für die katholische Kirche, gibt es auch eine Variante der gegenseitigen interreligiösen Wahrnehmung, bei der die katholische Kirche und die Katholiken von Protestanten deutlich negativer bewertet werden, als die Protestanten von den Katholiken.

Für zwei Jahre, 1994 und 2012, soll dabei geprüft werden, ob sich diese Unterschiede verändert haben.

Ein Drittel der Katholiken (34 Prozent) haben 1994 kein Vertrauen in ihre, die katholische Kirche, 2012 sind es mehr als zwei Fünftel (42 Prozent). Während 1994 noch knapp die Hälfte der Katholiken (49 Prozent) ihrer Kirche vertrauen, sind es 2012 nur noch ein Drittel (36 Prozent). Während die Katholiken in beiden Jahren sowohl die katholische wie die evangelische Kirche parallel bewerten – das leicht überwiegende Vertrauen wandelt sich in ein Nicht-Vertrauen -, haben die Protestanten sowohl 1994 wie 2012 zu mehr als 60 Prozent kein Vertrauen in die katholische Kirche, ihrer eigenen Kirche gegenüber aber gleichbleibend deutlich mehr Vertrauen als kein Vertrauen. Bei den Konfessionsfreien ist in beiden Jahren das Vertrauen – in beide Kirchen – nur marginal mit fünf und acht Prozent.

Im Februar 1967 fragte das IfD-Allensbach einmal genauer nach und es gibt damit – auch wenn 1967 schon lange her ist und das Ganze als „Vorurteile“ rubriziert wird – zumindest Hinweise darauf, was bei den unterschiedlichen Bewertungen eine Rolle spielen kann.

Den Befragten wurden fünfzehn Aussagen über die jeweils andere Kirche vorgelegt und sie wurden gefragt, was davon ihrer Ansicht stimmen würde.

Von den gefragten Protestanten haben nur 12 Prozent keine Meinung zur katholischen Kirche, bei den Katholiken sind es dagegen 29 Prozent, die keine Angabe zur protestantischen Kirche abgaben.

Die am stärksten von den Protestanten zustimmende Antwort (62 Prozent) hinsichtlich der katholischen Kirche ist, dass sie zu viel Macht habe. Mehr als zwei Fünftel der Protestanten stimmt u. a. dem zu, die katholische Kirche „bettelt ständig, obwohl sie selbst über Milliardenwerte verfügt“, und dass sie „ihre Gläubigen wie unmündige Kinder [behandele], denen man kein selbständiges Denken zutrauen darf“. Die Katholiken sind sich da weniger sicher, was die evangelische Kirche betrifft, und nur zwei Fünftel (44 Prozent) meinen, „die Gottesdienste sind zu nüchtern und zu wenig feierlich“.

In der gegenseitigen persönlichen Bewertung sind die Protestanten (1967) wiederum bewertungsintensiver als die Katholiken, von denen sie bestätigen (Top 3), dass sie zusammenhalten, denken, dass sie die Glaubenswahrheit gepachtet hätten und dass sie scheinheilig seien. Die Katholiken konstatieren als wesentliches Merkmal, dass von den Protestanten „die meisten ja noch nicht einmal in die Kirchen gehen“ und dass sie „glauben, dass nur sie die Bibel richtig verstehen und auslegen können“.

Trotz aller Bestrebungen zur Ökumene entsprechen diese unterschiedlichen Wahrnehmungen bzw. Zuweisungen der Tatsache, dass es immer noch keine gemeinsame Bibelübersetzung gibt.

4. Vergleich zu anderen Institutionen

Doch was sagen diese Umfragewerte im gesellschaftlichen Gefüge aus. Wie können die Kirchen sich im Vergleich zu anderen Institutionen / Organisationen positionieren?

Wie sich bereits in den Ergebnissen der Umfrage 2010 (unter Punkt 3.) zeigte, liegen die beiden Kirchen nicht im oberen Drittel der 18 Organisationen / Institutionen, denen vertraut wird.

In der aktuellsten ALLBUS-Umfrage (2018) wird die ‚Vertrauensfrage‘ nicht nur zu den Kirchen gestellt, sondern auch zu vier anderen Institutionen gestellt.

Nach den Gerichten und dem Rechtssystem, dem 53 Prozent viel Vertrauen entgegenbringen und den Schulen und dem Bildungswesen, für das 51 Prozent viel Vertrauen äußern, haben der Bundestag sowie Handel und Industrie ihren Schwerpunkt bei „etwas Vertrauen“ und einen größeren Anteil bei „viel Vertrauen“ gegen „kein Vertrauen. Bei den Kirchen und religiösen Organisationen äußern zwar rund ein Drittel (35 Prozent) „etwas Vertrauen“, aber den größten Anteil (44 Prozent) hat die Gruppe, die „kein Vertrauen“ hat.

In den Umfragen des IfD-Allensbach zeigt sich (publiziert u. a. im Roland Rechtsreport 2021), dass die Kirchen 1991 – 2009 relativ gleichbleibend um die 33 Prozent Vertrauen oszillieren (mit einer Schwankungsbreite von 28 – 40 Prozent) und einem geringerem Vertrauen nach 2010.

In der aktuellen IfD-Umfrage (November 2020) rangiert „Die Kirche“ mit 31 Prozent auf dem vorletzten Platz (mit 33 Prozent Vertrauen in Westdeutschland und 25 Prozent Vertrauen in Ostdeutschland) und damit noch hinter den Zeitungen, denen 44 Prozent der Befragten vertrauen (49 Prozent in Westdeutschland, 24 Prozent in Ostdeutschland). Nur gegenüber „Großen Wirtschaftsunternehmen“ besteht ein noch geringeres Vertrauen.

Eine forsa-Umfrage zum Institutionen-Ranking 2021 veranschaulicht zwei Elemente, die beständig sind. Zum einen, dass den beiden Kirchen mehrheitlich kein großes Vertrauen entgegengebracht wird, zum anderen, wie auch bereits für andere Jahre gezeigt, dass die Evangelische Kirche (36 Prozent) eine bessere Platzierung hat, als die katholische Kirche (15 Prozent großes Vertrauen). Die Spitzenwerte an Vertrauen – mit mehr als Dreiviertel der Befragten - haben (2021) die Ärzte (85 Prozent), die Polizei (80 Prozent), die Universitäten (80 Prozent) und das Bundesverfassungsgericht (78 Prozent).

5. Berufsprestige

Neben der Frage nach der Institution „Kirche“ gibt es noch andere Zugänge zur Kirche als Organisation, die Frage nach dem Personal, hier nach dem ‚persönlichen Vertreter vor Ort‘, den Pfarrern.

Die Methodik zu den Fragen zum Berufsprestige ist bereits als problematisch analysiert worden („Berufsprestige – leicht gemacht“) und soll hier deshalb nicht weiter vertieft werden.

Dazu hat Bischof a. D. Wolfgang Huber bereits 2003 dezidiert in „Hat der Glaube noch Zukunft?“ Stellung bezogen.

„Wenn ich von religiösem Analphabetismus spreche, mögen Sie das als ein hartes Wort empfinden. Aber dass ich damit nicht übertreibe, lässt sich sogar an der öffentlichen Berichterstattung in einer manchmal bedrückenden Weise aufweisen. Nehmen sie als Beispiel jene Berichte, die behaupten, bei einer Umfrage nach der Vertrauenswürdigkeit gesellschaftlicher Institutionen seien die Kirchen in Deutschland wie auch in der Schweiz ganz am Ende gelandet. Bei genauem Zusehen allerdings war festzustellen, dass das Gallup-Institut, das diese Umfrage im Auftrag des Weltwirtschaftsforums durchgeführt hat, in Deutschland überhaupt nur 500 Menschen befragt hat – ohne Zweifel eine sehr geringe Zahl. Und gefragt wurde gar nicht nach Kirchen, sondern allgemein nach „religiösen Gruppen und Kirchen“. Wer auf diese Frage antwortete, gab damit über seine Einschätzung islamistischer Gruppen oder der Scientology Church genauso Auskunft wie über sein Verhältnis zur evangelischen oder katholischen Kirche. Ich habe mich an Hand dieses Beispiels gefragt, ob nur die Berichterstatter oder vielleicht auch die Fragesteller zwischen dem einen und dem andern nicht mehr unterscheiden können. Aber es besteht kein Zweifel: Der öffentliche Eindruck, der von den Berichten über diese Gallup-Umfrage ausging, war verheerend. Dass nach der Allensbach-Umfrage über das Berufsprestige von 2001 Pfarrerinnen und Pfarrer an zweiter Stelle aller Berufe stehen, wurde dagegen öffentlich gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Dabei hat auch diese Nachricht Aufmerksamkeit verdient.“

Bei der Frage nach dem „Berufsprestige“ befinden sich die Pfarrer eigentlich in einer guten Position. So schreibt ein Informationsdienst:

„Wer das abendländische bzw. mitteleuropäische Wertesystem verinnerlicht hat, kreuzt mit großer Wahrscheinlichkeit den Arzt, den Pfarrer, den Lehrer und den Professor an – dann bleibt bei fünf auszuwählenden Berufen noch eine Stimme für die anderen Berufe. Eine völlig andere Rangfolge würde sich vermutlich ergeben bei einer Bewertung mit Schulnoten oder analog zum Image der Politiker bei den Umfragen im SPIEGEL mit Werten von +5 bis −5. Jedoch liegen keine anderen vergleichbaren Umfragen vor.“

Das Institut für Demoskopie Allensbach hat über die Jahre eine Anzahl von Berufen abgefragt und kann – auch was Pfarrer / Geistliche betrifft –, eine entsprechende Zeitreihe vorlegen.

Die Ergebnisse sehen auf den ersten Blick gut aus und entsprechend werden sie „politisiert“. Darauf verweist die EKD-Darstellung (2003) „Weltsichten Kirchenbindung Lebensstile“ (Seite 12), die versucht, den Unterschied zwischen dem geringen „Vertrauen in die Kirchen“ und dem hohen „Berufsprestige der Pfarrer“ aufzuheben.

„Das Vertrauen in die Kirchen ist ebenfalls gering, wobei die evangelische Kirche günstiger wegkommt als die katholische. Die Vertrauenskrise all dieser Institutionen könnte mit deren oft kritisierter Erstarrung zusammenhängen und damit auch ein Ausdruck von Verdrossenheit und Enttäuschung über mangelnde Unfähigkeit zu Reformen sein. […] Deshalb kann man aufgrund dieser Differenz nicht die Kirchen und ihre Wohlfahrtsorganisationen auseinanderdividieren. Das wäre genauso töricht, wie wenn man die Pfarrerinnen und Pfarrer, die seit Jahrzehnten in der Berufsprestige-Skala des Demoskopischen Instituts Allensbach regelmäßig den zweiten Rang nach den Ärzten einnehmen, aufgrund des geringen Vertrauens, das gegenüber der Kirche bekundet wird, nicht als eben deren Repräsentanten ansehen wollte.“

Die Grafik verdeutlicht, dass sich das Berufsprestige der Pfarrer über die Jahre stetig leicht verringert hat. Diese Tendenz wurde allerdings methodisch durch das IfD ‚gebremst‘. Den Befragten wurde eine Liste von Berufen vorgelegt, aus der sie fünf benennen konnten. Das reichte für rund 39 Prozent und „Platz 2“. 2005 wurden zwei neue Berufe hinzugenommen (Krankenschwester, Polizist) und die Pfarrer/Geistlichen rutschten mit 34 Prozent auf Platz 5. Das wurde 2008 wieder auf die ursprüngliche Anzahl geändert, Ergebnis für die Pfarrer: 39 Prozent und wieder Platz 2. In 2011 ist diese Liste wieder erweitert worden (Krankenschwester, Lehrer, Handwerker,…) und die Pfarrer/Geistlichen wurden nur noch von 28 Prozent der Befragten als „Top Five“ benannt und das hieß Rangplatz 8. In 2013 ebenso. Seitdem wurde diese Frage vom IfD nicht mehr gestellt.

Nachdenkliches kommt von Prof. Dr. Christian Grethlein in: „Quo vadis, ecclesia?“ im Deutschen Pfarrerblatt 1/2020:

„Religionssoziologen machen zudem darauf aufmerksam, dass sich der Modus der religiösen Kommunikation gegenwärtig verschiebt bzw. verschoben hat, und zwar vom Modus der Autorität zu dem der Authentizität. Authentizität bezeichnet dabei nicht eine psychologische Befindlichkeit, sondern eine kommunikationstheoretische Form. Demnach bestimmt heute meist nicht mehr die Gewährleistung autoritativer Lehre, sondern die authentische, also auf die konkrete Biografie bezogene Form religiöse, also auf Transzendenz ausgreifende Kommunikation. Beamte, eben auch Religionsbeamte, sind aber nicht durch besondere Authentizität charakterisiert, im Gegenteil: Bei ihnen tritt der Bezug auf selbst Erlebtes hinter allgemein feststehende Prozeduren zurück. Demgegenüber erscheint die Präsentation von Authentischem, also nicht allgemein regelhaft Feststellbarem, bei den meisten Menschen grundlegend für religiöse Kommunikation. Vielleicht ist von diesem Wandel her – neben anderen Gründen wie den diversen Missbrauchsfällen – auch das rapide Absinken des Ansehens von „Pfarrer/Geistlichen“ in der Allensbacher Berufs-Prestige-Skala in den letzten Jahren zu erklären.“

6. Gemeinwohl-Atlas

Wie in einem Artikel „GemeinwohlAtlas für Deutschland 2019“ bereits ausführlicher dargestellt, hat eine internationale Forschergruppe eine Umfrage zur Bewertung der Gemeinwohlqualitäten von Institutionen und Organisationen entwickelt, in die auch die beiden großen christlichen Kirchen einbezogen sind – mit durchaus überraschenden Ergebnissen. Insofern ist es möglich, die evangelische und die katholische Kirche mit einem eher ungewöhnlichen Blick zu betrachten.

Die Messung des Gemeinwohlbeitrags erfolgte in den vier Dimensionen Aufgabenerfüllung, Zusammenhalt, Lebensqualität und Moral:

  • Aufgabenerfüllung: Die jeweilige Organisation leistet im Kerngeschäft gute Arbeit.
  • Zusammenhalt: Die jeweilige Organisation trägt zum Zusammenhalt in Deutschland bei.
  • Lebensqualität: Die jeweilige Organisation trägt zur Lebensqualität in Deutschland bei.
  • Moral: Die jeweilige Organisation verhält sich anständig.

In einer ausführlicheren Erläuterung heißt es dazu: „Woran machen Individuen fest, ob eine Organisation zum Gemeinwohl beiträgt? Das Erleben und Bewerten des Gemeinwesens sind psychologische Prozesse, in denen sowohl kognitiv-rationale als auch unterbewusst-emotionale Faktoren eine Rolle spielen. Bei jeder Bewertung greifen wir auf eine Struktur aus Grundbedürfnissen zurück, die uns gewissermaßen als Zollstock dienen. Werden diese erfüllt, so fällt unsere Bewertung positiv aus; werden diese nicht erfüllt, so bewerten wir negativ.“

Die evangelischen Kirchen (EKD) finden sich im oberen Fünftel auf Rangplatz 19 (von 137) im Umfeld von Naturschutzbund, ARD, UNICEF und ZDF.

Die Bewertungen für die römische-katholische Kirche bringen eine Gesamt-Platzierung auf Rangplatz 102, im Umfeld des BAMF, Vodafone, dem Deutschen Fußball-Bund und Youtube.

Für 2020 haben sich diese Bewertungen nicht geändert.

7. Internationale Einordnung

Wie stellen sich die Bewertungen in Deutschland im Vergleich zu den Bewertungen des Vertrauens in die Kirchen in anderen Ländern dar?

7.1. Weltweit

Das Gallup-Institut fragte 2002 – im Auftrag des Weltwirtschaftsforums – in 47 Staaten nach dem Vertrauen in 17 genannten Institutionen. In Deutschland befinden sich die Kirchen auf Rang 17, dem letzten Platz.

2017-2021 wurde – im Rahmen der World Values Studies (WVS) – nach dem Vertrauen in Institutionen gefragt, auch nach dem Vertrauen in die Kirchen. Bei 75 berücksichtigten Ländern befinden sich die Kirchen in Deutschland auf Rang 71. Vertrauen in die Kirchen haben in Deutschland 29 Prozent der Befragten, 65 Prozent haben kein Vertrauen.

7.2. USA

Seit 1973 fragte Gallup nach dem „Vertrauen in Institutionen“: „Now I am going to read you a list of institutions in American society. Please tell me how much confidence you, yourself, have in each one – a great deal, quite a lot, some or very little?

Seit 1973, als zwei Drittel ihr Vertrauen in die Kirchen / Organisierte Religion äußerten, ist dieses Vertrauen stetig geringer geworden und in den 2010er Jahren sind es nur noch um die 40 Prozent.

Es ist also eine vergleichbare Entwicklung wie in Deutschland. In den USA entspricht das auch der Entwicklung, dass 2020 in den USA organisierte „Kirchenmitglieder unter 50 Prozent“ der Bevölkerung sind, das ist erstmals seit 1937, als Gallup mit den Umfragen begann.

8. Umfeld und Antiklerikalität?

Diese Entwicklungen befinden sich in einem Umfeld von Einstellungen, von denen zumindest einige kurz benannt seien. Nach den Umfrageergebnissen im ALLBUS 2018 sagen von den Befragten:

  • 87 Prozent würden die Einheirat eines Andersgläubigen in die Familie akzeptieren;
  • 82 Prozent sagen, religiösen Fanatikern sollte es nicht erlaubt sein, öffentliche Versammlungen abzuhalten;
  • 78 Prozent, dass Strenggläubige anderen gegenüber oft zu intolerant seien;
  • 73 Prozent, dass Religionen mehr zu Konflikten führen als zum Frieden;
  • 49 Prozent meinen, dass Kirchen und religiöse Organisationen zu viel Macht hätten;
  • 20 Prozent wissen, dass es einen Gott gibt und haben daran keinen Zweifel.

Zusammengefasst könnte man sagen, dass gegenüber Religionen eine große Toleranz besteht, dabei aber Fanatiker, die u. a. meinen, ihre Religion sei die einzige wahre, abgelehnt werden. Strenggläubigkeit wird überwiegend als Intoleranz erlebt, ebenso das Konfliktpotential von Religionen. Rund die Hälfte meint, dass Kirchen und religiöse Organisationen zu viel Macht hätten, aber nur 20 Prozent sind tatsächlich (Gott)gläubig.

In einem weiteren Bereich, der Politikentscheidung, finden sich ebenfalls Mehrheiten – gegen den Einfluss der Kirchen und der Kirchenoberhäupter. So stimmen 2018 rund 84 Prozent der Befragten der Aussage zu: „Die Kirchenoberhäupter sollten nicht versuchen, die Wahlentscheidung der Leute zu beeinflussen.“

Damit spannt sich ein weiter Bogen bis zum Beginn der Bundesrepublik Deutschland, als 1954 gefragt wurde: „Es gibt verschiedene Ansichten, in welchen Fragen die Kirche mitreden sollte. Hier ist eine Liste. Um welche dieser Punkte sollte sich die Kirche Ihrer Meinung nach kümmern und um welche nicht?“

In Fragen der Jugenderziehung und der Ehe und Familie wird den Kirchen (1954) mehrheitlich das Recht zugebilligt, mitzureden. Auch in den ‚großen politischen Fragen‘ (Atombomben, Ost-West-Politik) spricht sich eine Mehrheit für ein Mitwirkungsrecht der Kirchen aus. Aber weder für eine Einmischung in den Inhalt von Illustrierten noch in die Tarifautonomie finden sich Mehrheiten, und schon gar nicht, dass die Kirchen sich „um die politischen Parteien kümmern“ sollten. 83 Prozent der Befragten lehnen das ab.

1954 wurde noch nach „den Kirchen“ gefragt, 2018 nach den „Kirchenoberhäuptern“ und damit ausdrücklich nach den Bischöfen, also den Klerikern.

Nach Parteipräferenzen ausgewertet, zeigt es, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Parteianhängern gibt, dass die „Kirchenoberhäupter“ sich aus der Politik heraushalten sollten. Alleine die Grünen-Anhänger haben eine geringer größere Bereitschaft, den Einmischungen der Bischöfe einen Raum zu geben.

Hinsichtlich der Kirchganghäufigkeit ist es nicht überraschend, dass mit seltenerem Kirchenbesuch auch die Ablehnung politischer Einflussnahmeversuche der Bischöfe ansteigt. Bemerkenswert erscheint dagegen, dass auch von den Kirchgängern, die einmal pro Woche, also sehr regelmäßig in die Kirche gehen, 72 Prozent gegen Versuche der Bischöfe sind, die Wahlentscheidung der Leute zu beeinflussen, und 57 Prozent stark dagegen. Und auch von der Gruppe, die zumindest 1-3 mal im Monat in die Kirche geht, sind 76 Prozent dieser Kirchenmitglieder gegen eine politische Aktivität ihrer Pfarrer und Bischöfe. Mit anderen Worten, die „Kirchenoberhäupter“ haben sogar von ihrer eigenen Klientel der Kirchgänger kein politisches Mandat mehr.

Damit gewinnt eine Hypothese Raum, dass es bei den Fragen nach dem „Vertrauen in die Kirchen“ im Kern um die Frage nach einer Akzeptanz und dem Vertrauen in diese Kleriker geht.

In der Schweiz besteht seit 2015 die Einschätzung, dass es sich sowohl bei der Reformierten wie bei der katholischen Kirche um „Häuptlinge ohne Indianer“ oder anders gesagt, um „Scheinriesen“ handele. Martin Grichting, seinerzeit Generalvikar des Bistums Chur, hat dazu (2015) eine dezidierte Meinung.

„Die katholische Kirche hierzulande lässt sich heute wohl am besten vergleichen mit der literarischen Figur des Herrn Tur Tur. Erfunden hat sie Michael Ende in seinem Kinderbuch Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer. Herr Tur Tur ist an sich ein friedlicher Mensch. Er hat nur ein Problem: Er ist ein so genannter Scheinriese. Wenn er vor einem steht, hat er normale Größe. Wenn er sich jedoch entfernt, wird er nicht wie zu erwarten wäre − immer kleiner, sondern er scheint immer grösser zu werden. […]
Angesichts dessen kommen einem Sonntagsreden von Politikern auf die herausragende gesellschaftspolitische Bedeutung der Kirchen immer bizarrer vor. Wenn solche Schalmeienklänge zu hören sind, muss man sich fragen, wann diese Politiker zum letzten Mal eine Kirche von innen gesehen haben. Vermutlich zehren sie noch von ihren Erinnerungen aus der Kindheit. Zudem kontrastiert ihr Reden mit ihrem politischen Handeln. […]
Es wird Zeit, diese Entwicklungen in Kirche und Staat zur Kenntnis zu nehmen. Und das bedeutet: Man muss die verbliebenen Indianer zählen, nicht länger die kirchlichen Strukturen. Letztere gaukeln das Bild eines Scheinriesen vor. Damit ist niemandem gedient. Denn der Staat stützt sich auf Verbündete, die nicht mehr leisten, was sie versprechen und wofür sie bezahlt werden.“

Diese Einsicht ist in Deutschland jedoch nicht weit verbreitet. In einer Stellungnahme für die Konrad-Adenauer-Stiftung (März 2017) „Vertrauen … und die Kirchen in Deutschland“ schreibt Bischof Franz-Josef Overbeck (seit 2009 Bischof von Essen, seit 2011 Katholischer Militärbischof für die deutsche Bundeswehr, seit 2014 Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz) erst von einem notwendigen Gottvertrauen und dann von einer „Herausforderung an die Kirchen“:

„Vertrauen muss man sich erwerben; und es geht schneller verloren, als es wiedergewonnen werden kann. Menschen und Institutionen müssen Glaubwürdigkeit ausstrahlen, vertrauenswürdig sein, sonst schenkt man ihnen kein Vertrauen. Das ist auch eine Herausforderung für die Kirche, insbesondere nach den Krisen um Missbrauch und Verschwendung in den vergangenen Jahren. Es ist gleichermaßen eine Herausforderung für Staat und Gesellschaft, Parteien und Medien. Sie müssen sich ebenfalls anstrengen, um das Vertrauen der Bürger zu erwerben.“

Was ihm dabei nicht in den Sinn kommt, weder beim persönlichen „Gottvertrauen als Grundlage des Glaubens“ noch bei der unspezifischen „Herausforderung an die Kirchen“ ist die Besonderheit und die Verantwortlichkeit des (vor allem katholischen) Klerus als „Kirche“, in der die „Laien“ nur eine geringe Rolle spielen, als „Schäfchen“ der „Hirten“.

Diese Haltung beschränkt sich dabei nicht nur auf die römisch-katholische Kirche. In der Einleitung zu „Weltsichten Kirchenbindung Lebensstile - Vierte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft“ wird (2003) auf die vorgeblich wichtige Rolle der Kirche verwiesen.

„Nach wie vorspielt die Kirche in der Reihe relevanter gesellschaftlicher Organisationen eine markant andere Rolle als etwa Parteien, Gewerkschaften und Verbände. Sie nimmt Verantwortung wahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, für die geistigen Grundlagen der Gesellschaft als ganzer, für den Vorrang des Gemeinschaftsinteresses gegenüber Partikularinteressen. Und diese Zuständigkeit wird ihr auch zugebilligt und zugewiesen.“

Dem kann mittlerweile widersprochen werden. Dazu zwei Beispiele.

Wenn 2017 das Ergebnis der Vatikan-Umfrage an Jugendliche auf der Bischofssynode Oktober 2018 in Rom in seinem Abschlussdokument darin besteht, auf die Fragen der Jugendlichen nicht zu antworten, dann hat diese römisch-katholische Kirche einen großen Teil der Jugend verloren, die von dieser Kirche und ihren Klerikern keine Antworten mehr erwartet, die sich mit den konkreten Themen ihrer Lebensrealität auseinandersetzt. Warum also dieser Kirche und ihren Klerikern noch vertrauen?

Wenn der amtierende EKD-Ratsvorsitzende Bischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm zur Debatte anlässlich der Diskussion eines Sterbehilfegesetzes im Deutschen Bundestag (am 21. April 2021) die „Autonomie des Menschen“, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Sterbehilfe als Ausdruck der Menschenwürde bezeichnet hatte, als „ziemlich weit weg von der Realität“ bezeichnet, und die Menschen auffordert, „das Sterben in die Gottes Hand zu legen“, dann hat er sich nicht sehr nur weit von der Realität entfernt – 80 Prozent der Menschen in Deutschland sprechen sich ggf. für einen ärztlich assistierten Suizid aus – 76 Prozent der Bundesbürger für Sterbehilfe – sondern hat seinen Teil dazu beigetragen, dass man ihm als Bischof – und der von ihm repräsentierten Kirche – nicht mehr vertraut.

„‘Das Autonomie-Ideal, das dort ins Zentrum gestellt wurde, so als ob der Suizid etwas wäre, wo man sich nach gründlicher Überlegung und als Akt der Freiheit entscheidet, aus dem Leben zu scheiden, das ist ziemlich weit weg von der Realität‘, sagte Bedford-Strohm. ‚In der Realität ist Suizid etwas Tragisches, etwas Trauriges. Letztlich ist er für mich auch eine Niederlage.‘ Denn es sei dann offensichtlich nicht gelungen, diesen Menschen so zu begleiten, palliativ und auch sozial, ‚dass er einen Weg gesehen hat, sein Leben weiterzuführen und dann das Sterben in Gottes Hand zu legen‘.“

Es geht bei den meisten der angesprochenen Fragen nicht um Religion oder den persönlichen Glauben, sondern um das Auftreten und das Verhalten des kirchlichen Führungspersonals, der Kleriker.

Aber vermutlich ist es den Klerikern noch nicht bewusst geworden, dass sie politisch entbehrlich geworden sind. Nicht nur für die Gesellschaft und den Staat, sondern auch für einen erheblichen Anteil ihrer formalen Kirchenmitglieder.