Religionszugehörigkeiten 2020
Am 31.12.2020 lebten in Deutschland 42,4 Mio. protestantische und katholische Christen (51,0 Prozent), 2,9 Mio. konfessionsgebundene Muslime (3,5 Prozent), 4,0 Mio. Mitglieder anderer Religionsgemeinschaften (4,8 Prozent) und 33,8 Mio. Konfessionsfreie (40,7 Prozent). Voraussichtlich wird die Anzahl der Mitglieder der EKD und der römisch-katholischen Kirche schon Ende 2021 auf unter 50 Prozent der Bevölkerung gesunken sein.
1. Aktuelle Übersicht zum 31.12.2020
2. Die Datenbasis
3. Christliche Amtskirchen / Melderegister / Bundesländer
4. Muslime / Kulturmuslime
5. Aleviten
6. Kleinere Religionsgemeinschaften
7. Fazit
1. Aktuelle Übersicht zum 31.12.2020
Nach der Publikation der Mitgliederzahlen zum Jahresende 2020 durch die Evangelische in Deutschland (EKD) und die Römisch-Katholische Kirche sind die Mitgliederzahlen der zwei größten Religionsgemeinschaften bekannt. Die EKD hat 20,2 Mio. Mitglieder, die Römisch-katholische Kirche 22,2 Mio. Mitglieder. Das sind 24,3 bzw. 26,7 Prozent der Bevölkerung, zusammen 51 Prozent. In absoluten Zahlen hat sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 2019 auf 2020 um zusammen 885.000 Mitglieder verringert. Die Anzahl und der Prozentsatz der konfessionsgebundenen Muslime ist durch neue Berechnungsgrundlagen auf 3,5 Prozent gesunken, während die Konfessionsfreien nun einen Anteil von rund 41 Prozent stellen. (Die ausführlichen Erläuterungen zu den einzelnen Zahlenangaben finden sich in den folgenden Abschnitten dieses Textes.)
2. Datenbasis
Die Datenbasis für diese Übersicht ist – wie es bereits in den Vorjahren für 2019 und für 2018 unterschiedlich detailliert beschrieben wurde – bedauerlicherweise so lückenhaft und ungenau, dass die Zahlenangaben nur als Tendenzen zu verstehen sind. Da es sich dabei nicht um präzise Angaben handelt, werden in der Grafik keine Nachkommastellen angegeben.
Der Trend in der Verringerung der christlichen Kirchenmitglieder stützt sich dabei allerdings auf die vergleichsweise verlässlichste Quelle, die Melderegister. Alle anderen Zahlenangaben beruhen auf Schätzungen, die teilweise veraltet sind, oder sie sind sich ergebende ‚Zählgrößen‘, wie die Anzahl der Konfessionsfreien, die alle diejenigen sind, die entweder keine Kirchenmitglieder sind oder sich nicht als religiös verstehen.
3. Christliche Amtskirchen / Melderegister / Bundesländer
Die Zahlen für die römisch-katholische Kirche sowie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beruhen auf den Daten, die den Kirchen aus den staatlichen Melderegistern übermittelt werden. Die Angaben in den Melderegistern sind jedoch bis zu zwei Prozent ungenau, d. h. auch in den Religionszugehörigkeiten bis zu zwei Prozent zu hoch. In Berlin hat beispielsweise eine aktuelle fowid-Anfrage beim Landeswahlleiter ergeben, dass von den insgesamt versandten 2.765.373 Wahlbenachrichtigungen 51.594 als unzustellbar zurückgekommen sind, das sind immerhin 1,9 Prozent.
Die katholische Kirche veröffentlicht zeitnah (Mitte des folgenden Jahres) ihre Statistiken des Kirchlichen Lebens, so auch Mitte 2021 für das Jahr 2020. Die Daten zur Mitgliederentwicklung aus dem Melderegister können also mit den kircheneigenen Daten zum Kirchlichen Leben miteinander verglichen werden. Dabei zeigt sich, dass rund 15 Prozent der Mitgliederverluste in der kirchlichen Statistik nicht sichtbar werden.
Für die EKD-Kirchen ist dieser Vergleich zeitversetzt ebenfalls möglich, da die evangelischen Statistiken zum Kirchlichen Leben erst zwei Jahre später publiziert werden. Die Ergebnisse zeigen eine größere Diskrepanz als bei der römisch-katholischen Kirche: zwischen 24 bis 30 Prozent der Mitgliederverluste werden in der kirchlichen Statistik nicht dargestellt.
Diese Defizite könnten dafür sprechen, dass sich die verringernden Kirchenbindungen auch in diesen Zahlen ausdrücken, da von den jeweiligen verstorbenen Kirchenmitgliedern nur diejenigen kirchlich erfasst werden können, die auch kirchlich bestattet wurden. Insofern ist das doppelt so große Erklärungsdefizit der evangelischen gegenüber den Daten der römisch-katholischen Kirche nachvollziehbar. Das größere Bestattungsdefizit der evangelischen Kirchenmitglieder ist bekannt und wird hier bestätigt. Ein Unterschied in der Kirchenbindung, der sich auch in den deutlich geringeren Zahlen des regelmäßigen Kirchgangs der EKD-Protestanten darstellt. Diese Tendenz der sich verringernden Anzahl der Kirchenmitglieder ist jedoch nicht nur über die Melderegister zu belegen, sondern zeigt sich in diversen empirischen Untersuchungen, auch der Kirchen selber, in denen prognostiziert wird, dass sich bis zum Jahr 2060 die Anzahl der Kirchenmitglieder halbiert haben wird.
Die Frage, ob und wann die beiden großen ‚Amtskirchen‘ weniger als die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands als Mitglieder haben werden, ist nach den bisherigen Trends zu beantworten. Wenn Ende 2021 ausgezählt wird, könnte der Anteil unter 50 Prozent gefallen sein. Betrachtet man die vorläufigen Meldungen über die Kirchenaustritte 2021 ist diese Wahrscheinlichkeit recht hoch.
Nach den Auszählungen des Statistischen Bundesamtes, der EKD sowie der Bischofskonferenz zum 31.12.2020 verteilen sich die Kirchenmitglieder in den Bundesländern wie folgt:
4. Muslime / Kulturmuslime
Die Zahlenangaben für die – nach den beiden großen christlichen Kirchen – größte Religionsgruppe der verschiedensten Muslime wurden in der Volkszählung 1987 zuletzt erfasst und beruhen seitdem auf den Versuchen von Schätzungen, von denen die Studie der BAMF (Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg) zum „Muslimischen Leben in Deutschland 2020“ (MLD 2020) für 2019 die aktuellsten Schätzungen darstellen.
Nach der Studie: „Wie viele Muslime leben in Deutschland? Eine Hochrechnung über die Anzahl der Muslime in Deutschland zum Stand 31. Dezember 2015.“ lebten rund 4,5 Mio. Muslime in Deutschland. Diese Anzahl wurde in der „MLD 2020“ für 2019 auf rund 5,5 Mio. Muslime erhöht.
„Die Zahl der in Deutschland lebenden muslimischen Religionsangehörigen (einschließlich alevitischer Religionsangehöriger) mit Migrationshintergrund aus einem muslimisch geprägten Herkunftsland 2019 umfasst zwischen 5,3 Millionen und 5,6 Millionen Personen. Nach den Ergebnissen des Mikrozensus (MZ) hatte Deutschland im Jahr 2019 insgesamt 83,1 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Damit liegt der Anteil der muslimischen Religionsangehörigen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung im Jahr 2019 zwischen 6,4 % und 6,7 %“.
Auch wenn diese Zahlenangaben nur unter Vorbehalt anerkannt werden, hat man keine besseren. Insofern sind die umfangreichen fowid-Berechnungen der vergangenen Jahre nun auch nicht mehr notwendig.
Ausgehend von dieser Zahlenangabe von 5,5 Mio. Muslimen müssen im ersten Schritt die 700.000 Aleviten, die eine eigenständige Religionsgemeinschaft bilden, aus diesen Muslimen herausgerechnet werden, so dass sich eine Anzahl von 4,8 Mio. Muslimen ergibt. In der BAMF Studie MLD 2020 wurde zudem nur nach der Selbsteinstufung gefragt, so dass jede weitere inhaltliche Klärung unterblieb. (S. 33)
„[…] in der MLD-Studie bei der Erfassung und den Analysen über die Religionszugehörigkeiten [wurde] die Deutungshoheit so weit als möglich bei den befragten Personen belassen. Alle zufällig ausgewählten Zielpersonen, die sich an der Befragung beteiligt haben, wurden im Rahmen des Interviews nach ihrer Religionszugehörigkeit gefragt, wobei auch angegeben werden konnte, keiner Religion anzugehören. Diese Selbstangabe wird für die weiteren Analysen verwendet. Weitere Kriterien, so etwa Gläubigkeit, religiöse Alltagspraxis, Mitgliedschaften in religiösen Organisationen, religiöse Sozialisation oder eine gegebenenfalls bestehende frühere Religion werden explizit nicht herangezogen.“
Dazu schreibt die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus hinsichtlich der Frage „Muslime in der Statistik. Wer ist Muslim und wenn ja wie viele?“ die Notwendigkeit, zu klären, wer überhaupt „Muslim“ ist.
„Die derzeitigen Schätzungen zur Anzahl der Muslime in Deutschland in Frage zu stellen, ohne eine alternative Angabe zu geben, hat kaum Chancen auf Erfolg. Gleichzeitig scheint es notwendig, die Kategorie ‚Muslim‘ in ihrer geradezu inflationären Verwendung zu hinterfragen und sowohl in der Forschung wie auch in Medien, Politik und Verwaltung ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass diese Kategorie lediglich im Kontext religiöser oder identitärer Bezüge eine bedeutungsvolle Aussagekraft entfalten kann. Um das zu erreichen, ist es wichtig, zwischen Menschen mit ‚muslimischem Hintergrund‘ und praktizierenden bzw. gläubigen Muslimen zu unterscheiden.“
Im fowid-Artikel „Kirchgang und Moscheebesuch“ geht es entsprechend auch um zuverlässige Indikatoren für die tatsächliche, d. h. gelebte Konfession. Der Islam beruht – für konfessionsgebundene Muslime – auf fünf Säulen, dazu gehört auch das rituelle Gebet und der Besuch der Moschee zum Freitagsgebet. Im Unterschied zum Christentum werden diese Pflichten sehr genau formuliert und von den unterschiedlichen Glaubensströmungen des Islams auch verwendet, um zu klären, ob jemand Muslim ist oder nicht.
Berechnet man den Mittelwert aus den vorhandenen Umfragen, so sind es ein Drittel (33,5 Prozent) der Muslime, die ihren Glauben öffentlich praktizieren und entsprechend zwei Drittel (66,5 Prozent), die nicht (halbwegs) regelmäßig, d. h. weniger als einmal im Monat in die Moschee gehen, also ihre Religion nicht praktizieren.
Nach dem Religionsmonitor (2013) „Religiosität und Zusammenhalt in Deutschland“ sind es (Seite 17) rund 30 Prozent regelmäßige Moscheebesucher. Das entspricht den anderen referierten Ergebnissen.
Zu dem gleichen Ergebnis kommt eine fowid-eigene Auswertung der 2015 erhobenen Daten des SOEP (Sozio-Ökonomisches Panel, 32. Befragungswelle). Auf die Frage, wie häufig sie religiöse Veranstaltungen besuchen, sagen die befragten Muslime: „Jede Woche“ (19 Prozent), „Jeden Monat“ (11 Prozent), „Seltener“ (21 Prozent) und „Nie“ (49 Prozent).
Auch unter der Fragestellung, ob sich durch die Muslime unter den 2013 bis 2016 nach Deutschland Geflüchteten daran etwas verändert hat, gibt die Untersuchung „Religion und religiöse Praxis von Geflüchteten“ eine klare Antwort: Nein. Es wurden zwar nur drei Häufigkeits-Kategorien dargestellt: „Mindestens 1x/Woche bis täglich“ (19,7 Prozent), „mindestens 1x/Monat oder seltener“ (26,8 Prozent) sowie „Nie“ (53,5 Prozent), aber sie entsprechen den genannten Verteilungen (Tabelle 6) und sind in der Kategorie „Nie“ sogar deutlich höher.
War bisher der Anteil der Kultur-Muslime in den fowid-Berechnungen auf 20 Prozent angesetzt worden, so führen diese empirischen Daten dazu, dass der Anteil der nicht-religiösen Muslime (66 Prozent) auf 40 Prozent gesetzt und damit erhöht wurde. Dabei wurde berücksichtigt, dass der Anteil der Frauen, die eine Moschee besuchen, deutlich geringer ist als bei den Männern, was allerdings nicht verwunderlich ist, weil sie dort getrennt sitzen müssen. Ebenso spielen Faktoren wie die Unterschiede zwischen öffentlicher und privater Religionsausübung eine Rolle – also zwischen Moscheebesuch und privatem Gebet.
Diese Überlegungen führen zu dem Ergebnis. dass von den laut MLD 2020 rund 5,5 Mio. Muslimen 700.000 Aleviten herausgerechnet wurden, verbleiben 4,8 Mio. Muslime, minus 40 Prozent Kultur-Muslime = 1,9 Mio., ergibt 2,9 Mio. konfessionsgebundene, religiöse Muslime, was 3,5 Prozent der Bevölkerung entspricht.
Es ist zu erwarten, dass diese Berechnungen auf Widerspruch stoßen werden, aber es könnte dazu führen, dass Informationen über den Islam und die Muslime evidenzbasierter betrachtet werden.
5. Aleviten
In dem fowid-Artikel „Aleviten in Deutschland“ ist ausführlich geschildert worden, warum die Aleviten als eine eigenständige Religions- und Kulturgemeinschaft anzusehen sind, zwar mit einem u. a. muslimisch-schiitischen Ursprung, die sich aber eigenständig entwickelt haben und sich in immer größer werdenden Anteilen ihrer Mitglieder nicht als Muslime verstehen. Die Zuordnung zu den sunnitischen Muslimen entspringt einer türkischen Staatsdoktrin (Ein Land! Eine Religion!), die eine Anerkennung der Aleviten (und der Kurden unter ihnen) nicht akzeptiert, sondern feindlich gegenübersteht.
Nach Jahrhunderten der Unterdrückung in der Türkei erleben die Aleviten seit ihrer Zuwanderung nach Deutschland (ab 1961) eine Religionsfreiheit, in der sie sich auf ihre Traditionen und Glaubenssätze besinnen können und entsprechend organisieren. Die Staatsverträge und die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts, sowie der alevitische Religionsunterricht an staatlichen Schulen in den Bundesländern sind Hinweise auf diesen Weg. Entsprechend wurde die Anzahl der rund 700.00 Aleviten in Deutschland aus den Muslimen herausgerechnet und den kleineren Religionsgemeinschaften zugeordnet.
6. Kleinere Religionsgemeinschaften
Die Zahlenangaben bei REMID (Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e.V., Marburg) sind bzw. waren bisher die qualifizierteste Informationsbasis für die kleineren Religionsgemeinschaften in Deutschland. Allerdings sind diese Zahlenangaben mittlerweile etwas ‚in die Jahre‘ gekommen. Insofern ist auch die umfangreiche Übersicht bei Wikipedia „Religionen in Deutschland“, die weitestgehend auf REMID-Angaben beruht, für eine aktuelle Zusammenstellung nur unter Vorbehalt hilfreich. In dieser Übersicht werden 108 Religionsgemeinschaften und die Gruppe der Konfessionsfreien genannt. Von diesen insgesamt 109 Nennungen beruhen 82 auf REMID-Angaben. Von allen Angaben stammen 10 aus den Jahren 2018-2020, weitere 48 aus den Jahren 2011-2017 sowie 51 aus den Jahren 2003-2010.
Auch wenn diese Zahlenangaben der Anforderung einer möglichst aktuellen Erfassung nicht mehr entsprechen, müssen neben größeren Gemeinschaften wie die Gruppe der 1,3 Mio. Orthodoxen, die sich allerdings wiederum auf sechs national organisierte Gemeinschaften unterteilen, den Aleviten (700.000), Buddhisten (270.000), Juden (200.000, davon die Hälfte nicht-organisiert) sowie Hindus (100.000) auch viele kleinere Gemeinschaften mit weniger als 100 Mitgliedern berücksichtigt werden.
7. Fazit
Da im kommenden Zensus 2022 nicht mehr nach der Religionszugehörigkeit gefragt werden wird – sie wird direkt aus den Melderegistern übernommen – werden sich die Informationen zu den formalen und tatsächlichen Religionszugehörigkeiten nicht verbessern. Um die tatsächliche Religionszugehörigkeit, im Sinne einer religiösen Weltanschauung, zu erfassen, dürfte es entsprechend sinnvoller sein, nach der Religiosität bzw. Nicht-Religiosität zu fragen. Ebenso wären die Zahlenangaben zu den Menschen mit einer gelebten, d. h. praktizierenden Religionszugehörigkeit, wie sie sich u. a. im regelmäßigen Kirchgang bzw. Moscheebesuch darstellt, eine realitätsgerechtere Darstellung der Religionszugehörigkeiten in Deutschland ergeben als die Daten aus den Melderegistern – die nur besagen, dass jemand christlich getauft wurde – oder Schätzungen des Bevölkerungsanteils der Menschen, die einen Migrationshintergrund haben und aus einem überwiegend muslimischen Land stammen. Derartige Umfragen können jedoch keine solide religionswissenschaftliche Analyse ersetzen. Denn die Mitgliederzahlen kleinerer Gemeinschaften erreichen nicht die notwendige Größenordnung, um in nationalen Standard-Umfragen (mit einer Auswahl von rund 1.000 Befragten) zu erscheinen, wodurch viele Informationen verloren gehen, die (wie die REMID-Angaben) den bunten religiösen Pluralismus in Deutschland dokumentieren.
(CF)