Bistumszeitungen 1950-2023
Printmedien haben generell Probleme mit sinkenden Verkaufszahlen, die Kirchenpresse und die Bistumszeitungen trifft es besonders. Von 2,1 Mio. verkauften Exemplaren (1963) der Bistumszeitungen sind sie (2023) bei 227.000 Exemplaren angekommen, ein Rückgang um rund 90 Prozent. Dieser Trend ist seit Mitte der 1960er Jahre beharrlich und gleichbleibend: die Verkaufszahlen sinken. Das sagt mehr über die Kirchenbindung aus, als manch andere Daten. Die regionale Kirchenpresse erreicht noch drei Prozent der Kirchenmitglieder – mit weiter sinkender Tendenz.
Vorbemerkung
1. Definitionen und Datenbasis
2. Kirchenregionalpresse
2.1. Bistumszeitungen 1998- 2023
2.2. Bistumszeitungen 1950 – 2023
2.3. Bistumszeitungen 1957-1969
2.4. Analysen
Exkurs I: Überregionale konfessionelle Zeitungen / Magazine
Exkurs II: Pfarrgemeindebriefe
3. Rückblick und Ausblick
Vorbemerkung
Anlass für diese Ausarbeitung waren mehrere Zeitungsmeldungen. Im Mai 2019 hieß es „Bistümer stellen 2023 drei Kirchenzeitungen ein“, im August 2023 war dann bekannt geworden, dass 14 katholische Bistumszeitungen eine Kooperation eingehen: „Katholische Kirche spart bei eigenen Zeitungen“ bzw. „Warum 14 Bistumszeitungen künftig auf Kooperation setzen“ und Mitte Dezember 2023 gab dann das Bistum Eichstätt bekannt, sich an der Kooperation zu beteiligen.
Die Herder-Korrespondenz sieht das durchaus kritisch: „Neue Wege zum Glück - Die Bistumspresse will mit einer weitreichenden Kooperation und einem neuen Konzept ihren Niedergang abwenden. Die Erfolgsaussichten sind fraglich.“
Für den Bereich der EKD sah es auch nicht viel anders aus: Die älteste Kirchenzeitung wird zum Jahresende 2023 eingestellt: Der „Evangelische Kirchenbote – Sonntagsblatt für die Pfalz“ wurde 1846 gegründet. Im September 2023 meldetet die Rheinpfalz: „Kirchenbote“ wird eingestellt, „Pilger“ bleibt.
„Zwei der ältesten deutschen Kirchenzeitungen kommen aus Speyer. Für eine davon, den ‚Evangelischen Kirchenboten‘, schlägt jetzt das letzte Stündlein. Der ‚Evangelische Kirchenbote‘, älteste Kirchenzeitung Deutschlands, erscheint letztmals am 24. Dezember 2023. Das bestätigte am Donnerstag die Protestantische Landeskirche in Speyer auf Anfrage. Sie gibt die Wochenzeitung heraus, seit vor einem Jahr der Evangelische Presseverband aufgelöst worden ist. ‚Es tut mir in der Seele weh, aber es gab keine Alternative‘, so Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst. Chefredakteur Florian Riesterer über das Aus nach 177 Jahren: ‚Das Ende des Kirchenboten tut weh, vor allem, weil zuletzt viel Energie in das neue Format gesteckt worden ist.‘ 2017 waren Zusatzmittel bereitgestellt worden, um die Marke zu erneuern.“
Die folgenden Daten und der Text beziehen sich jedoch weitestgehend auf die römisch-katholische Kirche, speziell die Bistumsblätter/-zeitungen. Im Bereich der EKD ist die Thematik noch komplizierter (z.B. durch die Veränderungen nach 1989) und bedarf einer eigenen Ausarbeitung.
1. Definitionen und Datenbasis
Die Deutsche Bischofskonferenz verweist (1993) in ihrer Arbeitshilfe 110 „Medien“ auf die AKP (Arbeitsgemeinschaft Katholischer Presse) in der 143 katholische Zeitungen und Zeitschriften zusammengeschlossen seien.
„Katholische Zeitschriften sind die richtigen Ratgeber für Leserinnen und Leser, die neugierig darauf sind, was in ihrer Pfarrei und ihrem Bistum geschieht, die als engagierte Christen Neues aus der Weltkirche und der Mission erfahren wollen, die als Frauen, Jugendliche, Eltern oder Senioren Magazine suchen, die sich mit ihrer Lebenssituation auseinandersetzen und dabei den christlichen Standpunkt betonen, die wissen wollen, wo und wie sich katholische Verbände engagieren, die sich fundiert über Fragen der Theologie, Seelsorge, Kultur, Medien und Wissenschaft informieren wollen.“
Bei kirchlich-konfessionellen Medien werden im Allgemeinen mehrere Ebenen unterschieden. 1.) Die „Kirchenzeitungen“, zu denen die Zeitungen gezählt werden, die normalerweise wöchentlich erscheinen und einer Landeskirche bzw. einem Bistum zugeordnet werden. Der Begriff „Kirchenregionalpresse“ beschreibt das zutreffender. 2.) Zum anderen die Konfessionszeitungen, katholische Wochenzeitungen, die überregional vertrieben werden. 3.) Die „Pfarrbriefe“ auf der Gemeindeebene, die nicht erfasst werden. 4.) Daneben gibt es noch eine Vielzahl von „christlichen Zeitschriften und Zeitschriften“ (Wikipedia). Bei den aufgelisteten rund 300 Titeln sind die Auflagenzahlen jedoch durchaus veraltet, d. h. zu hoch. So wird für „Kirche und Leben“ des Bistums Münster eine Auflage von 100.000 Exemplaren angegeben. Das war jedoch im Jahr 2007, aktuell (3. Quartal 2023) sind es 25.299 Exemplare. Die Erscheinungsweisen der genannten Titel sind weitestgehend monatlich bzw. vierteljährlich. Sie verdeutlichen jedoch die Vielzahl der Organisationen, die konfessionell medial aktiv sind. 5.) Dabei sind die konfessionellen „Fachzeitschriften“ noch nicht genannt, wie „Junia“, die Mitgliederzeitschrift der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands, deren Auflage sich 2018 auf rund 430.000 Exemplare belaufen hat. Seitdem wird die Auflage nicht mehr an die IVW berichtet. Darin wird u. a. deutlich, dass die nachfolgenden IVW-Daten nur einen Teil der kirchlichen Presse abbilden.
Datenbasis sind die vierteljährlichen Meldungen der „Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V.“ (IVW). Die Mitgliedschaft von Verlagen im IVM und ihre Datenübermittlungen im IVW sind freiwillig. So heißt es, das zunehmend Titel aus der IVW-Zählung herausgenommen werden.
„Als vom Staat unabhängige, nichtkommerzielle Prüfinstitution versorgt die IVW die Medien- und Werbebranche sowie die interessierte Öffentlichkeit mit grundlegenden Daten für die Vermarktung von Medien als Werbeträger. Die geprüften Daten werden veröffentlicht. […] Aufgrund der stark zurückgehenden Auflagen vieler Zeitungen und Magazine, nehmen Verlage zunehmend Titel aus der IVW-Zählung heraus.“
Generell kann zudem festgestellt werden, dass im Allgemeinen die Angaben zu den Auflagen/Verkaufszahlen zum Teil sehr deutlich höher genannt werden, als sie in den IVW-Daten berichtet werden. So nennt das Erzbistum Berlin für die katholische Wochenzeitung „Tag des Herrn“ der ostdeutschen Bistümer eine „Gesamt-Auflage 25.000 Exemplare (abgerufen am 18.12.2023). Laut IVW beläuft sich die aktuelle Auflage (3. Quartal 2023) auf 15.453 Exemplare. 25.000 Exemplare gab es 2007/2008, also vor 15 Jahren.
In der fowid-Ausarbeitung: „Kirchenpresse 1997-2016“ wurden bereits die Zeitreihen für 21 Kirchenzeitungen dokumentiert. Die weiteren Entwicklungen sollen im Folgenden an einigen ausgewählten Beispielen beschrieben werden.
2. Bistumszeitungen
Die katholischen Medien werden im Artikel „Publizistik“ des Staatslexikons - aktuell und historisch - ausführlich beschrieben. Zur Rolle der Bistumszeitungen heißt es, dass es der wichtigste Typ sei, die in der Regel vom Bischof herausgegeben wird und („früher“, d. h. vor dem II. Vatikanischen Konzil) als „zweite Kanzel“ bzw. Sprachrohr des Bischofs diente.
„Die Kirchenpresse bildet den Kern. Sie ist an kirchliche Institutionen rechtlich, organisatorisch oder wirtschaftlich gebunden. Früher galt sie als „zweite Kanzel“ oder „Sprachrohr des Bischofs“. Nachkonziliar wurde ihre Rolle mit Begriffen wie Dialog und Forum umschrieben. Ihre Einbettung in kirchliche Institutionen wirft die Frage nach journalistischer Unabhängigkeit auf. Sie kann auch als Corporate Publishing betrachtet werden: Die von ihr vermittelten Informationen sind zwar journalistisch aufbereitet, doch werden damit gleichzeitig die Ziele des Absenders verfolgt. Wichtigster Typ ist die Bistumszeitung. Sie erscheint wöchentlich, wird i. d. R. vom Bischof herausgegeben, hat dessen Diözese als Verbreitungsgebiet und wird überwiegend im Abonnement bezogen. 2018 erschienen 22 Bistumszeitungen, wobei fünf ostdeutsche Diözesen einen gemeinsamen Titel herausgaben.“
Im Katholischen Medienhandbuch wird einerseits die Vielfältigkeit der Zeitungen benannt und andererseits, dass diese Bistumszeitungen die Diözese kommunikativ zusammenhalten.
„So bunt wie die Landschaft der deutschen Bistümer sind auch die Kirchenzeitungen. Einige setzen auf Magazincharakter, andere auf klassische Zeitungen. Gemein ist allen, dass sie sich eher als Marktplatz der verschiedenen Interessen, Strömungen und Meinungen sehen, denn als verlängerte Kanzel. Zentrale Aufgabe der Kirchenzeitungen ist die Berichterstattung über das Leben der Kirche – von der Pfarrei bis zum Papst, mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Diözese als ihrem Verbreitungsgebiet. Ein Bistumsblatt hält eine Diözese kommunikativ zusammen und ermöglicht qualitätsvolle und kontinuierliche Information über die Kirche vor Ort.“
Wie sieht die Situation ‚vor Ort‘ tatsächlich aus?
2.1. Bistumszeitungen 1998- 2023
Die IVW-Daten werden gegenwärtig für den Zeitraum 1998 – 2023 als Zeitreihe dargestellt und sie zeigen damit die Entwicklungen der verkauften Auflagen in den vergangen 25 Jahren.
Der generelle Trend ist eindeutig: Bis auf geringe Schwankungen verringern sich alle verkauften Auflagen kontinuierlich. (Die Darstellung ist ohne die Bistumszeitung „Kirche+Leben“ des Bistums Münster, die zu Beginn dieses Zeitraums noch eine weit überdurchschnittliche Auflage von 151.000 Exemplaren hat.)
In den dargestellten 25 Jahren (1998-2023) verringern sich die verkauften Auflagen der Bistumsblätter von 790.021 auf 227.164. Das ist eine Verringerung von 71 Prozent oder durchschnittlich 23.000 Exemplaren pro Jahr. Rein rechnerisch gibt es entsprechend in zehn Jahren keine Bistumsblätter mehr.
Kurze Anmerkungen zu einzelnen Zeitungen:
- Der Altöttinger „Liebfrauenbote“ ist kein Bistumsblatt, sondern eine Kirchenzeitung des Marienwallfahrtsortes Altötting im Bistum Passau. Aufgrund sinkender Auflagen (4. Quartal 2021 = 5.295 verkaufte Exemplare) wurde es mit Beginn 2022 mit dem Passauer Bistumsblatt fusioniert.
- Das „Ruhrwort“ des Bistums Essen wurde 2013 eingestellt. 1963 lag die Auflagenzahl bei rund 139.108 Exemplare und hatte 2013 die 15.000 Exemplare unterschritten. (Dazu: Christian Klenk: „Der Anfang vom Ende oder ein Sonderfall der Kirchenpresse? Das Bistum Essen stellt das ‚RuhrWort‘ ein“.) Das Bistum gibt seitdem viermal jährlich das Bistumsoffizielle „BENE-Magazin“ heraus, dass in 500.000 Auflage erscheint und an alle katholischen Haushalte kostenlos versandt wird. Ehemalige Mitarbeiter des Ruhr-Wort gründeten 2015 des „Neue Ruhr-Wort“, dass laut IVW-Meldungen im 3. Quartal 2023 eine verkaufte Auflage von 1.866 Exemplaren nennt.
Bezogen auf die einzelnen Diözesen erreichen die Bistumszeitungen Ende 2022 noch 1,4 Prozent ihrer Kirchenmitglieder – mit einer Spannweite von 0,6 bis 2,7 Prozent.
Bezogen auf Leseranalysen, dass die Zeitungen 2 bis 3 Kirchenmitglieder als Leserinnen und Leser haben, wären das durchschnittlich 3 bis 4 Prozent der Mitglieder. Nicht überraschend ist es, dass die Ost-Bistümer (in denen die römischen Katholiken in der Diaspora, in der Minderheit leben) und die kleineren Bistümer höhere Leserzahlen haben, als die Bistümer mit Großstädten wie Köln, München-Freising, Hamburg und Limburg (mit Frankfurt).
2.2. Bistumszeitungen 1950 – 2023
Um zu klären, wann diese Entwicklung begonnen hat, wurde aus dem IVW-Archiv eine Zeitreihe in 5-Jahresschritten erstellt.
Es wird deutlich, dass der Gipfelpunkt der Auflagen Anfang der 1960er Jahre gelegen hat. Danach verringern sich alle verkauften Auflagen, bis auf „Kirche+Leben“ des Bistums Münster, dass diesem Trend der stetigen Verringerung erst nach 1983 folgt. In den einzelnen Bistümern verläuft dieser Trend unterschiedlich.
Auf Grundlage der 14 Bistumszeitungen die für alle erfassten Jahre in den IVW-Daten vorliegen, lässt sich jedoch feststellen, dass die Veränderungen, d. h. die Verringerungen in den erfassten Fünf-Jahres-Zeiträumen mit Bezug auf das vorherige Bezugsjahr im Zeitverlauf zunehmen, d. .h stärker werden.
Das lässt sich auch daran zeigen, dass im Zeitraum 1958 bis 1993 die Auflagen um 47 Prozent verringert haben, im Zeitraum von 1993 bis 2023 um 82 Prozent. Insgesamt sind sie im Zeitraum von 1958 bis 2023 um 91 Prozent zurückgegangen.
2.3. Bistumszeitungen 1957-1969
Um der Frage nachzugehen, ob es ein genaues ‚Gipfeljahr‘ mit der höchsten Gesamtauflage aller Bistumszeitungen gibt, wurde der infrage kommende Zeitraum auf 1957 bis 1969 eingegrenzt und die jeweiligen Jahresdaten erfasst. Auf den ersten Blick erscheinen die Unterschiede in der Entwicklung der Auflagezahlen nicht allzu groß zu sein
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch dreierlei: Erstens gibt es kein ‚gemeinsames Gipfeljahr‘, sondern (in der folgenden Tabelle hellgrün unterlegt) neun Gipfeljahre im Zeitraum 1957-1960, acht im Zeitraum 1961-1964 und zwei im Zeitraum 1965 – 1969. Das Jahr mit der höchsten Gesamtauflage ist 1963 (für das alle Daten vorliegen) mit 2,1 Mio. Gesamtauflage. (1958 hat eine ebenso hohe Gesamtauflage, es fehlen allerdings zwei Datenangaben, die interpoliert wurden.) Sicher ist jedoch, dass seit 1964 die Gesamtauflage sinkt und es nach 1967 kein weiteres ‚Gipfeljahr‘ mehr gibt.
2.4. Analysen
Die Thematik der sinkenden Auflagen ist vielfach diskutiert und analysiert worden. Eine besondere Rolle kommt dabei der Publikationsreihe der „Communicatio Socialis“ (ComSoc) zu, die sich beständig um diese Thematik kümmert und respektvoll anerkennend wie ironisch für eine „Tapferkeitsmedaille zur Verteidigung der Kirchenpresse“ vorgeschlagen wurde.
1979 hat sich K. Rüdiger Durth mit der Kirchenpresse beschäftigt. In: „Noch schwankt der Boden: Die katholische Presse in der Gegenwart (II)“ beschreibt er die prekäre Situation und Personalknappheit der Bistumsblätter.
„Die ständig geforderte Verbesserung der inhaltlichen Qualität von Bistumspresse und anderen katholischen Zeitschriften läßt sich nur dann in die Tat umsetzen, wenn den Redakteuren dieser Zeitschriften auch die Möglichkeit eingeräumt wird, an den wichtigsten Veranstaltungen der Kirche selbst teilzunehmen und den Kontakt mit Kollegen von kirchlichen und säkularen Medien zu pflegen. Eigene Berichterstattung und persönliche Kontakte bilden für den kirchlichen Redakteur zwei Seiten der gleichen Medaille, nämlich besseren Journalismus.“
1989 berichtete Franz Rest über „Die Abbesteller des Salzburger „Rupertusblatts“. Drei Gründe / Gruppen werden genannt: Ein Drittel Todesfälle, ein Drittel kein Interesse (mehr), ein Drittel ohne Angabe.
„Bei redaktionellen Rückfragen bei etwa 300 Stornos eines Jahres stellte sich heraus, daß etwa ein Drittel davon wegen Todesfalls, hohen Alters oder schlechten Gesundheitszustandes zu verzeichnen war. Ein Drittel der Abbesteller gab keine Beweggründe für ihren Schritt an, ein Drittel fiel nach Werbeaktionen ab, wurde wegen schlechter Zahlungsmoral seitens des Verlages storniert, gab an, kein oder wenig Interesse an der Kirche, kirchlichen Themen und damit an der Kirchenzeitung zu haben, aus der Kirche ausgetreten zu sein, oder ohnedies andere katholische Publikationen im Hause zu haben.“
Ebenfalls 1989 fand ein Kolloquium der Deutschen Bischofskonferenz zur Kirchenpresse statt. (Ferdinand Oertel: „Die Krise der Bistumspresse 1989. Bestandsaufnahme und Zukunftsüberlegungen.“) Unter den Teilnehmern auch Stipendiaten des Cusanus Studienförderungswerkes, die für die Bistumspresse – als Presse einer Institution -, keine Zukunft mehr sehen.
„Dabei vertraten die Teilnehmer, etwa 40 junge Doktorandinnen und Doktoranden, gemeinhin ein Reservoir katholischer Elite, einhellig die Auffassung, daß die gegenwärtige Bistumspresse keine Zukunft mehr besitzt. Die jungen Katholiken ordneten die Kirchenzeitungen als Presse einer Institution ein und setzten sie mit der Partei- und Gewerkschaftspresse gleich, die ebenfalls bedeutungslos geworden sei. Gefragt seien katholische Spezialblätter für die verschiedenen Gruppierungen in der Kirche, also zielgruppenorientierte Fachzeitschriften.“
Zudem wird auf den Altersaufbau der Abonnenten verwiesen, die stark überaltert sei: Die Hälfte der Abonnenten sei über 60 Jahre alt.
„Verbunden mit dem Auflagenrückgang ist ein pastoral stark ins Gewicht fallender Rückgang der Reichweite, und dieser ist nicht einfach prozentual auf die katholische Gesamtbevölkerung verteilt, sondern betrifft vor allem die jüngeren und mittleren Generationen. So hat eine 1987 von Media Markt Analysen, Frankfurt, im Auftrag von 15 Bistumsblatt-Verlagen durchgeführte Funktionsanalyse ergeben, daß über die Hälfte (52%) aller Abonnenten über 60 Jahre und drei Viertel schon über 50 Jahre alt sind. Dabei ist der hohe Auflagenrückgang nicht nur, wie bereits das Arbeitspapier der Synode anmerkt, ‚parallel zur Kurve des Rückgangs der Kirchenbesucher‘ verlaufen, sondern auch trotz zahlreicher Verbesserungsmaßnahmen, die in den Jahren nach dem Konzil von Bistumszeitungen gemeinsam oder einzeln erfolgt sind.“
Ebenso beschreibt Oertel (1989), dass alle Überlegungen zu Veränderungen seit 1969 im „Sande verlaufen“ seien. Sein Fazit ist: „Ohne konzeptionelle Neuorientierung wird die Bistumspresse langsam, aber sicher dahinsiechen.“
2010 schrieb Christian Klenk in seinem Artikel „Letzte Chance für die Bistumspresse - Die Auflage schrumpft stetig, doch bei der Suche nach Lösungen herrscht Uneinigkeit“, dass es, bei den bisherigen Verlusten, voraussichtlich 2030 keine Bistumspresse mehr geben werde.
„Eine simple Rechnung geht so: Durchschnittlich um 35.000 Exemplare pro Jahr ist die Auflage der 24 katholischen Bistumszeitungen im vergangenen Jahrzehnt geschrumpft Ende 2009 hatten die diözesanen Blätter noch eine verkaufte Auflage von insgesamt 700.000 Exemplaren. Rein mathematisch wird es also die Gattung Bistumszeitung in 20 Jahren nicht mehr geben. Rein ökonomisch kommt das Aus bei anhaltender Entwicklung freilich früher. Wegen vergleichsweise hoher Fixkosten für die Produktion von Printmedien (u a Personalkosten für Redaktion und Verlag) werden sich viele Zeitungen bei zu geringer Abonnentenzahl nicht länger finanzieren lassen Als Alternativen bleiben nur erhebliche Subventionen, die Zusammenlegung von Titeln, deren Einstellung – oder ein Wunder.“
Und er setzt es für die Jahre 1995-2008 in einen größeren Zusammenhang mit anderen Entwicklungen innerhalb der römisch-katholischen Kirche in Deutschland, wobei deutlich wird, dass der Rückgang der Gottesdienstteilnehmer mit dem Rückgang der verkauften Auflage der Bistumspresse beinahe parallel verläuft -wobei die Auflagen der Bistumspresse zunehmend stärker sinken.
Ob diese gleichsam ‚parallele‘ Entwicklung der Verringerungen des Gottesdienstbesuches wie der Reduzierung der verkauften Auflagen der Bistumspresse sich einander bedingen – und wenn ja, wie? – oder ob es für beides gemeinsame Ursachen gibt – und wenn ja, welche? -, bleibt ungeklärt.
Das Problem sei u. a., so Christian Klenk, die Ausrichtung der Bistumspresse auf die aktiven Kirchenmitglieder, was heißt, auf die älteren Gottesdienstbesucher.
„Um die Struktur ihrer Leserschaft wissend haben sich die Bistumsblätter selbst über viele Jahre hinweg stark auf diese eine Zielgruppe ausgerichtet Je nach Diözese gehen heute zwischen zehn und zwanzig Prozent der Kirchenmitglieder sonntags in die Messe Die Fixierung auf die ‚aktiven Katholiken‘ erweist sich nun als Sackgasse, weil es mit dem vorhandenen publizistischen Angebot kaum möglich erscheint, die übrigen 80 bis 90 Prozent der Katholiken, die ihrer Kirche auf die eine oder andere Weise ferner stehen, zu erreichen. Die Überalterung der Leserschaft und der fehlende Anschluss an die jüngere Generation beschleunigen den Erosionsprozess bei den Kirchenzeitungen weiter Denn obwohl es vereinzelt Seiten und Rubriken für jüngere Leser (Jugendliche, junge Familien) gibt, fühlen diese sich vom Gesamtangebot kaum angesprochen. Schon allein der Anzeigenteil mit seinen Annoncen für Treppenlifte und Bluthochdruckmittel signalisiert ihnen, dass sie hier offenbar an der falschen Adresse sind.“
Dieser Aspekt wurde bereits 1979 in dem bereits erwähnten Beitrag von K. Rüdiger Durth „Noch schwankt der Boden“ dezidiert erläutert: „Die vergessene Jugend“.
„Wie wichtig es ist, daß sich die kirchliche Publizistik intensiv um die Jugend kümmert, hat die Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Katholischer Jugend (BDKJ), Maria Koppernagel, auf der 29. Jahresversammlung der Arbeitsgemeinschaft Katholische Presse im Oktober 1978 in Augsburg deutlich gemacht: ‚Was den für kirchliches Verhalten besonders signifikanten sonntäglichen Kirchgang betrifft, so fand in den Jahren zwischen 1963 und 1976 bei der katholischen Jugend ein starker Rückgang statt. Die Teilnahme der 16 bis 29jährigen sank von 52 auf 21 Prozent. Wenn 1976 der Tiefpunkt von 19 Prozent überschritten wurde, so sollte man nicht voreilig auf eine Tendenzwende in diesem Verhaltensbereich schließen, denn langfristig gesehen setzt sich ein protestantisches Kirchgangsverhalten durch, das ab und zu sonntags zum Kirchgang bewegt.‘
Der abschließende Appell der BDKJ-Vorsitzenden an die Kirchenpresse verdient Beachtung: ‚So wichtig eigene Jugendseiten auch sein mögen, schieben Sie die Jugendlichen nicht auf einige Seiten Ihrer Publikationen ab; greifen Sie im Hauptteil Themen auf, die für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen interessant sind; lassen Sie öfter einmal Jugendliche zu den sie bedrängenden Fragen zu Wort kommen.‘“
Einen weiteren Grund nennt (2023) der Chefredakteur des Kölner Stadtanzeigers, Joachim Frank: Abo-Kündigung als „stiller Kirchenaustritt“.
„Der GKP [Gesellschaft Katholischer Publizisten]-Vorsitzende Joachim Frank, der im ‚Kölner Stadt-Anzeiger‘ selbst häufig über kirchliche Themen schreibt, bringt ein weiteres Problem ins Gespräch, mit dem auch das neue Magazin kämpfen müsse: ‚Gegen Überalterung und abnehmende Kirchenbindung können die besten Journalistinnen und Journalisten nicht anschreiben. Auch nicht gegen wachsenden Unmut der Gläubigen und Verärgerung beim Blick auf die Institution Kirche und ihre Vertreter. Die Kündigung eines Kirchenzeitungs-Abos sehen zuvor treue Leserinnen und Leser als ‚kleinen Kirchenaustritt‘, mit dem sie ein Zeichen setzen.‘ […]
Frank weist noch auf einen weiteren Aspekt hin, den der Kommunikationsberater Erik Flügge schon länger beklagt hatte: Rund 90 Prozent des Aufwands, den die Kirche betreibe, sei für höchstens 10 Prozent der eng verbundenen Mitglieder gedacht. Stattdessen, so Frank, müsse man stärker darüber nachdenken, die Kommunikation der Kirche an denen auszurichten, ‚die sie im Binnendiskurs nicht mehr erreicht, aber auch noch nicht gänzlich verloren hat‘.“ (domradio)
Die Diskussionen in der katholischen Medienszene sind vielfältig. Für die Organisation der Bistumszeitungen in der DDR gab es 1994 eine Lösung: „Seit der Neuregelung der kirchlichen Strukturen nach dem Ende der DDR im Jahr 1994 ist der TAG DES HERRN die Bistumszeitung der Bistümer Dresden-Meißen, Erfurt, Görlitz und Magdeburg, seit April 2014 auch für das Erzbistum Berlin.“ (Quelle: Erzbistum Berlin). Seit 1970 gibt es eine Kooperation in der KONPRESS, die in einer Selbstdarstellung schreibt: „Wir sind die Nummer 1 in der kirchlichen Publizistik!“
„Die KONPRESS-Medien eG ist eine seit 1970 bestehende Genossenschaft von heute (2014) 37 Titeln der katholischen und evangelischen Publizistik mit einer wöchentlich verkauften Gesamtauflage von ca. 1 Million Exemplaren. 96 % dieser Auflage werden im Abonnement bezogen. Die KONPRESS-Titel bringen es 3,1 Millionen Kontakte in der Woche. Die KONPRESS-Medien eG mit Sitz in Frankfurt a. M. vermarktet für diese Gruppe exklusiv das nationale Anzeigen- und Beilagengeschäft mit einem Umsatzvolumen von rund 2,66 Millionen Euro (2013). Sie ist somit der größte Anbieter im konfessionellen Bereich in Deutschland.“
Um das allmähliche Verschwinden der Kirchenpresse zu kaschieren, wird von einer „Jahresauflage“ geschrieben:
„Mit einer abonnierten Auflage von rund 18,6 Mio. Exemplaren im Jahr erreichen Sie engagierte und jung gebliebene Leserinnen und Leser der wöchentlichen Kirchenzeitungen. Einfach, effizient, kundenorientiert und kostengünstig.“
2008 lässt z.B. die katholische MDG (Medien-Dienstleistung GmbH) – die seit 1975 besteht und vom Verband der Diözesen Deutschlands finanziert wird - durch das Institut für Handelsforschung ein freiwilliges „Benchmarking“ (Betriebsvergleich) der Bistumspresse erstellen. Konsequenzen? Zum Jahresende 2023 wurde die MDG ‚abgewickelt‘ und ‚liquidiert‘.
Exkurs I: Überregionale konfessionelle Zeitungen / Magazine
Beispielhaft seien hier sieben konfessionelle Publikationen genannt, die einen überregionalen Bezug haben: fünf römisch-katholische, eine evangelikale und eine jüdische Zeitung. Folgen sie alle dem gleichen Trend? Nein. Zwei Unterschiede lassen sich verdeutlichen.
Fünf dieser Zeitungen/Zeitschriften haben relativ stabile Auflagen, d. h. nur moderatere Verringerungen: „Publik-Forum“ minus 6 Prozent, „idea-Magazin“ minus 5 Prozent und „Tagespost“ minus 29 Prozent. Die beiden Zeitungen mit den höchsten Verlusten an Abonnenten („Liboriusblatt“, minus 92 Prozent, sowie „SonntagsZeitung inkl. neuer Bildpost“, minus 78 Prozent) werden dagegen der sogenannten „Sonntagspresse“ zugeordnet. Die Halbierung der verkauften Auflage der „Jüdischen Allgemeinen“ (die 2021 ihre IVW-Meldungen einstellte) verweist zudem darauf, dass diese Thematik sich nicht auf christliche Medien begrenzt.
Das Magazin „Publik-Forum“ zeigt, dass inhaltliche Klarheit Erfolg hat (Dazu Walter Hömberg (2012): „Gelungenes Reformprojekt mit Profil. Vierzig Jahre „Publik-Forum“). Zu den Leserinnen und Lesern heißt es – was auch für die Leser des evangelikalen „idea-Magazins“ gelten dürfte – dass es engagierte Gläubige sind, mit Interesse auch an kritischen Informationen.
„Die allermeisten sind religiös musikalisch, schöpfen Kraft aus dem Glauben, engagieren sich persönlich stark für ihre Ziele, ob in der Kirchengemeinde, im Eine-Welt-Laden, in der Friedenspolitik, mit Kindern oder in der Hospizarbeit. Sie versuchen reflektiert zu leben und haben Interesse an kritisch und gut aufgearbeiteten Informationen, die sie anderswo so nicht bekommen.“
Das „Liboriusblatt“ - benannt nach dem Heiligen Liborius, Schutzpatron des Erzbistums Paderborns -, versteht sich als „glaubensfrohe katholische Familienzeitschrift“ mit einem entsprechenden redaktionellen „Mix“.
„Das Liboriusblatt ist die katholische Familienzeitschrift für Deutschland. Die beliebte Wochenpublikation steht für einen abwechslungsreichen Mix aus Tradition, Spiritualität, Wissen, praktischem Rat und Unterhaltung. Sie informiert ihre Leserinnen und Leser über alles Wichtige und Wissenswerte in Orts- und Weltkirche und analysiert die Hintergründe des Geschehens. Die Redaktion ordnet die aktuellen kirchlichen Entwicklungen und Aufbrüche in die Zusammenhänge ein und stellt engagierte Christen von heute vor, die ihren Glauben überzeugt leben. Spannende Reportagen und Berichte erfüllen Geschichtliches und Brauchtum mit Leben. Besinnliches und kleine Weisheiten regen zum Nachdenken an.“
Der Verlag publiziert als „Liboriusgruppe“ neben dem Liboriusblatt das „Bayerische Sonntagsblatt“, das „Kasseler Sonntagsblatt“ und „Maria 2.0“. Die Abo-Betreuung und Kundengewinnung erfolgen seit 2013 über die Burda Direkt Services GmbH. 2017 erschienen Medienartikel über „Abzocke im Namen des Herrn“ im Ruhrgebiet und die evangelische Wochenzeitung „UK“ („Unsere Kirche“) beteuerte, dass sie mit den Drückerkolonnen an der Haustür für Abonnentenwerbung nichts zu tun habe, sondern das Liboriusblatt. Diese Usancen wurden bereits 2015 in Interforen berichtet, ebenso wie für 2019, als Zweijahresabos für das Liboriusblatt geworben werden sollten. Geholfen hat das alles nichts. Im Wikipedia-Eintrag (abgerufen am 02.01.2024) wird 2017 als letzte Information zur Auflage genannt: 21.196 Exemplare. 1965 nannte das Liboriusblatt eine höchste verkaufte Auflage von 237.549 Exemplaren, im aktuellsten (3. Quartal 2023) sind es noch 8.737 Exemplare, ein Rückgang auf vier Prozent der seinerzeitigen Auflage.
Die „Sonntagszeitung für Deutschland“ inkl. der „Neuen Bildpost“ verzeichnet einen ähnlichen Niedergang (2003 – 2023 minus 78 Prozent verkaufte Exemplare). 1997 hatte die Liborius-Gruppe die „Neue Bildpost“ erworben und 2008 an das Bistum Augsburg weiterverkauft
„Unter Sonntagspresse werden die Zeitschriften verstanden, die wöchentlich erscheinen, aber nicht an eine Diözese gebunden sind. Oft wenden sie sich an ganz bestimmte Zielgruppen, etwa die Familie. Die bekannteste - und zugleich umstrittenste - Zeitschrift in dieser Gattung ist die ‚neue Bildpost‘, die katholische Themen bildzeitungsgemäß an den Mann beziehungsweise die Frau bringen will. Mit knalligen Schlagzeilen, oft genauso überzogen wie im Vorbild ‚Bild‘, und politischer Einseitigkeit macht diese Wochenzeitung immer wieder auf sich aufmerksam.
[…] Sie gilt übrigens auch nicht als offizielle Zeitschrift und mußte in den letzten Jahren zum Teil erhebliche Einbußen hinnehmen. Mit 377.000 Exemplaren erreichte sie Ende 1964 ihren Höchststand und fiel seit 1970 ständig unter die 300.000-Grenze. Der Abwärtstrend hält weiter an.“
(So in K. Rüdiger Durth: Noch schwankt der Boden: Die katholische Presse in der Gegenwart (II)“
1968 hat die Zeitschrift „Die christliche Familie“ eine Leseranalyse durchführen lassen (Ferdinand Oertel: „Die Zukunft der katholischen Sonntagspresse im Licht einer Leser-Umfrage“), in der sich zum einen darstellt, dass die Leserschaft mitnichten überwiegend Ältere seien, die langsam aussterben, zum anderen aber, dass es sich doch um eine besondere Klientel handelt: Kirchenmitglieder mit starker Autoritätsbindung.
„Die Tatsache, daß insgesamt die Hälfte aller Bezieher durch Kirche und Elternhaus an die Zeitschrift gekommen sind, besagt aber, daß bei dieser Gruppe eine starke Autoritätsbindung vorliegt. Was die Zeitschrift veröffentlicht, besitzt für sie einen hohen Wahrheitscharakter. Bei der psychologischen Untersuchung zeigte sich so auch eine starke Hemmung unter den Befragten zur offenen Kritik. Positiv formulierte Aussagen über das Blatt erhielten große Zustimmung, negative fanden kaum Zustimmung. Auf Grund der engen Verbindung zu Kirche und Elternhaus, die von mehr als der Hälfte der Bezieher (z. T. unbewußt) hergestellt wird, steht die Zeitschrift vielfach außerhalb rationaler Kritik.“
Die Auflagenentwicklung beider Sonntagszeitungen zeigt, dass ihnen die Zielgruppe „Familie“ verloren gegangen ist oder dass diese nicht mehr existiert.
Exkurs II: Die Pfarrgemeindebriefe
Die hierarchisch gesehen ‚unterste Ebene‘ der kirchlichen Medienarbeit sind die Pfarrgemeindebriefe, die auf lokaler Ebene der Pfarrgemeinden/Pastoralräume erstellt werden. Sie haben zwar die höchste Reichweite aller kirchlichen Medien und rund zwei Drittel der Katholiken sollen diese Broschüren lesen, so die Untersuchung „Mitgliedermagazine mit Millionenauflage“ aus dem Jahr 2014, aber das ist nur eine Annahme: Christian Klenk und Thomas Rinklake: „Mitgliedermagazine mit Millionenauflage - Eine bundesweite Umfrage liefert erstmals umfangreiche Daten zum Basismedium Pfarrbrief.“
Auch wenn die Rücklaufquote (17 Prozent, d. h. 903 von 5.157 angeschriebenen Pfarrämter haben sich beteiligt) nur eine schmale Basis ist, so lassen sich doch, unter Vorbehalt, plausible Feststellungen treffen. Zur Auflagenhöhe wird ein ‚Korridor genannt‘: 6,6 bis 7,5 Mio. Exemplare.
„Kombiniert man die Zahl der Katholiken in allen Bistümern, die amtlich bekannte durchschnittliche Haushaltsgröße, das aus der Umfrage bekannte Verbreitungsgebiet, die Quote der Gemeinden, die einen Pfarrbrief erstellen sowie die durchschnittliche Auflagenhöhe je Titel, so dürfte sich die Gesamtauflage aller Pfarrbriefe – pro Erscheinungsintervall – auf 6,6 bis 7,5 Millionen Exemplare belaufen. Damit ist das Medium Pfarrbrief in der Summe das reichweitenstärkste Printmedienangebot der Katholischen Kirche.“
Der Erfolg dieser Pfarrgemeindebriefe wird in ihrer Nähe zur Pfarrgemeinde beschrieben, abgesehen von dem häufigen Charme der Qualität des Selbstgemachten‘.
„Was den großen Publikumserfolg der Pfarrbriefe ausmacht, ist zum einen der Nachrichtenfaktor Nähe: Die Gläubigen identifizieren sich innerhalb der Kirche nun mal in erster Linie mit ihrer Pfarrei und interessieren sich besonders dafür, was die Kirche vor Ort zu bieten hat. Zum anderen ist es die Form der Distribution: Pfarrbriefe müssen in der Regel nicht abonniert werden – sie kommen stattdessen häufig als Push-Medium frei Haus zu den Gläubigen, indem sie von Ehrenamtlichen ausgetragen und in die Briefkästen der Kirchenmitglieder (zuweilen auch in jene der nicht-katholischen Haushalte) geworfen werden.“
Kombiniert man dieses „Push-Medium“ – jeder bekommt es in den Briefkasten gesteckt, ob es die Empfänger interessiert oder nicht – mit den Schlüsselwörtern: „reichweitenstärkste Printmedienangebot“, so stellt sich grundsätzlich die Frage, ob dieses „erfolgreiche Prinzip der Mitgliederkommunikation“ überhaupt also solches zu betrachten ist. Es ist in keiner Weise mit dem kostenpflichtigen Abonnement eines Mediums der Kirchenregionalpresse vergleichbar, da uninteressierte Empfängerinnen und Empfänger es vermutlich nicht unter Protest in das Pfarramt zurückbringen, sondern es wahrscheinlich schlicht im Papiermüll entsorgen.
Die Absicht, die Arbeit und den Erfolg des Internetangebotes Pfarrbriefservive.de zu befördern ist verständlich.
„Pfarrbriefservice.de ist eine Internetplattform für Pfarrbriefredaktionen und die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit im deutschsprachigen Raum. Sie bietet Materialien und Anregungen für den Pfarrbrief wie für die nichtkommerzielle kirchliche Öffentlichkeitsarbeit kostenfrei zum Herunterladen an.“
Ohne eine empirische Erfassung, ob und inwiefern dieses „Angebot“ angenommen wird, ist das jedoch ein Wunschdenken.
3. Rückblick und Ausblick
Im Zeitraum der Höchstzahlen der verkauften Auflagen und dem Beginn der Verringerungen (1957-1967) sind mehrere Themen zu benennen, die für die Situation der katholischen Kirche in Deutschland (und der Welt) von Bedeutung waren.
Oktober 1962 bis Dezember 1965: Das Zweite Vatikanische Konzil. Unter dem Leitgedanken des „Aggiornamento“ („Versuch, die Lehre der katholischen Kirche an die Verhältnisse des modernen Lebens anzupassen“) waren von mehreren Beschlüssen für den katholischen Laien der muttersprachliche Gottesdienst in der Liturgie von direkter Bedeutung.
Die römisch-katholische Kirche hatte ihren ‚Schäfchen‘ die Tore geöffnet und so waren die „Hirten“ überrascht, dass so viele aus der „Herde“ diesen Raum verließen und die Gottesdienstbesucher sich seitdem beständig verringerten, nachdem man verstehen konnte, was die Priester sprachen. Vor allem mit diesem Wechsel - weg von der lateinischen Sprache der Liturgie zur Muttersprache -, verliert die katholische Messe ihr ‚Geheimnis‘. Die Distanzierungen zeigen sich in den Daten zum Gottesbesuch seit der Liturgiereform (vgl.: „Liturgiereform 1965 und Gottesdienstbesucher“).
In diesen Jahren beginnt die römisch-katholische Kirche einen ihrer Kerne verlieren. Den Kern der autoritätshörigen Gläubigen, die regelmäßig den Gottesdienst besuchen, den Wegweisungen des Bischofs und des ‚Heiligen Vaters‘ folgen und die Augen im Gebet verschließen, wenn der Priester am Altar hantiert.
1963 ist – aufgrund des Geburtenzyklus – das Jahr mit der höchsten Anzahl von Geburten in religiös homogenen Ehen, die dann – verstärkt durch den ‚Pillenknick‘ – kontinuierlich geringer werden. Damit beginnt die Öffnung religiöser Milieus, die sich bis dahin, vor allem im ländlichen Bereich, gegeneinander abgegrenzt hatten. Das lässt sich an der Entwicklung der Religionszugehörigkeiten der Mütter/Eltern zeigen, die 1960 noch vor allem zwei religiös-homogene Lager zeigen, die sich 2003 in einer bunten Pluralität der Religionskombinationen verändert haben.
Bei religiös-homogenen Ehepaaren ist es keine Diskussion, in welche Kirche die Familie am Sonntag in den Gottesdienst geht, sowie, dass und wie die Kinder getauft werden. Alles das wird in einer pluralistischeren Gesellschaft in Frage gestellt, muss jeweils geklärt werden und sei es, dass man gar nicht mehr in eine Kirche geht.
Aber nicht nur ‚innerkirchlich‘ hatte eine andere Zeit begonnen. Auch in der Gesellschaft und unter den katholischen ‚Laien‘ wurden neue Fragen gestellt, die sich insbesondere mit der Rolle des Klerus im Nationalsozialismus befassten.
1963 erschien (der Beststeller mit mehr als 100.000 Exemplaren) von Carl Amery: „Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute. Nachwort von Heinrich Böll.“ „Amerys Vorwurf an die Kirche: Die Katholiken hätten während des Nationalsozialismus lediglich für den Erhalt ihres Milieus gekämpft. Im Zweifel gehe der Kirche Institutionenschutz vor Opferschutz.“ (Katholisch.de)
Von Heinrich Böll erschien, Anfang 1963: „Ansichten eines Clowns“, der mit seiner Kritik am katholischen Milieu heftigen Widerstand erzeugte und „25 Wochen lang in den Jahren 1963 und 1964 auf dem Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste“ stand.
Zeitgleich wurde im Februar 1963 von Rolf Hochhuth das Schauspiel „Der Stellvertreter“ aufgeführt, in dem er thematisierte, dass Pius XII zum Holocaust geschwiegen habe. „Mit seinem ‚christlichen Trauerspiel‘ wurde Hochhuth als Dramatiker weltberühmt und löste einen der größten Skandale aus, die die katholische Kirche jemals erlebte.“ (Deutschlandfunk)
Das alles, und weiteres, blieb nicht ohne Wirkung. 1968: Im Rückblick auf den 82. Katholikentag 1968 in Essen schreibt das Bistum (2018): „Essen feierte turbulenten Katholikentag“ und zitiert: „‘Hengsbach, wir kommen, wir sind die linken Frommen‘ skandierten ‚kritische Katholiken‘. Der gastgebende Ortsbischof Franz Hengsbach reagierte auf die Rufe in der Grugahalle: ‚Wenn Sie nicht nur links sind, sondern wirklich fromm, sind Sie wirklich herzlich willkommen.‘“
Eine der umstrittensten Themen des Katholikentages war die Enzyklika „Humanae Vitae“, mit der Papst Paul VI den Gebrauch der Pille verbot und nur ‚natürliche Methoden‘ der Empfängnisverhütung erlaubte. Das brachte ihm den Spitznamen „Pillen Paule“ ein. So ein Spitzname für einen Papst grenzte seinerzeit an eine Art „Gotteslästerung“. Über Autoritäten lacht man nicht.
Für die Konrad-Adenauer-Stiftung formuliert Ferdinand Oertel (2001) das Geschehen auf dem Katholikentag in „Aufstand der Laien“ einsichtiger: es sei der Beginn eines neuen Pastorals gewesen.
Das geschah jedoch mitnichten. Wenn man einen großen Bogen spannt von einem der Essener Themen - der Mitbeteiligung der Laien in den kirchlichen Strukturen -, bis zum „Synodalen Weg“ der 2020er Jahre, haben die Bischöfe sich mehrheitlich diesem Wunsch beständig verweigert. So, wie sie sich 1968 - als Reaktion auf die Laienproteste gegen den Klerus -, aus der Organisation der Katholikentage zurückgezogen haben - den ab 1970 das Zentralkomitee der deutschen Katholiken verantwortet -, so haben sie es ebenfalls 2022/2023 getan, analog dem Papstwort: „In Deutschland gibt es eine sehr gute evangelische Kirche. Wir brauchen nicht zwei davon.“ (Quelle: SPIEGEL)
Diese dogmatische Kontinuität ist erhalten geblieben, während die Abonnenten der Bistumszeitungen sich Jahr um Jahr verringerten. Ein stiller, aber beständiger Prozess der Distanzierung zum Klerus.
Eine Kirche, die ihr Religionsmarketing so ausdrücklich mit dem Klerus verbindet wie die römisch-katholische Kirche – von „Hochwürden“ bis zum „Heiligen Vater“, von „Exzellenzen“ (Bischöfe) bis zu „Eminenzen“ (Kardinäle) – und die geweihten Priester als die Mittler zwischen Gott und den sündigen Laien betrachtet, denen in der Beichte mit Absolution wieder der Weg zu Gott ermöglicht wird, braucht dafür Nimbus, Macht und Glaubwürdigkeit.
Dass diese Basis stetig geringer wird, nur wenige Beispiele: Im Mai 2010 tritt der Augsburger Bischof Mixa zurück, was als „überfällig“ kommentiert wird. Im Januar 2013 muss der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner seine Auffassung revidieren, dass die „Pille danach“ eine Abtreibung sei. Im März 2014 nahm der Papst das Rücktrittsgesuch des Bischofs von Limburgs, Tebartz van Elst, an, der als „Prunk- und Protzbischof“ in allen Medien – von der BILD bis hin zur F.A.Z. – präsent gewesen war. Im Juli 2022 wird berichtet: „Papst Franziskus vergleicht Abtreibung mit Auftragsmord“, im Original: „Der Papst verurteilt im Interview Abtreibung aufs Schärfste und vergleicht sie - wie schon öfter zuvor - mit dem ‚Anheuern eines Auftragskillers‘.“ (Vaticannews) Ein katholischer Priester, der sich „Heiliger Vater“ nennen lässt und betont, in Sorge an der Seite der Ratsuchenden zu stehen und zur „Nächstenliebe“ aufruft, hat mit diesem Mördervergleich jeglichen Nimbus und für viele seine Glaubwürdigkeit verloren. Er redet wie ein Politiker, der die Dogmen seiner Partei verkündet.
Insofern gilt für die Bistumspresse insbesondere, dass die Älteren – die regelmäßigen Gottesdienstbesucher, für die ein Bischof und sein Bistumsblatt wichtig war – sterben, ohne dass eine weitere Generation nachfolgt. Die erwähnte Feststellung (aus dem Jahr 1979) von der „vergessenen Jugend“, die vom Klerus nicht angesprochen wird, bestätigt sich.
Die Studie „Youth in Europe I. Life Perspectives“ von Hans-Georg Ziebertz und William K. Kay (Hrsg.), (aus dem Jahr 2005) hatte bereits festgestellt, dass in Europa eine Jugend heranwächst, die primär pragmatisch orientiert ist und starke Vorbehalte gegenüber jeder Form von organisierter Weltanschauung hat. Die Sinus-Studie „Generation What?“ (aus dem Jahr 2016) bestätigte, dass die 18-34-Jährigen in Deutschland zu 81 Prozent bekunden, dass sie kein Vertrauen in religiöse Institutionen haben. Braucht man nicht mehr: Gottesdienstbesuch mit Sonntagspredigten, Kirchliche Beerdigung sowie Bistumszeitung: Nein danke.
Insofern sind die Verringerungen der Auflagen von Bistumszeitungen ein eindrucksvoller – obwohl stillerer, weil nicht so offensichtlich wie ein geringerer Gottesdienstbesuch – Indikator für die Veränderungen innerhalb der römisch-katholischen Kirche in Deutschland. Wenn es den Wandel gegeben hat, dass sich das II. Vatikanische Konzil von dem Bistumsblatt als „zweite Kanzel“ des Bischofs abgewendet hat, ist die Frage: Wandel zu … was?
Ab Ostern 2024 wird sich die Anzahl der bisherigen wöchentlichen Bistumsblätter halbieren und durch das Kooperationsobjekt eines vierzehntägigen Magazins ersetzt, eine „letzte Rettung“? Man wird es sehen.
Die bereits erwähnte Liquidation der 1975 eingerichteten MDG (Medien-Dienstleistungs-Gesellschaft) durch den Verband der Diözesen Deutschlands kann allerdings nur als Bankrotterklärung des Klerus verstanden werden, dass es kein zukunftsfähiges Konzept für kirchliche Medien gibt.
Mit Bezug auf einen größeren Rahmen ist der Niedergang der Bistumszeitungen ein wesentlicher Hinweis darauf, dass die römisch-katholische Kirche ein grundsätzliches Kommunikationsproblem hat. Kommunikation verstanden als Gespräch von mindestens zwei Beteiligten.
Das traditionelle Bild der Kirche von Herde und Hirten - wobei die Gläubigen (die Herde) von den Klerikern (den Hirten) geleitet wird, die den ‚Schafen‘ (in ihrem Sinne wohlmeinend) sagen, ‚wo es lang geht‘ und die Schafe das befolgen –, das ist und war 19. Jahrhundert. Seit ca. 1963 regt sich immer mehr Widerstand gegen autoritäre, d. h. unkommunikative Entscheidungen und Bewertungen des individuellen Handels. In der Politik protestiert man, mit Bezug auf die Kirche geht man nicht mehr in den Gottesdienst und kündigt das Abo der Bistumszeitung. Der Klerus hat einem – in dieser Form – nichts mehr zu sagen.
Carsten Frerk