Islam und Islamismus
Umfragen zum „Islam“ gibt es viele. Sie beschränken sich gemeinhin auf eine allgemeine Fragestellung. Im Sommer 2021 beauftragten die Alice-Schwarzer-Stiftung, das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und die Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) das Institut für Demoskopie (IfD) Allensbach mit einer nationalen Umfrage zum Thema „Islam und Islamismus“, um detaillierte Informationen über Einstelllungen zum „Islam“ (Allgemein) und zum „Islamismus“ (im Besonderen“) zu erhalten. Die Ergebnisse zeigen, dass in der Bevölkerung sehr wohl zwischen beidem unterschieden wird.
1. Zur Umfrage „Islam und Islamismus“
2. Forschungsstand
3. Religionsfreiheit
4. „Gehört der Islam zu Deutschland?“
5. Islam als Bedrohung
6. Kopftuch und Burka
7. Islam und Politik
8. Fazit
1. Zur Umfrage „Islam und Islamismus“
Im Juni 2021 veröffentlichen die drei finanzierenden Organisationen zentrale Ergebnisse der IfD-Umfrage. Die Alice-Schwarzer-Stiftung publiziert mit: „Umfrage: Islam und Islamismus“ den entsprechenden Bericht des IfD-Allensbach, der in dem EMMA-Dossiers „Eine brisante Umfrage“ weiter erläutert wird. Ruud Koopmanns (WZB) schreibt in der ZEIT den Artikel: „Islam in Deutschland: Für ein friedliches Zusammensein“ und die Giordano-Bruno-Stiftung zeigt in ihrer Pressemitteilung „Umfrage zeigt Sorge vor radikalem Islam“ auf, dass eine „deutliche Mehrheit unzufrieden mit dem Kampf der etablierten Parteien gegen Islamismus“ ist. Ergänzend dazu erscheint ein Bericht in der WELT mit dem Titel „Mehrheit fühlt sich von radikalem Islamismus bedroht“. Die ablehnenden Reaktionen lassen allerdings nicht lange auf sich warten, wie auf dem Instagram-Account von „Realität Islam“ deutlich wird.
2. Forschungsstand
In den vergangenen zehn Jahren (seit 2012) hat das IfD bereits einige Umfragen durchgeführt, die das Thema „Islam“ direkt oder beiläufig betrafen. Unter anderem:
- IfD-September 2012 („Christentum und Politik“),
- IfD-Umfrage-November 2012-Islam („Die Furcht vor dem Morgenland im Abendland. ‚Die Türken‘ und mit ihnen die gesamte islamische Welt, das waren stets ‚die anderen‘. Diese Einstellung wirkt bis heute nach.“),
- IfD-Dezember -2012 („Gefühlte und reale Distanz“),
- IfD-Umfrage-Dezember-2014 („Die Bürger nicht verachten. Schotten dicht gegen Einwanderer?“),
- IfD-2015 („Nüchterne Reaktion“),
- IfD-Februar-2016 („Das Lebensgefühl der Einwanderer“),
- IfD-Sicherheitsreport-Januar 2020,
- IfD-2021: „Deutsche Muslime und die Demokratie“.
Diese Beständigkeit in der quantitativen Beschäftigung mit „dem Islam“ zeigt sich auch in anderen Umfragen, von denen einige genannt seien:
- Flash Eurobarometer 217 – Intercultural dialoque in Europa (2007),
- Gallup, 2010, Religiosität,
- EUROBAROMETER-Sonderumfrage 317: DISKRIMINIERUNG IN DER EU IM JAHR 2009,
- Standard-Eurobarometer 84 (Herbst 2015) „Die öffentliche Meinung in der Europäischen Union“,
- “Eurobarometer on Discrimination 2015: Social acceptance and discrimination on the grounds of religion and ethnicity”,
- „Islam und Muslim*innen in Deutschland: Die Sicht der Bevölkerung“ (September 2018) Petra-Angela Ahrens, Sozialwissenschaftliches Institut der EKD,
- Eurobarometer- Spezial 493 “Diskriminierung in der Europäischen Union” (2019),
- Religionsmonitor-2019-kompakt,
- Religionsmonitor 2019,
- YouGov-Umfrage 2019,
- Eurobarometer (Standard) 94, Winter 2020/21.
Auf die rund 1.800 Artikel des PEW Research Centers zum Stichwort „Muslims“ sei hier nur pauschal hingewiesen. Ebenso wie auf verschiedene Aspekte, die in den Allgemeinen Bevölkerungsumfragen der Sozialwissenschaften (ALLBUS) erfragt wurden.
Auch fowid hat dazu Artikel publiziert, wie:
- „Österreich: Die Heterogenität der Muslime“. (Oktober 2017),
- „Der Islam passt in die deutsche Gesellschaft“!? (März 2018),
- „Die Polarisierung in der Islamfrage“ (April 2018),
- „Autoritäre Einstellungen von Jugendlichen unter Berücksichtigung der Religionszugehörigkeit“ (August 2018),
- „Jugend, Religion und Staat in der MENA-Region“ (September 2019),
- „Geburtenzahlen von Kindern muslimischer Mütter/Väter“ (März 2020),
- „Islamischer Lobbyismus“ (Juni 2020),
- „Muslimfeindlichkeit und Empirie“ (März 2021).
Das Besondere an der hier folgend dargestellten Studie zu „Islam und Islamismus“ ist der Ansatz, die Wahrnehmung und die Einstellungen in der Bevölkerung zum „Islamismus“ differenzierter zu erfassen und damit auch den Unterschied zu beleuchten, der in der Bevölkerung bezüglich der Einschätzung einer verfassungskonformen und einer fundamentalistischen Auffassung des Islam existiert.
Prof. Renate Köcher, die Leiterin des IfD, hatte im Dezember 2014 in einer IfD-Studie zur Einwanderung „Verachtet mir die Bürger nicht“ geschrieben, dass das Bild des Islams von seinen radikalen Strömungen bestimmt werde:
„Die Mehrheit bezweifelt schon seit Jahren die Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz von Islam und christlich geprägten Ländern. Das Bild der Bürger vom Islam ist seit langem stark von den Assoziationen Gewaltbereitschaft, Intoleranz und Fanatismus geprägt. Dagegen werden Friedfertigkeit oder Achtung der Menschenwürde kaum mit dem Islam verbunden. Das Bild des Islam wird von seinen radikalen Strömungen bestimmt. Den gemäßigten Muslimen und ihren Organisationen gelingt es bisher nur unzureichend, dem ein differenzierteres Bild des Islam entgegenzusetzen. Das Wissen über den Islam ist begrenzt. Annähernd 80 Prozent der Bevölkerung stufen ihr Wissen als gering ein. Persönliche Erfahrungen mit Muslimen im Bekannten- oder Freundeskreis hat auch nur eine Minderheit, […].“
Allerdings ist die Operationalisierung der „radikalen Strömungen“ bzw. die Sichtweise eines „politischen Islams“, der kultiviert und ohne Gewalt einen erfolgreichen “Islamischen Lobbyismus“ in Deutschland betreibt, nicht einfach. Deshalb sollte die neue Umfrage untersuchen, ob in der Bevölkerung hinsichtlich „des Islams“ eine differenziertere Wahrnehmung besteht oder nicht.
3. Religionsfreiheit und Islam
Im Grundgesetz Art. 4 ist die allgemeine Religionsfreiheit (als Grundrecht) festgelegt.
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Das bestätigen in der IfD-Umfrage „Islam und Islamismus“ (2021) jedoch nur zwei Drittel der Befragten (65 Prozent) als „richtig“. Ein Drittel hält es für „nicht richtig“ (18 Prozent) oder ist „unentschieden“ (17 Prozent.) In die Frage war eingeschlossen, ob die Religionsfreiheit für Muslime genau wie für Christen gelten solle.
Die Unterschiede in den Altersgruppen, die sich in weiteren Fragen sehr deutlich darstellt, sind hier nur marginal unterschiedlich: Jüngere stimmen der Aussage zu 71 Prozent zu, Ältere nur zu 61 Prozent. Ausgeprägte Unterschiede gibt es hinsichtlich des sozioökomischen Status: Befragte mit niedrigem Status halten eine generelle Religionsfreiheit (auch für Muslime) nur mit knapper Mehrheit (54 Prozent) für „richtig“, während dieser Anteil bei den Befragten mit hohen Status bei 79 Prozent liegt.
Darauf, dass diese Vorbehalte zum Teil in der Ablehnung einer Gleichstellung von Christentum und Islam begründet liegen, verweist eine IfD-Umfrage vom September 2012 („Christentum und Politik“), in der nur sieben Prozent es als „guten Vorschlag“ betrachten, einen christlichen Feiertag zu streichen und stattdessen einen islamischen Feiertag einzuführen.
Auch die Einführung eines nicht-gesetzlichen Feiertages – von dem eigentlich niemand etwas bemerkt, außer den Schülern, die an diesem Feiertag der Schule fernbleiben dürfen – betrachten nur 26 Prozent als „guten Vorschlag“, 56 Prozent finden es nicht gut.
Andere Gründe für die Vorbehalte gegenüber einer gleichberechtigten Religionsfreiheit liegen jedoch – in der Wahrnehmung der Bevölkerung in Deutschland – aber auch innerhalb des Islams.
4. Gehört der Islam zu Deutschland?
Seit der Aussage des seinerzeitigen Bundespräsidenten Christian Wulff (am 3. Oktober 2010) „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“ ist die Stellungnahme zu dieser Aussage so etwas wie ein „politischer Lackmustest“, d. h. ein Gradmesser für die persönliche Einstellung zum Islam geworden.
2015 fragte das Institut für Demoskopie (IfD) in „Das Lebensgefühl der Einwanderer“: „Wenn jemand sagt, ‚Der Islam gehört inzwischen zu Deutschland.‘ Würden Sie dem zustimmen, oder würden Sie da nicht zustimmen?“ 63 Prozent der Bevölkerung haben dem „nicht zugestimmt“, 22 Prozent „zugestimmt“, 15 Prozent sind unentschieden.
Gegenüber diesen bisherigen Fragestellungen, die sich auf ein „Ja/Nein“ bzw. auf „zustimmen/nicht zustimmen“ als Antwort beschränken, hat die „Islam/Islamismus-Studie 2021“ des IfD in ihrer Fragestellung den Befragten eine dreifache Antwortmöglichkeit eröffnet.
Frage: „Es wird manchmal gesagt: Der Islam gehört zu Deutschland.“ Wie stehen sie zu dieser Aussage: Würden Sie dieser Aussage voll und ganz zustimmen, oder würden sie sagen, nur friedliche Formen des Islam gehören zu Deutschland, aber nicht radikale Gruppen. oder gehört der Islam Ihrer Meinung nach gar nicht zu Deutschland?“
Die Ergebnisse zeigen, dass 2021 zwei gleich große Gruppen bestehen: 44 Prozent sagen „Ja“, allerdings ohne radikale Gruppen, und 45 Prozent sagen schlicht „Nein“. Der Anteil derjenigen, die dieser Aussage vorbehaltlos zustimmen, beträgt fünf Prozent.
Gegenüber den bisherigen Studien zeigt sich damit eine genauere Unterscheidung der Einstellung „zum Islam“, der die normalen, friedlichen Muslime positiver als zu Deutschland gehörig anerkennt, die radikalen Gruppen jedoch nicht.
Während es zwischen Frauen und Männern keinen Unterschied gibt, zeigen sich in den Altersgruppen unterschiedliche, gegenläufige Tendenzen: In den jüngeren Altersgruppen ist die Akzeptanz des nicht-radikalen Islams größer als bei den Älteren. Umgekehrt steigt die prinzipielle Ablehnung der Zugehörigkeit des Islams bei den Älteren an.
Diese Altersverteilungen korrelieren mit der Häufigkeit, ob die Befragten einen oder mehrere Muslime persönlich kennen oder nicht. Bei denen, die keinen Muslim kennen, ist die Ablehnung ausgeprägter. Damit im Zusammenhang steht auch das Empfinden einer Bedrohung durch den Islam.Wer die Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland prinzipiell ablehnt, fühlt sich auch stärker bedroht.
81 Prozent der Befragten, die den Islam als „Bedrohung“ bewerten, sind dementsprechend auch der Meinung, dass der Islam „gar nicht“ zu Deutschland gehöre, ebenso wie 85 Prozent derjenigen, die meinen, dass Muslimen kein Recht auf freie Religionsausübung zustehe.
In einer fowid-Auswertung („Der Islam passt in die deutsche Gesellschaft“!?“) der ALLBUS-Studie 2016 wurden die Meinungen zu sechs verschiedenen Themen betrachtet, dazu gehörte auch die These „Der Islam passt in die deutsche Gesellschaft“:
Es ist dabei anzumerken, dass diese Aussage nicht deckungsgleich ist mit der Aussage „Der Islam gehört zu Deutschland“. Beide Aussagen/Auffassungen gehen zwar in die gleiche Richtung, indem sie über „passt in“ bzw. „gehört zu“ eine Zugehörigkeit postulieren, die „Passgenauigkeit“ aber wohl eine größere emotionale Fragestellung beinhaltet, als das auch nur formal zu verstehende „gehört zu“.
Zwei Drittel der Befragten (65,8 Prozent) haben diese These mit „Nein“ beantwortet, d. h. befinden den Islam in Deutschland als „unpassend“.
Bemerkenswert ist an den Verteilungen, dass es sich um eine ungewöhnliche ‚Schieflage‘ handelt, bei der die Hälfte der Ablehnenden (33 Prozent) sich in einer einzigen Kategorie „Stimme gar nicht zu“ befinden.
Das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD nennt im September 2018 in der Studie: „Islam und Muslim*innen in Deutschland: Die Sicht der Bevölkerung“ von Petra-Angela Ahrens - bei gleicher Fragestellung („Der Islam passt in die deutsche Gesellschaft?“ – eine zwar geringere, aber ebenfalls mehrheitliche Ablehnung (54 Prozent „Nein“). Das steht nicht im Widerspruch dazu, dass in der gleichen Umfrage 69 Prozent der folgenden Aussage zustimmen: „Muslime gehören zum Alltagsleben in Deutschland“.
Eine Cluster-Analyse für fowid von Tobias Wolfram „Die Polarisierung der Islamfrage“ mit den ALLBUS-Daten (2016) zeigt die gleichen Gruppen, die sich auch in der IfD-Umfrage (2021) implizit zeigen. Zu den Verfechtern der Religionsfreiheit („Islambefürworter“) zählen vor allem die Jüngeren, die auch mehr Kontakte zu Muslimen haben, und die formal besser Ausgebildeten.
Als methodischer Hinweis sei angemerkt, dass wohl ein Unterschied zwischen „Islam“ und „Muslime“ besteht: Die Hypothese wäre, dass „Der Islam“ stärker abgelehnt wird, als „Die Muslime“, da in der Lebenswirklichkeit der Befragten „Islam“ eher mit „IS“ und „Terror“, d. h. einer politischen Ideologie verbunden wird, während bei „Die Muslime“ eher die Menschen - die Arbeitskollegin oder der Arbeitskollege bzw. „Onkel Ali“ mit dem Gemüseladen – assoziiert werden. Das IfD Allensbach hat im November 2012 (in der Umfrage 10099: „Die Furcht vor dem Morgenland im Abendland.“ zweifach, mit diesem Unterschied, gefragt (Tabelle 6). Auf die Frage „Wenn jemand sagt: ‚Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland wie das Christentum.‘ Würden Sie da zustimmen oder würden Sie da nicht zustimmen?“ haben 64 Prozent nicht zugestimmt. Auf die Frage: „“Wenn jemand sagt: ‚Die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland.‘ Würden Sie da zustimmen oder würden Sie da nicht zustimmen?“ haben nur 47 Prozent nicht zugestimmt.
5. Islam als Bedrohung?
In einer medial vernetzten Welt werden Bedrohungen weltweit transportiert. Nicht erst seit „9/11“ (Anschlag auf das World Trade Center in New York) sind Gewalttaten durch Organisationen mit einer islamistischen Selbstdarstellung häufiger geworden. So ist, als Beispiel, die Liste für islamistische Anschläge in Frankreich sehr lang, vor allem seit 2015. Dem entspricht auch die Liste terroristischer Ereignisse durch den „Islamischen Staat“ weltweit. Diese Entwicklungen scheinen die Existenz eines „Kampfs der Kulturen“ („The Clash of Civilizations “) des US-Amerikaners Samuel P. Huntingtons zu bestätigen. Huntington hatte 1993/1996 die Hypothese entwickelt, dass „es im 21. Jahrhundert zu Konflikten zwischen verschiedenen Kulturräumen, insbesondere der westlichen Zivilisation mit dem chinesischen und dem islamischen Kulturraum kommen könnte.“ Die Schreckensbilder aus dem Irak und Syrien, immer begleitet von den schwarzen Flaggen des „Islamischen Staates“, verfehlten ihre Wirkungen nicht. So wurde in einer IfD-Umfrage im Dezember 2014 („Die Bürger nicht verachten. Schotten dicht gegen Einwanderer?“) die Frage, ob man sich durch den „Vormarsch des IS“ bedroht fühle, von 35 Prozent der Bevölkerung geantwortet, man sei „sehr stark beunruhigt“, weitere 42 Prozent waren „stark beunruhigt“ (zusammen 77 Prozent), die „Politisch Interessierten“ waren insgesamt sogar noch mehr beunruhigt (zusammen 84 Prozent).
Im Religionsmonitor 2019 „Weltanschauliche Vielfalt und Demokratie“ stimmten die Hälfte der Befragten (52 Prozent) der – sehr allgemeinen – Aussage zu: „Der Islam ist bedrohlich“.
„Diese Bedrohungswahrnehmung gegenüber dem Islam hat zwar in den vergangenen Jahren trotz der großen Fluchtbewegungen leicht abgenommen, hält sich aber in der deutschen Gesamtbevölkerung seit 2012 auf einem relativ hohen Niveau. Das bestätigt eine aktuelle repräsentative Nachbefragung im Rahmen des Religionsmonitors. Demnach empfindet auch Anfang 2019 rund die Hälfte der deutschen Bevölkerung (52 Prozent) den Islam als bedrohlich. Das Bedrohungsempfinden fällt in Ostdeutschland mit 57 Prozent höher aus als in den westdeutschen Bundesländern (50 Prozent). Nur 29 Prozent der Ostdeutschen und 38 Prozent der Westdeutschen erleben den Islam gegenwärtig als Bereicherung.“ (S. 12)
Das lässt sich aber relativieren. Denn das IFD Allensbach hat 2001, 2006 und 2012 nach dieser Bedrohung gefragt und die Antworten darauf (berichtet in: „Die Furcht vor dem Morgenland im Abendland“) haben sich spezifiziert. Dabei zeigte sich, dass die Einschätzung „der Islam ist insgesamt eine Bedrohung“ abnimmt und stattdessen „bestimmte Gruppen/einzelne Anhänger des Islams“ verstärkt als Bedrohung wahrgenommen werden.
In der IfD-Umfrage „Islam/Islamismus“ (2021) ist die Wahrnehmung einer „insgesamten Bedrohung“ wieder angestiegen (von 19 auf 28 Prozent), was jedoch primär auf die Sichtweisen der älteren Bevölkerung zurückgeht. Nennen von den Jüngeren nur 11 Prozent „den Islam insgesamt als Bedrohung“, so sind es – kontinuierlich ansteigend – bei den über 60-Jährigen 34 Prozent.
Das Schwergewicht der Wahrnehmung liegt jedoch – nach wie vor – bei knapp zwei Dritteln (63 Prozent), dass es dabei um „bestimmte Gruppen“ und nicht unspezifisch „insgesamt“ handelt.
Inwiefern sich diese Wahrnehmung einer Bedrohung auch mit anderen Einstellungen verbindet, zeigen die Meinungen zur Religionsfreiheit. Während von denjenigen, die „bestimmte Gruppen“ als Bedrohung wahrnehmen, 79 Prozent für allgemeine Religionsfreiheit sind, sind diejenigen mit einer „insgesamten Bedrohung“ diverser zur Religionsfreiheit: 40 Prozent sind dagegen, 33 Prozent dafür und – ein ungewöhnlich hoher Anteil – 25 Prozent unentschieden.
Dabei hat die aktuelle IfD Studie (2021) es jedoch noch nicht belassen, sondern nachgefragt: „An welche Bedrohungen denken Sie?“ Die größte Bedrohung wird dabei – von Dreiviertel der Befragten (77 Prozent) – darin gesehen, „dass es in Deutschland zu islamistischen Terroranschlägen kommt“.
Auch wenn diese Bedrohung in allen Altersgruppen mit den höchsten Anteilen genannt wird, zeigt sich auch hier ein Unterschied zwischen den Jüngeren (68 Prozent) und den Älteren (78 Prozent).
Dass die Wahrnehmung von spezifischen Bedrohungen bei den Befragten, die den Islam „insgesamt“ als Bedrohung empfinden, stärker ausgeprägt sind, überrascht zwar nicht, aber es zeigt sich, dass diese Personen die größten Unterschiede zur Gesamtbevölkerung bei den eher als ‚diffus‘ zu bezeichnenden möglichen Bedrohungen äußern, wie: „Ein wachsender Einfluss des Islam in Deutschland (55 : 92 Prozent) oder „Dass immer mehr Flüchtlinge mit muslimischen Hintergrund zu uns kommen „ (54 : 88) sowie „Dass der demokratische Rechtsstaat von Muslimen unterwandert wird“ (48 : 76).
Die Zuordnungen von Gewalt zu „bestimmten Gruppen“ bleibt auch in den Antworten erhalten, wem die Terroranschläge in den vergangenen Jahren zuzuordnen sind. Dreiviertel (77 Prozent) sehen dafür „bestimmte radikale Gruppen“ verantwortlich, ein Viertel (24 Prozent) stimmen der Sichtweise zu, dass „diese Gewalt untrennbar mit dem Islam verbunden“ sei.
Und auch hier will die IfD-Studie 2021 es genauer wissen, indem nach den „wichtigsten Ursachen für Terroranschläge“ gefragt wurde. Von den 11 vorgeschlagenen Möglichkeiten werden vorrangig fünf genannt, am häufigsten (mit 71 Prozent): „Dass in manchen Moscheen Hass und Intoleranz verbreitet werden“ sowie „Eine radikale Interpretation des Koran, die zu Gewalt aufruft“.
Während bei diesen beiden und den beiden folgenden Meinungen die Altersverteilungen wieder sichtbar sind, besteht in der fünften möglichen Ursache: „Dass die radikalen Formen des Islam zu wenig bekämpft werden“ (62 Prozent Nennung) zwischen den Generationen Einigkeit.
Bei der Frage, von wem antisemitische Gewalttaten vor allem ausgehen, werden von zwei Dritteln (66 Prozent) „Rechtsextreme“ genannt, aber eine Mehrheit der Befragten (53 Prozent) nennt auch „radikalen Islamisten“.
6. Kopftuch / Burka
Im Jahr 2012 hatte das IfD ein ‚Stimmungsbild‘ zum Kopftuch erfragt. In dem Bericht zur Umfrage: „Die Furcht vor dem Morgenland im Abendland“ wird (als Tabelle A5) die Frage referiert: „Wenn jemand sagt: ‚Es ist zwar Privatsache, aber es gefällt mir nicht, wenn ich hier in Deutschland Frauen mit Kopftuch sehe.‘ Geht Ihnen das auch so, oder geht Ihnen das nicht so?“. Dazu antwortet knapp die Hälfte (47 Prozent) „Geht mir auch so“, d. h. es gefällt nicht.
1998 hatte der „Kopftuchstreit“ begonnen, als eine Lehrerin in Baden-Württemberg dagegen klagte, dass sie nur ohne Kopftuch unterrichten dürfe. Seitdem beschäftigt das Thema Politik und Gerichte. Mittlerweile ist Berlin das einzige Bundesland, in dem – entsprechend dem „Neutralitätsgesetz“ für Berlin – „demonstrative Religionsbekundungen“ an den allgemeinbildenden öffentlichen Schulen untersagt sind, also auch das Tragen eines muslimischen Kopftuchs. Einer der Gründe dafür ist, dass von den Frauen in Deutschland, die sich selber als Muslimin bezeichnen, laut der Studie des BAMF (Sonja Haug, Stephanie Müssig und Anja Stichs: „Muslimisches Leben in Deutschland“ (2008), S. 193 – 216, nur 28 Prozent ein Kopftuch tragen. Diese Frauen geben zu 92 Prozent an, es aus religiösen Gründen zu tragen. Für die Mehrheit der Musliminnen (72 Prozent) besteht dieser Grund nicht. Selbst von den Musliminnen, die sich selbst als „sehr gläubig“ bezeichnen, tragen nur 41 Prozent ein Kopftuch. Insofern ist der andauernde „Kopftuchstreit“ zu einem ideologisch aufgeladenen politischen Reizthema geworden. Während die Lehrkräfte verschiedenster Religionsgemeinschaften in Berlin damit kein Problem haben, wird dieses Neutralitätsgesetz von einer Anzahl muslimischer Verbände ausschließlich auf das nicht erlaubte Tragen von Kopftüchern verengt und als „Berufsverbot“ bezeichnet. Entsprechend bildete sich ein „Bündnis #Berufsverbot“, das eine Abschaffung des Neutralitätsgesetzes fordert und dessen Mitglieder überwiegend zum Organisationskreis der Muslimbruderschaft gerechnet werden.
Die IfD- Umfrage 2021 stellt auf die verschiedenen, diskutierten Gesellschaftsbereiche ab, und fragt hinsichtlich des Rechts, ein Kopftuch zu tragen: „Gibt es Bereiche, in denen Sie dafür wären, dieses Recht einzuschränken, oder sollte dieses Recht generell nicht eingeschränkt werden?“. Die Meinungen dazu sind klar konturiert. Mehrheitlich (56 – 61 Prozent) wird befürwortet, das Tragen von Kopftüchern in öffentlichen Schulen, im Öffentlichen Dienst und in Kinderbetreuungseinrichtungen einzuschränken, ebenso (53 Prozent Zustimmung) für Mädchen unter 14 Jahren (ab 14 Jahren werden Jugendliche ‚religionsmündig‘).
Diesen Einschränkungen steht gegenüber, dass sich nur eine Minderheit (26-29 Prozent) dafür ausspricht, auch den Mitarbeiterinnen in Supermärkten und anderen Betrieben dieses Recht zu beschränken. Ein knappes Viertel (23 Prozent) meint: „Das Tragen eines Kopftuchs sollte generell erlaubt und nicht eingeschränkt werden.“ In den Altersverteilungen zeigt sich, wie bereits in anderen Fragen, dass die Älteren dem Kopftuch ablehnender gegenüberstehen als die Jüngeren. Hinsichtlich des soziökonomischen Status sind die ablehnenden Haltungen mit steigendem Status geringer, insbesondere für Mitarbeiterinnen in Supermärkten und anderen Betrieben.
In Deutschland besteht – im Unterschied zu anderen Ländern Europas – kein „Burka-Verbot“, sondern nur – für bestimmte Bereiche – ein „Verschleierungsverbot“, z. B. im Straßenverkehr oder unter dem Aspekt der zu ermöglichenden Identitätsfeststellung im öffentlichen Raum oder der Kommunikation in Schulen. Sollte es eine entsprechende generelle Gesetzesinitiative geben, würde das von einer Mehrheit in Deutschland jedoch gebilligt werden. Der Bedarf erscheint aber in Deutschland – im Unterschied zu Frankreich, wo seit 2011 ein Burkaverbot gilt – nicht vorhanden zu sein.
90 Prozent der Befragten sprechen sich für ein Burkaverbot aus, 73 Prozent generell, 17 Prozent für bestimmte Bereiche. 5 Prozent sind generell gegen ein Verbot. Gegenüber 2016 hat sich – nach Angaben des IfD – der Anteil derjenigen, die sich für ein generelles Verbot aussprechen, von 56 Prozent auf 73 Prozent erhöht.
7. Islam und Politik
Diese Fragen führen zu der Gesamtthematik, wie politisch mit Islam und Islamismus umgegangen wird bzw. werden sollte.
Aus den Antworten auf die Frage nach dem Eindruck, welche Parteien sich besonders gegen den radikalen Islam engagieren, ergibt sich eine realitätsgerechte Beschreibung: Besonders würde sich die AfD gegen den Islamismus engagieren (43 Prozent). Als zweitgrößte Gruppe (29 Prozent) folgen die Befragten die „unentschieden“ sind oder „nicht wissen“, welche Parteien sich besonders engagieren, auf Platz drei folgt die CDU/CSU (21 Prozent), gefolgt von denen, die sagen „Keine Partei“ (13 Prozent). Alle anderen parlamentarisch vertretenen Parteien werden von weniger als von jedem Zehnten genannt (SPD: 9, FDP: 7, Grüne: 5 und Linke: 4 Prozent.)
Es ist hier nicht der Platz zu erörtern, ob die AfD sich tatsächlich vor allem gegen den „radikalen Islam“ engagiert oder ob die Partei nicht vielmehr in einer unter dem Deckmantel der „Islamkritik“ verhüllten Fremdenfeindlichkeit und Panikmache verhaftet bleibt - die Situationsbeschreibung einer weitgehenden Untätigkeit der Parteien (außer AfD und CDU/CSU) bleibt dennoch bestehen.
Eine weitere Frage der IfD-Studie 2021 bezieht sich auf die viel diskutierte Thematik der Finanzierung von Moscheen und islamischen Organisationen. Für Deutschland ist dabei u. a. die größte islamische Organisation der rund 950 DITIB-Gemeinden gemeint, deren Imame vom türkischen Staat finanziert werden, sowie die finanzielle Förderung von Moscheebauten durch die Golfstaaten, vor allem Katar.
In Österreich wurden bereits 2015 im „Bundesgesetz über die äußeren Rechtsverhältnisse islamischer Religionsgesellschaften – Islamgesetz 2015“ dazu Rahmenbedingungen benannt, mit denen, wie es in der Zusammenfassung durch das Bundeskanzleramt heißt, die Finanzierung aus dem Ausland untersagt wird:
„8. Regelung zur Untersagung der Finanzierung aus dem Ausland
Der ‚laufende Betrieb‘ einer Religionsgesellschaft muss aus dem Inland finanziert werden (eine einmalige Zuwendung aus dem Ausland wie etwa eine Erbschaft ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, die Verwaltung dieses Vermögens muss aber im Inland erfolgen).“
In Deutschland sind 61 Prozent der Bevölkerung der Meinung, dass die ausländische Finanzierung von Moscheen und Organisationen grundsätzlich verboten werden sollte. 20 Prozent sind der Auffassung, dass solle grundsätzlich erlaubt sein.
Aufgrund der Diskussionen zwischen den drei Auftraggebern und dem IfD Allenbach wurde eine Liste von neun Themen bzw. Forderungen erstellt. Vier dieser Forderungen werden mehrheitlich unterstützt: Bedingung der Verfassungstreue (86 Prozent), kein über das Ausland finanzierter Islamunterricht (66 Prozent), keine über das Ausland finanzierte Imame (54 Prozent) und Imamausbildung in Deutschland (54 Prozent).
Dabei bestehen durchaus partielle Widersprüche, denn die Forderung, islamische Organisationen stärker finanziell zu unterstützen, die sich für Integration und Verständigung einsetzen (42 Prozent Zustimmung) erhält die gleiche Mehrheit (41 Prozent), wie die Forderung, dass islamische Organisationen keinerlei finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten sollten. Den geringsten Zuspruch (12 Prozent Unterstützung) erhält die Forderung, dass islamische Organisation in Deutschland vom Staat genauso gefördert und finanziert werden sollten wie die christlichen Kirchen.
Auch hierzu ist nicht der Platz, diese Forderungen ausführlicher zu kommentieren, es sei nur kurz etwas zur ersten Forderung (86 Prozent) erwähnt, dass islamische Organisationen, die ihre religiösen Gebote über das Grundgesetz stellen, verboten werden sollten. Die Organisationen des „legalistischen Islamismus“ – wie der „politische Islam“ oder der „Islamismus“ in früheren Jahren vom Verfassungsschutz genannt wurden – sind nicht dumm. Sie sind „legalistisch“, weil sie (in Deutschland) nicht gewaltbereit sind, sondern im Rahmen der Gesetzesordnung bleiben („Marsch durch die Institutionen“), und zugleich „islamistisch“, weil sie dennoch anstreben, ihre Vorstellungen einer islamischen Gesellschaft (Stichworte: Einheit von Religion und Staat, Scharia) umzusetzen. Sie folgen dabei z. B. den Hinweisen ihres frühen Wegbegleiter und Wegbereiter Werner Schiffauer, der die Organisationen bereits früh gegen den Verfassungsschutz verteidigte und ihre Beobachtung als „Gesinnungsschnüffelei“ verunglimpfte. Dazu heißt es Schiffauers Artikel „Verfassungsschutz als Reformbremser“:
„Wenn jetzt der Verfassungsschutz allmählich seine Position revidiert, sollte das kein Anlass sein, sich beruhigt zurückzulehnen. Vielmehr sollte die Arbeit grundsätzlich neu bewertet werden. Die Beobachtung von Gruppierungen, von denen keine Gewalt ausgeht und die nicht zum Umsturz der Verfassung aufrufen, ist Gesinnungsschnüffelei. Der Verfassungsschutz sieht sich gern als „Verfassungs-TÜV“ – er ist aber viel zu abhängig von der Politik, um diese Aufgabe bewältigen zu können. Wenn man überhaupt an dem Amt festhalten möchte, sollte es sich auf die Beobachtung gewaltbereiter Extremisten konzentrieren.“
8. Fazit
Die Umfrage des IfD verdeutlicht, dass die Bevölkerung zu unterscheiden weiß zwischen einem friedlichen Islam, der akzeptiert wird, und kleineren Gruppen, die den Islam und seine Rechtsordnung über das Grundgesetz stellen, was abgelehnt wird.
Zwei Drittel (65 Prozent) meinen, dass Muslime die gleiche Religionsfreiheit in Deutschland haben sollen wie die Christen. Allerdings heißt das nicht gleichsam, dass „der Islam“ zu Deutschland „gehört“. Dieser Position stimmen nur 5 Prozent generell zu, während 44 Prozent das auf friedliche Formen beschränken und radikale Gruppen ablehnen. Wesentlichstes Element der Vorbehalte ist dabei die Wahrnehmung einer Bedrohung durch den Islam, die 91 Prozent der Befragten empfinden, 28 Prozent generell und 63 Prozent durch bestimmte Gruppen.
Als wesentliche Bedrohung wird die Angst vor Terroranschlägen genannt. In dieser Hinsicht werden einzelne Moscheen und radikale Interpretationen des Islam als wesentliche Gründe genannt, ebenso aber auch eine grundsätzliche Ablehnung von westlicher Kultur und Lebensweise sowie die Einflussnahme islamischer Staaten in Deutschland.
Ebenfalls zwei Drittel der Befragten meinen, dass die radikalen Formen des Islams zu wenig bekämpft werden und sehen bei den politischen Parteien kein großes Engagement dafür.
Hinsichtlich der Einstellungen und Sichtweisen zum Islam lässt sich die Tendenz erkennen, dass die Älteren, diejenigen, die keinen Kontakt zu Muslimen haben, sowie diejenigen, die eine schlechtere formale Ausbildung und einen niedrigen sozioökomischen Status haben, eher dazu neigen, den Islam generell abzulehnen. Mehrheitlich aber zeigt die Bevölkerung, dass sie sehr wohl in der Lage ist, zwischen Islam und Islamismus zu unterscheiden.
Carsten Frerk.