Zivile und kirchliche Eheschließungen
Der Anteil der kirchlichen Trauungen an allen Eheschließungen ist ein Indikator für die gesellschaftliche Verankerung einer Religion und ihrer Traditionen. In Deutschland sind es (2018) noch 18 Prozent der Ehepaare, die sich kirchlich trauen lassen. Die Daten für Italien, Norwegen, Irland, Polen, Schottland und Dänemark zeigen alle die gleiche Tendenz. Eine religiöse Überhöhung bzw. traditionelle Einbindung der Eheschließung wird stetig geringer.
Von Carsten Frerk.
In den Erläuterungen zur EU-Statistik heißt es in zu Zivilehe und kirchlichen Ehen:
„In allen Ländern der Europäischen Union und anderen europäischen Ländern ist die Eheschließung in Form der Zivilehe (standesamtliche Trauung oder Trauung auf einer anderen Rechtsgrundlage) möglich. Allerdings stehen Zivilehe und kirchlich (nur vor einem Kirchenvertreter) geschlossene Ehen nicht in allen Ländern im gleichen Verhältnis zueinander. In 15 Ländern (Dänemark, Estland, Irland, Griechenland, Spanien, Italien, Zypern, Lettland, Litauen, Polen, der Slowakei, Finnland und Schweden sowie dem Vereinigten Königreich und Norwegen) hat die kirchliche Trauung insoweit Konsequenzen für die standesamtlich geschlossene Ehe als die kirchliche Trauung vom Staat als einer zivilen Eheschließung gleichberechtigt anerkannt wird. In Frankreich wirkt sich die kirchliche Eheschließung, sofern die Ehe in Frankreich geschlossen wurde, nicht auf den Familienstand aus.“
Mit anderen Worten, in den Ländern, in denen sowohl zivile (vor staatlich beauftragten Personen) als auch kirchliche Heiraten (durch einen Pfarrer) staatlich anerkannt werden, besteht zum einen eine entweder/oder Situation und zum anderen werden alle diese Ehen staatlich erfasst, was heißt, dass die Daten dazu zeitnah öffentlich vorliegen.
In Deutschland ist die Datenlage mit der ausschließlich rechtlich anerkannten Zivilehe - für die es keine Bedeutung hat, ob es noch eine religiöse Trauung (ohne Rechtswirkung) danach oder davor gegeben hat – so, dass die aktuellen kirchlichen Daten recht aufwändig bei den einzelnen Landeskirchen und Bistümern abgefragt werden müssen, was gelegentlich auf Widerstand stößt. Diese Recherche war auch für den fowid-Artikel „Kirchliche Eheschließungen und Scheidungen in Deutschland“ notwendig und erbrachte u. a. das Ergebnis, dass der Anteil der kirchlichen Trauungen an allen Eheschließungen seit 1965 eine stetig sinkende Tendenz hat, 1991 unter die 50-Prozent-Marke ging und 2018 bei 18 Prozent liegt.
Das heißt, dass der Anteil der kirchlichen Eheschließungen – die überwiegend von jüngeren Erwachsenen realisiert werden -, ein aussagefähiger Indikator für eine Tendenz der Säkularisierung einer Gesellschaft sein kann. Der Rückgang des Anteils der kirchlichen Trauungen in Deutschland ist im Gesamtdatenbestand nur einer der Faktoren, an dem die Säkularisierung dargestellt werden kann, begleitet von anderen Faktoren wie Gottesdienstbesuch, Taufen, etc.
Gibt es für die Prüfung einer derartige Säkularisierung auch in anderen Staaten Daten? Und sind diese Daten recherchierbar? Ja, in den Staaten, in denen auch die kirchlichen Trauungen staatlich erfasst werden. Das ist nachfolgend beispielhaft für Italien, Irland und Polen, sowie Norwegen, Dänemark und Schottland durchgeführt worden.
Italien
Ein Artikel im Deutschlandfunk (aus dem Jahr 2016), unter der Überschrift: „Italien - Immer weniger kirchliche Trauungen“ beschreibt Richtiges, wie den stetigen Rückgang kirchlicher Trauungen, ist aber verknüpft mit einer unsinnigen Prognose, dass es 2031 „keine einzige religiöse Trauung in Italien geben“ wird.
Die Daten des Istat (Istituto nazionale di statistica) zeigen diese Entwicklung für die Jahre 2004 bis 2018, in denen der Anteil der kirchlichen Eheschließungen in ganz Italien von 68,1 auf 49,9 Prozent zurückgeht.
Die Entwicklungen sind jedoch in den verschiedenen Regionen sehr unterschiedlich und es zeigt sich für den Norden ein Rückgang der kirchlichen Eheschließungen von 58,5 auf 36,1 Prozent, während es in Kalabrien zwar auch diese Tendenz gibt, ist sie aber schwächer ausgeprägt und auf einem hohen Niveau: der Anteil der kirchlichen Eheschließungen verringert sich von 85,6 auf 77,6 Prozent aller Eheschließungen in Kalabrien.
Im Norden wird der 50-Prozent-Wert für kirchliche Eheschließungen 2011 unterschritten, für ganz Italien in 2018, in Kalabrien in absehbarer Zeit nicht. Auch darin zeigt sich das Gefälle zwischen dem industrialisierten Norden, der zu den wohlhabendsten Regionen Europas gehört, und dem armen, agrarisch geprägten und von der Mafia und der Kirche dominierten Süden. Mit Bezug auf den Anteil der kirchlichen Eheschließungen sind es (2018) im Norden 36 Prozent, im Zentrum 40,5 Prozent und im Süden 69,6 Prozent.
Irland
Irland, ein ebenso traditionell durch die katholische Kirche dominiertes Land wie Italien und Polen, zeigt zwar ebenfalls die gleichen Tendenzen, aber die Entwicklung verläuft in den vergangenen fünf Jahren mit stärkerer Intensität der Rückgangs der römisch-katholischen Eheschließungen. Die Daten des irischen Central Statistics Office zeigen den dominierenden Anteil der römisch-katholischen Trauungen aller Eheschließungen in den 1990er Jahren von mehr als 90 Prozent. 2002 bis 2008 sind es noch mehr als 70 Prozent, 2009 bis 2013 mehr als 60 Prozent, ab 2014 werden die Rückgänge noch stärker und der Anteil der römisch-katholischen Trauungen liegt 2019 bei 43,6 Prozent aller Eheschließungen.
Im Zensus 2011 gaben noch 84 Prozent der Iren an, „katholisch“ zu sein, aber die Erschütterungen durch den Missbrauchsskandal und die Einmischungen des Vatikans in Irland-interne Untersuchungen führten zu einer Abkehr von der Kirche als Institution und ihren Wertvorstellungen. So, wie sich 2015 die Mehrheit in einem Volksentscheid für die gleichgeschlechtliche Ehe votierte und 2018 die Mehrheit in einem Volksentscheidung sich zur Freigabe der Abtreibung aussprach, so sind es nur noch die Minderheit der Eheschließungen (44 Prozent), die 2019 den Segen des römisch-katholischen Klerus für ihre Ehe wünschen. Gegenüber den 78,3 Prozent der Iren, die sich im Zensus 2016 als römisch-katholisch bezeichneten, ist es gravierender Traditionsbruch und Glaubwürdigkeitsverlust des römisch-katholischen Klerus.
Die religiösen und die nicht-kirchlichen Eheschließungen haben (2019) Anteile von 59 vs. 41 Prozent. Die zivilen Eheschließungen haben seit 2009 einen recht beständigen Anteil von rund 30 Prozent, während die Zeremonien der Humanist Association (seit 2014) stetig, auf niedrigem Niveau, auf 9,4 Prozent ansteigt und in etwa dem Anteil der Konfessionsfreien entspricht.
Die Einbußen der religiösen Eheschließungen bei den tradierten Kirchen wird etwas abgemildert, durch eine (seit 2009) bestehende Spiritualistische Union, die sich speziell auf Eheschließungen focussiert. Nach einer Annahme des „Catholic Herald“ beruht der Erfolg der Spiritualist Union of Ireland, die sich ausdrücklich als religiös versteht, u. a. darin, dass an den 21.000 Eheschließungen (in 2018) rund 4.000 geschiedene Ehepartner beteiligt sind, die nach den Regeln der Kirche nicht noch einmal katholisch-kirchlich heiraten können, aber Wert auf eine religiöse Dimension ihrer Zeremonie legen.
Polen
Seit 1998 ist in Polen eine „Konkordatstrauung“ möglich.
“Wenn eine kirchliche Trauung auch gleichzeitig standesamtliche Geltung entfalten soll, ist das in Polen möglich. Der Weg führt dann über die sogenannte Konkordatstrauung. Polen und der Vatikan haben im Konkordatsvertrag die Anerkennung der Ehe beschlossen, wenn bei der kirchlichen Trauung gleichzeitig die üblichen standesamtlichen Formalitäten miterledigt werden. Wer diesen Weg gehen will, benötigt eine entsprechende Bescheinigung vom Standesamt sowie sämtliche Unterlagen, die in der obigen Liste zum Punkt kirchliche Trauung aufgeführt sind. Am Tag der Hochzeit unterschreiben die Eheleute die Einverständniserklärung, die die zivilrechtlichen Folgen der Eheschließung besiegeln.“
Hinsichtlich der Religionszugehörigkeiten in Polen, besagt die offizielle Umfrage des Statistikamtes von Polen, des von den 16 Jahre und Älteren sich 93,5 Prozent als Mitglied einer religiösen Gemeinschaft bezeichnen, 91,9 Prozent geben an, Mitglied der römisch-katholischen Kirche zu sein. Fasst man die drei ‚nicht-religiösen‘ Kategorien zusammen (3,1 Prozent, die sagen, sie seinen konfessionslos, 0,5 Prozent die nicht zuzuordnen sind und 2,9 Prozent, die sich geweigert haben, die Religionsfrage zu beantworten) so sind es maximal 6,5 Prozent Konfessionsfreie.
Die Daten der (sich gegenseitig ausschließenden Hochzeitszeremonien zivil bzw. religiös) nennen (für 2018) jedoch nur 62 Prozent religiöse Heiratszeremonien.
Die Veränderungen sind langsam, aber in der Tendenz eindeutig. Waren es in den Jahren 2000 bis 2005 rund 72 Prozent religiöse Zeremonien bei Eheschließungen, so sind es 2015 bis 2018 nur noch 62 Prozent.
Da es vor allem die Jüngeren sind, die heiraten, zeigt sich im Vergleich der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft und dem Anteil der religiösen Heiratszeremonien (93 : 62), dass es für rund ein Drittel – vor allem der Jüngeren - der Katholiken keine religiöse Überhöhung mehr braucht („Was Gott gegeben hat, soll der Mensch nicht scheiden“).
Norwegen
In den Ehestatistiken für Norwegen wird neben den religiösen sowie zivilen Zeremonien, auch noch die Kategorie „im Ausland“ aufgelistet. Das sind – vor allem in den Jahren 2010 bis 2015 – mehr als 20 Prozent der Eheschließungen. Dazu gibt es – nach Auskunft des Fachreferenten im Statistischen Zentralbüro in Oslo – keine Untersuchungen über die Gründe dafür, aber die Vermutung, da Hochzeiten in Norwegen generell teuer seien, dass die Brautpaare lieber in den Süden reisen, um dort im kleinen Kreis „im Paradies“ zu heiraten, was letztendlich auch nicht teurer aber erinnerungsträchtiger werde.
Im Verlaufe der Jahre 2000 bis 2019 haben sich die Anteile der religiösen vs. nicht-religiösen Eheschließungen tendenziell ausgetauscht. Waren im Jahr 2000 noch zwei Drittel (64,4 Prozent) der Eheschließungen kirchliche Heiraten, so sind es 2019 nur noch zwei Fünftel (39,5 Prozent). Bei den zivilen Eheschließungen (plus den weiteren nicht religiösen, wie den Humanisten) betrug der Anteil im Jahr 2000 zusammen ein gutes Drittel (35,6 Prozent), während es 2019 zusammen drei Fünftel (60,4 Prozent) sind.
Dänemark
In den Statistiken für Dänemark sind die Zahlen für Eheschließungen und die Anzahl der zivilen Zeremonien seit 1901 abzurufen. im Jahr 1901 waren es 2,2 Prozent ziviler Zeremonien, 1915 beträgt ihr Anteil 6,5 Prozent, 1925 sind es bereits 23,8 Prozent, 1935 dann 34,2 Prozent und 1945 sind es 32,7 Prozent – eine Größenordnung, die sich bis 1971 in dieser Größenordnung erhält.
Von 1972 bis 1976 steigen die Anteile der zivilen Zeremonien merklich an auf über 40 Prozent aller Eheschließungen, 1978 bis 1997 bleiben sie (oszillierend) bei einem Anteil um rund 45 Prozent, dann 1998/1999 ist die Zivilehe die mehrheitliche, d. h. die ‚normale‘ Zeremonie, verbleibt dann bis 2007 in dem Bereich von rund 52 Prozent, steigt wiederum bis 2015 auf rund 57 Prozent und beläuft sich seit 2017 auf mehr als 60 Prozent.
Schottland
In der Heiratsstatik für Schottland nach Zeremonien zeigt sich zuerst der allgemeine Trend, dass der Anteil der religiösen Zeremonien (1961 bei 81,4 Prozent) sich stetig verringert und seit 2005 unter der 50-Prozent-Marke liegt. Dann jedoch bleibt der Prozentsatz recht stabil bei rund 48 Prozent und seit 2017 steigt er wieder - unerwartet - auf mehr als 50 Prozent an.
Hinter dieser Entwicklung (seit 2005) verbirgt sich jedoch die Besonderheit, dass die Humanisten und ihre mittlerweile diversen Gruppen, sich statistisch in die Gruppe der „Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften“ haben einsortieren lassen, um zu verdeutlichen, dass sie zu den Kirchen als Konkurrenz auftreten und werden dementsprechend unter „andere Religiöse“ erfasst.
Unterteilt man die Zeremonien jedoch in drei Gruppen – die traditionellen Religionen, die Humanisten und die zivilen Zeremonien – so zeigt sich, dass die kirchlichen Zeremonien sich auf einen Anteil von 31,0 Prozent verringert haben, während die Humanisten ihren Anteil kontinuierlich auf 20,4 Prozent erhöhen konnten. Der Anteil der zivilen Eheschließungen durch staatlich lizensierte „Heiratsbeauftragte“ (marriage commissioner) – von denen der berühmte Schmied von Gretna Green wohl der bekannteste ist – haben einen relativ stabilen Anteil von rund 50 Prozent.
Die Kreativität der mittlerweile acht humanistischen Organisationen zeigt sich auch darin, dass sie sowohl von den Kirchen wie auch von den zivilen Eheschließungen Heiratswillige zur Teilnahme an ihren individuell gestalteten Zeremonien motivieren können.
Dabei haben die humanistischen Organisationen mittlerweile den Wettbewerb mit den beiden großen Kirchen in Schottland hinsichtlich der Anzahl der Heiratszeremonien für sich entscheiden können.
Neben der Humanist Society Scotland (HSS), die seit 2005 eine Eheschließungslizenz hat, bestehen 2017 noch die Independent Humanist Ceremonies (seit 2014), die Humanist Fellowship of Scotland (seit 2014), die Scottish Humanist (2014) sowie die Caledonian Humanist Association (seit 2017). Diese fünf humanistischen Organisationen haben 2017 zusammen 5.320 Eheschließungen zelebriert, die beiden größten religiösen Anbieter (die Church of Scotland und die römisch-katholische Kirche) bringen es auf 4.348 Trauungen.
Seit 2018/2019 sind noch zwei weitere humanistische Organisation im Geschäftsfeld der Heiratszeremonien unterwegs, die Humanism in Scotland (2018) und die Humanist Association Scotland (2019). Diese nun sieben humanistischen Organisation veranstalteten 2019 zusammen 5.306 Zeremonien, während die langjährigen marktbeherrschenden Church of Scotland und die Roman Catholic Church zusammen nur noch 3.136 kirchliche Trauungen durchführen.
Fazit
Für diese sechs Länder Europas – drei mit katholischer Mehrheitsreligion, drei mit evangelischer Mehrheitsreligion – zeigen sich hinsichtlich der möglichen Entscheidung Heiratswilliger für entweder eine kirchliche oder eine zivile Zeremonie die gleichen Trends, dass die nicht-religiösen Heiratszeremonien stetig größere Anteile für sich gewinnen können.
In Irland und Polen sind die kirchlichen Trauungen noch die Mehrzahl der Heiratszeremonien, in allen anderen Ländern ist die nicht-religiöse Heiratszeremonie inzwischen das mehrheitlich Normale.
Die Anteile für Deutschland verweisen darauf, dass insbesondere die Jüngeren der 25 -35 Jährigen, die das Gros der Eheschließenden darstellen, sich vergleichsweise stärker von der Segnung durch Kleriker entfernt haben, als die Gleichaltrigen in den anderen dargestellten Ländern.
Da diese Heiratspaare ohne kirchlichen Segen, sofern sie Kinder zeugen, diese entsprechend voraussichtlich auch nicht klerikal taufen lassen werden, wird sich dieser Trend fortsetzen.